Wohnungen, die sich jeder leisten können soll
06:54 Minuten
Je nach Lebensabschnitt ändern sich Bedürfnisse. Das gilt auch für das Wohnen. Dazu passt ein Immobilienkonzept aus der Schweiz: Wohneigentum auf Zeit. Der Kaufpreis ist niedrig, nach 30 Jahren geht alles zurück an den Investor.
Eine Scheune, eine grüne Wiese, ein Kiesweg – so sieht René Hodels Grundstück im Moment noch aus. Doch in ein paar Jahren soll hier eine Siedlung entstehen.
"Da, wo jetzt die Kühe stehen?"
"Nein, das ist zu weit."
René Hodel ist gelernter Landwirt, aufgewachsen in Buttisholz im Kanton Luzern, wo er auch lebt.
"Vom Alter her, Moment … 59, 59 Jahre, das ist so die Zeit, wo es dann langsam hinten rausgeht, wo dann irgendwann die Narrenfreiheit wiederkommt."
Die Vision der zukünftigen Siedlung hat Hodel gemeinsam mit seiner Partnerin Flavia Fluor entworfen. Auf dem Papier nur ein paar Umrisse von leeren, weißen Gebäuden. Doch in Hodels Beschreibungen schon jetzt ein lebendiges Wohnprojekt.
"Drei Stöcke plus der vierte oben mit den Dachterrassen, wo dann auch die Möglichkeit besteht, dass man dort gärtnern kann, mit Treibhäusern oben. Und das ist der Kopfbau, sagen wir dem", erklärt er.
"Das ist dann dort, wo weniger Wohnungen sind, da ist vor allem auch der Gemeinschaftswintergarten, wo dann zusammen gegessen werden kann ... Man kann dort hingehen, hat jenste Möglichkeiten und kann immer wieder zurück in die eigene Wohnung."
Wohnungen zum Bruchteil des Marktpreises
Eigene Wohnungen, die sich jeder leisten können soll. René Hodel will sie als Wohneigentum auf Zeit verkaufen: Die Käufer besitzen sie für einen begrenzten Zeitraum, danach gehen sie wieder an den Investor zurück. Dafür bezahlen sie auch nur einen Bruchteil des üblichen Marktpreises.
"Auf diese Art und Weise möchte ich auch, weil das billiger ist, die entsprechenden Leute hier hinlocken, dass das dann auch den Esprit, der da so reinkommt mit diesen Leuten, dass der hier Platz hat."
Wohneigentum auf Zeit – eine ungewöhnliche Idee. Wohl kein Zufall, dass ihr geistiger Vater Mischa Folger ein Quereinsteiger ist.
"Ich habe wirklich nichts mit der Immobilien und auch nichts mit der Finanzierung und der Bankenwelt zu tun. Und ich bin noch heute überzeugt, ohne diese Vergangenheit hätte ich die Idee nicht gehabt. Diese Idee, die ist so weit weg von dem, was man heute kennt und was einbetoniert ist und einzementiert ist in der Vorstellung: Dass Eigentum zeitlich unbegrenzt ist."
Bedürfnisse ändern sich
Doch Immobilien werden nicht zeitlich unbegrenzt genutzt, sagt Mischa Folger. Sondern für einen Lebensabschnitt von vielleicht 30 Jahren. Danach ändern sich die Bedürfnisse: Die Kinder sind aus dem Haus, man möchte lieber auf dem Land leben oder kann im Alter keine Treppen mehr steigen.
"Nach 30 Jahren hat der Eigentümer auf Zeit seine Eigentumsperiode abgelebt und kann dann entscheiden, ob er eine neue Periode kaufen möchte oder ob er gehen will."
Der Hauptvorteil seiner Idee, so Folger: Mit Wohneigentum auf Zeit können sich mehr Menschen leisten, zu kaufen anstatt zu mieten. Auch zum Beispiel junge Familien mit Kindern oder Pensionäre.
"Wenn sie die Pension haben, haben sie ja keine 140.000 Franken Haushaltseinkommen."
Unter 1,2 bis 1,4 Millionen Franken finde man keine vernünftigen Eigentumswohnungen.
"Und dann sehen sie sehr schnell, wer die Zielgruppen sind, das ist eine ganz kleine Schicht, die sich das leisten kann. Und dagegen wehren wir uns eigentlich mit dieser Eigentumsform."
Gleiche Rechte und Pflichten
Eigentümer auf Zeit haben die gleichen Rechte und Pflichten, die auch dauerhafte Eigentümer haben: In den eigenen vier Wänden können sie schalten und walten, wie sie mögen – eine neue Küche einbauen, die Wände orange streichen, die Wohnung verschenken, vermieten oder vererben.
Am Schluss geht das Eigentum einfach wieder an den Investor und der Eigentümer erhält einen Anteil der Substanzerhaltungsgebühr zurück. Ob sich das Wohneigentum auf Zeit tatsächlich für alle Beteiligten lohnt, haben Wirtschaftswissenschaftlerinnen der Fachhochschule Luzern untersucht.
"Ich habe das als eine sehr gute Idee empfunden, war eigentlich begeistert und gleichzeitig skeptisch, dass das sein kann, dass sowohl der Investor wie auch der Wohneigentümer auf Zeit gewinnt."
In ihrer Studie haben Yvonne Seiler-Zimmermann und ihre Kollegin das Konzept auf Herz und Nieren geprüft. Ergebnis: Wohneigentum auf Zeit ist bis zu 20 Prozent günstiger als mieten.
Mieter und Eigentümer von der Idee angetan
Eine Onlinebefragung hat außerdem gezeigt, dass sowohl Mieter als auch Eigentümer von der Idee recht angetan sind – und es gibt noch einen positiven Nebeneffekt für die Gesellschaft. "Nämlich dadurch, dass die Objekte eigentlich besser bewirtschaftet werden können."
Klassische Eigentümer in Mehrfamilienhäusern blockieren sich oft gegenseitig, wenn es um Sanierungsarbeiten geht. Gehen die Wohnungen aber nach 30 Jahren zurück an den Investor, fallen solche Konflikte weg.
"Sprich: Es erlaubt dieses Modell, eine gute Substanzerhaltung der Immobilien zu gewährleisten. Und letztlich führt das dann auch dazu, dass man weniger Bodenressourcen verschwendet."
Einen Haken hat die Sache dann doch: Bisher gibt es in der gesamten Schweiz nur 33 Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in der Berner Bahnstraße, wo tatsächlich schon Wohneigentümer auf Zeit leben.
"Ich glaube, es ist auch ein Huhn-Ei-Problem. Die Nachfrage ist natürlich nicht vorhanden, weil das Angebot nicht vorhanden ist. Und umgekehrt ist das Angebot nicht vorhanden, weil die Nachfrage nicht da ist."
Innovationsdruck auf Immobilienmarkt noch niedrig
Der Innovationsdruck auf dem Immobilienmarkt, sagt Yvonne Seiler-Zimmermann, sei im Moment noch nicht besonders hoch. Aber wenn jemand die Vorreiterrolle übernehmen würde, könnte das Modell aufgehen. Vielleicht ja jemand wie René Hodel mit seiner Buttisholzer Siedlung.
"Ich habe von meinem Job her auch gesehen: 30 Jahre, und dann musst du irgendwie wieder etwas ändern für die nächsten 30 Jahre. Wohneigentum auf Zeit über 30 Jahre, das ist mir sehr nahegekommen", sagt er.
"Es ist relativ komplex auf der Art und Weise vom Aufbau. Aber ich habe es verstanden, ich habe sofort verstanden, wie das ganze System funktioniert. Und da hab‘ ich gesagt: Das ist es, genau das machen wir hier, das ist es."