Berlin begehrt auf
Bessere Krankenhäuser, weniger Werbung, mehr Videoüberwachung, Neuwahlen, keine Schulprivatisierung: In Berlin setzen sich derzeit fünf Initiativen für Volksentscheide ein. Warum ist das Instrument der direkten Demokratie gerade in der Hauptstadt so beliebt?
Bestückt mit Infoflyern und Unterschriften-Mäppchen steht Fahdi El-Ghazi auf einem Wochenmarkt in Berlin Kreuzberg. Es ist deutlich unter Null Grad, El Ghazi zittert ein bisschen. Keine leichten Bedingungen um an Unterzeichner zu kommen.
- "Hast du schon unterschrieben für Berlin werbefrei?"
- "Was ist das?"
- "Berlin werbefrei ist ein Volksbegehren, das setzt sich für eine deutliche Reduzierung von Außenwerbung in der Stadt ein, als auch ein Verbot von Werbung an Kitas und Schulen."
- "Was ist das?"
- "Berlin werbefrei ist ein Volksbegehren, das setzt sich für eine deutliche Reduzierung von Außenwerbung in der Stadt ein, als auch ein Verbot von Werbung an Kitas und Schulen."
Im Kampf gegen haushohe Anzeigen
Der 39-jährige Rechtsanwalt und seine Mitstreiter wollen mit ihrem Volksbegehren ein fast werbefreies Berlin durchsetzen. Was sie vor allem stört: großflächige digitale Werbeanzeigen und Banner auf Baustellengerüsten, die ganze Hausfassaden einnehmen.
"Es geht um den Aspekt der Entscheidungsfreiheit, Außenwerbung nimmt uns die Freiheit, ob wir Werbung sehen wollen oder nicht. Wir wollen die Außenwerbung deutlich reduzieren, das bedeutet, dass es in Zukunft nur noch Produkt- und Dienstleistungswerbung nur noch an der Stätte der Leistung geben soll, also an Restaurants, Geschäften, etc. Veranstaltungs- und gemeinnützige Werbung soll weiterhin an den Litfaßsäulen möglich sein, als auch an den Haltestellen des Nahverkehrs."
Alles andere will die Initiative in Zukunft verbieten lassen. El Ghazi spricht ein junges Pärchen an. Beide mit Dreadlocks und bunten Wolljacken.
"Find ich gut!"
"Das findest Du gut? Super. Hast Du auch Lust, zu unterschreiben? Ja ..."
Damit ihr Vorhaben gelingt, müssen die Aktivisten bis Juli mindestens 20.000 Unterschriften sammeln. Ist das geschafft, prüft der Senat die rechtliche Zulässigkeit eines Volksbegehrens. Dafür brauchen sie 200.000 Unterzeichner, erst danach können alle wahlberechtigten Berliner darüber entscheiden.
"Es geht um den Aspekt der Entscheidungsfreiheit, Außenwerbung nimmt uns die Freiheit, ob wir Werbung sehen wollen oder nicht. Wir wollen die Außenwerbung deutlich reduzieren, das bedeutet, dass es in Zukunft nur noch Produkt- und Dienstleistungswerbung nur noch an der Stätte der Leistung geben soll, also an Restaurants, Geschäften, etc. Veranstaltungs- und gemeinnützige Werbung soll weiterhin an den Litfaßsäulen möglich sein, als auch an den Haltestellen des Nahverkehrs."
Alles andere will die Initiative in Zukunft verbieten lassen. El Ghazi spricht ein junges Pärchen an. Beide mit Dreadlocks und bunten Wolljacken.
"Find ich gut!"
"Das findest Du gut? Super. Hast Du auch Lust, zu unterschreiben? Ja ..."
Damit ihr Vorhaben gelingt, müssen die Aktivisten bis Juli mindestens 20.000 Unterschriften sammeln. Ist das geschafft, prüft der Senat die rechtliche Zulässigkeit eines Volksbegehrens. Dafür brauchen sie 200.000 Unterzeichner, erst danach können alle wahlberechtigten Berliner darüber entscheiden.
Mehr Demokratie durch Volksentscheide?
"Berlin Werbefrei" ist aber nur eines von fünf Volksbegehren, die aktuell in der Hauptstadt laufen. Die anderen Initiativen wollen mehr Videoüberwachung, mehr Personal in Kliniken, oder setzten sich gegen die Privatisierung der Schulsanierung ein. Und eine Initiative will gleich Senats-Neuwahlen durchsetzen.
Seit der Berliner Senat 2006 die rechtlichen Hürden gesenkt hat, boomen die Volksinitiativen in der Hauptstadt, erzählt Regine Laroche. Sie ist Landesvorsitzende des Vereins "Mehr Demokratie". Volksentscheid sind seitdem auch dann zulässig, wenn sie was kosten.
"Vorher mussten die Menschen auf das Bürgeramt gehen zu den bekannten Zeiten, und da ihre Unterschriften leisten. Und das ist deutlich vereinfacht worden. Das ist so der eine Punkt, und der zweite ist, dadurch dass wir hier in Berlin in der Hauptstadt sind ne ganz andere Zivilgesellschaft haben, ne ganz andere Politisierung der Menschen und dadurch sehr viele Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden."
Seit der Berliner Senat 2006 die rechtlichen Hürden gesenkt hat, boomen die Volksinitiativen in der Hauptstadt, erzählt Regine Laroche. Sie ist Landesvorsitzende des Vereins "Mehr Demokratie". Volksentscheid sind seitdem auch dann zulässig, wenn sie was kosten.
"Vorher mussten die Menschen auf das Bürgeramt gehen zu den bekannten Zeiten, und da ihre Unterschriften leisten. Und das ist deutlich vereinfacht worden. Das ist so der eine Punkt, und der zweite ist, dadurch dass wir hier in Berlin in der Hauptstadt sind ne ganz andere Zivilgesellschaft haben, ne ganz andere Politisierung der Menschen und dadurch sehr viele Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden."
Zwei erfolgreiche Volksbegehren haben dafür gesorgt, dass dieses Instrument der direkten Demokratie in Berlin besonders bekannt wurde. Eine Mehrheit der wahlberechtigten Berliner entschied sich 2014 gegen eine Teil-Bebauung des Tempelhofer Felds und 2011 für die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe.
"Das ist der Punkt gewesen, wo auch in Berlin deutlicher wurde, dass es dieses zusätzliche Instrument gibt – und dass es auch tatsächlich Wirkung hat!"
"Das ist der Punkt gewesen, wo auch in Berlin deutlicher wurde, dass es dieses zusätzliche Instrument gibt – und dass es auch tatsächlich Wirkung hat!"
Oft ignoriert der Senat den Volkswillen
Laroches Verein kämpft seit fast 30 Jahren für Volksentscheide auf Landes- und Bundesebene. Er veröffentlicht außerdem ein Bundesländer-Ranking zu direkter Demokratie, bei dem es nicht nur um die Anzahl der Volksentscheide geht, sondern auch um deren Umsetzung. Berlin landet aktuell nur auf Platz acht. Zwar laufen hier besonders viele Volksentscheide, doch die Ergebnisse würden vom Berliner Senat oft ignoriert, meint Laroche. So wie aktuell im Fall des Flughafens Tegel. Die Bürger haben mehrheitlich entschieden, Tegel soll offen bleiben. Doch im Senat bestanden von Anfang an erhebliche juristische Zweifel, ob der in die Jahre gekommen Flughafen überhaupt eine Genehmigung für einen Weiterbetrieb erhalten kann. Trotzdem ließen die Politiker die Bürger auf Stimmenfang gehen.
"Da sind wir beim Verfahren, zu Beginn eines Volksentscheids wird eine Zulässigkeitsprüfung von den zuständigen Ressorts durchgeführt. Das ist auch bei Tegel passiert. Wenn die sachgerecht durchgeführt worden wäre, wäre dabei heraus gekommen, dass dieser Volksentscheid vielleicht gar nicht umsetzbar ist."
Solche Entwicklungen könnten zu Frust oder Politikverdrossenheit. Im Großen und Ganzen sei die Volksgesetzgebung ein großer Gewinn für die politische Kultur, meint Laroche.
"Das kann auch jeder feststellen, der mal selber Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt hat, und wenn man auf Marktplätze geht und feststellt, wie Themen diskutiert werden: Wie am Anfang der Wissensstand zu einem bestimmten Thema noch gar nicht so groß ist, aber im Laufe eines Verfahrens, das ja über Monate geht, die Meinungen immer differenzierter abgewogener werden, da kann man schon von einer stärkeren Politisierung sprechen."
"Da sind wir beim Verfahren, zu Beginn eines Volksentscheids wird eine Zulässigkeitsprüfung von den zuständigen Ressorts durchgeführt. Das ist auch bei Tegel passiert. Wenn die sachgerecht durchgeführt worden wäre, wäre dabei heraus gekommen, dass dieser Volksentscheid vielleicht gar nicht umsetzbar ist."
Solche Entwicklungen könnten zu Frust oder Politikverdrossenheit. Im Großen und Ganzen sei die Volksgesetzgebung ein großer Gewinn für die politische Kultur, meint Laroche.
"Das kann auch jeder feststellen, der mal selber Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt hat, und wenn man auf Marktplätze geht und feststellt, wie Themen diskutiert werden: Wie am Anfang der Wissensstand zu einem bestimmten Thema noch gar nicht so groß ist, aber im Laufe eines Verfahrens, das ja über Monate geht, die Meinungen immer differenzierter abgewogener werden, da kann man schon von einer stärkeren Politisierung sprechen."
Die Hürden wurden von der Politik gesenkt
Dass es in Berlin so viele Volksentscheide gibt, die meist ein Veto gegen die Politik des Senats darstellen: Für Laroche nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass die Berliner Landespolitik besonders schlecht, bürgerfern oder schlampig wäre.
"Es kann ja sein, dass ich eine Regierung gewählt habe, mit der ich grundsätzlich zufrieden bin, aber bei einem einzigen Thema doch nicht und da möchte ich die Möglichkeit haben zu sagen: Stopp, das macht bitte anders!"
In Berlin dürften die Hürden für Volksbegehren weiter sinken, der Rot-rot-grüne Senat will Volksentscheide künftig grundsätzlich an Wahltermine knüpfen. Das notwendige Quorum von 25 Prozent der Wähler könnte dann leichter erreicht werden.
"Möchtest Du auch unterzeichnen?"
"Wie viele habt ihr schon?"
"Wir haben noch nicht gezählt, weil die Listen überall rumfliegen und wir brauchen erstmal 20.000 Unterschriften."
Auf dem Kreuzberger Wochenmarkt hat Fahdi El Ghazi trotz eisiger Kälte noch ein paar Unterschriften gesammelt. Er ist zuversichtlich, dass es am Ende reichen wird. Und Berlin dank seines Volksentscheides so gut wie werbefrei wird.
"... und wenn wir die 20.000 Unterschriften haben, dann berät auch schon das Abgeordnetenhaus über das Gesetz. Und wenn das Abgeordnetenhaus das annimmt, kann Berlin werbefrei schon 2019 Realität werden."
"Es kann ja sein, dass ich eine Regierung gewählt habe, mit der ich grundsätzlich zufrieden bin, aber bei einem einzigen Thema doch nicht und da möchte ich die Möglichkeit haben zu sagen: Stopp, das macht bitte anders!"
In Berlin dürften die Hürden für Volksbegehren weiter sinken, der Rot-rot-grüne Senat will Volksentscheide künftig grundsätzlich an Wahltermine knüpfen. Das notwendige Quorum von 25 Prozent der Wähler könnte dann leichter erreicht werden.
"Möchtest Du auch unterzeichnen?"
"Wie viele habt ihr schon?"
"Wir haben noch nicht gezählt, weil die Listen überall rumfliegen und wir brauchen erstmal 20.000 Unterschriften."
Auf dem Kreuzberger Wochenmarkt hat Fahdi El Ghazi trotz eisiger Kälte noch ein paar Unterschriften gesammelt. Er ist zuversichtlich, dass es am Ende reichen wird. Und Berlin dank seines Volksentscheides so gut wie werbefrei wird.
"... und wenn wir die 20.000 Unterschriften haben, dann berät auch schon das Abgeordnetenhaus über das Gesetz. Und wenn das Abgeordnetenhaus das annimmt, kann Berlin werbefrei schon 2019 Realität werden."