Torsten Padberg arbeitet als Verhaltenstherapeut, Dozent und Supervisor in Berlin. Er beschäftigt sich mit der Wirksamkeit und den gesellschaftlichen Auswirkungen von Psychotherapie, Psychiatrischer Diagnostik und Psychopharmaka. Er arbeitet als freier Journalist für verschiedene Medien sowie wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Zeitschriften. 2021 erschien sein Buch "Die Depression-Falle". Wie wir Menschen für krank erklären statt ihnen zu helfen“ (Verlag S. Fischer).
Impfpflicht
Weil viele sich mit Virologie und Impfwirkungen kaum auskennen, entschieden sie sich aus dem Bauch heraus gegen das Impfen, meint der Psychologe Thorsten Padberg. © imago images / fStop Images / Malte Müller
Impfgegnern eine Brücke bauen
Mit Argumenten und Informationen lassen sich Impfunwillige nicht umstimmen, meint der Psychologe Torsten Padberg. Denn das käme dem Eingeständnis einer Niederlage gleich. Mit einer Impfpflicht könnten sie sich dagegen ohne Gesichtsverlust impfen lassen.
Es heißt ja immer, man solle keinen Druck ausüben, das führe nur zu noch mehr Widerstand. Stattdessen brauche es mehr, verständlichere und objektivere Information für diejenigen, die mit dem Impfen noch zögerten. Wer gut erklärt bekomme, dass die Infektion viel gefährlicher sei als die Impfung, am besten unterlegt mit einer Studie, der lasse sich dann meist auch impfen, meinte eine Intensivmedizinerin dieser Tage bei Anne Will. Sollte die Politik sich daran orientieren? Ich glaube nicht. Und kann aus psychologischer Sicht alternative Hinweise geben.
Menschen fühlen sich aus geringstem Anlass Gruppen zugehörig und verteidigen diese Zugehörigkeit gegen jede objektive Information. Wer vollkommen willkürlich durch einen Versuchsleiter einer Gruppe zugeordnet wird — etwa anhand der Farbe des T-Shirts oder auch nach Zufall — fängt schon bald an, die eigene Gruppe besser zu finden, sie höher zu schätzen und etwa bei der Verteilung von Geldern zu bevorteilen.
Menschen fühlen sich aus geringstem Anlass Gruppen zugehörig und verteidigen diese Zugehörigkeit gegen jede objektive Information. Wer vollkommen willkürlich durch einen Versuchsleiter einer Gruppe zugeordnet wird — etwa anhand der Farbe des T-Shirts oder auch nach Zufall — fängt schon bald an, die eigene Gruppe besser zu finden, sie höher zu schätzen und etwa bei der Verteilung von Geldern zu bevorteilen.
Ein moralisch überhöhter Gegensatz
Weil viele sich mit Virologie und Impfwirkungen verständlicherweise kaum auskennen, entschieden sie sich aus dem Bauch heraus gegen das Impfen. Man bildete sich eine Meinung. In Sekundenschnelle wurde man damit auch Teil einer Gruppe. Impfgegner. Die, die dagegen sind, die, die selber denken. Ist so ein Gegensatz erst einmal in der Welt, tendiert er dazu sich zu verschärfen. Schismogenese nennt man das, eine Kluft, die immer tiefer wird, allein dadurch, dass sie existiert.
So entstand ein scheinbar unversöhnlicher Widerspruch, der noch dazu von beiden Seiten moralisch überhöht wurde: Hier die Guten, die sich impfen lassen und andere schützen. Dort die Guten, die die Unversehrtheit ihres Körpers und ihrer Kinder verteidigen. Aus diesem Widerstreit herauszutreten ist äußerst schwierig, da sind soziale Prozesse oft viel stärker als die Vernunft.
Ohne Gesichtsverlust aus der Sackgasse heraus
Weil die meisten Impfgegner die guten Argumente für die Impfung sehr wohl kennen, kämpfen sie vermutlich ständig mit einem latent schlechten Gewissen. Täglich dieselben Gespräche, stündlich das gleiche Thema auf allen Kanälen. Was, wenn das mit der Impfung vielleicht doch eine gute Idee wäre? Diese Zweifel niederzukämpfen bedeutet einen enormen kognitiven und emotionalen Aufwand, den man nicht wegen ein paar (längst bekannter) Informationen für überflüssig halten wird. Wie ohne Gesichtsverlust vor sich und anderen aus dieser Sackgasse herauskommen?
Vielleicht ist es noch nicht zu spät für eine Umkehr. Ein Beobachter aus Österreich berichtete nach Ankündigung der dortigen Impfpflicht zumindest bei einigen ihrer Gegner nicht die erwartete Wut auf das neue Gesetz. Stattdessen sah er diese Menschen erleichtert. Wie konnte das sein? Nun, endlich gab es eine Maßregel, an die man sich halten musste — und konnte.
Dagegen sein und doch geimpft
Im Zweifel, wenn die Entscheidung am Ende doch falsch gewesen sein sollte, kann man die gesamte Verantwortung auf den Staat schieben. Und man muss sich auch vor seinen Mitstreitern nicht für das „Geschwätz von gestern“ rechtfertigen, mit dem man noch kurz zuvor die Verweigerung begründet hatte. Man kann weiter in den Spiegel blicken, sich mit sich im Reinen fühlen und muss sich nicht selbst davon überzeugen, dass man vielleicht daneben liegen könnte. Was für eine Entlastung!
Die Impfpflicht, als von außen kommender Zwang, ist ein besserer Weg aus dieser psychologischen Sackgasse als der nächste freundliche Überredungsversuch. Ihre Gegner können sich dann gegen die eigenen Überzeugungen vernünftig und kooperativ zeigen, ohne ihre Gruppenzugehörigkeit aufzugeben. Schließen wir also die Impflücke und machen die Impfung zur Pflicht! Ihre Gegner werden dem dankbar nachkommen und dürfen gern weiterhin von Herzen dagegen sein.
Die Impfpflicht, als von außen kommender Zwang, ist ein besserer Weg aus dieser psychologischen Sackgasse als der nächste freundliche Überredungsversuch. Ihre Gegner können sich dann gegen die eigenen Überzeugungen vernünftig und kooperativ zeigen, ohne ihre Gruppenzugehörigkeit aufzugeben. Schließen wir also die Impflücke und machen die Impfung zur Pflicht! Ihre Gegner werden dem dankbar nachkommen und dürfen gern weiterhin von Herzen dagegen sein.