Eine neue "Aufseher-Industrie" entsteht
Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank verändert Frankfurt am Main. Die neuen Strukturen ziehen neue Banken an - und weitere Finanzunternehmen.
Die Münchener Straße - ein knapper Kilometer weiter südwestlich. In der Mittagszeit sitzen viele Banker in dunklen Anzügen draußen an den Holztischen vor den Döner- oder Fischrestaurants. Eine belebte Multi-Kulti-Ecke. Bei einer jungen Punkerin, gleich nebenan, kann man sich schnell mal seine Schuhe reparieren lassen:
"Wir haben die Banker, wir haben die Obdachlosen, die mal einen Druckknopf für ihren Brustbeutel brauchen, wir haben alles. Hausfrauen, Muttis - alles."
Für die Banker ist das bunte Treiben auf der Münchener Straße eine willkommene Abwechslung zu der Arbeit in den Hochhäusern ganz in der Nähe. Die Münchener Straße verläuft vom Hauptbahnhof Frankfurt am Main bis zum Willy Brandt-Platz. Dort steht, gleich neben dem Theater, das alte Hochhaus der Europäischen Zentralbank, der "Eurotower". Trotz des Neubaus nutzt die EZB das Gebäude weiter.
Seit Neustem arbeiten hier rund 1000 Bankenaufseher des sogenannten "einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus". In mehrköpfigen Teams sollen sie täglich rund 120 sogenannte "systemrelevante Banken" der Eurozone überwachen und wollen deshalb keine Interviews mehr geben. Also steige ich aufs Fahrrad und mache einen Abstecher auf den Campus Westend der Frankfurter Goethe-Universität, wo ich mit Professor Jan Krahnen verabredet bin.
Öffentlichkeit verschärft die Probleme noch
Über dem Eingang zu dem neuen und ziemlich schicken Institutsgebäude steht "House of Finance" Dort treffe ich den 60 Jahre alten Experten, der sich seit Jahren Gedanken über die neue Sicherheitsarchitektur des europäischen Bankensektors macht. Professor Krahnen hat die Bundesregierung und die EU-Kommission beraten und leitet heute an der Universität das Exzellenz-Forschungszentrum SAFE - die Abkürzung für " Sustainable Architecture for Finance in Europe" - also ein Zentrum für nachhaltige Finanzarchitektur in Europa. Schon die nationale Bankenaufsicht sei sehr öffentlichkeitsscheu gewesen. Und warum scheuen sie das Licht der Öffentlichkeit, will ich wissen:
"Das hat viel damit zu tun, dass die Öffentlichkeit, die Kunden, die Märkte genau hinschauen, wo die Aufsicht meint, dass dort gerade besondere Probleme herrschen. Und wenn ein Problem erst einmal publik wird in dieser Branche, dann verschärft es sich im Grunde selbst. Man möchte die selbst-verschärfende Problemstellung durch das Reden über Aufsicht so klein wie möglich halten, also ist die Aufsicht schon als Berufsethos sehr verschwiegen und sie wirkt eher darüber, wie sie dem Management von Instituten gewisse Vorschriften macht als das sie an die Presse tritt und sagt: Die Bank X oder Y, die hat aber ein dickes Problem, oh je, oh je."
Jan Krahnen ist gewissermaßen der wissenschaftliche Aufseher der Bankenaufseher der EZB. Ein forschender Oberaufseher, könnte man auch sagen. Ein Mann, der sich wissenschaftlich mit den Ursachen und Wirkungen der Finanzkrise und einer nachhaltigen Architektur der Finanzmärkte beschäftigt. Jedenfalls soll die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems in der Eurozone mit der neuen Aufsichtsarchitektur verbessert werden, damit nicht noch einmal einzelne Banken das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen. Das ist das Ziel. Mit regelmäßigen Krisentests will man herausfinden, ob Banken auch unter widrigen Umständen ausreichend Kapital haben, um ihr Geschäft fortzuführen.
"Man hat im Grunde in Europa eine komplett neue Aufsichtsarchitektur geschaffen. Man kann sie jetzt gerade beim Aufbau gewissermaßen "live" beobachten. Und das schöne für uns, die wir hier aus Frankfurt heraus Forschung betreiben ist, dass ein Großteil dieser Architektur genau hier in Frankfurt entsteht."
Bankenaufsicht zieht Unternehmensberater und Consulting-Firmen an
Für ihre Bankenaufsicht hat die EZB Fachleute aus ganz Europa angeworben. Seit November 2014 haben sie den Dienst in Frankfurt aufgenommen. Das verändert die Stadt enorm, beobachtet Jan Krahnen:
"Wir sind ja schon eine Weile unterwegs hier in Frankfurt eine europäischen Stadt zu werden, vielleicht eine der europäischsten Städte überhaupt in Europa. Und da spielen diese Institutionen, die auf einen besonderen Proporz ihrer Mitarbeiter nach Nationen achten, eine besondere Rolle."
Die Esslokale werden voller. Denn immer mehr Banken, die bisher hier noch keine Dependance hatten, lassen sich in der Stadt nieder. Die neue Bankenaufsicht der EZB ist der Grund dafür. Aber nicht nur Banker, auch Wirtschaftsprüfer und IT-Spezialisten aus ganz Europa drängen nach Frankfurt am Main. Um die EZB-Banken-Aufseher entsteht eine neue, machtvolle "Aufseher-Industrie", beobachtet Jan Krahnen:
"Sehr viel, was im Bereich Unternehmensberatung und Consulting liegt, konzentriert sich zunehmend mehr hier in Frankfurt. Die Wissenschaft über Finanzmärkte, über Banken und deren Abhängigkeit voneinander und die Daten dazu konzentriert sich hier in Frankfurt. Wir haben seit wenigen Jahren eine eigene Aufsicht, die sich mit systemischen Risiken, also Gesamtfinanz-Systemrisiken beschäftigt. Die dafür geschaffene Behörde sitzt hier in Frankfurt, auch der EZB angegliedert."
Ich fahre zurück vom Uni-Campus in das Bankenviertel. Hinter den Fassaden der Hochhäuser stelle ich mir überall Frauen in grauen Kostümen und Krawattenmänner vor, die ihre Computer mit unendlichen Datenmengen über Banken füllen, um sie zu überwachen. Kann es wirklich sein, dass die Zukunft nicht mehr abgezockten oder gar kriminellen Finanzjongleuren gehört? Ich zweifle.
Dann höre ich tatsächlich, dass es im Gallus, einem ehemaligen Industrieviertel der Stadt, ganz neue, wilde Akteure im Kreditgeschäft geben soll, die nicht einmal unter die Finanzaufsicht fallen. Kann es sein, dass während die systemrelevanten Banken im Frankfurter Stadtzentrum stärker kontrolliert werden, an der Peripherie der Finanzmetropole der internationale Kapitalmarkt schon wieder neue Blüten treibt?