Fangnetze, bröckelnder Putz und braunes Wasser
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Die Dienststellen der Polizei in der Hauptstadt sind teilweise marode, der Sanierungsstau liegt bei 1,1 Milliarden Euro. Zuständig ist ein Immobiliendienstleister des Landes Berlin - der für Sanierungen ein Budget von gerade mal 41 Millionen im Jahr Euro hat.
Berlin-Lichtenberg, Direktion 6, Abschnitt 61: Inmitten schmuck sanierter Plattenbauten stehen fünf baufällige Dienstgebäude der Polizei. Um jedes einzelne von ihnen sind zwei Meter breite Fangnetze gespannt. Zum Schutz vor herabfallenden Teilen, erklärt der Berliner Sprecher der Gewerkschaft der Polizei GdP, Benjamin Jendro:
"Es ist so, dass vor einigen Jahren dort mal ein Bürger auf die Wache kam und einen ordentlichen Stein in der Hand hatte, der ihm gerade vor die Füße gefallen ist. Und das sind dann natürlich Sicherheitsmaßnahmen, die man ergreifen muss, weil: Sanieren ist teuer, und das ganze Haus sanieren wird noch teurer, und deswegen hat man hier eine Art Flickschusterei betrieben – so wie immer bei Liegenschaften der Berliner Polizei – und eben das Fangnetz darum gespannt, damit Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch die Kolleginnen und Kollegen, die hier ihren Dienst versehen, nicht von irgendwelchen Klamotten, die von der Fassade fliegen, getroffen werden."
Fangnetz jahrelang an der Fassade
"Sie meinen das Fangnetz, was da schon seit Jahren hängt an der Fassade", sagt Johanna Steinke. Sie ist die Sprecherin der Berliner Immobilienmanagement Gesellschaft BIM, die für den ordnungsgemäßen Zustand der Dienstgebäude der Polizei zuständig ist.
"Ja, das ist natürlich ein Sinnbild, was auch oft genutzt wird für den Sanierungsstau bei der Polizei", sagt die BIM-Sprecherin. "Ein weiteres Sinnbild, was gerne bemüht wird, ist ein Waschbecken, aus dem braunes Wasser kommt: Das ist natürlich für die Leute, die dort arbeiten, nicht schön. Und auch für die Leute, die dort vorbeigehen. Es ist aber, wenn man sich wirklich den gesamten Komplex 1,1 Milliarden vor Augen führt und 450 Gebäude, tatsächlich nicht in den Topprioritäten, und deshalb seit Jahren auch schon in dem Zustand."
Mehr als 450 Liegenschaften der Berliner Polizei werden von der BIM betreut. Sanierungsbedarf: 1,1 Milliarden Euro. So hat es die Immobilienmanagement-Gesellschaft vor kurzem errechnet. Bröckelnder Putz und braunes Wasser hier, einstürzende Decken, schimmelnde Wände und defekte Heizungsanlagen dort. An Mängelberichten mangelt es nicht. An Geld schon.
Die Gewerkschaft vermisst ein langfristiges Konzept
"Es ist ein sehr langer Weg, diese Gebäude zu sanieren", sagt Steinke vom Immobiliendienstleister BIM. "Wir befinden uns aber auf einem deutlich besseren Weg als noch vor vielen Jahren, als wir das Portfolio bekommen haben, hatten wir für den Abbau dieses Sanierungsstaus etwa 7 Millionen zur Verfügung."
Das war 2007. Heute, 2020, habe die BIM 33 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung, so die Sprecherin. Dazu weitere acht Millionen für kleinere Maßnahmen wie beispielsweise die Sanierung von Sanitäranlagen.
Alles viel zu wenig, kritisiert Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP):
"Eigentlich reicht es eben nur, um Flickschusterei zu betreiben, und es ist kein einheitliches Konzept dahinter. Das heißt, wir sanieren immer da, wo gerade etwas aufploppt, aber wir agieren nicht präventiv und gestalten und haben wirklich einen Plan dahinter. Wir haben jetzt ein Defizit von, ich glaube, 40.000 Quadratmeter Bürofläche bei der Berliner Polizei. Weil sie natürlich auch Büros so gestalten müssen, dass es alles arbeitsrechtlich konform ist. Uns fehlt ein gesamtheitlicher Ansatz. Keiner erwartet, dass morgen alle Gebäude in Ordnung sind."
"Schade, dass Herr Jendro das so sieht", entgegnet BIM-Sprecherin Johanna Steinke. Sehr wohl gebe es ein langfristiges Konzept, nach dem entschieden werde, welche Sanierungsmaßnahmen vorrangig seien und welche warten könnten.
"Die erste Kategorie, da geht es wirklich um so wichtige Dinge wie den Brandschutz, also wo man sagt: Da muss man sofort handeln, gerade wenn es öffentliche Flächen sind, zum Beispiel eine Wache, die auch Publikumsverkehr hat, da gibt es keine Diskussionen, da muss sofort gehandelt werden und Geld investiert werden", sagt Steinke. "Und es geht bis hin zu der Kategorie 4, wo es eher so um Schönheitsreparaturen geht, das ist ein relativ komplexes Konstrukt, weil innerhalb der Prioritäten auch nochmal priorisiert wird. Also, da gibt es eine Menge zu tun."
Mehr Polizisten und neue Ausrüstung
Aktuell setzt die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung vor allem aber auf mehr Personal. Im aktuellen Doppelhaushalt sind die Mittel für 800 neue Stellen eingeplant. Bis 2023 sollen weitere 900 hinzukommen. Zudem steckte die Innenverwaltung zuletzt viel Geld in die Ausrüstung der Polizei. Sie kaufte neue Waffen und Schutzbekleidung, mehr Smartphones und Tablets.
Und sie schaffte 35 hochmoderne Motorräder an. Kostenpunkt allein dafür: Eine Million Euro. "Ja, es gab neue Motorräder, ist auch wichtig, weil die alten Motorräder quasi den Kollegen unterm Hintern weggebrannt sind. Weil sie sich einfach erhitzt haben, wenn man länger mal bei einem Staatsbesuch steht oder so", sagt GdP-Sprecher Jendro.
Zu den Erfolgen zählt der Berliner Senat auch eine neue, zeitgemäße Schießanlage. Kostenpunkt: 21,5 Millionen Euro. "Eine moderne Hauptstadtpolizei braucht die bestmöglichen Arbeitsbedingungen", sagt der Innensenator. Jetzt könne man sich wieder verstärkt dem Mammutprogramm Gebäudesanierung widmen.
Berlin und sein Schießstand-Problem
Wegen seiner maroden Schießstände erregte Berlin bundesweit Aufsehen. Jahrelang waren die Polizisten dort giftigen Dämpfen ausgesetzt. Beamte erkrankten an Krebs oder sind bereits verstorben. Ob ein Zusammenhang zwischen dem Training auf den Schießständen und den Erkrankungen besteht, wurde allerdings nicht zweifelsfrei nachgewiesen.
Probleme mit möglicherweise giftigen Dämpfen in den Liegenschaften bestehen nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei jedoch weiter.
"Die so genannte PAK-Thematik in Schulzendorf", so Jendro. "Da geht’s um krebserregenden Parkettkleber, der vor Jahrzehnten einfach verwendet wurde, und da steigen Dämpfe auf und das macht was mit den Menschen."
Polizeipräsidentin Barbara Slowik entgegnet: "Ich finde das sehr bedauerlich und auch leichtfertig, hier so mit den Ängsten der Beschäftigten umzugehen."
Erhöhte PAK-Konzentration
Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus Ende April: Polizeipräsidentin Slowik verwehrt sich gegen den Vorwurf, ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Kolleginnen und Kollegen vernachlässigt zu haben.
Hintergrund: 2018 wird bei der Untersuchung einer Polizeidienststelle im Norden Berlins, in Schulzendorf, in der Luft eines Raumes eine erhöhte Konzentration von Stoffen aus der Gruppe so genannter "Polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe" festgestellt, kurz PAK. Stoffe, die ab einer gewissen Konzentration als krebserregend gelten.
Schnell folgt eine zweite Untersuchung. "Diese Messung hat ergeben, dass der Richtwert 2 des Umweltbundesamtes nicht erreicht wurde, das heißt, eine Sperrung der Räumlichkeiten in keinem Fall erforderlich wäre", sagt die Polizeipräsidentin.
Dann passiert nichts mehr. Keine weiteren Messungen, kein Sanierungskonzept.
Für den innenpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Benedikt Lux, Anlass nachzuhaken, warum denn 2018 nur in einem Raum gemessen wurde, wo doch zu vermuten sei, dass der PAK-haltige Parkettkleber auch in vielen anderen Räumen verbaut worden sei.
"Ich habe einfach häufig die Erfahrung gemacht, auch bei den Schießstätten, dass es große Probleme sind, die da zu wälzen sind", sagt Lux. "Und dass häufig eine Verantwortungsdiffusion besteht zwischen Polizeiführung als auch der BIM als auch der Politik, die das Problem vielleicht schon früh berichtet bekommt, aber dann sieht: 'Oh, das ist ganz teuer, und wir sind ja erst am Richtwert 1, wir treffen ja Vorsorgemaßnahmen'. Und da finde ich: Da sollten wir aus den Geschehnissen gelernt haben."
Weitere Messungen werden erwogen
Und tatsächlich: Die Polizeipräsidentin reagiert. Sie lässt zurzeit prüfen, ob weitere Messungen notwendig sind und ein Sanierungskonzept erarbeitet werden soll.
Was die Erfolgsaussichten einer solchen Unternehmung anbelangt, ist Barbara Slowik allerdings skeptisch. Sie verweist auf die Erfahrungen mit einer anderen Polizeidienststelle, in der ebenfalls eine so genannte PAK-Sanierung durchgeführt wurde. "Die hat sich immer wieder verzögert, auch weil Mittel immer wieder nicht bereitgestellt worden sind, um hier weiter zu sanieren, und weil solche Sanierungen extrem kompliziert sind."
Slowik führt aus: "Das heißt: Eine PAK-Sanierung ist nicht nur komplex und zeitaufwändig und bedarf guter Vorbereitung, sondern sie ist auch durchaus sehr kostenintensiv. Und da hoffe ich sehr, dass auch ein Parlament uns die erforderlichen Mittel bereitstellt, um dann hier entsprechend, wenn es denn erforderlich sein wird, dem entgegenwirken zu können. Auch die Messungen verursachen extreme Kosten."
Jahrelang hieß es in Berlin: Sparen, bis es quietscht. Unter Rot-Rot-Grün hat der Senat in den letzten Jahren tatsächlich mehr Geld für die Polizei und ihre Infrastruktur zur Verfügung gestellt.
Die Folgen der Coronapandemie können das Sanierungsprogramm für die Polizeiliegenschaften nun allerdings über den Haufen werfen. Für die Gebäude der Polizeidirektion 6, Abschnitt 61 in Berlin-Lichtenberg, könnte es eng werden. Noch sind der Abbau der Fangnetze und die komplette Sanierung der Fassaden für 2022 fest eingeplant. Noch.