In der Warteschleife des Lebens

Endlich mal wieder ein Hamburg-Roman! Nach all den unzähligen Berlin-Romanen der letzten zehn Jahre wurde es endlich Zeit für neuen Stoff aus der kühlen, bürgerlichen Alternative zur literarisch ausgequetschten Hauptstadt.
Am meisten zu erzählen gibt es dabei offenbar aus St. Pauli, oder genauer aus dem Schanzenviertel. Ein Ort, an dem offenbar noch immer die normalsten neben den schrägsten Bewohnern ihren Platz haben - und an dem man sich offenbar noch immer komplett gehen lassen kann ohne schräge Blicke auf sich zu ziehen.

Für Michael Sonntag genau das Richtige. Michael Sonntag! Ein Name wie ein Schicksal und definitiv nicht die letzte komische Note in diesem aberwitzigen, zuweilen bitterbösen und abgründigen, aber immer sprachlich einzigartigen Roman.

Michael Sonntag ist der Ich-Held von Rocko Schamoni. Nach "Risiko des Ruhms" und "Dorfpunks" sind nun die "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" der dritte Roman des Hamburger Musikers, Clubbetreibers und Schriftstellers. Und den Lesern wünscht man eine deutlichere Schwerpunktsetzung auf den Beruf des Schriftstellers! Denn was Schamoni hier schreibt, ist eine sprachlich genaue, nie langweilige, oft deprimierende und dabei erstaunlich amüsante Achterbahnfahrt des Lebens - wobei die Täler die Höhen eindeutig überwiegen.

Michael Sonntag ist eigentlich Kunststudent, aber eine akademische Ausbildung ist nicht sein Ding. Überhaupt - allzu viel Ambition ist ihm einfach zu anstrengend. Er hat an einem frühen Punkt seines Lebens begriffen:

"Ich war ausgezogen, um die Welt zu erobern, aber die Welt war bereits erobert."

Daher gilt:

"Die edelste Nation ist die Resignation."

Damit ist seine Haltung zum Leben im Wesentlichen beschrieben. Daher versucht er es lieber mit einem prekären Arbeitsleben: Plakatkleber für einen koksenden Kleinstunternehmer, Roadie in einer viertklassigen Rockband. Dazwischen zieht er mit den Freaks des Viertels um die Häuser, verliebt sich in Mia aus dem Hinterhaus, die unerreichbar für ihn scheint, spricht mit dem Zierfisch, den er in einem Anfall von Durst mitsamt dem restlichen Aquariumsinhalt verschlungen hatte und den er noch immer als eine Art Magen-Ich in seinem mitgenommenen Körper wähnt, telefoniert mit seinen Eltern in der Provinz, denen er von einem aufregenden Studium erzählt, liest die schrägsten Gestalten auf, die die Straße hergibt - alles Menschen, die ihm kein Glück bringen, und: kokst und trinkt. Aber immer nur so viel, dass er drei Tage danach - nach dem das Gröbste rausgeschlafen ist - Reue spürt. Und sich dennoch nie komplett hängen lässt.

Irgendetwas treibt ihn weiter. Und wenn es nur hin und wieder die Freude an einem klaren Sonnentag ist oder an der schönen Nachbarin. Da kommt Kraft in Herrn Sonntag. Oder, wie er es ausdrücken würde, da fühlt er sich "durchzuckt von monströsen ungelenkten Energien". Dann malt er sogar. Oder zieht sich was Vernünftiges an und versucht ein paar Lebensfragen mit einem niedergelassenen Psychotherapeuten zu klären. Und dennoch bleibt es weitestgehend dabei: "So viel Kraft und sowenig Vision", sagt der Held über sich selbst.

Dabei geht das Buch gar nicht so schlecht aus. Aus Michael Sonntag könnte jedenfalls noch was werden. Vielleicht kommt er doch noch aus der "Warteschleife des Lebens", wie er es selbst nennt.

Rocko Schamoni ist ein rotziges, aber dennoch herzliches, ja man will fast sagen: menschliches Buch gelungen. Ein Buch über die Unsicherheiten des Lebens, die zu stark zu werden drohen - die Schamonis Held zu der Schlussfolgerung treiben, er werde sie nie bewältigen und abrutschen, als Teil der "Überflüssigen". Ein Buch, das aber ein Gegenmittel gegen die Resignation erfindet: eine überbordende sprachliche Energie. Wenn man so will - die einzige Möglichkeit, sich selbst aus dem Dreck zu ziehen.

Rezensiert von Vladimir Balzer


Rocko Schamoni: Sternstunden der Bedeutungslosigkeit
Roman. DuMont Verlag
260 Seiten, EUR 14,90