"In der DDR hatten die Bäume auch Farben"
Keine furchtbaren Uniformen, Honecker-Porträts oder Stasi-Menschen in Kunstlederjacken - der Regisseur Christian Petzold will in seinem Berlinale-Beitrag "Barbara" keine Karikatur der DDR zeigen: "Wir müssen nicht nur über Sandmännchen und Goldbroiler reden".
Britta Bürger: Die Berlinale hat seit über 30 Jahren einen festen Platz im Terminkalender des Filmemachers Christian Petzold. Doch aus dem filmbegeisterten Zuschauer der ersten Jahre wurde schnell ein Insider und schließlich ein Protagonist. Schon zum dritten Mal tritt Christian Petzold in diesem Jahr im Wettbewerb um den Goldenen Bären an, nach seinen Filmen "Gespenster" und "Yella" ist es diesmal der Film "Barbara". Herr Petzold, schön, dass Sie zum Auftakt der Berlinale zu uns gekommen sind! Guten Morgen!
Christian Petzold: Guten Morgen!
Bürger: Mittlerweile kennen Sie das ja schon, mit einem eigenen Film im Wettbewerb zu sein. Fühlt sich das für Sie jetzt an trotzdem wie beim ersten Mal oder hat sich was verändert? Sind Sie cooler geworden oder steigt der Druck vielleicht sogar?
Petzold: Ich bin nicht cooler geworden, leider nicht. Es wird immer schlimmer, Lampenfieber. Ich weiß auch nicht, dachte, Erfahrungswerte und so, aber es ist leider schlimmer geworden. Jetzt gerade in dem Moment bin ich aber ganz cool, weil ich jetzt bei der Anmoderation gedacht habe, ich hatte, als ich zum ersten Mal eine Akkreditierung bekam für die Berlinale, weil ich für den SFB damals Kritiken geschrieben habe, dann stellte ich mich an so einem Schalter an, da wurde Foto gemacht, und am nächsten Tag im "Tagesspiegel" auf der Titelseite sah ich mich in dieser Schlange auf diesem Foto am Platz 27 wartend im Programm blättern. Und das war, glaube ich, mein erstes Erscheinen auf der Berlinale. Nein, ich bin total … ein bisschen aufgeregt, muss ich schon sagen. Weil, der Film ist erst am 22.12. zu Ende gemischt worden, ich habe den seitdem ein Mal gesehen und auch natürlich mit den Jubelpersern, die einen so umgeben. Dann ist das schon, wenn man so Pressevorführung und nachher noch die Premiere hat, das ist dann immer ein Moment, wo ein Film entlassen wird, ins Leben entlassen wird. Und ich hoffe, dass er dort auf diesem Weg irgendwie erwachsen werden kann.
Bürger: Was ist das genau für ein Lampenfieber, wovor haben Sie Angst?
Petzold: Na ja, erst mal ist das natürlich eine furchtbare Selbstkritik, die man, wenn man einen Film gemacht hat, wenn man ihn sieht … Das ist natürlich so eine ins Negativ gewendete narzisstische Kränkung, wenn man sieht, da habe ich doch, hätte ich doch besser machen können. Ich kann mir auch meine eigenen Filme jahrelang nicht angucken. Das ging jetzt mit der "Inneren Sicherheit", der elf Jahre alt ist, den konnte ich mir in Wien vor drei Jahren zum ersten Mal angucken, da dachte ich zum ersten Mal, ist doch ganz gut. Aber sonst, wenn ich einen Film anschaue, der erst zwei, drei Jahre alt ist, sitzt das Produktionstagebuch noch zu tief im Fleisch. Und dann denkt man sich: Mann, hätte ich doch oder so. Aber bei "Barbara" ist es ganz merkwürdig, der hat mir bisher irgendwie kein Kopfzerbrechen bereitet.
Bürger: 2005 waren Sie mit dem Film "Gespenster" im Wettbewerb, 2007 dann mit "Yella". Welchen Einfluss hatte die Berlinale seitdem auf Ihre Karriere?
Petzold: Das ist schwer zu beantworten. Das weiß selbst der Verleiher, glaube ich, nicht.
Bürger: Haben sich die Produktionsbedingungen verbessert?
Petzold: Ja, ich glaube, dadurch, dass ich so regelmäßig gearbeitet habe und regelmäßig in der Öffentlichkeit stand, haben sich so ein bisschen in der Finanzierungsgeschichte Sachen beschleunigt. Wo ich früher so zwei Jahre wie ein Staubsaugervertreter in den 90er-Jahren mit Drehbüchern umhergelaufen bin und vor Redaktionsstuben auf Wartebänken saß, als ob ich Wohngeld beantragen wollte, ist das jetzt leichter geworden, einen Film zu finanzieren. Was schön geworden ist …
Bürger: … aber ist es auch mehr Geld geworden?
Petzold: Ja, wenn ich jetzt, ich habe es noch nicht probiert. Also, ich habe irgendwie so eine Art, vielleicht liegt das an dem furchtbaren Protestantismus, der in mir kocht, dass ich immer versuche, die Filme nicht so teuer zu schreiben, schon beim Schreiben darauf zu achten, damit die Finanzierung nicht zu lange dauert. Ich möchte lieber in einer Regelmäßigkeit arbeiten. Also, das hängt sicherlich mit den B-Filmen zusammen, die ich sehr gern geschaut habe und heute noch gerne schaue, die in kürzeren Abständen produziert haben und nicht immer dieses eine, eine Werk jede sieben Jahre, in dem das halbe Leben drin steckt.
Bürger: Das lag immer so bei 1,8 Millionen Euro. Immer noch?
Petzold: Ja, jetzt für den Film, weil er historisch ist, musste ich eine ganze Million, mussten wir drauflegen, 2,8 Millionen. Ich habe gedacht, ich bin so was von reich …
Bürger: … weil er historisch ist, weil er in der DDR spielt. Darauf kommen wir gleich noch im Detail. Die meisten Filme, die im Wettbewerb von Cannes und Venedig laufen, die kommen ja anschließend auch ins Kino, nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch weltweit. Das bewirkt die Berlinale bislang nicht so stark. Woran liegt das?
Petzold: In meinem Fall war es anders. Zum Beispiel … wann war "Yella? … 2006 oder 2007, glaube ich, 2007 war "Yella".
Bürger: 2007, ja.
Petzold: Das hat dazu geführt, dass ich einen amerikanischen Verleih bekam, einen französischen Verleih, was einfach ein großer Erfolg für mich jetzt war, auch für den Film war. Und das habe ich schon der Berlinale oder dem Wettbewerb der Berlinale zu verdanken und ich glaube auch, der war sehr erfolgreich, sodass auch der nächste Film, "Jerichow", wiederum dieselben Verleiher in Amerika und Frankreich bekam. Also hat sich da eine Kontinuität geschaffen.
Bürger: Sie konkurrieren diesmal mit zwei weiteren Berliner Regisseuren Ihrer Generation, mit Hans-Christian Schmid und Matthias Glasner, die auch beide nicht zum ersten Mal dabei sind. Die Berlinale verschafft dem deutschen Film also viel Aufmerksamkeit vor internationalem Publikum und vermutlich werden die deutschen Filme dann auch mal so häufiger im Paket rezensiert, so wie wir auch über den arabischen Film dann schreiben und sprechen oder über das asiatische Kino. Was lässt sich jetzt an diesem Dreiergespann – Hans-Christian Schmid, Matthias Glasner, Christian Petzold – ablesen über den deutschen Film 2012?
Petzold: Also, wir mussten jetzt einige Interviews zu dritt machen und haben uns da in der Zeit so ein bisschen bekannt miteinander gemacht und waren eigentlich ein bisschen unzufrieden damit. Das ist dann so ähnlich, als ob in einem Festival drei Filme mit Migrationshintergrund laufen und die drei türkischstämmigen Regisseure oder Regisseurinnen werden als Türken oder als Migranten interviewt. Und das ist immer eine komische Form von Verdichtung und Verkleinerung der Filme. Also, ich hätte es lieber gehabt, wir drei würden über einen Film, den wir nicht gemacht haben – über Lars von Trier oder was weiß ich –, sprechen und würden dadurch unsere Liebe zum Kino bereden, als dass wir uns als Deutsche auf der Berlinale verkaufen müssen. Und das hat uns so nicht gefallen, werden wir auch, glaube ich, nicht mehr machen. Wir mögen uns und aus diesem Grund werden wir nie wieder als deutsche Vertreter oder Repräsentanten gemeinsam auftreten.
Bürger: Vor der heutigen Eröffnung der internationalen Filmfestspiele Berlin sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Filmemacher Christian Petzold, der nun schon zum dritten Mal mit einem Film im Wettbewerb vertreten ist. Und der heißt "Barbara", Herr Petzold, Sie führen uns ins Jahr 1980 zurück in die DDR. Nina Hoss spielt eine junge Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und daraufhin erst mal strafversetzt wird in die Provinz. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit den existenziellen Konflikten dieser Zeit in der DDR zu befassen?
Petzold: Also, ganz ursprünglich ist das eine Novelle von Hermann Broch gewesen, die ich in den 90-ern gelesen habe und die Ende der 20er-Jahre in Deutschland spielt, im kommunistischen Untergrund. Eine kommunistische Untergrundkämpferin ist in einem Provinzkrankenhaus, tarnt sich dort und hat Angst aufzufliegen, und verliebt sich dort in einen Arzt. Und die Liebe passt nicht in den Untergrund. Und das hat mir damals zu "Innere Sicherheit" so gefallen: Darf man im Untergrund lieben, Kinder kriegen? Da habe ich diese Novelle sehr gerne gelesen, dachte immer, das wäre eine tolle Geschichte, weil, Novellen sind eigentlich Kinostoffe, Romane ja nicht. Ich gehe auch äußerst ungern in Romanverfilmungen, die klappen ja auch meistens nicht. Und dann habe ich mit Nina Hoss 2001 "Toter Mann" gedreht in Stuttgart und in Wittenberge, im Osten. Das ist eine Stadt, die mich ziemlich beeindruckt hat, und meine Eltern stammen aus der DDR und ich habe selber eigentlich, meine Wurzeln liegen irgendwie in der DDR, weil das Heimweh meiner Eltern zur DDR irgendwie sich auf uns Kinder übertragen hat. Und '89, mit dem Mauerfall, war die DDR als Projektionsfläche für meine Eltern und für mich weg, das gab es nicht mehr. Und das hat uns, hat ein Loch gerissen und hat auch eine Leere hinterlassen.
Und als ich da in Wittenberge bei den Dreharbeiten mit Nina war und wir stellten fest, alle Frauen sind weggegangen, Arbeitsplätze gab es nicht mehr, habe ich wieder begonnen, mich mit dem Osten zu beschäftigen, richtig intensiv. Und dachte: Das ist ja alles nicht erzählt! Wir tun so, als ob die DDR mit dem Umtausch eins zu eins erledigt wäre, dann gab es da noch, gibt es da noch auf Phoenix jede paar Jahre mal so Jubiläumssendungen, wo dann immer dieselben Leute oben auf der Mauer stehen und das war’s dann, und dann soll noch der dritte oder vierte Roman zur DDR geschrieben werden, aber es gibt keine Novellen. Es gibt keine Kurzgeschichten, keine Kleingeschichten. Und das hat mich irgendwie gestört, muss ich sagen. Und dann habe ich diese Barbara-Geschichte … ist mir wieder in Erinnerung gekommen, weil ein Arzt aus Fürstenwalde, den ich kennengelernt hatte, mir erzählte, dass Ärzte, die einen Ausreiseantrag gestellt haben, nicht sehr lange in den Knast kamen, sondern immer wegen dem Ärztemangel in der DDR immer nur ein, zwei Monate, um dann zwangs- oder strafversetzt zu werden. Die Männer als Militärärzte und die Frauen in Provinzkrankenhäuser. Und da kam mir dieser Barbara-Stoff von Broch wieder in den Sinn.
Bürger: Sie haben in einem anderen Interview während der Dreharbeiten gesagt, die DDR sei in den meisten Filmen der vergangenen Jahre wie eine Karikatur nur ausgestellt worden. Was haben Sie dem entgegenzusetzen?
Petzold: Ja, einfach, wir haben das einfach ignoriert, so muss man das sagen. Wir haben es wirklich … Wir haben uns frei gemacht von all diesen Bildern, von diesen furchtbaren Uniformen, den Honecker-Porträts, der "Aktuellen Kamera", der Menschen, die "Neues Deutschland" lesen, der furchtbaren Stasi-Menschen, die draußen rumlaufen und furchtbare Hornbrillen tragen und Kunstlederjacken. Ich habe mich eher so an Richard Burtons Darstellung in "Der Spion, der aus der Kälte kam" orientiert. Da tun wir nämlich immer so, als ob die DDR Nordkorea wäre und wir im Westen wären ein Fünf-Sterne-Hotel oder so was oder Club Méditerranée. Aber eigentlich in dem Film mit Richard Burton kann man sehen, dass London noch viel trauriger ist. Und das hat mir irgendwie gefallen, dass die damals, 63, 64, als das gedreht worden ist nach dem John-Le-Carré-Roman, dass es eine andere Projektion von Osten und Westen gab. Die beiden Systeme bedingten einander. Und das hat mir gefallen. Und dann habe ich gesagt, ich möchte diesen ganzen Quatsch, den wir in den letzten 20 Jahren so sehen, eben die von mir beschriebenen Karikaturen, die möchte ich raushalten. Ich möchte einfach, dass … In der DDR hatten die Bäume auch Farben und die Wiese war auch grün und die Küsse konnten auch saftig sein und wir müssen nicht nur über Sandmännchen und Goldbroiler reden.
Bürger: Christian Petzold, herzlichen Dank fürs Gespräch!
Petzold: Bitte!
Bürger: Und weitere Gespräche zum Start der Berlinale gibt es heute Nachmittag um 15 Uhr im "Radiofeuilleton" sowie in "Fazit am Abend", das ab 19.07 Uhr heute live vom Potsdamer Platz sendet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge zur Berlinale:
Eine Welt voller Umbrüche im Kino -
Die 62. Berlinale beginnt
62. Berlinale: Unser Programm am 9. Februar -
Alle Infos zum Filmfestival bei dradio.de
Christian Petzold: Guten Morgen!
Bürger: Mittlerweile kennen Sie das ja schon, mit einem eigenen Film im Wettbewerb zu sein. Fühlt sich das für Sie jetzt an trotzdem wie beim ersten Mal oder hat sich was verändert? Sind Sie cooler geworden oder steigt der Druck vielleicht sogar?
Petzold: Ich bin nicht cooler geworden, leider nicht. Es wird immer schlimmer, Lampenfieber. Ich weiß auch nicht, dachte, Erfahrungswerte und so, aber es ist leider schlimmer geworden. Jetzt gerade in dem Moment bin ich aber ganz cool, weil ich jetzt bei der Anmoderation gedacht habe, ich hatte, als ich zum ersten Mal eine Akkreditierung bekam für die Berlinale, weil ich für den SFB damals Kritiken geschrieben habe, dann stellte ich mich an so einem Schalter an, da wurde Foto gemacht, und am nächsten Tag im "Tagesspiegel" auf der Titelseite sah ich mich in dieser Schlange auf diesem Foto am Platz 27 wartend im Programm blättern. Und das war, glaube ich, mein erstes Erscheinen auf der Berlinale. Nein, ich bin total … ein bisschen aufgeregt, muss ich schon sagen. Weil, der Film ist erst am 22.12. zu Ende gemischt worden, ich habe den seitdem ein Mal gesehen und auch natürlich mit den Jubelpersern, die einen so umgeben. Dann ist das schon, wenn man so Pressevorführung und nachher noch die Premiere hat, das ist dann immer ein Moment, wo ein Film entlassen wird, ins Leben entlassen wird. Und ich hoffe, dass er dort auf diesem Weg irgendwie erwachsen werden kann.
Bürger: Was ist das genau für ein Lampenfieber, wovor haben Sie Angst?
Petzold: Na ja, erst mal ist das natürlich eine furchtbare Selbstkritik, die man, wenn man einen Film gemacht hat, wenn man ihn sieht … Das ist natürlich so eine ins Negativ gewendete narzisstische Kränkung, wenn man sieht, da habe ich doch, hätte ich doch besser machen können. Ich kann mir auch meine eigenen Filme jahrelang nicht angucken. Das ging jetzt mit der "Inneren Sicherheit", der elf Jahre alt ist, den konnte ich mir in Wien vor drei Jahren zum ersten Mal angucken, da dachte ich zum ersten Mal, ist doch ganz gut. Aber sonst, wenn ich einen Film anschaue, der erst zwei, drei Jahre alt ist, sitzt das Produktionstagebuch noch zu tief im Fleisch. Und dann denkt man sich: Mann, hätte ich doch oder so. Aber bei "Barbara" ist es ganz merkwürdig, der hat mir bisher irgendwie kein Kopfzerbrechen bereitet.
Bürger: 2005 waren Sie mit dem Film "Gespenster" im Wettbewerb, 2007 dann mit "Yella". Welchen Einfluss hatte die Berlinale seitdem auf Ihre Karriere?
Petzold: Das ist schwer zu beantworten. Das weiß selbst der Verleiher, glaube ich, nicht.
Bürger: Haben sich die Produktionsbedingungen verbessert?
Petzold: Ja, ich glaube, dadurch, dass ich so regelmäßig gearbeitet habe und regelmäßig in der Öffentlichkeit stand, haben sich so ein bisschen in der Finanzierungsgeschichte Sachen beschleunigt. Wo ich früher so zwei Jahre wie ein Staubsaugervertreter in den 90er-Jahren mit Drehbüchern umhergelaufen bin und vor Redaktionsstuben auf Wartebänken saß, als ob ich Wohngeld beantragen wollte, ist das jetzt leichter geworden, einen Film zu finanzieren. Was schön geworden ist …
Bürger: … aber ist es auch mehr Geld geworden?
Petzold: Ja, wenn ich jetzt, ich habe es noch nicht probiert. Also, ich habe irgendwie so eine Art, vielleicht liegt das an dem furchtbaren Protestantismus, der in mir kocht, dass ich immer versuche, die Filme nicht so teuer zu schreiben, schon beim Schreiben darauf zu achten, damit die Finanzierung nicht zu lange dauert. Ich möchte lieber in einer Regelmäßigkeit arbeiten. Also, das hängt sicherlich mit den B-Filmen zusammen, die ich sehr gern geschaut habe und heute noch gerne schaue, die in kürzeren Abständen produziert haben und nicht immer dieses eine, eine Werk jede sieben Jahre, in dem das halbe Leben drin steckt.
Bürger: Das lag immer so bei 1,8 Millionen Euro. Immer noch?
Petzold: Ja, jetzt für den Film, weil er historisch ist, musste ich eine ganze Million, mussten wir drauflegen, 2,8 Millionen. Ich habe gedacht, ich bin so was von reich …
Bürger: … weil er historisch ist, weil er in der DDR spielt. Darauf kommen wir gleich noch im Detail. Die meisten Filme, die im Wettbewerb von Cannes und Venedig laufen, die kommen ja anschließend auch ins Kino, nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch weltweit. Das bewirkt die Berlinale bislang nicht so stark. Woran liegt das?
Petzold: In meinem Fall war es anders. Zum Beispiel … wann war "Yella? … 2006 oder 2007, glaube ich, 2007 war "Yella".
Bürger: 2007, ja.
Petzold: Das hat dazu geführt, dass ich einen amerikanischen Verleih bekam, einen französischen Verleih, was einfach ein großer Erfolg für mich jetzt war, auch für den Film war. Und das habe ich schon der Berlinale oder dem Wettbewerb der Berlinale zu verdanken und ich glaube auch, der war sehr erfolgreich, sodass auch der nächste Film, "Jerichow", wiederum dieselben Verleiher in Amerika und Frankreich bekam. Also hat sich da eine Kontinuität geschaffen.
Bürger: Sie konkurrieren diesmal mit zwei weiteren Berliner Regisseuren Ihrer Generation, mit Hans-Christian Schmid und Matthias Glasner, die auch beide nicht zum ersten Mal dabei sind. Die Berlinale verschafft dem deutschen Film also viel Aufmerksamkeit vor internationalem Publikum und vermutlich werden die deutschen Filme dann auch mal so häufiger im Paket rezensiert, so wie wir auch über den arabischen Film dann schreiben und sprechen oder über das asiatische Kino. Was lässt sich jetzt an diesem Dreiergespann – Hans-Christian Schmid, Matthias Glasner, Christian Petzold – ablesen über den deutschen Film 2012?
Petzold: Also, wir mussten jetzt einige Interviews zu dritt machen und haben uns da in der Zeit so ein bisschen bekannt miteinander gemacht und waren eigentlich ein bisschen unzufrieden damit. Das ist dann so ähnlich, als ob in einem Festival drei Filme mit Migrationshintergrund laufen und die drei türkischstämmigen Regisseure oder Regisseurinnen werden als Türken oder als Migranten interviewt. Und das ist immer eine komische Form von Verdichtung und Verkleinerung der Filme. Also, ich hätte es lieber gehabt, wir drei würden über einen Film, den wir nicht gemacht haben – über Lars von Trier oder was weiß ich –, sprechen und würden dadurch unsere Liebe zum Kino bereden, als dass wir uns als Deutsche auf der Berlinale verkaufen müssen. Und das hat uns so nicht gefallen, werden wir auch, glaube ich, nicht mehr machen. Wir mögen uns und aus diesem Grund werden wir nie wieder als deutsche Vertreter oder Repräsentanten gemeinsam auftreten.
Bürger: Vor der heutigen Eröffnung der internationalen Filmfestspiele Berlin sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Filmemacher Christian Petzold, der nun schon zum dritten Mal mit einem Film im Wettbewerb vertreten ist. Und der heißt "Barbara", Herr Petzold, Sie führen uns ins Jahr 1980 zurück in die DDR. Nina Hoss spielt eine junge Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und daraufhin erst mal strafversetzt wird in die Provinz. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit den existenziellen Konflikten dieser Zeit in der DDR zu befassen?
Petzold: Also, ganz ursprünglich ist das eine Novelle von Hermann Broch gewesen, die ich in den 90-ern gelesen habe und die Ende der 20er-Jahre in Deutschland spielt, im kommunistischen Untergrund. Eine kommunistische Untergrundkämpferin ist in einem Provinzkrankenhaus, tarnt sich dort und hat Angst aufzufliegen, und verliebt sich dort in einen Arzt. Und die Liebe passt nicht in den Untergrund. Und das hat mir damals zu "Innere Sicherheit" so gefallen: Darf man im Untergrund lieben, Kinder kriegen? Da habe ich diese Novelle sehr gerne gelesen, dachte immer, das wäre eine tolle Geschichte, weil, Novellen sind eigentlich Kinostoffe, Romane ja nicht. Ich gehe auch äußerst ungern in Romanverfilmungen, die klappen ja auch meistens nicht. Und dann habe ich mit Nina Hoss 2001 "Toter Mann" gedreht in Stuttgart und in Wittenberge, im Osten. Das ist eine Stadt, die mich ziemlich beeindruckt hat, und meine Eltern stammen aus der DDR und ich habe selber eigentlich, meine Wurzeln liegen irgendwie in der DDR, weil das Heimweh meiner Eltern zur DDR irgendwie sich auf uns Kinder übertragen hat. Und '89, mit dem Mauerfall, war die DDR als Projektionsfläche für meine Eltern und für mich weg, das gab es nicht mehr. Und das hat uns, hat ein Loch gerissen und hat auch eine Leere hinterlassen.
Und als ich da in Wittenberge bei den Dreharbeiten mit Nina war und wir stellten fest, alle Frauen sind weggegangen, Arbeitsplätze gab es nicht mehr, habe ich wieder begonnen, mich mit dem Osten zu beschäftigen, richtig intensiv. Und dachte: Das ist ja alles nicht erzählt! Wir tun so, als ob die DDR mit dem Umtausch eins zu eins erledigt wäre, dann gab es da noch, gibt es da noch auf Phoenix jede paar Jahre mal so Jubiläumssendungen, wo dann immer dieselben Leute oben auf der Mauer stehen und das war’s dann, und dann soll noch der dritte oder vierte Roman zur DDR geschrieben werden, aber es gibt keine Novellen. Es gibt keine Kurzgeschichten, keine Kleingeschichten. Und das hat mich irgendwie gestört, muss ich sagen. Und dann habe ich diese Barbara-Geschichte … ist mir wieder in Erinnerung gekommen, weil ein Arzt aus Fürstenwalde, den ich kennengelernt hatte, mir erzählte, dass Ärzte, die einen Ausreiseantrag gestellt haben, nicht sehr lange in den Knast kamen, sondern immer wegen dem Ärztemangel in der DDR immer nur ein, zwei Monate, um dann zwangs- oder strafversetzt zu werden. Die Männer als Militärärzte und die Frauen in Provinzkrankenhäuser. Und da kam mir dieser Barbara-Stoff von Broch wieder in den Sinn.
Bürger: Sie haben in einem anderen Interview während der Dreharbeiten gesagt, die DDR sei in den meisten Filmen der vergangenen Jahre wie eine Karikatur nur ausgestellt worden. Was haben Sie dem entgegenzusetzen?
Petzold: Ja, einfach, wir haben das einfach ignoriert, so muss man das sagen. Wir haben es wirklich … Wir haben uns frei gemacht von all diesen Bildern, von diesen furchtbaren Uniformen, den Honecker-Porträts, der "Aktuellen Kamera", der Menschen, die "Neues Deutschland" lesen, der furchtbaren Stasi-Menschen, die draußen rumlaufen und furchtbare Hornbrillen tragen und Kunstlederjacken. Ich habe mich eher so an Richard Burtons Darstellung in "Der Spion, der aus der Kälte kam" orientiert. Da tun wir nämlich immer so, als ob die DDR Nordkorea wäre und wir im Westen wären ein Fünf-Sterne-Hotel oder so was oder Club Méditerranée. Aber eigentlich in dem Film mit Richard Burton kann man sehen, dass London noch viel trauriger ist. Und das hat mir irgendwie gefallen, dass die damals, 63, 64, als das gedreht worden ist nach dem John-Le-Carré-Roman, dass es eine andere Projektion von Osten und Westen gab. Die beiden Systeme bedingten einander. Und das hat mir gefallen. Und dann habe ich gesagt, ich möchte diesen ganzen Quatsch, den wir in den letzten 20 Jahren so sehen, eben die von mir beschriebenen Karikaturen, die möchte ich raushalten. Ich möchte einfach, dass … In der DDR hatten die Bäume auch Farben und die Wiese war auch grün und die Küsse konnten auch saftig sein und wir müssen nicht nur über Sandmännchen und Goldbroiler reden.
Bürger: Christian Petzold, herzlichen Dank fürs Gespräch!
Petzold: Bitte!
Bürger: Und weitere Gespräche zum Start der Berlinale gibt es heute Nachmittag um 15 Uhr im "Radiofeuilleton" sowie in "Fazit am Abend", das ab 19.07 Uhr heute live vom Potsdamer Platz sendet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Die 62. Berlinale beginnt
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