In der patagonischen Pampa
Maria Bamberg kam 1923 als Achtjährige mit ihren Eltern ins unwirtliche Patagonien. Sie kehrte 1963 nach Berlin zurück und schrieb mehrere Bücher über ihre Familie und die Situation der deutschen Auswanderer. "Ella und der Gringo mit den großen Füßen", ursprünglich bereits 1998 veröffentlicht, ist nun in einer Neuauflage erschienen.
Wer einmal durch Patagonien gereist ist – vielleicht sogar mit Bruce Chatwin im Gepäck – der kennt die Kargheit und berauschende Monotonie der Landschaft. Er weiß aber auch, wie schlecht selbst heute noch dieses unendlich lang zum Südpol hingestreckte Endstück Südamerikas erschlossen ist. Abseits der einzigen asphaltierten Magistrale an der Westküste ist die Fortbewegung selbst mit modernen Fahrzeugen eine Herausforderung.
Wie viel beschwerlicher muss eine Reise erst in den 20er-Jahren gewesen sein. Wie beschwerlich das war, schildert Maria Bamberg, die im Alter von acht Jahren nach Argentinien kam und ihre komplette Jugend inmitten dieser herrlich-bedrohlichen Einsamkeit verbracht hat. Endlose Wege mit vorsintflutlichen Autos über Schotterpisten, monatelange Abgeschiedenheit im Schnee, eisige Winter und glühendheiße Sommer, weit ab von jeglicher Zivilisation.
Maria Bambergs Sohn Pedro, selbst in Argentinien geboren, hat die Neuausgabe des "Gringos mit den großen Füßen" bearbeitet und ergänzt.
Pedro Bamberg: "Das Buch beschreibt aus einer eigenen Erfahrung das sehr harte Leben in Patagonien. Wen verschlägt es schon nach Patagonien, in dieses sehr unwirtliche Land? Dieses sehr lebendige Beschreibung des Alltags, Kleinigkeiten gewinnen plötzlich einen ganz anderen Wert, das ist so eindringlich beschrieben das macht das Buch für so viele so faszinierend. Man schließt die Augen und kann sich vorstellen, wie das Leben dort war."
"Ella und der Gringo mit den großen Füßen" ist auf den ersten Blick eine Familienchronik. Maria Bamberg hat es jedoch verstanden, alte Briefe und mündlich überlieferte Erinnerungen so zusammenzusetzen, dass daraus eine spannende Erzählung aus verschiedenen Perspektiven entstanden ist. Sie reflektiert und bewertet die häufig scheinbar naiv geschilderten Gedanken ihrer Mutter, ordnet sie in die Zeitumstände ein und gleicht sie mit eigenen Erfahrungen aus ihrer Kindheit ab. Es gelingt ihr damit, eine Geschichte zu erzählen, die über den unmittelbaren familiären Zusammenhang hinaus ein exemplarisches Bild deutscher Auswanderer nach Argentinien zu zeichnen.
Das Buch macht deutlich, wie sich Auswanderer in der Fremde integrieren – oder eben nicht.
"Obwohl die Eltern es nie betonten, hatten sie nicht die Absicht, auf Dauer in Argentinien zu bleiben. Diese Einstellung, die besonders bei den nach Argentinien ausgewanderten Deutschen ganz allgemein war, hielt sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Neuankömmlinge gewöhnten sich an das Leben in dem neuen Land, ja, sie gewannen es lieb, aber sie kümmerten sich kaum um dessen Einwohner und interessierten sich praktisch nicht für deren Lebensverhältnisse, Kultur und Politik. Die Identifizierung mit dem Gastland begann erst mit der zweiten Generation."
Maria Bamberg schreibt aus der Sicht ihrer Mutter Ella Brunswig, die 1923 mit ihren Kindern nach Südamerika aufbrach, wo ihr Mann sich zunächst alleine eine neue Existenz aufgebaut hatte. Im Deutschland der Nachkriegszeit – die kaiserliche Flotte war nach dem Versailler Vertrag kaum mehr existent - war kein Platz mehr für den Korvettenkapitän Hermann Brunswig. Er bestieg ein Schiff nach Buenos Aires und heuerte als Verwalter auf einer Schaffarm auf halber Strecke nach Feuerland an. Da Hermann Brunswig Schuhgröße 46 trug, bekam er dort den Spitznamen "Der Gringo mit den großen Füßen" – ein Name wie aus einem Karl-May-Roman.
Maria wächst in diesem weiten Land in einfachsten Umständen auf. Schulen sind Tagesreisen entfernt, als Spielkameraden gibt es nur die Geschwister. Daher schicken sie die Eltern zu Verwandten nach Deutschland zurück, damit sie ihr Abitur machen kann. Danach – sie ist 20 Jahre alt - reist sie sofort wieder ab. Sie wollte sich von den Jugendorganisationen der Nazis nicht vereinnahmen lassen.
Pedro Bamberg: "1935, weil sie hier keine Perspektive hatte, das hatte auch mit politischen Gründen zu tun, der BDM war stark im Kommen, meine Mutter wollte mit dem BDM nichts zu tun haben und ist dann mangels Perspektive zurückgegangen nach Argentinien."
Dieses Buch ist so interessant, weil sich in den persönlichen Erlebnissen eben auch die Zeitgeschichte der deutschen Auswanderer der 20er-Jahre spiegelt - über die hierzulande sehr wenig bekannt und publiziert ist. Vor allem über die vergleichsweise kleine Gruppe derer, die nicht in die USA gingen oder gehen konnten, und sich daher in Südamerika ansiedelten. Diese heterogene Mischung aus Auswanderern , die – wie die Brunswigs - aus wirtschaftlichen Gründen gekommen waren. Dann die jüdischen Emigranten der 30er-Jahre – für die Buenos Aires die einzig verbliebene Zuflucht war , nachdem sich die meisten anderen Länder weigerten, Juden aufzunehmen. Und später die Tausende NS-Anhänger, die nach 1945 in Argentinien – von prominenten Ausnahmen abgesehen - mehr oder weniger unbehelligt blieben.
"Am Lago Ghio lebten sie sehr einsam, da war nichts mit Gesellschaft. Als wir dann in San Rafael gelebt haben, das war eine Stadt, da gab es auch Deutsche. Das waren Deutsche, die nach 1945 ausgewandert waren oder Familien, die schon länger dort waren. Aber schon Leute, die einem anderen Gedankengut anhingen als die Verfolgte des Nazi-Regimes. Mein Vater hat mit vielen Deutschen zu tun gehabt, die ihn aber mieden, weil sie rechtskonservativ waren."
Maria Brunswig heiratete einen anderen deutschen Auswanderer - den Arzt Adolf Bamberg. Dessen Großeltern waren Juden, daher hatte er Berlin 1938 verlassen müssen. Ihr gemeinsamer Sohn Pedro, 1949 geboren, hat seine Jugend in der Wein-Provinz Mendoza und auf einem deutschen Internat in Buenos Aires verbracht. Er erinnert sich noch daran, wie besonders streng ihn manche der deutschen Lehrer auf dieser Schule behandelten, als sie von seiner entfernten jüdischen Verwandtschaft erfahren hatten. Das Gedankengut der Nationalsozialisten wurde in Südamerika noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konserviert.
Es ist die Vielzahl solcher wie nebenbei erzählter Details, die die sehr persönliche Familienchronik in den Rang einer Zeit- und Milieugeschichte hebt. Die Lebensumstände in dem neuen Land, die Konfrontation mit den aus Deutschland herein getragenen Konflikten, das Changieren zwischen Rückzug auf die Herkunft und dem Wunsch, in der neuen Gesellschaft anzukommen. Schwierigkeiten mit dem Spanischen und preußische Tugenden in der Pampa: "Der Gringo mit den großen Füßen" erzählt eine Menge über die Situation von Migranten – und von Deutschen in der Fremde.
Rezensiert von Dirk Fuhrig
Maria Bamberg: Ella und der Gringo mit den großen Füßen. Eine deutsche Familiengeschichte in Patagonien
Edition Tranvia / Berlin 2008
298 Seiten, 22 Euro
Wie viel beschwerlicher muss eine Reise erst in den 20er-Jahren gewesen sein. Wie beschwerlich das war, schildert Maria Bamberg, die im Alter von acht Jahren nach Argentinien kam und ihre komplette Jugend inmitten dieser herrlich-bedrohlichen Einsamkeit verbracht hat. Endlose Wege mit vorsintflutlichen Autos über Schotterpisten, monatelange Abgeschiedenheit im Schnee, eisige Winter und glühendheiße Sommer, weit ab von jeglicher Zivilisation.
Maria Bambergs Sohn Pedro, selbst in Argentinien geboren, hat die Neuausgabe des "Gringos mit den großen Füßen" bearbeitet und ergänzt.
Pedro Bamberg: "Das Buch beschreibt aus einer eigenen Erfahrung das sehr harte Leben in Patagonien. Wen verschlägt es schon nach Patagonien, in dieses sehr unwirtliche Land? Dieses sehr lebendige Beschreibung des Alltags, Kleinigkeiten gewinnen plötzlich einen ganz anderen Wert, das ist so eindringlich beschrieben das macht das Buch für so viele so faszinierend. Man schließt die Augen und kann sich vorstellen, wie das Leben dort war."
"Ella und der Gringo mit den großen Füßen" ist auf den ersten Blick eine Familienchronik. Maria Bamberg hat es jedoch verstanden, alte Briefe und mündlich überlieferte Erinnerungen so zusammenzusetzen, dass daraus eine spannende Erzählung aus verschiedenen Perspektiven entstanden ist. Sie reflektiert und bewertet die häufig scheinbar naiv geschilderten Gedanken ihrer Mutter, ordnet sie in die Zeitumstände ein und gleicht sie mit eigenen Erfahrungen aus ihrer Kindheit ab. Es gelingt ihr damit, eine Geschichte zu erzählen, die über den unmittelbaren familiären Zusammenhang hinaus ein exemplarisches Bild deutscher Auswanderer nach Argentinien zu zeichnen.
Das Buch macht deutlich, wie sich Auswanderer in der Fremde integrieren – oder eben nicht.
"Obwohl die Eltern es nie betonten, hatten sie nicht die Absicht, auf Dauer in Argentinien zu bleiben. Diese Einstellung, die besonders bei den nach Argentinien ausgewanderten Deutschen ganz allgemein war, hielt sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Neuankömmlinge gewöhnten sich an das Leben in dem neuen Land, ja, sie gewannen es lieb, aber sie kümmerten sich kaum um dessen Einwohner und interessierten sich praktisch nicht für deren Lebensverhältnisse, Kultur und Politik. Die Identifizierung mit dem Gastland begann erst mit der zweiten Generation."
Maria Bamberg schreibt aus der Sicht ihrer Mutter Ella Brunswig, die 1923 mit ihren Kindern nach Südamerika aufbrach, wo ihr Mann sich zunächst alleine eine neue Existenz aufgebaut hatte. Im Deutschland der Nachkriegszeit – die kaiserliche Flotte war nach dem Versailler Vertrag kaum mehr existent - war kein Platz mehr für den Korvettenkapitän Hermann Brunswig. Er bestieg ein Schiff nach Buenos Aires und heuerte als Verwalter auf einer Schaffarm auf halber Strecke nach Feuerland an. Da Hermann Brunswig Schuhgröße 46 trug, bekam er dort den Spitznamen "Der Gringo mit den großen Füßen" – ein Name wie aus einem Karl-May-Roman.
Maria wächst in diesem weiten Land in einfachsten Umständen auf. Schulen sind Tagesreisen entfernt, als Spielkameraden gibt es nur die Geschwister. Daher schicken sie die Eltern zu Verwandten nach Deutschland zurück, damit sie ihr Abitur machen kann. Danach – sie ist 20 Jahre alt - reist sie sofort wieder ab. Sie wollte sich von den Jugendorganisationen der Nazis nicht vereinnahmen lassen.
Pedro Bamberg: "1935, weil sie hier keine Perspektive hatte, das hatte auch mit politischen Gründen zu tun, der BDM war stark im Kommen, meine Mutter wollte mit dem BDM nichts zu tun haben und ist dann mangels Perspektive zurückgegangen nach Argentinien."
Dieses Buch ist so interessant, weil sich in den persönlichen Erlebnissen eben auch die Zeitgeschichte der deutschen Auswanderer der 20er-Jahre spiegelt - über die hierzulande sehr wenig bekannt und publiziert ist. Vor allem über die vergleichsweise kleine Gruppe derer, die nicht in die USA gingen oder gehen konnten, und sich daher in Südamerika ansiedelten. Diese heterogene Mischung aus Auswanderern , die – wie die Brunswigs - aus wirtschaftlichen Gründen gekommen waren. Dann die jüdischen Emigranten der 30er-Jahre – für die Buenos Aires die einzig verbliebene Zuflucht war , nachdem sich die meisten anderen Länder weigerten, Juden aufzunehmen. Und später die Tausende NS-Anhänger, die nach 1945 in Argentinien – von prominenten Ausnahmen abgesehen - mehr oder weniger unbehelligt blieben.
"Am Lago Ghio lebten sie sehr einsam, da war nichts mit Gesellschaft. Als wir dann in San Rafael gelebt haben, das war eine Stadt, da gab es auch Deutsche. Das waren Deutsche, die nach 1945 ausgewandert waren oder Familien, die schon länger dort waren. Aber schon Leute, die einem anderen Gedankengut anhingen als die Verfolgte des Nazi-Regimes. Mein Vater hat mit vielen Deutschen zu tun gehabt, die ihn aber mieden, weil sie rechtskonservativ waren."
Maria Brunswig heiratete einen anderen deutschen Auswanderer - den Arzt Adolf Bamberg. Dessen Großeltern waren Juden, daher hatte er Berlin 1938 verlassen müssen. Ihr gemeinsamer Sohn Pedro, 1949 geboren, hat seine Jugend in der Wein-Provinz Mendoza und auf einem deutschen Internat in Buenos Aires verbracht. Er erinnert sich noch daran, wie besonders streng ihn manche der deutschen Lehrer auf dieser Schule behandelten, als sie von seiner entfernten jüdischen Verwandtschaft erfahren hatten. Das Gedankengut der Nationalsozialisten wurde in Südamerika noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konserviert.
Es ist die Vielzahl solcher wie nebenbei erzählter Details, die die sehr persönliche Familienchronik in den Rang einer Zeit- und Milieugeschichte hebt. Die Lebensumstände in dem neuen Land, die Konfrontation mit den aus Deutschland herein getragenen Konflikten, das Changieren zwischen Rückzug auf die Herkunft und dem Wunsch, in der neuen Gesellschaft anzukommen. Schwierigkeiten mit dem Spanischen und preußische Tugenden in der Pampa: "Der Gringo mit den großen Füßen" erzählt eine Menge über die Situation von Migranten – und von Deutschen in der Fremde.
Rezensiert von Dirk Fuhrig
Maria Bamberg: Ella und der Gringo mit den großen Füßen. Eine deutsche Familiengeschichte in Patagonien
Edition Tranvia / Berlin 2008
298 Seiten, 22 Euro