In Leonardos Werkstatt

Von Thomas Migge |
Leonardo da Vinci wird entweder nur als Künstler oder als Erfinder gesehen. Eine Ausstellung in Florenz zeigt jetzt, dass da Vinci immer beides zugleich war. Gemälde stehen hier neben Konstruktionsplänen, 3-D-Simulationen lassen die Maschinenentwürfe Leonardos Wirklichkeit werden. Es ist gleichsam ein virtueller Besuch in der Werkstatt des Meisters.
Es fährt. Von ganz allein. Nicht schneller als 10 Stundenkilometer, aber immerhin. Das hölzerne Fahrzeug, das sich durch den Mechanismus einer aufgezogenen Feder vorwärts bewegt und eigentümliche Geräusche von sich gibt, trägt einen Rammbalken, ebenfalls aus Holz, zehn Meter dick und fast einen Meter breit. Das Fahrzeug kann auf ein geschlossenes Tor zufahren und es rammen.

Das war die Intention seines Erfinders, der nicht nur Madonnen und Heilige malte, sondern auch Kriegsmaschinen entwarf: die erste Pistole, einen Apparat für Fallschirmspringer, einen Hubschrauber und das erste Maschinengewehr. So gut wie keine dieser Erfindungen sind jemals realisiert worden, weiß Antonio Paolucci, Superintendent der florentiner Kunstgüter und Mit-Kurator der Leonardo-Ausstellung:

"Mit diesen von Leonardo entworfenen Kriegsmaschinen wurde zwar Propaganda betrieben, man drohte seinen Feinden sie zu realisieren und dann auch einzusetzen, doch daraus wurde nie etwas, weil die Fürsten, für die der Renaissancekünstler arbeitete, nicht so recht an deren Wirksamkeit glaubten. Heute hingegen wissen wir, dass viele dieser Erfindungen nutzbar sind. Damals verstand man noch nicht, dass Leonardo der vielleicht erste moderne europäische Mensch war"

Zu modern für seine Zeitgenossen, um komplett verstanden zu werden. Auch heute noch wird Leonardo da Vinci entweder nur als Erfinder oder nur als Künstler betrachtet. Zum ersten Mal überhaupt wurde deshalb, in den Uffizien in Florenz, eine Ausstellung organisiert, die den Menschen Leonardo in seiner Komplexität vorstellt. Einen Renaissancemenschen, der Zeit seines Lebens - und das wird den Ausstellungsbesuchern gleich in der Sektion deutlich gemacht - das Schaffen von Kunst als relativ unwichtige Beschäftigung bezeichnete. Unwichtig im Gegensatz zum Erfinden und zur wissenschaftlichen Untersuchung der Welt, der Natur, des Menschen und seines Körpers.

Antonio Paolucci: "Für ihn war die Welt kein starres Gebilde, sondern ein Objekt zum Erforschen. So stellt unsere Ausstellung Gemälde und Maschinen direkt nebeneinander, denn wenn Leonardo ein Gemälde schuf, wie zum Beispiel die hier zu sehenden 'Anbetung der heiligen drei Könige', dann benutzte er dafür Maltechniken, die er zuvor studiert und ausprobiert hatte. Er malte nicht nur, sondern experimentierte auch als bildender Künstler. Leonardo entdeckte bei seinen Forschungen auch entsetzliche Dinge."

So beschäftigte er sich mit der menschlichen Lust am Töten, die er in seinen - auch in Florenz ausgestellten - Schriften heftig kritisierte. Und doch schuf er Kriegsmaschinen; aus, wie er schrieb, seiner unbändigen Lust am Experimentieren. Das Besondere an der vom Europarat mitgeförderten Ausstellung ist das ständige Nebeneinander von Kunst und Wissenschaft.

Zum ersten Mal überhaupt wird versucht - in einer Art virtuellem Besuch in der Werkstatt Leonardos - zu verdeutlichen, dass dieser Mann das eine ohne das andere nicht leben konnte. Dass jede Form der Kunst, wie die Malerei beispielsweise, nur dann für ihn einen Sinn ergab, wenn sie der Wahrheit nachspürte, einer, wie es im 20. Jahrhundert der Philosoph Karl Popper nannte, intersubjektiven Wahrheit, die nicht als endgültige Erklärung der Welt daherkommt, sondern nur als ein Erklärungsversuch.

Darin war Leonardo da Vinci das genaue Gegenteil von seinem Zeitgenossen Michelangelo Buonarotti, der Kunst nur als Ausdruck des individuellen Genies verstand und als Möglichkeit, möglichst viel Geld zu machen - wie die in diesen Tagen bei Siedler erschienene neue Biografie Michelangelos von dem italienischen Kunsthistoriker Antonio Forcellino deutlich macht.

In den einzelnen Sektionen werden dutzende von Originalzeichnungen und -schriften Leonardos seinen Gemälden gegenübergestellt. Neben diesen eher klassischen Ausstellungsobjekten fasziniert die Leonardo-Schau auch durch den ungewohnten Einsatz modernster elektronischer Hilfsmittel, erklärt Antonio Paolucci:

"Leonardo war jemand, der sich, wenn es sie nicht gab, vollkommen neue technische Gerät erschuf. Und so kann der Ausstellungsbesucher mit Hilfe von Computertechnologien und von 3-D-Simulationen in die Welt der Erfindungen Leonardos eintauchen und nachvollziehen, welchen Eindruck diese neuen Gegenstände auf den Erfinder gemacht haben müssen."

Diese elektronische Seite der Ausstellung in den Uffizien ist so konzipiert, dass sie vor allem junge Menschen für Leonardos Schaffen interessiert. Dass sie begreifen, dass dieses Renaissancegenie nicht nur ein herausragender Künstler war, sondern ein Mensch, der seine Welt analysierte und aufgrund der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse Maschinen erfand - die in vielen Fällen erst Jahrhunderte später realisiert wurden.