Idyllische Kleinstadt profitiert von guter Lage
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Unter Pendlern gilt Stendal in Sachsen-Anhalt bereits als Berliner Vorort. Es gibt gute Verbindungen in die Hauptstadt, nach Hamburg, Magdeburg oder Hannover. Die Stadt wird für Zugezogene immer attraktiver. Für Einheimische ist das ein Problem.
"Unsere Menschen lachen viel. Man muss ihnen nur ins Gesicht gucken. Wir sind hier eine ganz glückliche Stadt", sagt die 19-jährige Abiturientin Claire Sophie. Mit ihren Eltern ist sie aus Niedersachsen in die Altmark nach Stendal gezogen.
Die Silhouette ist von den Kirchtürmen der Stadt, herrschaftlichen Patrizierhäusern, einem imposanten Rathaus geprägt: rote Ziegel, wuchtige Ornamentik, weiße Putzflächen, Säulenbasiliken. Mancherorts fühlt man sich in die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts versetzt, als Stendal eine der reichsten Städte Norddeutschlands war. Alles ein bisschen wie im Fontane-Roman. Alles saniert.
Grau, neblig, dunstig und verfallen - das ist lange her und nur noch auf Schwarz-Weiß-Fotografien aus DDR-Zeiten zu sehen. Vergangenheit. Heute ist Stendal eine idyllische und romantische Kleinstadt.
Stendal ist "ausverkauft"
"Man kennt sich untereinander, man spricht miteinander. Wir haben auch hier die Hochschule. Für Studenten auch sehr attraktiv, wir haben um die 2.000 Studenten hier. Die finden das hier auch gut, wenn man sich mit denen unterhält. Wir haben mit ihnen zu tun, wenn wir ihnen Wohnungen vermieten. Die finden das hier gut, besser als an einer großen Uni, wo 20.000 Leute sind. Die kennen hier ihre Professoren. Die finden das hier gut."
Stendal boomt, sagt Jürgen Lodders. Selbst nennt er sich einen "fliegenden Immobilienmakler". Seine potenziellen Kunden nimmt er schon mal in seiner C42, einem Leichtflugzeug, mit, damit sie ihr neues Anwesen auch mal von oben sehen.
"Die Häuser, die wir hatten, die haben wir fast alle verkauft. Auch einige, die wir schon über einen längeren Zeitraum im Angebot hatten." Ladenhüter, die man über Jahre nicht loswurde, würden jetzt wie warme Semmeln weggehen.
Jürgen Lodders grinst. Bei Immobilienmaklern heißt es, Stendal sei ausverkauft. Die Kaufpreise für Wohnungen und Grundstücke ziehen mächtig an. Lodders: "Ja, so 20 bis 50 Prozent. So sind die Preise in letzter Zeit in die Höhe gegangen." Vor Jahren in Stendal völlig undenkbar.
Wer jetzt in der Stendaler Innenstadt ein saniertes Gründerzeit-Backsteinhaus kaufen wolle, müsse eine Menge Geld auf den Tresen legen. "Unter 200.000 Euro ist da nichts zu machen. Und vor zehn Jahren? 150.000, wenn überhaupt. 120.000, so haben wir die Dinger verkauft. Jetzt kosten die 200.000 Euro, manchmal auch darüber."
Vorteilhafte Lage sorgt für Mieterhöhung
2011 musste man in Stendal für ein 200-Quadratmeter großes Haus gerademal 300 Euro pro Quadratmeter zahlen, aktuell sind es rund 1.850 Euro. Das entspricht einer Preis-Steigerung von mehr als 50 Prozent. Der Hauptgrund dafür: Die strategisch vorteilhafte Lage. Es gibt direkte Zug-Verbindungen unter anderem nach Hamburg, Magdeburg, Hannover und Amsterdam. Für den Weg in Berlins Mitte braucht man gerade mal 50 Minuten. Weshalb Stendal unter Pendlern bereits schon als Berliner Vorort gilt.
"Ach, Rand-Berlin, Rand-Hamburg sag ich mal. Stendal ist verkehrsgünstig gelegen. Man ist ruckzuck und preisgünstig in Berlin, in Hamburg. Und ist aber ganz schnell wieder zurück." Thomas Richter-Mendau ist Investor. Zusammen mit seiner Frau hat der 51-Jährige 2013 das frühere Stendaler Gefängnis gekauft. Das liegt direkt hinter dem Dom, eine mächtige Backstein-Kathedrale aus der Zeit der Spätgotik. Gerademal 37.000 Euro hat Richter-Mendau für das 3.500 Quadratmeter große Gefängnis-Areal in bester Lage ans Land Sachsen-Anhalt überwiesen.
Aus den Zellen, wo einst die Knackis saßen, hat man den Angaben zufolge 24 Wohnungen gemacht, zwischen 50 und 120 Quadratmeter groß. Die Fenstergitter wurden rausgesägt. Gesamtkosten: 3,5 Millionen Euro. Die Netto-Kaltmiete beträgt etwa 7,50 Euro pro Quadratmeter.
Mendau: "Also früher wollten nicht so viele ins Gefängnis. Aber der Mythos der schwebt immer noch über allem, obwohl der Knastcharakter gar nicht mehr gegeben ist." Die Wohnungen wurden ihm geradezu aus den Händen gerissen, erzählt Thomas Richter-Mendau. Nicht nur von Stendalern, die Anfragen seien aus ganz Deutschland gekommen.
Bezahlbare Wohnungen sind rar
"Wir haben hier einige, die sich entschlossen haben, nicht nach Hamburg zu ziehen. Um hier zu bleiben. Aber wir haben auch eine Familie aus Stade, die ist hierher gekommen. Und hat gesagt, wir verkaufen unser Haus da und kommen her, hier ist es schöner. Und da haben sie Recht."
Die Altmark, die in Sachsen-Anhalt lange als ein Sorgenkind galt, streift langsam und Stück für Stück das "Graue-Maus-Image" ab. Bis Ende 2019 ist es eine Bundesmodellregion. 2,25 Millionen Euro Fördergelder fließen in die Gegend, für eine nachhaltige Siedlungspolitik und den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Es scheint sich zu lohnen.
Wo Licht ist, ist aber auch Schatten. Während sich Immobilienmakler über steigende Preise und Renditen von über acht Prozent freuen, wird es für Mieter in Stendal zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Was gerade für Menschen mit kleinen Gehältern und Mini-Jobs, für Rentner und Hartz 4- Empfänger zum Problem wird, erzählt Angela Mattke. Sie ist Juristin und Vorsitzende des 2.000 Mitglieder großen Mietervereins "Stendal und Umgebung e.V."
Mattke: "In den letzten Jahren war Stendal relativ ruhig, was Mieterhöhungen betrifft. Aber so seit gut einem Jahr ist da doch ein enormer Anstieg zu verzeichnen."
Künstliche Verknappung von Wohnraum
So sei es gar nicht mehr unüblich, für Neu-Vermietungen auch neun Euro für den Quadratmeter zu verlangen. In Stendal, sagt Mattke fast ein wenig pikiert und runzelt mit der Stirn. Sie erklärt sich das mit der verkehrsgünstigen Lage, mit dem Zuzug von Pendlern.
Aber auch Studierende und Professoren der Hochschule Magdeburg-Stendal fänden Stendal zunehmend attraktiver, meint Miet-Expertin Angela Mattke. Ein weiterer Grund sei der Abriss von Plattenbauten. Mit dem Rückbau von Stendal-Süd, sei ein ganzes Stadt-Viertel von der Landkarte verschwunden. Die Wohnungen wurden damit künstlich verknappt, weshalb nun die Mieten explodieren. "Wir merken das immer wieder, eine Wohnungssuche im Hartz 4-Bereich ist ganz, ganz schwierig geworden."
Allein die Plattenbau-Wohnungen, in dem zu DDR-Zeiten gebauten Satelliten-Viertel Stendal-Stadtsee seien für Menschen mit kleinem Geldbeutel gerade so noch bezahlbar, betont Angela Mattke. Stendal-Stadtsee ist ein Vorzeige-Stadtviertel, das die DDR Mitte der Achtzigerjahre aus dem Boden gestampft hat. Heute ist das Viertel ein sozialer Brennpunkt.
Die Nettokaltmiete beläuft sich hier auf 4,75 pro Quadratmeter. Das ist nur marginal mehr als 2009, also vor zehn Jahren. Als man für den Quadratmeter 4,29 Euro auf den Tisch legen musste. Auch wenn sich die Preise in der letzten Dekade nur wenig nach oben verschoben haben, sei es für viele der Bewohner dennoch ein Kraftakt, sagt Angela Mattke vom Mieterverein.
Gefragt sind Kleinstädte und kleine Kommunen
"Wir sehen es immer wieder, dass Mieter dann auch gezwungen sind, dieses Mietverhältnis aufgeben zu müssen. Und es ist dann wahnsinnig schwer, im unteren Segment der Mieten, wieder wirklich normalen Wohnraum zu finden." Vorbei ist die Zeit, als Häuser und Grundstücke im Osten zu Schnäppchenpreisen zu haben waren.
Der Immobilienmarkt in ländlichen ostdeutschen Regionen, wie der Uckermark oder Altmark, blühe auf, stellen manche Makler fest. Gefragt seien nicht nur Städte, wie Rostock, Leipzig, Halle oder Magdeburg. Auch kleinere Kommunen wie Neustrelitz oder Stendal würden zunehmend in den Fokus geraten.
Zwar sei das Wohnen in ländlichen Regionen immer noch günstiger als in den Ballungsräumen, heißt es etwa beim Immobilienverband IVD. Aber auf dem Land würden die Mietpreise derzeit prozentual viel stärker ansteigen, als in den Großstädten. Ein Trend, der nach Ansicht von Immobilien-Experten in den nächsten Jahren weiter anhalten werde.