In Freiheit und ohne Furcht

Von Christian Linder |
Die Bücher "Alexis Sorbas" und "Die letzte Versuchung Christi" haben den griechischen Schriftsteller Nikos Kazantzakis weltberühmt gemacht. Literatur war für ihn ein Versuch, sich von ideologischen Vorurteilen frei zu machen und das Leben angstlos zu betrachten.
Die Musik kennt wohl jeder, und jeder sieht auch sofort die Bilder, die sie herbeizitiert: Griechenland, Kreta. Ein englischer Schriftsteller, der verlernt hat, seine Gefühle in seiner Arbeit zu befragen, so als seien seine inneren Bedürfnisse verstummt und verschüttet, möchte sein Leben ändern und drängt in die reale Wirklichkeit, indem er eine verlassene und halb ruinierte Kohlemine wieder in Stand zu setzen versucht. Ein Grieche hilft ihm, Alexis Sorbas, der den Gegenentwurf zur Existenz des Schriftstellers lebt. Ein Mann ohne jede Bildung, der aber etwas Wichtiges weiß, dass das Leben nicht nur ein intellektuelles Abenteuer ist, sondern voller Leidenschaften , voller Aufs und Abs. Dieser Alexis Sorbas hat an den Freiheitskriegen gegen die Türken teilgenommen und stellt ganz andere Fragen an die Welt und die Wirklichkeit:

"Für den Triumph der Freiheit in der Welt sind Mord und Totschlag nötig. Wenn ich dir nämlich alle Schandtaten aufzählen wollte, die wir damals begingen, würden dir die Haare zu Berge stehen. Und doch, was war das Resultat? Die Freiheit! Anstatt dass der liebe Gott seinen Blitzstrahl gegen uns schleuderte, schenkte er uns die Freiheit. Das kann ich nicht kapieren."

Der Roman "Alexis Sorbas", in den 60er Jahren durch die Verfilmung von Michalis Kakogiannis mit Anthony Quinn in der Hauptrolle weltberühmt geworden, ist 1946 erschienen. Sein Autor, der 1883 in Heraklion auf Kreta geborene Schriftsteller Nikos Kazantzakis, arbeitete damals in Paris für die UNESCO. Der Stoff des Buchs transportierte viele autobiografische Erfahrungen eines europäischen Intellektuellen, eines Lebens zwischen hoher Selbstreflexion und aktivem Beteiligtsein am historischen Weltgeschehen. Nach dem Jurastudium in Athen war Kazantzakis zunächst nach Paris gegangen und hatte sich durch ein Philosophiestudium am Collège de France (unter anderem bei Henri Bergson) eine umfassende Bildung erarbeitet. Das Schreiben war ein früher Lebenswunsch - noch in Griechenland, 1907, war unter dem Titel " Der Tag bricht an" sein erster Roman erschienen. Diesen "neuen Tag" wollte Kazantzakis vor allem auf Reisen durch Europa erleben: Er berichtete als Reporter über den spanischen Bürgerkrieg und reiste immer wieder nach Deutschland. Dieses Land liebte er, vor allem seine Literatur, Goethe zum Beispiel, den er übersetzte. 1954, anlässlich der Uraufführung seines Theaterstücks "Feuer über Sodom" in Mannheim, erinnerte sich Kazantzakis:

"Ich war vor vielen Jahren in Deutschland und studierte, 1921, '23 in Berlin Jura, und ich habe Deutschland bereist und Museen, Kathedralen, Menschen bewundert."

Kazantzakis wurde lange genährt von seiner Sympathie für den Kommunismus, und dieses linke Engagement trieb ihn zeitweilig auch direkt in die Politik.

"Ich war ein Küfer, ein Anwalt der Katharévousa, ein Nationalist, ein Anwalt der Dimotikí, ein Intellektueller, ein Poet, ein religiöser Fanatiker, ein Atheist, ein Ästhet - und nichts davon kann mich je wieder täuschen."

Statt Antworten zu finden, wie man überleben könnte, versuchte Kazantzakis nun erst einmal die richtigen Fragen zu stellen, indem er sich auf individuelle Lebensläufe einließ, zum Beispiel den des Jesus Christus, dessen "letzte Versuchung" er 1951 in einem Roman beschrieb. Es war der Mensch, der ihn interessierte, doch das Bild, das er entwarf, gefiel dem damaligen Papst so wenig, dass er den Roman auf die Liste der verbotenen Bücher setzen ließ - für die Verbreitung des Buchs natürlich ein Segen. Neben "Alexis Sorbas" ist "Die letzte Versuchung Christi" bis heute Kazantzakis' bekanntestes Buch, das in den späten 80er Jahren, wieder durch eine Verfilmung, diesmal von Martin Scorsese, einen zweiten Ruhm erlebte. Kazantzakis schrieb viel und Verschiedenartiges, neben Romanen und Theaterstücken auch Essays, Gedichte und autobiografische Texte: Literatur als Versuch, sich von ideologischen Vorurteilen frei zu machen und das Leben angstlos zu betrachten als einen elementaren und komplexen Vorgang:

"Gebt acht auf die Tiere, auf die Rinder, / auf die Schafe, auf die Esel; / glaubt mir, sie haben auch eine Seele, / sind auch Menschen, / nur dass sie ein Fell tragen und / nicht sprechen können; / frühere Menschen sind es, / gebt ihnen zu essen; / gebt acht auf die Olivenbäume / und die Weinfelder, / auch sie waren früher Menschen, / aber viel, viel früher, und / haben kein Erinnerungsvermögen mehr; / doch der Mensch hat es, und / daher ist er Mensch."

Gestorben ist Nikos Kazantzakis am 26. Oktober 1957 auf Reisen, in Deutschland, in Freiburg im Breisgau. Begraben liegt er in seiner Heimat, auf Kreta. Der Grabstein trägt die Inschrift:

"Ich (er)hoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei."