In den Köpfen der Anderen
"Ein Geniestreich" - mit diesen Worten pries der US-Kultautor David Foster Wallace diesen Roman, der bereits 1988 in den Vereinigten Staaten erschienen ist: "Wittgensteins Mätresse" ist eine Mixtur aus Science Fiction, philosophischem Rätsel - und einer Studie über menschliche Einsamkeit.
Der Titel führt naturgemäß in die Irre: Ludwig Wittgenstein und eine Geliebte? Der Mann war doch schwul!
"Wittgenstein war nie verheiratet, übrigens. Nun, oder hatte auch nie eine Mätresse, war er doch ein Homosexueller." So sagt es die Erzählerin in David Marksons Roman kurz vor Ende desselben, und wie um zu unterstreichen, dass das Ganze eine große postmoderne Spielerei ist, stellt sie fest: "Philosophie ist nicht mein Geschäft." Aha.
Dennoch weiß die Dame, die hier einen Satz nach dem anderen in ihre Schreibmaschine tippt, ziemlich viel über das Leben des österreichischen Denkers. Zum Beispiel, dass Johannes Brahms in dessen Wiener Elternhaus verkehrte und dass Wittgenstein in Cambridge einmal einem Freund gegenüber - er hieß Maurice O’Connor Drury - äußerte: "Man braucht nicht viel Geld, um ein hübsches Geschenk zu kaufen, aber man braucht viel Zeit."
Solche Sätze und viele andere "springen" der höchst unzuverlässigen Erzählerin, wie sie es ausdrückt, "im Kopf herum". Schon diese anspielungsreiche Formulierung verrät, dass Markson ein sehr genauer Kenner des Werks Wittgensteins war, hatte der Philosoph doch 1937 in seinen Notizheften festgehalten: "Wenn ich für mich denke, […] so springe ich um das Thema herum; das ist die einzige mir natürliche Denkweise."
So also ergeht es auch Kate, Marksons Ich-Erzählerin, die noch nicht einmal ihr genaues Alter anzugeben vermag - vielleicht 47, vielleicht aber auch älter -, und die in einem Haus am Meer allein und scheinbar von allen guten Geistern verlassen in ungenannten Landen lebt. Kate ist Malerin, einst hat sie angeblich in New York gelebt und Robert Rauschenberg, Willem de Kooning sowie den Schriftsteller William Gaddis in ihrem Atelier zu Gast gehabt: eine Falschbehauptung, wie vieles andere.
Man kann ihr, das merkt der Leser schnell, in keinem Punkt vertrauen. Hat sie wirklich im Louvre, in der Tate Gallery, in der Villa Borghese, im Prado und anderen Kunstmuseen "gelebt"? Ist sie nicht vielmehr tatsächlich, wie sie selber vermutet, "wahnsinnig" und fantasiert? Was hat es mit dem Autounfall auf sich, auf den sie immer wieder zurückkommt, und was mit dem Tod ihres Sohns?
Fest steht: Kate malt nicht mehr und sie liest nicht mehr, kramt nur mehr in ihrem enormen Erinnerungs- und Wissensfundus. Das ist ebenso enervierend wie es teilweise hochkomisch ist, zum Beispiel dann, wenn sie darüber spekuliert, wie wohl eine Begegnung zwischen den beiden Zeitgenossen Spinoza und Rembrandt in einem Geschäft im Amsterdam des 17. Jahrhunderts ausgesehen haben mag.
Womöglich so: "Guten Morgen, Rembrandt. Auch Ihnen einen guten Morgen, Spinoza. Es hat mir außerordentlich leidgetan, von Ihrem Bankrott zu hören, Rembrandt. Es hat mir außerordentlich leidgetan, von Ihrer Exkommunikation zu hören, Spinoza. Wünsche einen guten Tag, Rembrandt. Ihnen ebenfalls, Spinoza."
Ansonsten signiert die Erzählerin gern auf Frauentoiletten Spiegelbilder ihrer selbst mit Lippenstift. Was eine hübsche Idee ist, wie überhaupt Marksons Roman ein einziges Ideengewimmel ist, gelehrt und stellenweise auch, seien wir ehrlich, etwas fad. Wer Vergnügen an diesem Buch finden möchte, muss sich einlassen auf dessen mitunter prätentiöse "unzusammenhängende Verworrenheiten", auf Gedankensprünge von Pascal zu Pintoricchio, von Søren Kierkegaard zu Karen Silkwood.
Markson habe mittels seines Romans Wittgensteins Denkbewegungen exemplifiziert, schreibt David Foster Wallace im Nachwort, es sei "migräneträchtige Mentalgymnastik", die Wittgenstein uns abfordere. Kopfschmerzen kann allerdings auch derjenige einem bereiten, der Wittgensteins circa 1932 bis 34 festgehaltenes Diktum ignoriert, das da lautete: "Spiele nicht mit den Tiefen des Andern!"
Besprochen von Knut Cordsen
"Wittgenstein war nie verheiratet, übrigens. Nun, oder hatte auch nie eine Mätresse, war er doch ein Homosexueller." So sagt es die Erzählerin in David Marksons Roman kurz vor Ende desselben, und wie um zu unterstreichen, dass das Ganze eine große postmoderne Spielerei ist, stellt sie fest: "Philosophie ist nicht mein Geschäft." Aha.
Dennoch weiß die Dame, die hier einen Satz nach dem anderen in ihre Schreibmaschine tippt, ziemlich viel über das Leben des österreichischen Denkers. Zum Beispiel, dass Johannes Brahms in dessen Wiener Elternhaus verkehrte und dass Wittgenstein in Cambridge einmal einem Freund gegenüber - er hieß Maurice O’Connor Drury - äußerte: "Man braucht nicht viel Geld, um ein hübsches Geschenk zu kaufen, aber man braucht viel Zeit."
Solche Sätze und viele andere "springen" der höchst unzuverlässigen Erzählerin, wie sie es ausdrückt, "im Kopf herum". Schon diese anspielungsreiche Formulierung verrät, dass Markson ein sehr genauer Kenner des Werks Wittgensteins war, hatte der Philosoph doch 1937 in seinen Notizheften festgehalten: "Wenn ich für mich denke, […] so springe ich um das Thema herum; das ist die einzige mir natürliche Denkweise."
So also ergeht es auch Kate, Marksons Ich-Erzählerin, die noch nicht einmal ihr genaues Alter anzugeben vermag - vielleicht 47, vielleicht aber auch älter -, und die in einem Haus am Meer allein und scheinbar von allen guten Geistern verlassen in ungenannten Landen lebt. Kate ist Malerin, einst hat sie angeblich in New York gelebt und Robert Rauschenberg, Willem de Kooning sowie den Schriftsteller William Gaddis in ihrem Atelier zu Gast gehabt: eine Falschbehauptung, wie vieles andere.
Man kann ihr, das merkt der Leser schnell, in keinem Punkt vertrauen. Hat sie wirklich im Louvre, in der Tate Gallery, in der Villa Borghese, im Prado und anderen Kunstmuseen "gelebt"? Ist sie nicht vielmehr tatsächlich, wie sie selber vermutet, "wahnsinnig" und fantasiert? Was hat es mit dem Autounfall auf sich, auf den sie immer wieder zurückkommt, und was mit dem Tod ihres Sohns?
Fest steht: Kate malt nicht mehr und sie liest nicht mehr, kramt nur mehr in ihrem enormen Erinnerungs- und Wissensfundus. Das ist ebenso enervierend wie es teilweise hochkomisch ist, zum Beispiel dann, wenn sie darüber spekuliert, wie wohl eine Begegnung zwischen den beiden Zeitgenossen Spinoza und Rembrandt in einem Geschäft im Amsterdam des 17. Jahrhunderts ausgesehen haben mag.
Womöglich so: "Guten Morgen, Rembrandt. Auch Ihnen einen guten Morgen, Spinoza. Es hat mir außerordentlich leidgetan, von Ihrem Bankrott zu hören, Rembrandt. Es hat mir außerordentlich leidgetan, von Ihrer Exkommunikation zu hören, Spinoza. Wünsche einen guten Tag, Rembrandt. Ihnen ebenfalls, Spinoza."
Ansonsten signiert die Erzählerin gern auf Frauentoiletten Spiegelbilder ihrer selbst mit Lippenstift. Was eine hübsche Idee ist, wie überhaupt Marksons Roman ein einziges Ideengewimmel ist, gelehrt und stellenweise auch, seien wir ehrlich, etwas fad. Wer Vergnügen an diesem Buch finden möchte, muss sich einlassen auf dessen mitunter prätentiöse "unzusammenhängende Verworrenheiten", auf Gedankensprünge von Pascal zu Pintoricchio, von Søren Kierkegaard zu Karen Silkwood.
Markson habe mittels seines Romans Wittgensteins Denkbewegungen exemplifiziert, schreibt David Foster Wallace im Nachwort, es sei "migräneträchtige Mentalgymnastik", die Wittgenstein uns abfordere. Kopfschmerzen kann allerdings auch derjenige einem bereiten, der Wittgensteins circa 1932 bis 34 festgehaltenes Diktum ignoriert, das da lautete: "Spiele nicht mit den Tiefen des Andern!"
Besprochen von Knut Cordsen
David Markson: Wittgensteins Mätresse
Aus dem Englischen übersetzt von Sissi Tax.
Berlin Verlag, Berlin 2013
336 Seiten, 22,99 Euro
Aus dem Englischen übersetzt von Sissi Tax.
Berlin Verlag, Berlin 2013
336 Seiten, 22,99 Euro