In hiesige Umlaufbahnen zurück
Er ist einer der bedeutendsten italienischen Schriftsteller und wäre in diesem Jahr 90 geworden: Italo Calvino. Anlässlich seines zehnten Todestages haben Luca Baranelli und Ernesto Ferrero eine ihm gebührende Biografie anhand von Textauszügen, Briefen und vielen Fotos verfasst.
Ein Krater auf dem Merkur und ein Asteroid sind nach ihm benannt – im Sonnensystem deutscher Literaturdebatten dagegen hat Italo Calvino nie Platz auf den lichtstarken Bahnen bekommen. Kuba erklärt das Jahr 2013 zum "Italo-Calvino-Jahr" – auf dem deutschsprachigen Markt erscheint gerade 'mal das Album Calvino, das Luca Baranelli und Ernesto Ferrero 1995, zum zehnten Todestag, veröffentlicht hatten. - 'Jetzt endlich!' möchte man stoßseufzen, auch weil man ahnt: Womöglich liegt's nur am Dezimalsystem. Am 15. Oktober 2013 wäre Calvinos neunzigster Geburtstag.
Dabei gehört er zu den Schriftstellern, die das ästhetische Spielfeld am weitesten gedehnt haben, im 20. Jahrhundert und darüber hinaus: nachhaltig, heißt das heute. Und global. Calvino hat zwischen 1945 und 1985 nicht nur die Sphäre neu vermessen, in der Politik und Naturwissenschaften und Literatur, Film, Theater eine Schnittmenge bilden. Er war selbst diese Schnittmenge und hat am eigenen Leib erfahren, wie dynamisch die drei Einzelgebiete sich mit- und gegeneinander bewegen, ineinander verhaken oder aneinander vorbeiziehen.
Als Sohn einer sardischen Biologin und eines ligurischen Agronomen, die gerade in Kuba forschten, als er zur Welt kam; als junger Partisan, der in einer der letzten grausamen Schlachten kämpfte, dann in die KPI eintrat und deren Zeitungen füllte und gleichzeitig in Turin über Joseph Conrad promovierte und ins Magnetfeld der seinerzeit aufregendsten Literaturszene geriet: in den Verlag Einaudi. Ermutigt von Cesare Pavese fing er selbst an, Prosa zu schreiben.
Baranelli und Ferrero, Calvino-Kenner und Anfang der 60er Jahre auch seine Kollegen bei Einaudi, halten sich an Calvinos nur halb ironisches Verdikt: Chronologisches über Schriftsteller sei uninteressant, und er werde von sich keine oder immer wieder andere falsche Daten liefern. Sie rekonstruieren vielmehr die innere Dynamik seines Denkens, Handelns, Lebens, seiner Reisen und seiner Werke. Und sie tun das – mit kurzen eigenen Einschüben – anhand von Textauszügen, Briefen, unveröffentlichten Fragmenten, Notizen und vor allem vielen Fotos, die seine Witwe Esther "Chichita" Singer zur Verfügung gestellt hat.
Herausgekommen ist die intellektuelle Biografie eines in jedem Sinn freien Schriftstellers, unbegabt für Dogmen jeder Art. Als die KPI auf Sowjetkurs geht, steigt er aus. Als ihm der Neorealismus zu eng wird, entdeckt er Fabeln und Volksmärchen, experimentelle Literatur, macht aus naturwissenschaftlichem Stoff bis hin zu Kybernetik und Kosmologie fantastische Prosa, sprengt mit Die unsichtbaren Städte alle Gattungsgrenzen auf einmal. Ein Zeit-Genosse und Welt-Genosse gleichermaßen, der gerade an Poetik-Vorlesungen Six Memories for the next Millenium für Harvard arbeitet, als sein Hirn einen tödlichen Schlag bekommt. Auch die Poetik wird postum zum Bestseller - anderswo.
Was für ein faszinierender Schreiber, was für eine schöne Hommage. Man kann nur hoffen, dass dieses Album etwas "Calvinismus" in hiesige Umlaufbahnen (zurück)holt.
Besprochen von Pieke Biermann
Dabei gehört er zu den Schriftstellern, die das ästhetische Spielfeld am weitesten gedehnt haben, im 20. Jahrhundert und darüber hinaus: nachhaltig, heißt das heute. Und global. Calvino hat zwischen 1945 und 1985 nicht nur die Sphäre neu vermessen, in der Politik und Naturwissenschaften und Literatur, Film, Theater eine Schnittmenge bilden. Er war selbst diese Schnittmenge und hat am eigenen Leib erfahren, wie dynamisch die drei Einzelgebiete sich mit- und gegeneinander bewegen, ineinander verhaken oder aneinander vorbeiziehen.
Als Sohn einer sardischen Biologin und eines ligurischen Agronomen, die gerade in Kuba forschten, als er zur Welt kam; als junger Partisan, der in einer der letzten grausamen Schlachten kämpfte, dann in die KPI eintrat und deren Zeitungen füllte und gleichzeitig in Turin über Joseph Conrad promovierte und ins Magnetfeld der seinerzeit aufregendsten Literaturszene geriet: in den Verlag Einaudi. Ermutigt von Cesare Pavese fing er selbst an, Prosa zu schreiben.
Baranelli und Ferrero, Calvino-Kenner und Anfang der 60er Jahre auch seine Kollegen bei Einaudi, halten sich an Calvinos nur halb ironisches Verdikt: Chronologisches über Schriftsteller sei uninteressant, und er werde von sich keine oder immer wieder andere falsche Daten liefern. Sie rekonstruieren vielmehr die innere Dynamik seines Denkens, Handelns, Lebens, seiner Reisen und seiner Werke. Und sie tun das – mit kurzen eigenen Einschüben – anhand von Textauszügen, Briefen, unveröffentlichten Fragmenten, Notizen und vor allem vielen Fotos, die seine Witwe Esther "Chichita" Singer zur Verfügung gestellt hat.
Herausgekommen ist die intellektuelle Biografie eines in jedem Sinn freien Schriftstellers, unbegabt für Dogmen jeder Art. Als die KPI auf Sowjetkurs geht, steigt er aus. Als ihm der Neorealismus zu eng wird, entdeckt er Fabeln und Volksmärchen, experimentelle Literatur, macht aus naturwissenschaftlichem Stoff bis hin zu Kybernetik und Kosmologie fantastische Prosa, sprengt mit Die unsichtbaren Städte alle Gattungsgrenzen auf einmal. Ein Zeit-Genosse und Welt-Genosse gleichermaßen, der gerade an Poetik-Vorlesungen Six Memories for the next Millenium für Harvard arbeitet, als sein Hirn einen tödlichen Schlag bekommt. Auch die Poetik wird postum zum Bestseller - anderswo.
Was für ein faszinierender Schreiber, was für eine schöne Hommage. Man kann nur hoffen, dass dieses Album etwas "Calvinismus" in hiesige Umlaufbahnen (zurück)holt.
Besprochen von Pieke Biermann
Luca Baranelli, Ernesto Ferrero: Album Calvino
Aus dem Italienischen von Andreas Löhrer
Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2013
366 Seiten, 19,99 Euro
Aus dem Italienischen von Andreas Löhrer
Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2013
366 Seiten, 19,99 Euro