Imraan Coovadia: Vermessenes Land
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2016
351 Seiten, 26,80 Euro
Die schwere Hypothek Südafrikas
Gewalt, Befreiung, Verrat: Mit "Vermessenes Land" schickt der Südafrikaner Imraan Coovadia seine Leser auf eine rasante Zeitreise. Sein neuer Roman erzählt die wechselvolle Geschichte seines Heimatlandes plastisch und eindrucksvoll.
Imraan Coovadia, 1970 in Durban geboren, widmet sich in seinem neuen und zugleich fünften Roman den letzten 40 Jahren seiner Heimat. Südafrika mit seiner wechselvollen Geschichte literarisch zu "vermessen", ist ein ambitioniertes Unterfangen, das eindrucksvoll gelingt. Der indisch stämmige Südafrikaner schüttelt dazu die Geschichten seiner Figuren Kaleidoskop artig durcheinander und beleuchtet insgesamt zehn Tage aus vier Jahrzehnten des Landes von den 1970er-Jahren bis 2010.
Ein Land getrennter Welten
Mit großem Geschick und präziser Beobachtungsgabe porträtiert er in den ersten drei Kapiteln die weiße, schwarze und indische Gesellschaft im Durban der 1970er-Jahre und nimmt seine Leser damit zurück in die finstere Zeit der Apartheid. Jede dieser streng getrennten Welten zeigt ihr sehr eigenes Bild, aber auch unvermeidliche Überschneidungen. Plastisch beschreibt der Autor die täglichen Beeinträchtigungen der Menschen durch das Apartheidsregime, das immer stärker in die Intimsphäre seiner Bürger eingreift und schnell zu einer tödlichen Bedrohung werden kann.
Weiter geht es mit dem Schicksal südafrikanischer Exilanten im London der 1980er-Jahre unter dem Einfluss des Kalten Kriegs bis in das "freie" Südafrika unter Nelson Mandela. Die Figuren der ersten drei Kapitel treten immer wieder auf, entwickeln ihre Lebens- und Familiengeschichte weiter. Der Autor erzählt von vielen Hoffnungen und Träumen, sowie deren Scheitern, von Widerstand und Gewalt und immer wieder vom allgegenwärtigen Verrat oder zumindest der Angst davor. All dies hat tiefe Folgen für die Persönlichkeit seiner Akteure.
Reale Figuren, bekannte historische Ereignisse
Imraan Coovadia bleibt dicht an der Realität, sodass viele reale Personen seinen Roman bevölkern. Leben und Handeln der fiktiven Figuren machen die Dichte der zehn Kapitel aus. Um dazwischen auch teils allgemeingültige Aussagen unterzubringen, die zum jeweiligen Verständnis der Zeit beitragen, bedient sich der Autor kleiner Einschübe, in denen er seine Figuren aus der Binnenperspektive sprechen und nachdenken lässt. Im Laufe der Geschichte verdichten sich die Handlungsstränge, sodass die einzelnen Figuren sich immer wieder - auch unter recht abenteuerlichen Bedingungen - begegnen. Dies fordert dem Leser einiges an Konzentration ab.
Imraan Coovadia nutzt bekannte historische Ereignisse, um dann sein ganz eigenes Bild davon zu zeichnen. So geht es in einem Kapitel, während des Rugbyweltcups 1995, um den enormen wirtschaftlichen Aufstieg der indischen Mittelschicht. Doch die politischen Veränderungen und selbst die Macht des Geldes reichen nicht aus, die alten Trennlinien der Gesellschaft aufzulösen. Zum Tag der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2010 erzählt der Autor en passant vom lukrativen Leben und Scheitern eines Taschendiebes. Auch Aids, lange von Präsident Thabo Mbeki verleugnet und als Propaganda des Westens gegen Südafrika bezeichnet, findet in mehreren Kapiteln pointierte Erwähnung.
Imraan Coovadia nimmt seine Leser mit auf eine rasante Reise durch die letzten 40 Jahre Südafrikas, zeigt auf eindrückliche Weise wie schwer die Hypothek für dieses Land ist, und dass Gewalt, Befreiung, Verrat und Politik auch im Leben eines jeden Einzelnen tiefe Spuren hinterlassen haben.