"In die Richtung Freiheit und Demokratie"

Luo Lingyuan im Gespräch mit Ute Welty |
Die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan glaubt trotz der heftigen Reaktionen Chinas auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dissident Liu Xiaobo an den Reformwillen der chinesischen Regierung.
Ute Welty: Der Friedensnobelpreis für den chinesischen Bürgerrechtler Liu Xiaobolöst in großen der Welt viel Begeisterung aus, nur nicht in China selbst. Ob der Preisträger selbst überhaupt von der Auszeichnung erfahren hat, ist unklar. Liu Xiaobo sitzt weitab von Peking im Gefängnis. Die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan sitzt weitab von Peking am Telefon, nämlich in Berlin, wo sie seit 1990 lebt. Guten Morgen, Frau Luo!

Luo Lingyuan: Guten Morgen!

Welty: Sind Sie heute Morgen wach geworden mit dem Gefühl, wir sind Nobelpreisträger, so wie die Deutschen eines Morgens in der Zeitung haben lesen können, dass sie Papst sind?

Lingyuan: Nicht so ganz, aber ich habe mich schon sehr gefreut, dass Liu Xiaobo den Preis bekommen hat. Vor allem, ich hatte ich mehr gefreut, dass eine chinesische Verhandlungs- oder Verhaltensart ausgezeichnet und bekannt geworden ist, denn Chinesen lieben Frieden sehr stark, und sie möchten, auch wenn es ihnen manchmal ganz schlecht geht, möchten viele Chinesen nicht mit Gewalt eine Lösung herbeiführen. Und diese Art, das hat gerade eben Liu Xiaobo sehr deutlich gezeigt, das ist nicht nur bei den Intellektuellen so oft beobachten, sondern auch bei ganz normalen Chinesen, Kleinbürgern, dass sie gerne diese Art bevorzugen. Und daher habe ich mich sehr gefreut, ja.

Welty: Könnten Sie sich vorstellen, dass viele Menschen jetzt bei Ihren Sätzen aufmerken, weil das, was Sie als typisch chinesisch beschreiben, entspricht so gar nicht dem Image des Landes und der Regierung, und vielleicht auch nicht den Menschen.

Lingyuan: Ja, das, was die Regierung tut und was das chinesische Volk tut, das ist meistens nicht dasselbe, und das chinesische Volk ist hier eigentlich auch nicht so wirklich bekannt. Daher finde ich, es ist eine sehr schöne Sache, auch durch Auszeichnungen für einzelne Personen, dass immer mehr Chinesen, also einzelne Chinesen bekannt wurden und wie sie sich verhalten.

Welty: Was ist bei Ihnen in den letzten nicht ganz 24 Stunden an Reaktionen angekommen, seitdem klar ist, dass der Nobelpreis nach China geht?

Lingyuan: Ja, erst mal habe ich mich gefreut, aber natürlich andersrum muss ich auch sagen, da ja es sehr viele Kritik auch an der chinesischen Regierung gibt, muss man auch andersrum wieder sagen, dass die chinesische Regierung insgesamt eigentlich sehr viele Fortschritte gemacht hatte und auch sich in die Richtung Freiheit und Demokratie bewegt. Und das ist ... Vielleicht im einzelnen Fall man merkt, es gibt immer wieder Widersprüche, aber China insgesamt wollte auch Freiheit und Demokratie.

Und der Premierminister Wen Jiabao, der hat ja in letzter Zeit auch in China und auch zu ausländischen Medien gesagt, dass China Fortschritte weiter machen wird, dass China Demokratie will, dass China politische Reformen haben will. Das ist ein ganz neuer Ton als früher. Früher hat die Regierung ziemlich strikt abgelehnt gegen politische Reformen. Und jetzt, denke ich, ist vielleicht die Entwicklung so weit, dass China, ja, einigermaßen reich geworden ist und diese Kraft hat, auch Demokratie ein bisschen voranzutreiben. Und ich ... Wen Jiabao hat sogar ungefähr so gesagt, dass er sich dafür bis zum Tod einsetzen wird. Und er ist eine glaubwürdige Person, also ich glaube ihm schon, dass China doch politische Reformen dann führen wird.

Welty: Wenn Sie das Bemühen um Reformen so hervorheben, wie erklären Sie dann doch die harte Haltung, die Peking im Moment zeigt? Also hier in den Nachrichtenagenturen und auch in den Zeitungsartikeln heute früh läuft ja vieles unter der Überschrift "Peking tobt", und die Frau von Liu Xiaobo soll ja jetzt auch aus Peking weggebracht worden sein.

Lingyuan: Ja, ich denke, das ist gewisse politische Droherei, aber man brauchte nicht wirklich Sorge zu machen. Nach gewisser Zeit wird sich legen, und China hat vor allem eine wirtschaftliche Politik und will auch weiter Wirtschaftserfolg haben, und daher wird nicht so lange dauern, bis dann die Beziehungen sich wieder entspannt sind.

Welty: Es geht ums Gesichtswahren im Moment?

Lingyuan: Ja, ein bisschen schon, ja, ein bisschen schon. Aber insgesamt, China will ja selber politische Reformen führen und wird dann irgendwann sich selber Demokratie annähern. Und es hängt nur davon ab, wen sie zu Vertretern oder zu vorantreibenden Kräften wählen. Das ist, wie dann Liu Xiaobo ist, das ist dann schon eine sehr große Frage. Aber Liu Xiaobo ist natürlich dann im Volke schon eine gewisse Fahne geworden.

Welty: In Ihren Büchern setzen Sie sich kritisch und auch humorvoll mit der chinesischen Politik auseinander. Können Sie sich vorstellen, dass dieser Friedensnobelpreis einmal in einer Ihrer Geschichten auftaucht?

Lingyuan: Das könnte sein, ja, aber daran habe ich noch keine Gedanken gemacht.

Welty: Ist auch noch ein bisschen früh, das gebe ich zu.

Lingyuan: Die chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan aus Berlin zum Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo. Ich danke herzlich fürs Gespräch!

Welty: Danke, ich Ihnen auch!
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