"Impfentscheidung ist eine Abwägung von Risiken"

Moderation: Christopher Ricke · 26.07.2013
In Deutschland steigen die Masernerkrankungen, Politiker fordern bereits eine Impfpflicht. Dass sich vor allem gebildete Menschen damit schwer tun, hänge mit der Vielzahl an Informationen im Internet zusammen, meint die Psychologin Cornelia Betsch. Risiken würden dort aber oft überbewertet.
Christopher Ricke: Mancherorts ist es schon richtig dramatisch, es gibt einen deutlichen Anstieg von Masernerkrankungen, Schwerpunkte zum Beispiel in Bayern und Berlin. Da spricht man schon von einem richtigen Masernausbruch. Das ganze hat auch eine Debatte ausgelöst, ob es nun eine Impfpflicht geben soll oder muss. Allerdings wäre eine Impfpflicht eine erhebliche Einschränkung des Grundrechts der körperlichen Unversehrtheit – schlag nach im Grundgesetz, Artikel zwei, Absatz zwei.

Ich spreche jetzt mit Cornelia Betsch von der Uni Erfurt. Die zukünftige Professorin forscht im Bereich Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie auch zum Thema Impfverweigerer. Frau Betsch, warum tun sich denn manche Menschen so schwer, zum Impfen zu gehen oder ihre Kinder zum Impfen zu schicken? Das sind ja gerade, wie man liest, gut gebildete und gut informierte.

Claudia Betsch: Ja, mit der Informationssuche ist das so eine Sache. Je mehr Informationen ich suche, umso mehr Pro- und Contra-Argumente finde ich ja auch potenziell. Und mit der Entscheidung ist es so, wenn wir viele Pro- und viele Contra-Argumente haben, oder eine Einstellung dafür und aber auch irgendwie dagegen, dann haben wir ein hohes Maß an Ambivalenz und das macht Entscheiden schwer.

Zudem ist die Impfentscheidung im Prinzip eine Abwägung von Risiken und bei Risiken spielt auch die Wahrscheinlichkeit immer eine Rolle. Wir müssen uns irgendwie ein Urteil bilden darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass ich erkranke, wie wahrscheinlich es ist, dass Nebenwirkungen auftreten, und das wird gegeneinander abgewogen und dabei machen die Menschen naturgemäß allerlei Fehler und da treten allerlei Verzerrungen auf. Kleine Wahrscheinlichkeiten werden übergewichtet zum Beispiel, oder wir sind auch ganz sensibel für Stimmen, die uns sagen, da ist ein Risiko. Da sind wir evolutionsbiologisch drauf getrimmt, denn das hilft uns natürlich zu überleben.

Ricke: Die Informationssuche hat sich in den letzten Jahrzehnten durch das Internet ja dramatisch verändert. Es gibt unendlich viele Informationen, die sind aber nicht immer alle unbedingt richtig, sie sind nicht unbedingt wichtig und sie sind auch nicht gewichtet. Welche Rolle spielt denn das Internet?

Betsch: Das Internet wird immer wichtiger. Junge Eltern sind mit dem Internet aufgewachsen, die kennen gar keine Welt mehr ohne Internet. Und auch das Web 2.0, wo ich Informationen teilen kann und selber Informationen einstellen kann, spielt eine immer größere Rolle. Und im Internet finden sich ganz viele Geschichten zum Beispiel darüber, was nach Impfen alles passieren kann, aber natürlich auch Geschichten über Kinder, die an impfpräventablen Erkrankungen erkrankt sind oder gestorben sind. Also die persönlichen Geschichten, die gibt es ganz, ganz verbreitet im Internet, und wir finden in unseren Studien, dass die einen sehr großen Einfluss, manchmal auch wider besseres Wissen, auf die Risikowahrnehmung und dann auch auf die Bereitschaft zum Impfen haben.

Ricke: Das heißt, man liest eher die Geschichte über das Einzelschicksal, als sich eine Statistik anzusehen?

Betsch: So ist es.

Ricke: Wie ist es denn mit dem Eigennutz bei den Impfmüden, denn ich könnte mich auch auf die Position stellen und sagen, wenn um mich herum alle geimpft sind, dann wird diese Krankheit nicht ausbrechen, kann ich mir das Risiko sparen?

Betsch: Ja, das ist natürlich auch eine Sichtweise. Das ist ein Dilemma, denn es ist so eine strategische Interaktionsentscheidung. Für viele Krankheiten wie Masern oder Polio ist das tatsächliche Infektionsrisiko relativ gering. Dann kann es dazu kommen, dass wir subjektiv die Wahrnehmung haben, dass das Risiko, sich impfen zu lassen, höher ist als das Risiko, an einer Krankheit zu erkranken. Und dann kommt es auf meine Motive an, wie ich mich dann entscheide. Da kann man natürlich sagen, ich bin Trittbrettfahrer, solange um mich herum alle geimpft sind, gehe ich selber kein Risiko ein und habe aber trotzdem den Nutzen durch die Gesellschaft.

Ricke: Wir haben auch die Diskussion über die Impfpflicht. Allerdings ist das, wenn man sich die Grundrechte ansieht, ein durchaus kritischer und schwieriger Vorgang. Also wäre Aufklärung sicherlich das Mittel der ersten Wahl. Wie appelliert man denn klugerweise aus Ihrer Sicht an Impfverweigerer, die eigene Haltung noch mal zu überdenken?

Betsch: Da gibt es natürlich verschiedene Wege und mit Sicherheit keinen Königsweg. Ich bin ein großer Freund der Aufklärung, nicht nur über den Nutzen, sondern auch über die Risiken von Impfungen. Darüber sollten Menschen aus kundigem Munde etwas hören. Auch sollte man, denke ich, über Mythen und Gerüchte, die ja auch zuhauf im Internet zum Beispiel kursieren, fachkundig aufklären und die widerlegen. Das wäre das eine.

Aber ich denke, gerade wenn wir auch über Trittbrettfahrer gesprochen haben, ist es wichtig, auch an Altruismus zu appellieren, also daran zu appellieren, dass man zu dem gemeinsamen Gut beiträgt und nicht auf dem Rücken der geimpften Gesellschaft Trittbrett fährt. Das wären zwei Punkte und sicherlich als ganz pragmatischen Grund ist es sicher günstig, wenn Techniken entwickelt werden, vielleicht Apps oder irgendwelche Entscheidungshilfen im Internet, die es zum Beispiel jetzt auch von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schon gibt, die uns helfen, die Trägheit zu überwinden. Viele der Masernimpfungen, der zweiten, werden bestimmt auch schlichtweg vergessen. Wenn es da pragmatische Tools gibt, die uns einfach rechtzeitig erinnern und die Schwelle runtersetzen, es auch umzusetzen, dann ist da sicherlich auch viel gutes getan.

Ricke: Frau Betsch, jetzt haben wir gerade gesagt, das individuelle Schicksal berührt eher als der Blick in die Statistik oder in den Impfkalender. Wie war es denn bei Ihnen selbst? Wie haben Sie sich denn selbst für sich und auch für Ihre Familie entschieden?

Betsch: Ich weiß ja aufgrund meiner Forschung relativ viel, was da an Fällen im Internet kursiert, und kann auch nicht verleugnen, dass für mich selber auch immer, so überzeugt ich vom Impfen bin, so eine kleine Restangst sozusagen natürlich trotzdem übrig bleibt. Das ist was ganz normales. Nur wie ich vorhin schon gesagt habe: Man kann zwei Einstellungen haben. Für mich ist es aber wichtig, mir und den Kindern den Schutz vom Impfen zukommen zu lassen, und was ich zum Beispiel gerne mache ist, mich auch selber beim Kinderarzt impfen lassen. Da spart man sich einen Weg und die Kinder sehen, da passiert nichts schlimmes, da hat man mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Ricke: Cornelia Betsch von der Uni Erfurt, die Habilitandin forscht im Bereich Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema