In existenzieller Not "hilft einem das Erzählen"
Der Schriftsteller David Wagner wurde für das Buch "Leben" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Den Roman über seine Autoimmunerkrankung habe er verfasst, "um diese wundersame Geschichte" seines Überlebens "überhaupt zu verstehen".
Britta Bürger: "Alles war genau so und auch ganz anders", schreibt der 41 Jahre alte Berliner Schriftsteller David Wagner über sein Leben, vielmehr über sein Buch mit dem Titel "Leben", für das er gestern den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat in der Kategorie Belletristik - wenngleich manche meinten, er hätte es ebenso als Sachbuch bekommen können. Wagner beschreibt seine persönliche Krankheitsgeschichte: Mit zwölf Jahren wurde bei ihm eine Autoimmunerkrankung der Leber festgestellt, die vor sieben Jahren in eine erfolgreiche Organtransplantation mündete.
Wir Leser wissen von Anfang an, dass diese Geschichte gut ausgeht, sonst würde es das Buch ja nicht geben, und nun geht es doppelt gut aus, weshalb ich David Wagner direkt nach der Preisverleihung in unserem Leipziger Messestudio erst mal gratuliert habe: David Wagner, herzlichen Glückwunsch!
David Wagner: Vielen Dank!
Bürger: Sie haben das Krankenhaus mal als Geschichtenhaus bezeichnet. Warum haben Sie sich dagegen entschieden, dort fremde Geschichten zu sammeln, und stattdessen dafür ihre eigene Geschichte zu erforschen?
Wagner: Ja, in dem Buch befinden sich viele fremde Geschichten. Ich hatte ja das Glück, kein Privatpatient zu sein und immer mit anderen Menschen auf dem Zimmer zu liegen, wie man dann sagt, und habe doch dann die Lebensgeschichten meiner Krankenhauskameraden anhören müssen und anhören dürfen, weil die mir doch oft tolle Geschichten erzählt haben.
Also da gab es die Geschichte eines libanesischen Fleischers, der den Bürgerkrieg überlebt hat, oder es gab einen Spätaussiedler, der von seinem Garten in Sibirien schwärmte und Sibirien als ein Paradies ausmalte. Also das sind alles kleine Geschichten, Lebensgeschichten, die in dem Buch enthalten sind, und auch deshalb heißt das Buch "Leben".
Bürger: "Roman" steht ja nicht auf dem Buchdeckel, auch nicht "Autobiografie" oder "Tagebuch". Was ist das also, Herr Wagner? Vielleicht so eine Art Dokumentarroman, so wie wir das derzeit ja auch häufig im Theater erleben?
Wagner: Dokumentarroman gefällt mir ganz gut. Für mich selber, um dieses Buch zu schreiben, war es eigentlich immer ein Roman, weil es ist eine fiktive Geschichte. Die hat zwar einen wahren Kern, also ich habe das erlebt, aber um das zu erzählen, musste ich das verwandeln und musste ich auch mich und dieses "Ich" neu erfinden. Und was das Buch jetzt letztendlich für eine Gattung hat, das mögen Kritiker oder Literaturwissenschaftler entscheiden, das steht dem Autor gar nicht zu.
Bürger: Die Literaturkritikerin Daniela Strigl, die die Laudatio in Leipzig auf Sie gehalten hat, sie nennt das Buch einen erfundenen Leidensbericht oder auch eine durchlittene Erfindung. Hat Ihnen das Erfinden denn geholfen, auch das Leiden zu ertragen, vielleicht auch, die Angst vor dem Sterben im Bann zu halten?
Wagner: Ja, es ist ganz einfach so: Wenn man in so einer existenziellen Lage ist, hilft einem das Erzählen und das Erfinden, denn, Daniela Strigl hat das sehr schön gesagt, solange erzählt wird, ist man noch nicht tot. Und so ist es immer eine Lebensvergewisserung.
Bürger: Ist denn gleichzeitig mit der Entscheidung für die Lebertransplantation auch die Entscheidung für das Buch gefallen damals?
Wagner: Nein. Also da haben mich natürlich andere Sachen beschäftigt, da denkt man an so etwas nicht. Aber ein Jahr nach der Operation habe ich angefangen mit einem kurzen Bericht, weil ich mir selber, um diese wundersame Geschichte überhaupt zu verstehen, das aufschreiben wollte. Ich wollte sie mir selbst erzählen, um es zu verstehen. Weil es ist ja eine wundersame Geschichte, dass ich dieses Geschenk erhalten habe, dass mir ein Organ, ein gespendetes Organ geschenkt wurde, und dass ich nur deshalb weiterlebe. Und das ist ein Wunder, das immer bei mir bleibt, jeden Tag.
Und ich hatte diesen Bericht verfasst, der erschien im "Merkur", aber ich wusste: Ich will auch dieses Krankenhaus erzählen, dieses Zwischenreich, aus diesem sonderbaren Zustand des Dazwischen, wo die Geschichten dann in einen hineinfließen oder man sich mit denen rettet. Und das war ein sehr langer Prozess, der hat mich die letzten fünf, sechs Jahre beschäftigt, und es ist jetzt dieses Buch daraus geworden.
Bürger: Entstanden sind eben daraus diese 277 Miniaturen auf 287 Seiten, und eine dieser Miniaturen, die hören wir uns an, die Geschichte über die Leberwurst.
Sprecher: Es gibt Leberwurst zum Abendbrot, ein rundes Metalldöschen mit Foliendeckel liegt auf dem Tablett. Ausgerechnet Leberwurst. Leberwurst habe ich schon als Kind nicht gemocht. Angewidert schiebe ich die Packung zur Seite. Fünf oder sechs Tage nach einer Lebertransplantation – ist da Leberwurst nicht ein wenig rücksichtslos?
Bürger: David Wagner, haben Sie das wirklich so erlebt, oder gehört das zu den Erfindungen?
Wagner: Ich glaube, das gehört zu den Erfindungen, ehrlich gesagt.
Bürger: Gott sei Dank! Der Krankenhausalltag wird en détail regelrecht seziert in diesem Buch, ein bisschen melancholisch, aber nicht düster, sehr lakonisch, mit viel Witz, mit Ironie. Ist der Humor auch eine ihrer inneren Kraftquellen?
Wagner: Ja, also ich bin ein bisschen erstaunt, denn ich höre jetzt immer von dem Humor in dem Buch. Ich freue mich sehr darüber, aber das ist etwas, was man ja nicht planen kann während des Schreibens. Mir ist die Gabe nicht gegeben, zu wissen, wo Leute dann lachen später in Texten. Ich freue mich, dass sie es eben tun, dass man das tun kann, weil es werden ja auch dramatische Geschichten erzählt, dass es dann ein Entlastungslachen geben kann.
Aber grundsätzlich: Natürlich, sagen wir mal, eine gewisse Ironie oder eine Gebrochenheit oder eben auch Humor hilft einem, das durchzustehen, klar.
Bürger: Sie haben selbst angedeutet eben dieses Zwischenreich von Leben und Tod, in dem Sie sich befunden haben und über das Sie schreiben. Was haben Sie denn in diesem Schreibprozess über sich selbst gelernt?
Wagner: Na ja, über mich selbst – ich habe halt, ich sage mal, die Erfahrung in diese Figur, die in diesem Buch immer "ich" sagt, gelegt. Und während des Schreibens war ich natürlich dieses "Ich" oder muss man das sein, um das zu machen. Vielleicht bin ich selber, also ich, der Mensch David Wagner, der nicht der Autor ist, das weiß ich noch nicht, vielleicht bin ich mit dieser Geschichte noch gar nicht so ganz fertig, vielleicht steht da mir noch was anderes bevor. Weil da kann ich nur wieder sagen: Daran muss ich jeden Tag denken, also dass ich nur lebe, weil jemand so großzügig war oder weil Angehörige so großzügig waren, eines Verstorbenen Organe zur Verfügung zu stellen, damit andere Menschen weiterleben können. Und das ist so eine großartige Sache, für die Dankbarkeit eben ein viel zu kleines Wort ist.
Bürger: Sie stellen sich ja sehr intensiv diesem Gedanken. Was für ein Verhältnis haben Sie zu diesem imaginären Organspender, einem Mann, einer Frau, Sie wissen ja nicht, wer das war? Ist das eine Art imaginäre Beziehung, die Sie da zu einer verstorbenen Person aufgenommen haben?
Wagner: Im Buch ist es so, und in Wirklichkeit vielleicht auch, aber ich kann eigentlich nur über die Figur in dem Buch sprechen. Da im Moment, da ist dann die Grenze, also das ist auch mein Schutz vor dieser sehr intimen Geschichte, dass ich eigentlich nur erzählen kann für den Protagonisten, und ich trenne das eben doch.
Bürger: Der Schriftsteller David Wagner ist bei uns im Deutschlandradio Kultur, gestern Abend ist er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden für sein Buch "Leben", Geschichten über die Erfahrung einer, ja, auch seiner Lebertransplantation.
Ihr Buch, Herr Wagner, hat ja von den fünf nominierten für den Leipziger Buchpreis im Vorfeld am meisten Aufmerksamkeit und Lob bekommen, wenngleich es auch einige wenige sehr kritische Rezensionen gab, insbesondere die von Jens Jessen in der "Zeit". Ihn stört vor allem die Coolness der Lakonie, der Stil also, in dem Sie erzählen. Fühlen Sie sich missverstanden, wenn Ihre Lakonie als aufgesetzte Coolness gedeutet wird?
Wagner: Ach, missverstanden – ich weiß nicht. Der Text ist da, der Text ist offen, jeder muss ihn lesen, und mein Gott, es kann nicht jedem und allen gefallen. Mir war klar: Meine Sprache braucht eine gewisse Schönheit in sich. Also ich habe dieses Stilbewusstsein: Die Sprache muss etwas transportieren. Nein, ich fühle mich nicht missverstanden, kann ich nicht sagen.
Bürger: Aber so eine harte Kritik wie die von Jens Jessen, die mag einem bei solch einem Buch ja auch wie ein Tabubruch vorkommen, also es geht schließlich ja doch auch um Ihre eigene Geschichte zwischen Leben und Tod. Wir haben das ja schon bei vielen anderen Autoren erlebt, nicht zuletzt bei Christoph Schlingensief zum Beispiel, dass die jeweilige Art, wie Künstler ihre eigene Krankengeschichte zum Thema machen, dass das auch immer wieder für Kritik gesorgt hat. Haben Sie solche Vorwürfe verletzt auch, oder waren Sie dafür wirklich gewappnet?
Wagner: Na ja, also das ist ja jetzt nicht mein erstes Buch, ich habe ja schon einige geschrieben und ich würde mal sagen, das gehört zum Spiel. Da bin ich dann wirklich cool und lasse es an mir abprallen, weil ich weiß: Ich mache diesen Text, wie ich ihn machen muss. So schön ich ihn machen wollte, habe ich ihn gemacht.
Bürger: Sie schreiben an einer Stelle des Buches, dass Sie vor allem wegen Ihres Kindes weiterleben möchten. Warum erfährt man über diese Beziehung dennoch wenig?
Wagner: Ich glaube, es ist einfach so, dass dieser Mensch – das habe ich ja versucht, zu beschreiben – in diesem Limbo-Krankenhaus … Er weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat, er weiß nicht, ob er überleben wird. Dieses Außen, die ganze Außenwelt ist eben nicht mehr so wichtig da. Die tritt eben zurück. Und trotzdem gibt es dieses Kind, ja. Das ist aber fast mehr ein allgemeines Prinzip. Und ich wollte es eben aus dieser völligen, individuellen Geschichte dann doch ein Stück weit herauslösen.
Bürger: Auch das Leben mit einer Spenderleber ist begrenzt. Vor bald sieben Jahren haben Sie diese Transplantation machen lassen. Wie geht es Ihnen?
Wagner: Mir geht es sehr gut. Ich habe großes Glück gehabt, ich vertrage das sehr gut, und ich hatte die Kraft und die Möglichkeit, zu arbeiten und dieses Buch zu schreiben, und dafür bin ich sehr dankbar.
Bürger: Zwei Geschenke und nun das dritte dazu – macht das den Preis noch wertvoller, den Leipziger Buchpreis?
Wagner: Ja, also ich freue mich sehr, ich freue mich sehr über diesen Preis. Ich muss aber auch noch die anderen Nominierten erwähnen – auch tolle Bücher. Wir haben kleine Reisen, Lesereisen miteinander unternommen, und auch diese Bücher verdienen Aufmerksamkeit.
Bürger: Gestern ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse: der Schriftsteller David Wagner. Alles Gute für Sie und herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke sehr!
Bürger: "Leben" heißt das Buch von David Wagner, erschienen ist es im Rowohlt Verlag, 288 Seiten kosten 19,95 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema:
David Wagner überzeugt mit "Leben"
Helmut Böttiger und Eva Hesse ebenfalls ausgezeichnet (DKultur)
Zwischen Hoffnung und Todesangst
David Wagner: "Leben", Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 288 Seiten (DKultur)
Leben durch den Tod eines anderen
Autor David Wagner über seine neue Existenz mit einem Spenderorgan (DKultur)
Sendungsportal Leipziger Buchmesse
Wir Leser wissen von Anfang an, dass diese Geschichte gut ausgeht, sonst würde es das Buch ja nicht geben, und nun geht es doppelt gut aus, weshalb ich David Wagner direkt nach der Preisverleihung in unserem Leipziger Messestudio erst mal gratuliert habe: David Wagner, herzlichen Glückwunsch!
David Wagner: Vielen Dank!
Bürger: Sie haben das Krankenhaus mal als Geschichtenhaus bezeichnet. Warum haben Sie sich dagegen entschieden, dort fremde Geschichten zu sammeln, und stattdessen dafür ihre eigene Geschichte zu erforschen?
Wagner: Ja, in dem Buch befinden sich viele fremde Geschichten. Ich hatte ja das Glück, kein Privatpatient zu sein und immer mit anderen Menschen auf dem Zimmer zu liegen, wie man dann sagt, und habe doch dann die Lebensgeschichten meiner Krankenhauskameraden anhören müssen und anhören dürfen, weil die mir doch oft tolle Geschichten erzählt haben.
Also da gab es die Geschichte eines libanesischen Fleischers, der den Bürgerkrieg überlebt hat, oder es gab einen Spätaussiedler, der von seinem Garten in Sibirien schwärmte und Sibirien als ein Paradies ausmalte. Also das sind alles kleine Geschichten, Lebensgeschichten, die in dem Buch enthalten sind, und auch deshalb heißt das Buch "Leben".
Bürger: "Roman" steht ja nicht auf dem Buchdeckel, auch nicht "Autobiografie" oder "Tagebuch". Was ist das also, Herr Wagner? Vielleicht so eine Art Dokumentarroman, so wie wir das derzeit ja auch häufig im Theater erleben?
Wagner: Dokumentarroman gefällt mir ganz gut. Für mich selber, um dieses Buch zu schreiben, war es eigentlich immer ein Roman, weil es ist eine fiktive Geschichte. Die hat zwar einen wahren Kern, also ich habe das erlebt, aber um das zu erzählen, musste ich das verwandeln und musste ich auch mich und dieses "Ich" neu erfinden. Und was das Buch jetzt letztendlich für eine Gattung hat, das mögen Kritiker oder Literaturwissenschaftler entscheiden, das steht dem Autor gar nicht zu.
Bürger: Die Literaturkritikerin Daniela Strigl, die die Laudatio in Leipzig auf Sie gehalten hat, sie nennt das Buch einen erfundenen Leidensbericht oder auch eine durchlittene Erfindung. Hat Ihnen das Erfinden denn geholfen, auch das Leiden zu ertragen, vielleicht auch, die Angst vor dem Sterben im Bann zu halten?
Wagner: Ja, es ist ganz einfach so: Wenn man in so einer existenziellen Lage ist, hilft einem das Erzählen und das Erfinden, denn, Daniela Strigl hat das sehr schön gesagt, solange erzählt wird, ist man noch nicht tot. Und so ist es immer eine Lebensvergewisserung.
Bürger: Ist denn gleichzeitig mit der Entscheidung für die Lebertransplantation auch die Entscheidung für das Buch gefallen damals?
Wagner: Nein. Also da haben mich natürlich andere Sachen beschäftigt, da denkt man an so etwas nicht. Aber ein Jahr nach der Operation habe ich angefangen mit einem kurzen Bericht, weil ich mir selber, um diese wundersame Geschichte überhaupt zu verstehen, das aufschreiben wollte. Ich wollte sie mir selbst erzählen, um es zu verstehen. Weil es ist ja eine wundersame Geschichte, dass ich dieses Geschenk erhalten habe, dass mir ein Organ, ein gespendetes Organ geschenkt wurde, und dass ich nur deshalb weiterlebe. Und das ist ein Wunder, das immer bei mir bleibt, jeden Tag.
Und ich hatte diesen Bericht verfasst, der erschien im "Merkur", aber ich wusste: Ich will auch dieses Krankenhaus erzählen, dieses Zwischenreich, aus diesem sonderbaren Zustand des Dazwischen, wo die Geschichten dann in einen hineinfließen oder man sich mit denen rettet. Und das war ein sehr langer Prozess, der hat mich die letzten fünf, sechs Jahre beschäftigt, und es ist jetzt dieses Buch daraus geworden.
Bürger: Entstanden sind eben daraus diese 277 Miniaturen auf 287 Seiten, und eine dieser Miniaturen, die hören wir uns an, die Geschichte über die Leberwurst.
Sprecher: Es gibt Leberwurst zum Abendbrot, ein rundes Metalldöschen mit Foliendeckel liegt auf dem Tablett. Ausgerechnet Leberwurst. Leberwurst habe ich schon als Kind nicht gemocht. Angewidert schiebe ich die Packung zur Seite. Fünf oder sechs Tage nach einer Lebertransplantation – ist da Leberwurst nicht ein wenig rücksichtslos?
Bürger: David Wagner, haben Sie das wirklich so erlebt, oder gehört das zu den Erfindungen?
Wagner: Ich glaube, das gehört zu den Erfindungen, ehrlich gesagt.
Bürger: Gott sei Dank! Der Krankenhausalltag wird en détail regelrecht seziert in diesem Buch, ein bisschen melancholisch, aber nicht düster, sehr lakonisch, mit viel Witz, mit Ironie. Ist der Humor auch eine ihrer inneren Kraftquellen?
Wagner: Ja, also ich bin ein bisschen erstaunt, denn ich höre jetzt immer von dem Humor in dem Buch. Ich freue mich sehr darüber, aber das ist etwas, was man ja nicht planen kann während des Schreibens. Mir ist die Gabe nicht gegeben, zu wissen, wo Leute dann lachen später in Texten. Ich freue mich, dass sie es eben tun, dass man das tun kann, weil es werden ja auch dramatische Geschichten erzählt, dass es dann ein Entlastungslachen geben kann.
Aber grundsätzlich: Natürlich, sagen wir mal, eine gewisse Ironie oder eine Gebrochenheit oder eben auch Humor hilft einem, das durchzustehen, klar.
Bürger: Sie haben selbst angedeutet eben dieses Zwischenreich von Leben und Tod, in dem Sie sich befunden haben und über das Sie schreiben. Was haben Sie denn in diesem Schreibprozess über sich selbst gelernt?
Wagner: Na ja, über mich selbst – ich habe halt, ich sage mal, die Erfahrung in diese Figur, die in diesem Buch immer "ich" sagt, gelegt. Und während des Schreibens war ich natürlich dieses "Ich" oder muss man das sein, um das zu machen. Vielleicht bin ich selber, also ich, der Mensch David Wagner, der nicht der Autor ist, das weiß ich noch nicht, vielleicht bin ich mit dieser Geschichte noch gar nicht so ganz fertig, vielleicht steht da mir noch was anderes bevor. Weil da kann ich nur wieder sagen: Daran muss ich jeden Tag denken, also dass ich nur lebe, weil jemand so großzügig war oder weil Angehörige so großzügig waren, eines Verstorbenen Organe zur Verfügung zu stellen, damit andere Menschen weiterleben können. Und das ist so eine großartige Sache, für die Dankbarkeit eben ein viel zu kleines Wort ist.
Bürger: Sie stellen sich ja sehr intensiv diesem Gedanken. Was für ein Verhältnis haben Sie zu diesem imaginären Organspender, einem Mann, einer Frau, Sie wissen ja nicht, wer das war? Ist das eine Art imaginäre Beziehung, die Sie da zu einer verstorbenen Person aufgenommen haben?
Wagner: Im Buch ist es so, und in Wirklichkeit vielleicht auch, aber ich kann eigentlich nur über die Figur in dem Buch sprechen. Da im Moment, da ist dann die Grenze, also das ist auch mein Schutz vor dieser sehr intimen Geschichte, dass ich eigentlich nur erzählen kann für den Protagonisten, und ich trenne das eben doch.
Bürger: Der Schriftsteller David Wagner ist bei uns im Deutschlandradio Kultur, gestern Abend ist er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden für sein Buch "Leben", Geschichten über die Erfahrung einer, ja, auch seiner Lebertransplantation.
Ihr Buch, Herr Wagner, hat ja von den fünf nominierten für den Leipziger Buchpreis im Vorfeld am meisten Aufmerksamkeit und Lob bekommen, wenngleich es auch einige wenige sehr kritische Rezensionen gab, insbesondere die von Jens Jessen in der "Zeit". Ihn stört vor allem die Coolness der Lakonie, der Stil also, in dem Sie erzählen. Fühlen Sie sich missverstanden, wenn Ihre Lakonie als aufgesetzte Coolness gedeutet wird?
Wagner: Ach, missverstanden – ich weiß nicht. Der Text ist da, der Text ist offen, jeder muss ihn lesen, und mein Gott, es kann nicht jedem und allen gefallen. Mir war klar: Meine Sprache braucht eine gewisse Schönheit in sich. Also ich habe dieses Stilbewusstsein: Die Sprache muss etwas transportieren. Nein, ich fühle mich nicht missverstanden, kann ich nicht sagen.
Bürger: Aber so eine harte Kritik wie die von Jens Jessen, die mag einem bei solch einem Buch ja auch wie ein Tabubruch vorkommen, also es geht schließlich ja doch auch um Ihre eigene Geschichte zwischen Leben und Tod. Wir haben das ja schon bei vielen anderen Autoren erlebt, nicht zuletzt bei Christoph Schlingensief zum Beispiel, dass die jeweilige Art, wie Künstler ihre eigene Krankengeschichte zum Thema machen, dass das auch immer wieder für Kritik gesorgt hat. Haben Sie solche Vorwürfe verletzt auch, oder waren Sie dafür wirklich gewappnet?
Wagner: Na ja, also das ist ja jetzt nicht mein erstes Buch, ich habe ja schon einige geschrieben und ich würde mal sagen, das gehört zum Spiel. Da bin ich dann wirklich cool und lasse es an mir abprallen, weil ich weiß: Ich mache diesen Text, wie ich ihn machen muss. So schön ich ihn machen wollte, habe ich ihn gemacht.
Bürger: Sie schreiben an einer Stelle des Buches, dass Sie vor allem wegen Ihres Kindes weiterleben möchten. Warum erfährt man über diese Beziehung dennoch wenig?
Wagner: Ich glaube, es ist einfach so, dass dieser Mensch – das habe ich ja versucht, zu beschreiben – in diesem Limbo-Krankenhaus … Er weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat, er weiß nicht, ob er überleben wird. Dieses Außen, die ganze Außenwelt ist eben nicht mehr so wichtig da. Die tritt eben zurück. Und trotzdem gibt es dieses Kind, ja. Das ist aber fast mehr ein allgemeines Prinzip. Und ich wollte es eben aus dieser völligen, individuellen Geschichte dann doch ein Stück weit herauslösen.
Bürger: Auch das Leben mit einer Spenderleber ist begrenzt. Vor bald sieben Jahren haben Sie diese Transplantation machen lassen. Wie geht es Ihnen?
Wagner: Mir geht es sehr gut. Ich habe großes Glück gehabt, ich vertrage das sehr gut, und ich hatte die Kraft und die Möglichkeit, zu arbeiten und dieses Buch zu schreiben, und dafür bin ich sehr dankbar.
Bürger: Zwei Geschenke und nun das dritte dazu – macht das den Preis noch wertvoller, den Leipziger Buchpreis?
Wagner: Ja, also ich freue mich sehr, ich freue mich sehr über diesen Preis. Ich muss aber auch noch die anderen Nominierten erwähnen – auch tolle Bücher. Wir haben kleine Reisen, Lesereisen miteinander unternommen, und auch diese Bücher verdienen Aufmerksamkeit.
Bürger: Gestern ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse: der Schriftsteller David Wagner. Alles Gute für Sie und herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke sehr!
Bürger: "Leben" heißt das Buch von David Wagner, erschienen ist es im Rowohlt Verlag, 288 Seiten kosten 19,95 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
David Wagner überzeugt mit "Leben"
Helmut Böttiger und Eva Hesse ebenfalls ausgezeichnet (DKultur)
Zwischen Hoffnung und Todesangst
David Wagner: "Leben", Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 288 Seiten (DKultur)
Leben durch den Tod eines anderen
Autor David Wagner über seine neue Existenz mit einem Spenderorgan (DKultur)
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