"In der Zeit kann ich zwei Filme machen"

Til Schweiger im Gespräch mit Andreas Müller |
Der Schauspieler Til Schweiger hat sich über Minderwertigkeitskomplexe seiner Landsleute beklagt. Die Deutschen neigten dazu, sich kleiner zu machen, als sie seien, sagte Schweiger. So hätten ihn Journalisten gefragt, ob Brad Pitt ihn als "Mensch zweiter Klasse" betrachte, wunderte sich der Schauspieler, der von 1997 bis 2004 in den USA lebte.
Andreas Müller: Til Schweiger, Sie haben bis 2004 in den USA gelebt, unter anderem, um auch ein bisschen näher dran zu sein an der großen Traumfabrik Hollywood. Jetzt ist man in Amerika so richtig auf Sie aufmerksam geworden, als Sie hier in Deutschland auch durchgestartet sind mit Ihren Filmen. Quentin Tarantino hat Sie für einen Film verpflichtet. Wie kam es dazu?

Til Schweiger: Also, ich bin 2004 aus Amerika zurückgekommen. Ich habe aber da nicht gelebt, um näher an Hollywood zu sein, weil ich habe zu Hollywood ein sehr gespaltenes Verhältnis, sondern ich bin da rüber gezogen, das war eine rein familiäre Entscheidung.

Müller: Ihre Frau ist Amerikanerin.

Schweiger: Meine Frau ist Amerikanerin und die wollte eigentlich, dass wir nach Seattle ziehen und da habe ich gesagt, wenn ich in Seattle bin, dann bin ich ganz weg vom Schuss. Und als ich dann da wohnte, hatte ich natürlich auch einen Agenten, den hatte ich vorher schon, und der hat gesagt, mal gucken, vielleicht kann ich ja auch hier in dem einen oder anderen Film mitspielen, vielleicht aber auch nicht. Aber ich habe ja immer die Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen und da zu arbeiten.

Und ich bin ja nicht, nachdem ich zurückgegangen bin, durchgestartet, sondern durchgestartet bin ich, bevor ich nach Amerika gegangen bin, und das war vielleicht ein kleiner …das hat es mir leichter gemacht. Dieser ganze Rummel nach "Knockin‘ on Heaven‘s Door", das war ja der erste Film, den ich selber gemacht habe, das war so ein Presserummel, dass ich das auch wirklich ganz befreiend fand, mal weg zu sein und wieder in dem Stadium zu sein, in dem ich den meisten Teil meines Lebens nämlich war, als Til Schweiger, der nicht bekannt ist. Das war ein Riesenvorteil.

Und Quentin Tarantino ist auf mich aufmerksam geworden, schon vor Jahren, weil er von "Knockin‘ on Heaven’s Door" ein ganz großer Fan ist. Er hatte irgendwann wohl mal in einem Interview gesagt, dass Til Schweiger einer seiner deutschen Lieblingsschauspieler ist. Das hat mir ein Freund geschickt, da habe ich mich sehr gefreut und dann gedacht, woher kennt der mich?

Und der kannte aber sehr viele Filme von mir, auch Filme, die in Amerika gelaufen sind und nicht hier ins Kino gekommen sind, denn das ist ein wandelndes Filmlexikon, dieser Mann. Der guckt Filme, das ist für den, der kann nicht ohne Filme leben, und der machte dann, was auch schön war, jeden Donnerstag gab’s ein Screening von ihm in Babelsberg und er hat das ganze Team, Schauspieler, eingeladen, um einen seiner Lieblingsfilme zu schauen, irgendwelche, was weiß ich, ein Kung-Fu-Film von 1946 oder so.

Müller: Klingt sehr bizarr.

Schweiger: Ja, das schon, aber - und ja, der rief mich dann irgendwann an und sagte, er will mich treffen, also beziehungsweise ein Casting, und dann habe ich mich mit ihm getroffen. Dann hat er gesagt, ich möchte gerne, dass du diese Rolle spielst, würde ich mich wahnsinnig freuen, und da habe ich gesagt, bietest du mir die jetzt einfach so an? Da sagt er, ja, ich möchte gerne, dass du diese Rolle spielst. Da hab ich gesagt, okay, mache ich.

Müller: Wenn Sie mit Tarantino drehen, für wen ist es interessanter, für den Schauspieler Til Schweiger oder für den Regisseur?

Schweiger: Für den Regisseur eigentlich. Das war für mich wie so ein Workshop. Als Schauspieler ist es natürlich auch interessant, und das ist einfach ein Vergnügen, mit Brad Pitt zu drehen, weil das einfach ein umwerfend toller Schauspieler ist, aber den Tarantino zu beobachten, auch den Kameramann, den Rob Richardson, den ich für einen der besten der Welt halte, da zu schauen, wo er seine Lichter aufbaut und wie er die Kameraeinstellungen auswählt, das war für mich, das war very, es war sehr anstrengend, aber es war sehr enjoyable, weil ich glaube, wieder ein bisschen was gelernt zu haben.

Müller: Ist es ganz anders jetzt in einer amerikanischen Produktion mitzuwirken? Man liest ja so einiges, dieser Moloch und eine ganz andere Produktionsbedingung, die Rahmenbedingungen sind anders, die Erwartungen auch. Wie unterscheidet sich das?

Schweiger: Das unterscheidet sich. Ich habe das schon fast wieder verdrängt, weil ich hatte dann zwei Filme gemacht in Amerika, das war "Tomb Raider II" und "King Arthur", die ich beide für missraten halte, und die haben beide weit über 100 Millionen Dollar Budget gehabt und haben beide ein halbes Jahr gedreht, und als Schauspieler in Amerika bei so einem Film ist man dann praktisch Leibeigener.

In Deutschland, wenn du einen Film drehst, dann hast du, was weiß ich, der Herbert Knaup, der hat jetzt zwölf Drehtage und dann ist er raus. Und er wird pro Drehtag bezahlt, und je erfolgreicher ein Schauspieler ist, desto teurer ist er, und das überlegt sich ein Produzent zehnmal, ob er den jetzt noch zwei, drei Tage länger rumsitzen lässt und dann das bezahlen muss. In Amerika kriegst du eine Fixsumme, und dann gibt es keine freien Tage mehr.

Müller: Man verkauft sein Leben.

Schweiger: Man verkauft wirklich einen Teil von seinem Leben, und das macht eigentlich nur Sinn, wenn man dann wirklich - das war für mich dann dieser. Ich hab dann auch ständig mich mit meinen Agenten auseinandergesetzt, die immer gesagt haben, diese Independent-Filme, die du da machst, die interessieren keinen, es geht nur um Hollywood, und du musst in diese Studiofilme rein. Und ich habe nach dem zweiten, eigentlich nach dem ersten schon gesagt, da habe ich keinen Bock drauf. Und nach dem zweiten habe ich gesagt, so, das war’s. Das werde ich - und jetzt kamen eben Erinnerungen zurück, obwohl es schon mit viel mehr deutscher Organisation, die viel organisierter ist als die amerikanische …

Müller: Tatsächlich?

Schweiger: Ja, die haben es halt nicht gelernt, die sind das nicht gewohnt. In Deutschland die Independent-Filme, in Amerika auch, die haben ungefähr dieselben Produktionsbedingungen wie wir in Deutschland. Die müssen einen Film in 30, 40 Tagen drehen, alles andere können sie sich nicht leisten. Und wir eben nicht, und die haben aber 150 Millionen Dollar, und die können einfach mal den Drehplan so umschmeißen, wie sie gerade Lust haben und dann die Szene noch mal nachdrehen und das und das, und das summiert sich und dann dauert das eben unendlich lang. Und wenn man dann wie ich dann dasteht und denkt, Mann, mein höchstes Gut ist Zeit und hier verliere ich viel zu viel Zeit, in der Zeit kann ich selber Sachen machen. In der Zeit kann ich zwei Filme drehen.

Müller: Das ist heftig. War mir jetzt nicht so bewusst, dass es so ist, denn man liest immer von diesen starken Gewerkschaften und …

Schweiger: Ja, das ist ein Teil des Problems. Es sind die Gewerkschaften, die halt ganz hohe Forderungen haben und unheimlich viel Macht. Ich meine, die Teamster, die Fahrergewerkschaften in Amerika, muss man wissen, die Teamster, die stammen aus der Mafia.

Das ist eine Mafiaorganisation aus den 20er-Jahren, und das ist eben nicht nur die Gewerkschaft der Filmfahrer, sondern eben auch der Fernfahrer und des Transportwesens in Amerika. Und die sind unheimlich machtvoll und keiner will sich mit denen anlegen, und die kriegen dann eben durch, dass du irgendwie 30 Fahrer mehr beschäftigst als du brauchst. Die sitzen den ganzen Tag nur rum.

Müller: Lassen Sie uns nochmal auf diese USA-Erfahrung zurückkommen. Das klingt ja alles mehr oder weniger erschreckend, aber gab es dennoch etwas, was Sie in Amerika gelernt, erfahren oder mitgenommen haben, was Ihnen in Deutschland jetzt so in der Form nutzt?

Schweiger: Sicherlich, denn ich glaube, ich habe mit jedem Film gelernt und sei er noch so schlecht gewesen, und mit jeder Arbeit und auch mit Leuten, die man nicht gut findet - und wenn man nur lernt, wie man denkt, man sollte es nicht machen. Aber ich habe sicher auch Filme gemacht, die toll waren und wo ich viel gelernt habe, aber nicht so, dass ich jetzt sage, aha, ich bin nach Amerika gegangen und da habe ich jetzt gelernt, wie man einen Film macht, weil das kann man nicht lernen.

Man denkt in Deutschland immer, und die Deutschen neigen dazu, sich immer kleiner zu machen als sie sind, sie sind unbeliebter im Ausland, als sie sind, und es ist immer alles schlechter als sowieso schon, und da denkt man dann so …

Und mich haben in der Tat Journalisten gefragt: Wie ist denn das, wenn du mit Brad Pitt spielst, du bist ja ein Star in Deutschland, aber das ist ja ein Weltstar, hat man da Minderwertigkeitskomplexe neben dem? Und ich sage, hä, was, was? Oder umgekehrt: Benimmt sich Brad Pitt dann, also, ist der schon so, dass er dich sieht als Mensch zweiter Klasse? Da sage ich, hä, hä, was?

Und dann denkt man halt, die Amerikaner, die haben es erfunden und die sind die Professionellsten und die Wahrheit ist: Das stimmt nicht. Jeder deutsche Fernsehfilm wird in der Regel professioneller, aus der Not heraus professioneller und vor allen Dingen kosteneffizienter produziert als ein amerikanischer Film.
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