In Flensburg ist der Krimi los

Die Geschichte im Buch geht so: Das große Sterben der Rumbrennereien haben nur wenige der Alteingesessenen überlebt. Die größte und berühmteste, das Spirituosenimperium Jessen, hat sich erfolgreich am Markt behaupten können. Aggressive Werbeaktionen versprechen dem Werbestar Walter einen schnellen Aufstieg. Am Ende ist er tot. Das Buch, der Krimi, spielt in Flensburg. Der Länderreport nimmt die Spur auf und sucht nach realen Hintergründen.
Achim Staugaard: "Die Flensburger Nationalhymne - für die Gaffelricker: "
Musik / So schittig und schön: "Wir fahr'n auf die See/nach Luv und nach Lee/ wohl über das Meer/fahr'n wir hin und her/ Das Schiff ist meist rott'/ und der Eigner bankrott'/ mit ne ganz große Gaffel/ und een an de Waffel/
Refr.: So schittig und schön/ so was hest noch nich seen/ so wat habt wi all lang nicht/ so schittig und schön/"
Einmal im Jahr, an Himmelfahrt, sieht es im Hafen von Flensburg wieder so aus, wie noch vor 150 Jahren: Mast an Mast liegen dann Schiffe vertäut entlang der langen Kaimauer mitten in der Stadt, historische Gaffelsegler allesamt. Galeassen und Brigantinen sind gleich dutzendfach zu bestaunen, Plattbodensegler und Haikutter, alte Lotsenboote und Kragejollen.
Ein dreitägiges Hafenfest mit einem unumstrittenen Höhepunkt: der Rum-Regatta am Sonnabend. Eine gemeinsame Ausfahrt mehr als ein verbissenes Rennen. Seit 20 Jahren erinnert die Rum-Regatta an die Blütezeit des Flensburger Rumhandels zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert. Als noch Hunderte von Segelschiffen ständig unterwegs in die Karibik waren. Um Rum zu holen, der dann in Flensburg verarbeitet wurde und weiterverkauft.
Auf den Törn hinaus in die Flensburger Förde macht sich auch die 'Jachara', ein alter Fischkutter. Früher hat er Stockfisch von den Lofoten zum norwegischen Festland transportiert. Heute steht ein Dutzend Gäste an Deck, etwas unsicher noch auf dem schwankenden Grund, aber guter Laune.
Achim Staugaard: "Herzlich willkommen auf der Jachara. Ganz kurz zum Schiff: das ist ein Schoner - heißt: hier wird der Käpt'n geschont, sonst wird niemand verschont...der Kapitän heißt Wolfgang. Und wenn ihr jemand brüllen hört, dann könnt ihr sicher sein, es ist der Kapitän, der entweder nach Edwin schreit, oder, wenn ihr es ganz laut hört, wenn es ganz dringlich ist, dann sagt er Aaachiiiiiim. Dann müsst ihr nicht erschrecken: das bin nur ich. "
Achim Staugaard gehört neben Edwin Jaabs zur Mannschaft von Kapitän Wolfgang Beyer. Der ist ein Seebär, wie er im Buche steht: Unter der wollenen blauen Mütze wehen ihm weiße Haarsträhnen in das braungebrannte Gesicht. Wie angewachsen steht er auf dem Achterdeck. Das Steuerrad in beiden Händen, bugsiert er die 'Jachara' vorsichtig hinaus in die Förde. Wortlos. Das Reden überlässt er gerne Achim, seiner rechten Hand.
Achim Staugaard: "Jetzt haben wir hier unseren Kapitän, der als großer Kapitän Schiffe von 250 Metern Länge gefahren ist über alle Ozeane. Und der hat dann gesagt: Ich will mich langsam zur Ruhe setzen. Und hat sich dann dieses Schiff gekauft. Das stand zum Verkauf an, war ziemlich vergammelt und wir haben das in gemeinschaftlicher Arbeit wieder aufgemöbelt. Dass heißt, es sind viele Hände, die hier mitwerkeln und dann aus Spaß an der Freude dann hier auch mitfahren. "
Das erste Schiff, das aus Flensburg in die Karibik fuhr, um Rum zu holen, war die 'Neptunus'. Nach abenteuerlicher Fahrt erreichte sie 1756 die kleinen Jungferninseln St. Croix, St. John und St. Thomas. Die gehörten seit 1671 zum dänischen Königreich - wie Flensburg damals auch. Die Fracht der Neptunus - Messer, Beile, Tuche und Porzellan - war für die reichen Besitzer der Zuckerrohrplantagen in der dänischen Kolonie bestimmt. Auf der Rückfahrt brachten die Flensburger Kaufleute den Rum mit. Der war ursprünglich ein Abfallprodukt der Zuckergewinnung, wegen seiner Ungenießbarkeit aber "Kill Devil", Teufelszeug genannt. Doch die lange Schiffspassage in Holzfässern machte aus dem rauen Schnaps ein angenehmes Getränk, das in Flensburg weiter veredelt wurde und der Stadt rasch den Ruf als führende Rumstadt in Europa eintrug. Hier lagen mehr Schiffe im Hafen als in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Unermüdlich pendelten sie in die Karibik, um die steigende Nachfrage nach Rum zu bedienen.
Wie es damals zuging auf den Rumfrachtern, das lässt sich auf der 'Jachara' erahnen, als mühselig und allein mit Muskelkraft nach und nach die großen blutroten Segel gesetzt werden und der Motorlärm erstirbt.
Dunkle Wolken schieben sich vor die Sonne. Ein Platzregen lässt die Gäste ins Innere des Schiffes flüchten. Die Mannschaft aber muss im Freien ausharren, mit klammen Fingern und auf rutschigen Planken Tampen festzurren und die durchnässten schweren Segel justieren. Der Wind frischt auf. Die dänische Küste auf der linken verschwindet wie die deutsche auf der rechten Seite hinter einem grauen Vorhang aus Regenschwaden. Die 'Jachara' nimmt Fahrt auf.
Achim Staugaard: "Die Welle dreht jetzt rückwärts und wird mit angetrieben. Und bei sechs Knoten, ganz genau bei 5,7, fängt die Welle an, Lärm zu machen. Dann weißt Du genau: jetzt haben wir gleich sechs Knoten - bisschen weniger als zwölf Stundenkilometer. Aber auf dem Wasser relativiert sich dass ja alles ein bisschen."
Seit 20 Jahren ist Achim Staugaard der Segelei auf Traditionsschiffen verfallen. Jede Minute, die der selbständige Ingenieur erübrigen kann, verbringt er auf der 'Jachara'.
Achim Staugaard: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Wenn Du auf ein Traditionsschiff kommst, verfluchst Du entweder die Misslichkeiten, die es hier gibt, die Unannehmlichkeiten - es ist nicht ordentlich warm und es ist im Winter dann auch richtig bitter kalt, du hast nasse Hände und nasse Klamotten und ... es gibt eben zwei Möglichkeiten: Du verfluchst es oder Du liebst es. "
Auf der Rückfahrt in Richtung Flensburg ist die Regenfront überstanden, sogar ein paar Sonnenstrahlen fingern über das noch immer vor Nässe glänzende Deck.
'Trek'- oder 'Quetschbüddel' nennt Achim Staugaard die kleine runde Ziehharmonika. Er zaubert sich aus einem schwarzen Holzkasten hervor.
Musik: "Es haben die Matrosen/von allen Spirituosen/am liebsten Rums - Fallera, Rums - Fallera, Rums - Fallera!/ am liebsten Rums - Fallera/ Rum aus Jamai-hai-ca! "
Martin Johannsen: "Jedes Jahr zur Rum-Regatta kommt praktisch ein neues Produkt raus, ein neuer Rum. "
Martin Johannsen. 41 Jahre alt, Brille, Jeans, Turnschuhe. Jüngster Spross der Firma A. H. Johannsen, ein Familienbetrieb in vierter Generation.
Martin Johannsen: "Also, der schmeckt auch jedes Jahr anders. Dieses Jahr war es halt die 26-jährige Rum-Regatta, letztes Jahr die 25-jährige. Und wir machen das jetzt, glaube ich, seit fünf Jahren...Macht immer wieder Spaß, ist aber natürlich auch ganz schön schwer, jedes Jahr was Neues zu machen. "
Aber beliebt. Vor allem beim Zweit-Platzierten der Wettfahrt. Der nämlich bekommt eine besonders große Flasche davon an Stelle eines Pokals.
Wolfgang Johannsen: "Zur 24. Rum-Regatta, da hatte ein Däne...wollte unbedingt die Drei-Liter-Flasche Rum haben. Er lag aber so weit davor, dass er das praktisch gar nicht schaffte... "
Wolfgang Johannsen, der Seniorchef bei A.H. Johannsen. 71 Jahre alt, Brille, weißer Seemannsbart.
Wolfgang Johannsen: "...daraufhin haben sie ganz schnell ein Boot zurechtgezimmert und an einem langen Stock vorweg fahren lassen. Und so wurde dieses Hauptboot damals zweiter - und dieses Miniboot wurde erster. Und so ist es auch gewertet worden! "
Der echte Flensburger Rum ist heute eine Rarität. Das Rumhaus A.H. Johannsen ist in der Marienstraße gleich hinter dem Markt zu Hause - es ist die letzte Rumfirma der Stadt.
Wolfgang Johannsen: "Die Firma M.B. Möller, die Firma Brodersen, C.C. Christiansen, Firma Wandmacher, Kiesel, Scholinus, von Hacht …"
Wolfgang Johannsen hat miterlebt, wie viele seiner Kollegen seit den 60er Jahren aufgaben, mit anderen Firmen zusammengelegt oder von großen Konzernen aufgekauft wurden.
Wolfgang Johannsen: "Nicolas Jacobsen, Ferdinand Fürst, Adolf Poulon, Stenschke, Arthur Wiese .. .ja, und die Firma C.H. Petersen, die ging zur Firma A.H. Johannsen und die Firma Matts ist zur Firma Behn gegangen, aber existiert heute auch nicht mehr darunter. "
Dabei war der Rum lange das Lebenselixier für das Wirtschaftsleben der Stadt.
Wolfgang Johannsen: "Es war ja hier in Flensburg als Rumstadt mit 27 Rumfirmen, die in einem Verein zusammengeschlossen waren, war das natürlich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Was wir heute ja nicht mehr so sehen können. 1999 sind die letzten hier weg gegangen...oder die Vorletzte, woll'n wir mal so sagen. "
Denn Wolfgang Johannsen widersetzte sich dem Trend, immer mehr zu produzieren und seine Flaschen in jedem Supermarkt zu platzieren. So blieb er von dem schleichenden aber massiven Preisverlust verschont, der vielen Konkurrenten über kurz oder lang zum Verhängnis wurde.
Was er zusammen mit seinem Sohn an überschaubaren Mengen in Flaschen abfüllt, das geht an die Gastwirte in Flensburg und Umgebung, feste Abnehmer, auf die Verlass ist. So hat es auch Anreas Heinrich Johannsen schon gehandhabt, der Großvater von Wolfgang Johannsen, der die Firma 1878 gegründet hat. Produktions- und Geschäftsräume befinden sich heute in der so genannten "Marienburg", einem mittelalterlichen Kaufmannsspeicher in der Altstadt. Der Duft von Hochprozentigem und Vanille durchweht die kühlen dunklen Lagerräume. Über Jahre reift hier die aus Jamaika importierte Rohware in riesigen alten Eichenfässern, bevor sie zu verschiedenen Rumsorten weiterverarbeitet wird.
Wolfgang Johannsen: "Ich bin auch stolz darauf, dass ich dass so geschaffen hab. Hat ne Masse Arbeit gekostet. Und viel Nerven zum Teil. Weil ich größtenteils auch selber in der Kundschaft unterwegs bin - auch heute noch. Aber es macht mir eben Spaß. Und es lohnt sich auch. Es hat sich doch alles gut bewerkstelligt. "
Alte Werbung Sonnberg-Rum: "Hier im ältesten Rum-Haus Flensburgs, das schon 1781 gegründet wurde, wird der ausgezeichnete Sonnberg-Rum hergestellt. Bis zu 10 Jahre lagert der edle Jamaika-Rum, bevor er zum Sonnberg-Rum verarbeitet wird. So erhält er die Reife und seinen milden aromatischen Geschmack... "
Sonnberg, Nissen, Pott, Möller, Klepper, Hansen, Holborn und Fürst. Was von den großen Namen und dem einst lukrativen Geschäft mit der Rumherstellung übrig ist, das findet sich heute im Keller des Flensburger Schifffahrtsmuseums, dem ehemaligen Zollspeicher, in dem der importierte Rum früher kontrolliert wurde.
Alte Werbung: "...der Sonnberg-Rum schmeckt nicht nur zum Grog und im Tee, sondern auch wunderbar pur getrunken. Und die Hausfrau nimmt ihn gerne zur Verfeinerung ihrer Speisen. Denn ob Pudding, Kuchen oder Obstsalat: Mit Sonnberg-Rum wird's delikat! "
Alte Fässer erinnern im Rum-Museum an die Blütezeit der dänischen West-Indien-Kompanie und ihren Hauptaktionär, den dänischen König. Und an die unheilvolle Vergangenheit des schwunghaften Handels mit Sklaven für die Zuckerrohrplantagen auf den Jungferninseln, der im 18. Jahrhundert mit dem atlantischen Rum-Handel eng verzahnt war. Alte Maschinen machen anschaulich, wie die Rumflaschen in Flensburg abgefüllt wurden, wie verkorkt, wie mit Etiketten versehen. Eine alte Kneipeneinrichtung kündet von der Zeit, als Rum noch zu den beliebtesten Getränken überhaupt zählte. Und eine Metallplakette der Firma Hansen Junior gemahnt an Zeiten, als der braune Seelentröster gar die Aufmerksamkeit der Staatsspitze erfuhr.
" Während seines Besuches in Schleswig-Holstein wurde dem Herrn Reichspräsidenten Paul von Hindenburg unter einer Auswahl der besten Produkte des Landes auch eine Flasche ihres Hansen-Rums überreicht. Dieselbe hat ihm vortrefflich geschmeckt. Als Zeichen seiner Anerkennung erteilt ihnen der Herr Reichspräsident die Erlaubnis, eine Rum-Sorte ihres Hauses mit seinem Namen nebst Bild oder mit der Bezeichnung "Präsident" auszuzeichnen. Berlin, August 1927, Der Reichspräsident (Präsidialkanzlei). "
Doch nicht nur das Museum hat sich der Hinterlassenschaft des Rums angenommen.
Peter Zingler: "Rum ist Vergangenheit. Und ich wollte es noch mal so in die Gegenwart rufen und versuchen, zu erzählen, warum es denn weg ist. "
Verfall und Siechtum der Rumherstellung - der riskante und letztlich vergebliche Kampf gegen die Kräfte eines weltweiten Marktes und seiner Bedingungen - das ist auch literarisch ein dankbares Thema.
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Er zerrte das zweite Fläschchen Cuba libre aus der Brusttasche, hielt es sich, im vergeblichen Bemühen, es scharf zu sehen, dicht vor die Augen und griff beim Versuch, den Drehverschluss zu packen, mehrmals vorbei. Schnaufend schaffte er es schließlich doch, setzte es an die Lippen und nahm einen Schluck. (...) Da zerriss ihm eine Schmerzattacke den Unterleib, sein Darm rumorte hörbar, ein bitterer Geschmack steig ihm in die Kehle, er würgte, wollte schreien, fühlte seinen Herzschlag außer Rand und Band, verschluckte sich, bekam keine Luft, musste wieder kotzen, und als er den blutigen Schaum auf Hemd und Hose tropfen sah, überrollte ihn die Panik in einer langen Welle. "
Weil Peter Zingler aber einen Krimi geschrieben hat, beginnt seine Geschichte mit einem dramatischen Ausrufezeichen.
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Das Fläschchen rutschte ihm aus den Fingern, fiel herunter und blieb gegen den Fuß der Bank gelehnt fast aufrecht in einem Grasbüschel stecken. Er umklammerte die Lehne und starrte verzweifelt durch die Sträucher zu den Häusern gegenüber. Den Blick auf ein erleuchtetes Fenster geheftet, ließ er den Holm los, machte zwei unsichere Schritte in Richtung Straße und schlug der Länge nach ins hohe Gras. "Hilfe", flüsterte er, "warum hilft mir den keiner?". Dann dachte er nichts mehr, sein ganzer Körper krümmte und spannte sich abwechselnd. Er spürte, wie sein Hals eng wurde, die Luft blieb aus, ihm wurde schwarz vor Augen, und die Welt versank. "
Um den brutalen Giftmord und seine Aufklärung spinnt der Autor das Schicksal einer Rumfirma zwischen Not und Größenwahn, einem traditionsreichen Familienunternehmen, das in den Fluten der Globalisierung unterzugehen droht und hofft, mit einem neuen Rum-Mix-Getränk geschäftlichen das rettende Ufer zu erreichen.
Peter Zingler: "Ich könnte auch einen Roman über die Bundeswehr geschrieben haben, die verschwindet. Oder über die Schifffahrt...Man bemüht sich, die Traditionen zu halten dort, man fährt Dampfschifffahrt und Segelschifffahrt. Alles ist aber traditionell. Und es bringt nicht wirklich was. Und als einer dieser Punkte war für mich der Rum ganz wichtig. Und den konnte ich ja dann sehr gut einbinden. Das war ja dann nachvollziebar... "
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Peter Jessen, Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär der gleichnamigen Rumdestille (..) stütze den knochigen, von einem schütteren roten Haarkranz umgebenen Schädel sorgenvoll in die Hände. (...) Als einer der letzten großen Rumfabrikanten, dessen Ahnen den weltweiten Ruf Flensburgs als Rumstadt mitbegründet hatten, fühlte sich Peter Jessen nicht nur der Tradition verpflichtet, sondern auch dem alteingesessenen Unternehmen innig verbunden, weshalb ihn der anhaltende finanzielle Engpass, in den die Firma einige Jahre zuvor geraten war, um Jahre hatte altern lassen, wie er gern behauptete. Doch dann hatte eine geniale Geschäftsidee das Ruder herumgerissen, man segelte wieder mit Rückenwind, verdiente Geld, und der Aktienkurs entwickelte sich (..) mehr als positiv. (...) Doch als vor zwei Wochen die erste Erpressernachricht eintraf, war ihm der Schrecken bis ins Mark gefahren. "
Dreizehn Romane hat Peter Zingler veröffentlicht, außerdem Erzählungen, Essays, Reportagen und Kurzgeschichten. Und unzählige Drehbücher für Film und Fernsehen. Kaum einer ist als Lieferant für realistische Kriminalstoffe so gefragt wie der 61-jährige. Allerdings erst seit Beginn seines zweiten Lebens. Im ersten saß Zingler insgesamt 12 Jahre im Gefängnis.
Peter Zingler: "In der ersten Hälfte meines Lebens war ich Einbrecher. Ich bin sehr früh, als Jugendlicher, ins Gefängnis gekommen mit 15. Und bin mit 40 rausgekommen. Und seit dem stehle ich nicht mehr und schreibe nur. Jetzt stehle ich höchstens noch Ideen von anderen. "
Drei Monate hat Zingler vor zwei Jahren als Krimistadtschreiber in Flensburg verbracht. Nicht, weil es finanziell für ihn interessant gewesen wäre. Vielmehr schwebte ihm eine Art Arbeitsurlaub im Norden vor. Und auch Nostalgie spielte eine Rolle.
Peter Zingler: "Ich hatte die Erinnerung an eine verträumte alte Hafenstadt. Mit kleinen verträumten Häuschen um den Hafen herum und irgendwie noch Seemannsromantik. So, wie es früher war! "
Dieses Flensburg aber hat Zingler nicht mehr finden können bei seinem Abstecher in den Norden.
Peter Zingler: "Es hat sich in Flensburg sehr viel verändert. Man muss mit solchen Prognosen vorsichtig sein. Aber man hat schon den Eindruck, dass Flensburg seinen Höhepunkt lange, lange hinter sich hat. Heute ist sie keine blühende Stadt mehr. Sie ist eher fast sterbend. Sie wird sich noch als Urlaubs- und Touristenziel halten können, wie viele Teile in der ehemaligen DDR auch. Wo die Grundlagen für ein wirtschaftliches Leben entzogen sind, und auch nicht mehr wiederkommen. Und das hat Flensburg schon früher erlebt. Weil die wirtschaftlichen Füße, auf denen es stand, auch schon altmodisch waren. "
Musik: " Wir fahr'n auf die See/nach Luv und nach Lee/ wohl über das Meer/fahr'n wir hin und her/ Das Schiff ist meist rott'/ und der Eigner bankrott'/ mit ne ganz große Gaffel/ und een an de Waffel/
Refr.: So schittig und schön/ so was hest noch nich seen/ so wat habt wi all lang nicht/ so schittig und schön/"
Solchen Unkenrufen zum Trotz werden die Gaffelsegler auch im kommenden Jahr wieder zur Rum-Regatta nach Flensburg kommen. Werden im Rum-Haus A.H. Johannsen Junior Martin und Senior Wolfgang wieder mit einer neuen Rum-Sorte aufwarten. Weil sie sich dem Familienunternehmen verpflichtet fühlen, gewiss. Aber auch, weil sie im Zeitalter der Globalisierung und der Massenproduktion eine Nische und mit ihrer althergebrachten Art der Rum-Herstellung wachsenden Anklang finden.
Martin Johannsen: "Die Leute sagen zu uns, die ehemaligen Produkte aus Flensburg, die jetzt woanders hergestellt werden, das ist halt nicht mehr, was es früher einmal war. Der Inhalt hat sich geändert, die Flasche hat sich geändert. Es läuft alles unter ferner liefen. Es ist praktisch - wenn man so will: zum Stiefkind geworden. Die Liebe zum Detail fehlt vielleicht. Und das merken die Flensburger. Außerdem: Aus der Region - für die Region! Das ist eigentlich der Leitspruch. Und weiter wollen wir auch eigentlich gar nicht machen. "
Musik / So schittig und schön: "Wir fahr'n auf die See/nach Luv und nach Lee/ wohl über das Meer/fahr'n wir hin und her/ Das Schiff ist meist rott'/ und der Eigner bankrott'/ mit ne ganz große Gaffel/ und een an de Waffel/
Refr.: So schittig und schön/ so was hest noch nich seen/ so wat habt wi all lang nicht/ so schittig und schön/"
Einmal im Jahr, an Himmelfahrt, sieht es im Hafen von Flensburg wieder so aus, wie noch vor 150 Jahren: Mast an Mast liegen dann Schiffe vertäut entlang der langen Kaimauer mitten in der Stadt, historische Gaffelsegler allesamt. Galeassen und Brigantinen sind gleich dutzendfach zu bestaunen, Plattbodensegler und Haikutter, alte Lotsenboote und Kragejollen.
Ein dreitägiges Hafenfest mit einem unumstrittenen Höhepunkt: der Rum-Regatta am Sonnabend. Eine gemeinsame Ausfahrt mehr als ein verbissenes Rennen. Seit 20 Jahren erinnert die Rum-Regatta an die Blütezeit des Flensburger Rumhandels zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert. Als noch Hunderte von Segelschiffen ständig unterwegs in die Karibik waren. Um Rum zu holen, der dann in Flensburg verarbeitet wurde und weiterverkauft.
Auf den Törn hinaus in die Flensburger Förde macht sich auch die 'Jachara', ein alter Fischkutter. Früher hat er Stockfisch von den Lofoten zum norwegischen Festland transportiert. Heute steht ein Dutzend Gäste an Deck, etwas unsicher noch auf dem schwankenden Grund, aber guter Laune.
Achim Staugaard: "Herzlich willkommen auf der Jachara. Ganz kurz zum Schiff: das ist ein Schoner - heißt: hier wird der Käpt'n geschont, sonst wird niemand verschont...der Kapitän heißt Wolfgang. Und wenn ihr jemand brüllen hört, dann könnt ihr sicher sein, es ist der Kapitän, der entweder nach Edwin schreit, oder, wenn ihr es ganz laut hört, wenn es ganz dringlich ist, dann sagt er Aaachiiiiiim. Dann müsst ihr nicht erschrecken: das bin nur ich. "
Achim Staugaard gehört neben Edwin Jaabs zur Mannschaft von Kapitän Wolfgang Beyer. Der ist ein Seebär, wie er im Buche steht: Unter der wollenen blauen Mütze wehen ihm weiße Haarsträhnen in das braungebrannte Gesicht. Wie angewachsen steht er auf dem Achterdeck. Das Steuerrad in beiden Händen, bugsiert er die 'Jachara' vorsichtig hinaus in die Förde. Wortlos. Das Reden überlässt er gerne Achim, seiner rechten Hand.
Achim Staugaard: "Jetzt haben wir hier unseren Kapitän, der als großer Kapitän Schiffe von 250 Metern Länge gefahren ist über alle Ozeane. Und der hat dann gesagt: Ich will mich langsam zur Ruhe setzen. Und hat sich dann dieses Schiff gekauft. Das stand zum Verkauf an, war ziemlich vergammelt und wir haben das in gemeinschaftlicher Arbeit wieder aufgemöbelt. Dass heißt, es sind viele Hände, die hier mitwerkeln und dann aus Spaß an der Freude dann hier auch mitfahren. "
Das erste Schiff, das aus Flensburg in die Karibik fuhr, um Rum zu holen, war die 'Neptunus'. Nach abenteuerlicher Fahrt erreichte sie 1756 die kleinen Jungferninseln St. Croix, St. John und St. Thomas. Die gehörten seit 1671 zum dänischen Königreich - wie Flensburg damals auch. Die Fracht der Neptunus - Messer, Beile, Tuche und Porzellan - war für die reichen Besitzer der Zuckerrohrplantagen in der dänischen Kolonie bestimmt. Auf der Rückfahrt brachten die Flensburger Kaufleute den Rum mit. Der war ursprünglich ein Abfallprodukt der Zuckergewinnung, wegen seiner Ungenießbarkeit aber "Kill Devil", Teufelszeug genannt. Doch die lange Schiffspassage in Holzfässern machte aus dem rauen Schnaps ein angenehmes Getränk, das in Flensburg weiter veredelt wurde und der Stadt rasch den Ruf als führende Rumstadt in Europa eintrug. Hier lagen mehr Schiffe im Hafen als in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Unermüdlich pendelten sie in die Karibik, um die steigende Nachfrage nach Rum zu bedienen.
Wie es damals zuging auf den Rumfrachtern, das lässt sich auf der 'Jachara' erahnen, als mühselig und allein mit Muskelkraft nach und nach die großen blutroten Segel gesetzt werden und der Motorlärm erstirbt.
Dunkle Wolken schieben sich vor die Sonne. Ein Platzregen lässt die Gäste ins Innere des Schiffes flüchten. Die Mannschaft aber muss im Freien ausharren, mit klammen Fingern und auf rutschigen Planken Tampen festzurren und die durchnässten schweren Segel justieren. Der Wind frischt auf. Die dänische Küste auf der linken verschwindet wie die deutsche auf der rechten Seite hinter einem grauen Vorhang aus Regenschwaden. Die 'Jachara' nimmt Fahrt auf.
Achim Staugaard: "Die Welle dreht jetzt rückwärts und wird mit angetrieben. Und bei sechs Knoten, ganz genau bei 5,7, fängt die Welle an, Lärm zu machen. Dann weißt Du genau: jetzt haben wir gleich sechs Knoten - bisschen weniger als zwölf Stundenkilometer. Aber auf dem Wasser relativiert sich dass ja alles ein bisschen."
Seit 20 Jahren ist Achim Staugaard der Segelei auf Traditionsschiffen verfallen. Jede Minute, die der selbständige Ingenieur erübrigen kann, verbringt er auf der 'Jachara'.
Achim Staugaard: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Wenn Du auf ein Traditionsschiff kommst, verfluchst Du entweder die Misslichkeiten, die es hier gibt, die Unannehmlichkeiten - es ist nicht ordentlich warm und es ist im Winter dann auch richtig bitter kalt, du hast nasse Hände und nasse Klamotten und ... es gibt eben zwei Möglichkeiten: Du verfluchst es oder Du liebst es. "
Auf der Rückfahrt in Richtung Flensburg ist die Regenfront überstanden, sogar ein paar Sonnenstrahlen fingern über das noch immer vor Nässe glänzende Deck.
'Trek'- oder 'Quetschbüddel' nennt Achim Staugaard die kleine runde Ziehharmonika. Er zaubert sich aus einem schwarzen Holzkasten hervor.
Musik: "Es haben die Matrosen/von allen Spirituosen/am liebsten Rums - Fallera, Rums - Fallera, Rums - Fallera!/ am liebsten Rums - Fallera/ Rum aus Jamai-hai-ca! "
Martin Johannsen: "Jedes Jahr zur Rum-Regatta kommt praktisch ein neues Produkt raus, ein neuer Rum. "
Martin Johannsen. 41 Jahre alt, Brille, Jeans, Turnschuhe. Jüngster Spross der Firma A. H. Johannsen, ein Familienbetrieb in vierter Generation.
Martin Johannsen: "Also, der schmeckt auch jedes Jahr anders. Dieses Jahr war es halt die 26-jährige Rum-Regatta, letztes Jahr die 25-jährige. Und wir machen das jetzt, glaube ich, seit fünf Jahren...Macht immer wieder Spaß, ist aber natürlich auch ganz schön schwer, jedes Jahr was Neues zu machen. "
Aber beliebt. Vor allem beim Zweit-Platzierten der Wettfahrt. Der nämlich bekommt eine besonders große Flasche davon an Stelle eines Pokals.
Wolfgang Johannsen: "Zur 24. Rum-Regatta, da hatte ein Däne...wollte unbedingt die Drei-Liter-Flasche Rum haben. Er lag aber so weit davor, dass er das praktisch gar nicht schaffte... "
Wolfgang Johannsen, der Seniorchef bei A.H. Johannsen. 71 Jahre alt, Brille, weißer Seemannsbart.
Wolfgang Johannsen: "...daraufhin haben sie ganz schnell ein Boot zurechtgezimmert und an einem langen Stock vorweg fahren lassen. Und so wurde dieses Hauptboot damals zweiter - und dieses Miniboot wurde erster. Und so ist es auch gewertet worden! "
Der echte Flensburger Rum ist heute eine Rarität. Das Rumhaus A.H. Johannsen ist in der Marienstraße gleich hinter dem Markt zu Hause - es ist die letzte Rumfirma der Stadt.
Wolfgang Johannsen: "Die Firma M.B. Möller, die Firma Brodersen, C.C. Christiansen, Firma Wandmacher, Kiesel, Scholinus, von Hacht …"
Wolfgang Johannsen hat miterlebt, wie viele seiner Kollegen seit den 60er Jahren aufgaben, mit anderen Firmen zusammengelegt oder von großen Konzernen aufgekauft wurden.
Wolfgang Johannsen: "Nicolas Jacobsen, Ferdinand Fürst, Adolf Poulon, Stenschke, Arthur Wiese .. .ja, und die Firma C.H. Petersen, die ging zur Firma A.H. Johannsen und die Firma Matts ist zur Firma Behn gegangen, aber existiert heute auch nicht mehr darunter. "
Dabei war der Rum lange das Lebenselixier für das Wirtschaftsleben der Stadt.
Wolfgang Johannsen: "Es war ja hier in Flensburg als Rumstadt mit 27 Rumfirmen, die in einem Verein zusammengeschlossen waren, war das natürlich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Was wir heute ja nicht mehr so sehen können. 1999 sind die letzten hier weg gegangen...oder die Vorletzte, woll'n wir mal so sagen. "
Denn Wolfgang Johannsen widersetzte sich dem Trend, immer mehr zu produzieren und seine Flaschen in jedem Supermarkt zu platzieren. So blieb er von dem schleichenden aber massiven Preisverlust verschont, der vielen Konkurrenten über kurz oder lang zum Verhängnis wurde.
Was er zusammen mit seinem Sohn an überschaubaren Mengen in Flaschen abfüllt, das geht an die Gastwirte in Flensburg und Umgebung, feste Abnehmer, auf die Verlass ist. So hat es auch Anreas Heinrich Johannsen schon gehandhabt, der Großvater von Wolfgang Johannsen, der die Firma 1878 gegründet hat. Produktions- und Geschäftsräume befinden sich heute in der so genannten "Marienburg", einem mittelalterlichen Kaufmannsspeicher in der Altstadt. Der Duft von Hochprozentigem und Vanille durchweht die kühlen dunklen Lagerräume. Über Jahre reift hier die aus Jamaika importierte Rohware in riesigen alten Eichenfässern, bevor sie zu verschiedenen Rumsorten weiterverarbeitet wird.
Wolfgang Johannsen: "Ich bin auch stolz darauf, dass ich dass so geschaffen hab. Hat ne Masse Arbeit gekostet. Und viel Nerven zum Teil. Weil ich größtenteils auch selber in der Kundschaft unterwegs bin - auch heute noch. Aber es macht mir eben Spaß. Und es lohnt sich auch. Es hat sich doch alles gut bewerkstelligt. "
Alte Werbung Sonnberg-Rum: "Hier im ältesten Rum-Haus Flensburgs, das schon 1781 gegründet wurde, wird der ausgezeichnete Sonnberg-Rum hergestellt. Bis zu 10 Jahre lagert der edle Jamaika-Rum, bevor er zum Sonnberg-Rum verarbeitet wird. So erhält er die Reife und seinen milden aromatischen Geschmack... "
Sonnberg, Nissen, Pott, Möller, Klepper, Hansen, Holborn und Fürst. Was von den großen Namen und dem einst lukrativen Geschäft mit der Rumherstellung übrig ist, das findet sich heute im Keller des Flensburger Schifffahrtsmuseums, dem ehemaligen Zollspeicher, in dem der importierte Rum früher kontrolliert wurde.
Alte Werbung: "...der Sonnberg-Rum schmeckt nicht nur zum Grog und im Tee, sondern auch wunderbar pur getrunken. Und die Hausfrau nimmt ihn gerne zur Verfeinerung ihrer Speisen. Denn ob Pudding, Kuchen oder Obstsalat: Mit Sonnberg-Rum wird's delikat! "
Alte Fässer erinnern im Rum-Museum an die Blütezeit der dänischen West-Indien-Kompanie und ihren Hauptaktionär, den dänischen König. Und an die unheilvolle Vergangenheit des schwunghaften Handels mit Sklaven für die Zuckerrohrplantagen auf den Jungferninseln, der im 18. Jahrhundert mit dem atlantischen Rum-Handel eng verzahnt war. Alte Maschinen machen anschaulich, wie die Rumflaschen in Flensburg abgefüllt wurden, wie verkorkt, wie mit Etiketten versehen. Eine alte Kneipeneinrichtung kündet von der Zeit, als Rum noch zu den beliebtesten Getränken überhaupt zählte. Und eine Metallplakette der Firma Hansen Junior gemahnt an Zeiten, als der braune Seelentröster gar die Aufmerksamkeit der Staatsspitze erfuhr.
" Während seines Besuches in Schleswig-Holstein wurde dem Herrn Reichspräsidenten Paul von Hindenburg unter einer Auswahl der besten Produkte des Landes auch eine Flasche ihres Hansen-Rums überreicht. Dieselbe hat ihm vortrefflich geschmeckt. Als Zeichen seiner Anerkennung erteilt ihnen der Herr Reichspräsident die Erlaubnis, eine Rum-Sorte ihres Hauses mit seinem Namen nebst Bild oder mit der Bezeichnung "Präsident" auszuzeichnen. Berlin, August 1927, Der Reichspräsident (Präsidialkanzlei). "
Doch nicht nur das Museum hat sich der Hinterlassenschaft des Rums angenommen.
Peter Zingler: "Rum ist Vergangenheit. Und ich wollte es noch mal so in die Gegenwart rufen und versuchen, zu erzählen, warum es denn weg ist. "
Verfall und Siechtum der Rumherstellung - der riskante und letztlich vergebliche Kampf gegen die Kräfte eines weltweiten Marktes und seiner Bedingungen - das ist auch literarisch ein dankbares Thema.
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Er zerrte das zweite Fläschchen Cuba libre aus der Brusttasche, hielt es sich, im vergeblichen Bemühen, es scharf zu sehen, dicht vor die Augen und griff beim Versuch, den Drehverschluss zu packen, mehrmals vorbei. Schnaufend schaffte er es schließlich doch, setzte es an die Lippen und nahm einen Schluck. (...) Da zerriss ihm eine Schmerzattacke den Unterleib, sein Darm rumorte hörbar, ein bitterer Geschmack steig ihm in die Kehle, er würgte, wollte schreien, fühlte seinen Herzschlag außer Rand und Band, verschluckte sich, bekam keine Luft, musste wieder kotzen, und als er den blutigen Schaum auf Hemd und Hose tropfen sah, überrollte ihn die Panik in einer langen Welle. "
Weil Peter Zingler aber einen Krimi geschrieben hat, beginnt seine Geschichte mit einem dramatischen Ausrufezeichen.
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Das Fläschchen rutschte ihm aus den Fingern, fiel herunter und blieb gegen den Fuß der Bank gelehnt fast aufrecht in einem Grasbüschel stecken. Er umklammerte die Lehne und starrte verzweifelt durch die Sträucher zu den Häusern gegenüber. Den Blick auf ein erleuchtetes Fenster geheftet, ließ er den Holm los, machte zwei unsichere Schritte in Richtung Straße und schlug der Länge nach ins hohe Gras. "Hilfe", flüsterte er, "warum hilft mir den keiner?". Dann dachte er nichts mehr, sein ganzer Körper krümmte und spannte sich abwechselnd. Er spürte, wie sein Hals eng wurde, die Luft blieb aus, ihm wurde schwarz vor Augen, und die Welt versank. "
Um den brutalen Giftmord und seine Aufklärung spinnt der Autor das Schicksal einer Rumfirma zwischen Not und Größenwahn, einem traditionsreichen Familienunternehmen, das in den Fluten der Globalisierung unterzugehen droht und hofft, mit einem neuen Rum-Mix-Getränk geschäftlichen das rettende Ufer zu erreichen.
Peter Zingler: "Ich könnte auch einen Roman über die Bundeswehr geschrieben haben, die verschwindet. Oder über die Schifffahrt...Man bemüht sich, die Traditionen zu halten dort, man fährt Dampfschifffahrt und Segelschifffahrt. Alles ist aber traditionell. Und es bringt nicht wirklich was. Und als einer dieser Punkte war für mich der Rum ganz wichtig. Und den konnte ich ja dann sehr gut einbinden. Das war ja dann nachvollziebar... "
Peter Zingler / Dunkelziffer: "Peter Jessen, Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär der gleichnamigen Rumdestille (..) stütze den knochigen, von einem schütteren roten Haarkranz umgebenen Schädel sorgenvoll in die Hände. (...) Als einer der letzten großen Rumfabrikanten, dessen Ahnen den weltweiten Ruf Flensburgs als Rumstadt mitbegründet hatten, fühlte sich Peter Jessen nicht nur der Tradition verpflichtet, sondern auch dem alteingesessenen Unternehmen innig verbunden, weshalb ihn der anhaltende finanzielle Engpass, in den die Firma einige Jahre zuvor geraten war, um Jahre hatte altern lassen, wie er gern behauptete. Doch dann hatte eine geniale Geschäftsidee das Ruder herumgerissen, man segelte wieder mit Rückenwind, verdiente Geld, und der Aktienkurs entwickelte sich (..) mehr als positiv. (...) Doch als vor zwei Wochen die erste Erpressernachricht eintraf, war ihm der Schrecken bis ins Mark gefahren. "
Dreizehn Romane hat Peter Zingler veröffentlicht, außerdem Erzählungen, Essays, Reportagen und Kurzgeschichten. Und unzählige Drehbücher für Film und Fernsehen. Kaum einer ist als Lieferant für realistische Kriminalstoffe so gefragt wie der 61-jährige. Allerdings erst seit Beginn seines zweiten Lebens. Im ersten saß Zingler insgesamt 12 Jahre im Gefängnis.
Peter Zingler: "In der ersten Hälfte meines Lebens war ich Einbrecher. Ich bin sehr früh, als Jugendlicher, ins Gefängnis gekommen mit 15. Und bin mit 40 rausgekommen. Und seit dem stehle ich nicht mehr und schreibe nur. Jetzt stehle ich höchstens noch Ideen von anderen. "
Drei Monate hat Zingler vor zwei Jahren als Krimistadtschreiber in Flensburg verbracht. Nicht, weil es finanziell für ihn interessant gewesen wäre. Vielmehr schwebte ihm eine Art Arbeitsurlaub im Norden vor. Und auch Nostalgie spielte eine Rolle.
Peter Zingler: "Ich hatte die Erinnerung an eine verträumte alte Hafenstadt. Mit kleinen verträumten Häuschen um den Hafen herum und irgendwie noch Seemannsromantik. So, wie es früher war! "
Dieses Flensburg aber hat Zingler nicht mehr finden können bei seinem Abstecher in den Norden.
Peter Zingler: "Es hat sich in Flensburg sehr viel verändert. Man muss mit solchen Prognosen vorsichtig sein. Aber man hat schon den Eindruck, dass Flensburg seinen Höhepunkt lange, lange hinter sich hat. Heute ist sie keine blühende Stadt mehr. Sie ist eher fast sterbend. Sie wird sich noch als Urlaubs- und Touristenziel halten können, wie viele Teile in der ehemaligen DDR auch. Wo die Grundlagen für ein wirtschaftliches Leben entzogen sind, und auch nicht mehr wiederkommen. Und das hat Flensburg schon früher erlebt. Weil die wirtschaftlichen Füße, auf denen es stand, auch schon altmodisch waren. "
Musik: " Wir fahr'n auf die See/nach Luv und nach Lee/ wohl über das Meer/fahr'n wir hin und her/ Das Schiff ist meist rott'/ und der Eigner bankrott'/ mit ne ganz große Gaffel/ und een an de Waffel/
Refr.: So schittig und schön/ so was hest noch nich seen/ so wat habt wi all lang nicht/ so schittig und schön/"
Solchen Unkenrufen zum Trotz werden die Gaffelsegler auch im kommenden Jahr wieder zur Rum-Regatta nach Flensburg kommen. Werden im Rum-Haus A.H. Johannsen Junior Martin und Senior Wolfgang wieder mit einer neuen Rum-Sorte aufwarten. Weil sie sich dem Familienunternehmen verpflichtet fühlen, gewiss. Aber auch, weil sie im Zeitalter der Globalisierung und der Massenproduktion eine Nische und mit ihrer althergebrachten Art der Rum-Herstellung wachsenden Anklang finden.
Martin Johannsen: "Die Leute sagen zu uns, die ehemaligen Produkte aus Flensburg, die jetzt woanders hergestellt werden, das ist halt nicht mehr, was es früher einmal war. Der Inhalt hat sich geändert, die Flasche hat sich geändert. Es läuft alles unter ferner liefen. Es ist praktisch - wenn man so will: zum Stiefkind geworden. Die Liebe zum Detail fehlt vielleicht. Und das merken die Flensburger. Außerdem: Aus der Region - für die Region! Das ist eigentlich der Leitspruch. Und weiter wollen wir auch eigentlich gar nicht machen. "