Identitätsdiebstahl und die Folgen
817,82 Euro soll unser Autor Julius Stucke zahlen - für ein Möbelstück, das er nie bestellt hat. Schnell wird klar: Jemand hat sich seine Identität zu eigen gemacht. Eine Spurensuche nach den Tätern.
Georg Borges: "Es ist so, dass Identitäten umfangreich ausgeplündert werden. Und wenn man von einer Industrie der Internetkriminalität spricht – so ist es auch keine Übertreibung. Es gibt Einzelfälle, es gibt Kleingruppen – es gibt aber auch Mafiaähnlich organisierte Syndikate, die arbeiten."
Nelson Holzner: "Letztlich müssen wir als Anbieter die Auswahl treffen bei den Kunden. Das heißt, wir kriegen ein Signal, der Kunde möchte beispielsweise eine Schrankwand kaufen für 2000 Euro und wir müssen dann entscheiden: glauben wir daran, dass der Kunde die Ware auch bezahlen wird. Das ist sehr weitgehend automatisiert und basiert letztlich auf einem ganz kleinen Datenset. Das ist der Name und die Adresse in der Regel. Hin und wieder sammeln Händler auch noch Geburtsdaten beispielsweise ein."
Georg Borges: "Wenn man etwas ganz wertvolles wie einen Ausweis hat – das ist natürlich aus Sicht des Betroffenen der absolute Gau und der Hauptgewinn aus Sicht des Täters. Der wird dann nicht nur einmal genutzt – der wird multipel genutzt. Mit einem Ausweis kann man sich neue Handyverträge besorgen, man kann sich ein Bankkonto besorgen, man kann die dollsten Dinge machen. Und das führt dann zu solchen Situationen, wo man monatelang hinterher ist, bis das wieder weg ist."
Carsten Szymanski: "Unglaublich viel Lauferei und Schererei. Also mein tiefstes Bedauern all denen, die da betroffen sind (…) im Prinzip ist es so, dass jeder, dessen Identität verwendet ist erst mal die Ansprüche von sich weisen muss, muss viel erklären, Schriftverkehr machen, und wenn er der Mahnung nicht widerspricht, dann wird’s am Ende rechtskräftig, dann hat man richtig ein Problem."
Teil 1: Sitzecke Rumba in meinem Namen
Nicht unbedingt mein Geschmack – aber so schlecht sieht sie nicht aus! Die Sitzecke "Rumba". Webstoff und Kunstleder, Grau und Schwarz. Inklusive: zwei Ottomanen. Exklusive Versand: 599 Euro.
"Die großzügige Wohnlandschaft bietet Ihnen jede Menge Raum und Komfort zum Entspannen. Auf diesem Sofa können Sie es sich auch mit Ihrer ganzen Familie oder Ihren Freunden bequem machen, denn hier herrscht sicher kein Platzproblem."
Das Problem: Ich kann es mir mit meiner Familie nicht auf Rumba bequem machen. Rumba steht nicht bei mir zu Hause. Und an "Entspannen" denke ich gerade auch nicht. Denn irgendwer hat Rumba gekauft – in meinem Namen. Und ich soll jetzt dafür zahlen.
Die erste Zahlungsaufforderung – den ersten Brief – öffne ich im Sommer 2014 beim Frühstück. Eine Hamburger Anwaltskanzlei schreibt mir. Mein Kaffee ist schon nach dem Lesen des Briefkopfs kalt. 20 Namen stehen da und flößen Respekt ein. Verwundert lese ich zweimal, dreimal…
"Sehr geehrter Herr Stucke (…)
Unsere Mandantin hat uns mitgeteilt, dass Sie noch einen fälligen Betrag in Höhe von EUR 664,99 schulden (…)
Wir fordern Sie (…) auf, die Gesamtforderung (…) auf unser unten angegebenes Konto einzuzahlen (…)
Die Forderung gegebenenfalls auch auf gerichtlichem Wege geltend zu machen (…)"
Mit Mahngebühren und Anwaltskosten beläuft sich die Gesamtforderung auf mehr als 800 Euro. Angeblich wurde ich bereits mehrfach gemahnt – unter einer Mailadresse, die nicht im Geringsten nach meinem Namen klingt – und die auch nicht meine Mailadresse ist. Ist das ein Scherz? Der Versuch der Abzocke? Muss ich zahlen?
Nein, zahlen muss ich nicht. Aber einfach ignorieren geht auch nicht. Ich übergebe die Sache an einen Anwalt. Aber damit lässt mich die Sache nicht los. Jemand hat meinen Namen, meine Identität genutzt, um sich ein Sitzmöbel zu erschleichen. Und dabei wird es nicht bleiben.
Teil 2: Die Namen des Betrugs
Das Internet kann viel sein – auch ein Tatmittel: Cybercrime. Kinderpornographie, Urheberrechtsverletzungen, Betrug, Mobbing und mehr. Es schwirren eine Menge Namen durchs Netz. Was meinen Fall angeht, stoße ich vor allem auf zwei: Identitätsdiebstahl und Identitätsmissbrauch.
"Also ich hab vor ungefähr zehn Jahren versucht mal eine Unterscheidung einzuführen. Früher hat man immer Identitätsdiebstahl gesagt und eigentlich alles gemeint, was man mit fremden Identitäten tut…. "
Sagt Georg Borges, Leiter des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes.
"Wenn man das unterscheidet, dann ist Identitätsdiebstahl, dass man sich die Identität – also Name, Anschrift, Kontonummer – von einem anderen beschafft. Und Identitätsmissbrauch, dass man diese Daten missbraucht, sich also als jemand anderes ausgibt."
Identitätsdiebstahl und Missbrauch sind rechtliche Kategorien, sagt Borges. Aber keine Straftatbestände.
"Beim Identitätsmissbrauch liegt sehr häufig ein Betrug vor. Immer dann, wenn zum Beispiel jemand in ihrem Namen einkauft oder eine Überweisung tätigt."
Vor zehn Jahren hat Borges die "Arbeitsgruppe Identitätsschutz im Internet" an der Ruhr-Universität Bochum gegründet. Damals gab es die ersten großen Phishingwellen im Onlinebanking in Deutschland. Damals noch neu, heute vermutlich den meisten Internetnutzern ein Begriff: der Versuch mit gefälschten Webseiten oder Mails an persönliche Daten zu kommen, sie abzufischen. Nachrichten über neue Wellen des Phishing machen regelmäßig die Runde – und trotzdem scheint es sich immer noch zu lohnen.
"Die gleichen Angriffe, die wir vor zehn Jahren hatten, die funktionieren heute immer noch – und es gibt zugleich tausendfach komplexere, kompliziertere Angriffe. Das ist faszinierend, dass man sieht: Wir können uns nicht wirklich wehren, wir können nur dafür sorgen, dass das Leben weitergeht, wenn was passiert ist."
Phishing ist nur ein Weg von unzähligen Möglichkeiten online oder offline Identitäten zu kapern: Der Diebstahl von Brieftaschen oder technischen Geräten, Computern, Smartphones. Das Hacken eines privaten Computers oder gleich eines ganzen Unternehmens, welches viele Daten gespeichert hat. Das simple Durchsuchen von Mülltonnen oder die Manipulation von Geldautomaten. Mangelnder Datenschutz bei Unternehmen. Der Zugang zu Daten durch Kollegen, Bekannte oder Dienstleister. Ein Liste, die sich fortsetzen ließe. Wie viele unserer Daten im Netz unterwegs sind – und wie leicht es ist an sie zu kommen – das zeigte vor einigen Jahren exemplarisch der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Er kaufte innerhalb von wenigen Stunden 4 Millionen Kontodaten zum Preis von 850 Euro. All das macht es fast unmöglich zu beziffern, wie viele Menschen von Identitätsdiebstahl betroffen sind.
"Identität wird massenhaft gestohlen, die Frage ist: wann kommt es zu einer kriminelle Anwendung… "
Michael Böhl, Berliner Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
"…also wenn ich Ihre Kreditkartendaten, ihre Personaldaten aus dem Internet abziehe, das merken Sie nicht. Sie merken es erst dann, wenn der Täter die Tat umsetzt und Ihnen der Schaden entstanden ist. Wie viele Identitäten bereits existieren, die gestohlen wurden, und irgendwo schlummern zum Abruf, ist uns völlig unbekannt."
Es ist nicht nur unbekannt, wie viele gestohlene Identitäten noch ungenutzt irgendwo schlummern – es ist auch nicht klar, wie viele Missbrauchsfälle es gibt. Das Bundeskriminalamt führt im Lagebild Cybercrime für das Jahr 2013 rund 64 Tausend registrierte Fälle an – und zwar für den gesamten Bereich Cybercrime. Zitiert aber gleichzeitig eine Umfrage, wonach schon jeder fünfte Deutsche von Identitätsdiebstahl- oder missbrauch betroffen war. Und schreibt: nur ein Bruchteil würde überhaupt angezeigt. Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter:
"Valide Zahlen gibt’s natürlich nicht. Weil das, was uns bekannt wird, wird in der polizeilichen Statistik erfasst, das ist das Hellfeld. Das Dunkelfeld ist uns völlig unbekannt, wir können’s nur erahnen."
Teil 3: Eine Sitzecke kommt selten allein
Auf welchem Weg kamen die Betrüger an meine Identität? Ich weiß es nicht. Ich gehöre zu den Menschen, die sehr vorsichtig mit ihren Daten umgehen. Und doch ist der Identitätsdiebstahl irgendwie passiert. Wenn man anfängt sich in das Thema einzuarbeiten, stößt man immer wieder auf Ratschläge, die den Eindruck vermitteln: Du bist selber schuld, zumindest zum Teil, zu unvorsichtig. Ich baue mir meine eigene Theorie zusammen. Erinnere mich an einen Wohnungseinbruch bei dem vieles durchwühlt wurde. Zwar kein Ausweis gestohlen – aber vielleicht abfotografiert? Vielleicht eine Kopie entwendet aus Unterlagen? Eine Theorie mit der ich erst mal leben kann, eine Geschichte für den Kneipenabend oder die Kantine. Und als ich nach einigen Monaten langsam aufhöre mich zu fragen ‚hast Du zu wenig aufgepasst‘ – und anfange über die Sitzecke Rumba als einmalige Episode zu lächeln – muss ich feststellen: Das Möbelstück bekommt Gesellschaft!
Es ist dieselbe Hamburger Anwaltskanzlei mit dem üppigen Briefkopf. Diesmal lese ich mir die vielen Namen nicht mehr durch. Der Kaffee wird trotzdem kalt.
"Als Rechtsanwälte vertreten wir die Telefónica Germany (…)
Sie schulden unserer Mandantin einen Betrag in Höhe von 198,55 Euro (….)
Fristlose Kündigung (…) Auslagenpauschale (…) Schadensersatzpauschale. Gesamtforderung 692,74 Euro."
Ein Handyvertrag auf meinen Namen. Klar – wenn man den ganzen Tag auf Rumba sitzt will man sich ja auch mit irgendwas beschäftigen. Warum nicht mit telefonieren? Weiter reicht mein Humor nicht mehr. Wieder muss ich mich an meinen Anwalt wenden. Und die Erinnerung an den Wohnungseinbruch, die Theorie vom gestohlenen Ausweis, das unsichere Gefühl, der Gedanke ‚irgendwer missbraucht Deinen Namen‘ – es ist alles auf einen Schlag wieder da. Ich krame den Lieferschein von Rumba aus meinen Unterlagen. Da steht neben der Lieferadresse, die nicht meine ist, und meinem Namen – auch eine Handynummer…
"Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist nicht vergeben. Bitte rufen Sie die Auskunft an. There is no connection for the number you have dialed. Please call directory inquiries."
Teil 4: Im Namen des Gesetzes
"Mein Name ist Carsten Szymanski, ich bin Dezernatsleiter LKA 24 und die 24 steht in diesem Falle für Waren und Leistungsbetrug, Betrug zwischen Konten und Cybercrime im engeren Sinne."
Im Berliner Landeskriminalamt. Carsten Szymanski schließt die Fenster in seinem Büro, stellt zwei Becher Kaffee auf einen großen Tisch mit bunter Decke. Erzählt von seiner Arbeit, lacht oft und fast immer blitzt es humorvoll in seinen Augen. Schnell macht er mir klar: das Ganze Thema ist so einfach nicht zu fassen. Zu vielfältig sind die Wege auf denen Identitäten gestohlen werden können, viel zu unterschiedlich die Möglichkeiten sie zu missbrauchen. Zu verschieden die Delikte dahinter und damit die Dezernate, die sich darum kümmern. Nur ein Beispiel von vielen aus seiner Erfahrung:
"Da möchte jemand ne Wohnung vermieten oder tut so als ob er ne Wohnung vermieten – oder etwas verkaufen will. (…) Verkaufsverhandlungen findet alles online, per Mail statt. Und er bittet den Interessenten oder den Käufer oder Mieter seinen Personalausweis einzuscannen und zu übersenden. Machen die meisten auch, weil es ein gängiges Verfahren ist. Der vermeintliche Vermieter oder Verkäufer (…) versucht den geschädigten zu betrügen, in dem er ihn zu einer Vorauszahlung veranlasst. (…) Der Täter erreicht zwei Ziele: Das erste Ziel ist, das Geld zu vereinnahmen, die Vorkasse. Zweites Ziel, darf man nicht unterschätzen, er hat gerade ne Identität gekapert. Denn mit dem eingescannten Ausweis ist er in der Lage einem anderen gegenüber als derjenige aufzutreten, zumindest virtuell. Ist mal eine Variante der virtuellen Welt."
Wer sind "die Täter"? Kann man die Fälle von Identitätsdiebstahl zu Warenbetrugszwecken einem bestimmten Täterkreis zuordnen? Szymanski sagt, er könne – ohne Anspruch auf statistische Vollständigkeit – aus seiner Erfahrung drei Gruppen ausmachen. Die Menschen, die auf einfachstem Wege versuchen, andere zu betrügen. Die zum Beispiel auf Onlineauktionshäusern etwas verkaufen, das nicht so ist, wie beschrieben. Und die ihre eigene Identität nur leicht verschleiern.
"Man würde schon sagen: relativ dilettantisch und durchschaubar. Dann gibt es eine Gruppe, die sich schon deutlich mehr anstrengt, die dann real existierende Personalien benutzt, um Accounts anzulegen – da schon etwas mehr Aufwand betreibt. Bei denen sich allerdings der Schaden, die Fallzahlen, all das, was wir ermitteln können, sagen wir mal noch überschaubar sind. Und dann gibt es die Gruppe derjeniger, die einen riesigen Aufwand betreiben mit einer Schlagzahl und Stückzahl Straftaten begehen, dass man da aufmerksam wird und feststellt: Donnerwetter: die sind gut organisiert, die spielen auf der Klaviatur der Kriminalität und lassen kein Mittel aus, um sich zu anonymisieren und all das, was sie tun, zu verschleiern."
Und wie wird ermittelt – in den Fällen, in denen Bestellungen auf falschen Namen an klare Lieferadressen gehen? Rumba zum Beispiel? Eine Sitzecke fängt man ja nicht mal eben beim Postboten ab und verkauft sie direkt weiter, wie ein kleines teures Technikspielzeug. Zu meinem konkreten Fall kann Szymanski sich nicht äußern – aber natürlich wäre der erste Ansatzpunkt in einer solchen Situation, bei der konkreten Lieferadresse nachzuschauen. Lässt sich noch Ware finden? Oder Tatmittel, also etwa einen Computer, von dem Bestellungen getätigt wurden. Ich frage Szymanski ob man dann einfach nur noch den Beweis führen müsste…
"Schön gesagt, aber mit diesen virtuellen Welten ist ja das Thema "nur noch die Beweisführung" eben die Herausforderung. Indem man halt die losen (…) Enden zusammenführt und daraus am Ende auch etwas so zusammenträgt, dass in einem Gerichtsverfahren nachweisbar ist, dass der oder diejenige (…) verantwortlich dafür ist. Das ist nicht so ohne."
Und besonders groß ist die Herausforderung bei den professionellen Tätern, die laut Szymanski kein Mittel auslassen, sich zu anonymisieren – und vermutlich die bestellte Ware auch nicht lange zu Hause rumliegen lassen. Aber selbst dort sei man nicht chancenlos:
"Also die Aufklärungsquote ist im Betrug so schlecht nicht. (…) Also wir sind mindestens bei 70 Prozent, wenn nicht drüber, im Betrugsbereich. (…) Das hat mehrere Gründe (…) unter anderem auch der Grund, dass wir die Gruppe der kleinen und mittleren zielsicher abfischen und es uns auch bei den organisiert handelnden Tätern gelingt, hier und da mal ne größere Serie aufzuklären."
Eine gute Aufklärungsquote im Warenbetrugsbereich? Das mag zum einen stimmen. Zum anderen ist es aber auch zwangsweise ein unvollständiges Bild – angesichts der unklaren Zahlen, angesichts des sehr großen Dunkelfeldes, von dem man nichts weiß und bei dem dementsprechend auch nicht ermittelt wird. Und dann ist die Frage: wird jeder Fall überhaupt bearbeitet? Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter:
"Das ist bei uns in diesem Bereich eine schlanke Bearbeitung, eine effektive Bearbeitung. Wir werden dieser Betrugszahlen nicht mehr Herr. Das ist jetzt nicht nur der Identitätsdiebstahl sondern Betrug, Warenkreditbetrug, alles was dazu gehört. Das ist in Absprache mit der Staatsanwaltschaft so, dass da kaum noch ermittelt wird. Eigentlich fast gar nicht mehr ermittelt wird. Das ist ein Manko, das wir anprangern als BDK ganz deutlich. Es kann nicht sein, dass bloß, weil wir nicht mehr in der Lage sind Kriminalität zu bekämpfen, zu ermitteln, dass wir dann die Verfahren einstellen. Der Bürger und der Steuerzahler hat ein Recht da drauf."
Teil 5: Sicher und einfach im Namen der Kunden?
Die Vorsicht der Verbraucher ist eine Sache – aber wie sieht es mit den Unternehmen aus? Denen wir unsere Daten in die Hand geben. Und bei denen man mit fremden Daten Sitzmöbel, Telefonverträge oder alles erdenkliche sonst online kaufen kann? Carsten Szymanski vom Landeskriminalamt:
"Für uns ist es ein bisschen schwierig, wenn ein Unternehmen faktisch Tür und Tor öffnet und uns dann mit Strafanzeigen flutet, weil ihr Geschäftsmodell so ausschaut, dass sie möchten, dass die Polizei ihr Geschäftsmodell nämlich ‚eintreiben der Gelder‘ oder die Ermittlung der (…) Betrüger auf uns hier abschiebt."
Auch Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, sieht die Unternehmen in der Pflicht.
"Es scheitert schon an den einfachsten Sachen. Die wir schon vor Jahren gefordert haben. Die Kreditkarten, also bargeldlose Zahlungsmittel sind gang und gäbe heutzutage. Auf wie vielen Karten finden sie denn heute das Bild des Inhabers? Das sind minimale Standards, die wir eingefordert haben schon vor Jahren, aber die Industrie bzw. die Unternehmen sehen da kein Interesse. Da ist wahrscheinlich der Kostenaufwand, der Verwaltungsaufwand höher, wie die Verlustraten, selbst wenn man den Betroffenen dann entschädigt."
Und wie war das bei mir und Rumba?
"Vielen Dank für Ihren Anruf bei Billpay! Billpay ist Ihr zuverlässiger und freundlicher Dienstleister, der Ihnen die Möglichkeit bietet Ihren Einkauf einfach, schnell und sicher auf Rechnung, in Raten oder per Lastschrift zu zahlen. – Sie haben eine Billpay Zahlart genutzt und haben Fragen zur Bezahlung? Dann drücke Sie bitte die Eins."
"Mein Name ist Nelson Holzner, ich bin Gründer und Geschäftsführer von Billpay, ein Zahlungsdienstleister, der im wesentlichen für Onlineshops arbeitet und Zahlungen abwickelt, die mit Risiko zu tun haben."
Bezahlmethoden wie Rechnungskauf und Ratenkauf für Onlineshops und deren Kunden. Bei rund 5000 Shops und Partnern kann man über Billpay bezahlen – etwa fünf Millionen Kunden nutzen das.
"Warum sind die Bezahlmethoden, wie Rechnungskauf stark nachgefragt? Kunden sind oftmals etwas misstrauisch, wenn sie Daten im Internet eingeben müssen, vielleicht auch bei Shops, die sie nicht so gut kennen und wollen vielleicht auch nicht schon vorab den Kaufbetrag bezahlen. Und so ist beispielsweise ein Rechnungskauf eine ganz tolle Möglichkeit für einen Kunden, zunächst die Ware zu bekommen, das sich anzusehen, was man eingekauft hat und dann eben halt später zu bezahlen."
Das klingt in meinen Ohren unfreiwillig komisch. Ein Service für den Kunden. Ein Service mit dem man aber auch versuchen kann, Ware zu bekommen, sich anzusehen, zu behalten – und nicht zu bezahlen. Wie versucht man bei Billpay sicherzustellen, dass das nicht passiert? Viel muss der Kunde beim Kauf in der Regel nicht angeben. Oft reichen Name und Lieferadresse, manchmal kommt ein Geburtsdatum hinzu. Anmelden muss man sich nicht. Und dann beginnt die Prüfung im Hintergrund – während des Bestellvorgangs.
"Wir gucken erst mal: kennen wir die Person aus vorigen Transaktionen. (…) Und dann fragen wir unterschiedliche Datenquellen noch ab. Wenn es um hohe Warenkörbe geht werden wir sicher auch nochmal ne Schufa abfragen, gibt’s da vielleicht in der kurzen Vergangenheit noch andere negative Merkmale, die wir beachten sollten. Aber letztlich ist das alles ne Sache, die halt sekundenschnell geht. Also im Schnitt dauert das so 1-2 Sekunden. Und das läuft im Hintergrund, so dass der Kunde, ich will nicht sagen gar nichts merkt, aber es nicht als Extra Schritt empfinden sollte. (…) Und dann muss sozusagen unsere Maschine (…) die Entscheidung treffen: glauben wir daran, dass diese Transaktion erfolgreich sein wird für alle Seiten."
Bei Billpay vertraut man auf die in den letzten Jahren entwickelten Datensätze und Prüfmethoden. Und wenn es doch schiefläuft versucht Billpay es mit Zahlungserinnerungen, telefonischem Kundenkontakt oder Inkassounternehmen. Anzeigen, sagt Holzner, gäbe es nur selten, nur wenn das Unternehmen planmäßigen Betrug vermutet. In den meisten Fällen lohne es sich auch nicht, die Leute bei den geringen Streitwerten vors Gericht zu zerren. Buy now pay later ist das Motto – wie oft wird daraus buy now pay never?
"(lacht) Das kommt sicherlich auch vor, sonst gäbe es ehrlich gesagt auch keine Existenzberechtigung für Billpay, weil wir eben ja für den Händler genau dieses Risiko des Zahlungsausfalls übernehmen."
Bei Rechnungskäufen sind es laut Holzner etwas weniger als ein Prozent Ausfall – Bei Ratenkäufen ein bis zwei Prozent. Dieses Risiko sei einkalkuliert. Kalkuliertes Risiko und Einfachheit für den Kunden – die zulasten der Sicherheit gehen? Eine Abwägungsfrage, meint Holzner:
"Sicherlich sind solche Fälle wie sie es jetzt erlebt haben, die Kehrseite der Medaille. Wenn man sagen würde man hat da noch 5 verschiedene Sicherungslayer und Pincodes dahinter würde man wahrscheinlich die Fälle vermeiden können. (…) so bewegen wir uns schon in so nem Spannungsfeld, zwischen Identitätsbetrug, der leider auch zum Alltag der Onlinegesellschaft gehört (..) und dem, was wir versuchen eben als Extraservice zu bieten. Also ich würde vermuten: wenn der Gesetzgeber uns keine Pflichten auferlegt, dass wir noch weitere Pin / Tan Kombinationen einbauen müssen wie im Onlinebanking, dann würden wir lieber halt mit nem schlanken Datenset weiterarbeiten."
Dieselbe Frage, die Nelson Holzner von Billpay ganz offen beantwortet, stelle ich auch dem Unternehmen Telefónica Germany – bei dem ein Mobilfunkvertrag auf meinen Namen lief. Mehrmals telefoniere ich mit einem Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung – Mails werden hin- und hergeschrieben. Man gibt sich bemüht und hilfsbereit – erweckt aber auch den Eindruck bloß nicht den falschen Eindruck erwecken zu wollen. Immer wieder heißt es – man arbeite intensiv gegen Betrug, habe die höchsten Sicherheitsstandards – aber: offenbar will man sich auch nicht wirklich in die Karten schauen lassen:
"Um die größtmögliche Sicherheit für unsere Kunden zu gewährleisten, haben Sie bitte Verständnis, dass wir (…) bei einigen Fragen nicht alle Details beantworten können."
Man lässt mich wissen, mit branchen- und marktüblichen Prozessen und mehrstufiger Prüfung versuche man Identitätsmissbrauch zu erkennen. Was immer das heißt. Aber immerhin erfahre ich so, dass in meinem Fall offenbar wirklich Ausweisdaten missbraucht wurden. Denn die braucht man, so Telefónica, für den Vertragsabschluss. Wie häufig solche Fälle sind, wie groß der Schaden dadurch, wie lange kann jemand mit einem Vertrag unter falschem Namen telefonieren, bis es auffällt?
"Bitte haben Sie Verständnis, dass wir hier keine weiteren Auskünfte geben können."
Man kann den Unternehmen nicht einfach den schwarzen Peter zuschieben. Sie sind nicht die Kriminellen im Spiel mit den Identitäten, sondern auch Betrogene. Genauso wenig, wie es den Verbrauchern gerecht wird – wenn man ihnen die Teilschuld zuschiebt nach dem Motto: Zu wenig aufgepasst. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen: Verbraucher können und müssen vorsichtig mit ihren Daten umgehen – die Unternehmen aber sollten ebenfalls interessiert sein, den Betrug so schwer wie möglich zu machen
Teil 6: Ein neuer Name kommt ins Spiel
Seit fast einem Jahr schon öffne ich meinen Briefkasten nicht mehr unbeschwert. Die Frage schwingt immer mit: liegt dort wieder eine Überraschung? Ja! Aber dieses Mal ist es kein Anwaltsschreiben. Diesmal schreibt die Polizei. Ich werde vorgeladen – als Zeuge. In einem Fall von Warenbetrug – obwohl ich meine Fälle noch gar nicht angezeigt habe. Und mir fällt auf der Vorladung ein Name ins Auge. Der Familienname der Beschuldigten Personen – er stimmt mit der Mailadresse überein unter der ich wegen Rumba angeblich mehrfach gemahnt wurde. Neugier macht sich breit.
Ich mache mich auf den Weg zu einer Dienststelle am südwestlichen Rand Berlins. Beige dreigeschossige Häuser. Bröckelnder Putz. Kein Krimi-Glamour. Dafür eine freundliche Kommissarin, die mich über meine Rechte aufklärt und meinen Personalausweis sehen will. Um sicher zu stellen, dass sie auch mit dem Richtigen spricht, sagt sie. Wie passend! Sie stellt mir viele Fragen – nichts von dem, was ich für meine Geschichte aus Ihren Fragen herauslese – darf hier stehen. Wegen laufender Ermittlungen. Aber als ich nach fast einer Stunde wieder vor dem Gebäude stehe ist mir klar: das Ganze ist um einiges größer als eine Sitzecke und ein Handyvertrag – da ist mehr als meine Identität im Spiel. Ich beginne mich zu fragen: was könnte noch alles kommen – über den Warenbetrug hinaus?
"Das Schlimme ist: man weiß gar nicht, wo seine Personalien eigentlich noch überall verwendet werden. Und wenn dann die Polizei plötzlich mal die Wohnung aufbricht mit Sondereinsatzkommando, weil ihre Personalien für ein schweres Kapitalverbrechen benutzt wurden, wie auch immer, das kann das ganze Leben schädigen."
Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter beschreibt was theoretisch denkbar wäre.
"Wir haben bei den Betrügern aber auch in anderen Bereichen: Komplettfälschung von Pässen. Da kommt ein Bild rein, der Pass ist verfälscht oder gefälscht aber: komplett mit Ihren Daten. Das heißt, dieses Dokument geht in der Regel bei allen Prüfungen durch. Mit diesem Dokument können Sie ein Auto anmieten, sie können Waffen kaufen, in anderen Ländern wo auch immer das akzeptiert wird. Denken Sie mal an das terroristische Umfeld, ne gut gefälschte Identität zur Verschleierung ist wichtig. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Schwerstkriminelle mit solchen Identitäten versehen. Das ist realistisch."
Ich bin froh, dass bislang nur irgendwer auf Rumba sitzt und telefoniert. In meinem Namen – und zu meiner Beruhigung ist das auch eher die Regel.
"Die Täter sind momentan aber nach unseren Erkenntnissen lediglich darauf aus, Geld zu verdienen, Umsatz zu machen."
Umsatz – noch in weiteren Fällen. Ich habe bei der Schufa und anderen Auskunfteien, die Daten über uns Verbraucher sammeln – über unsere Bonität – eine Selbstauskunft beantragt. Als ich den Brief der Schufa in den Händen halte, klingeln meine Ohren.
"Das Unternehmen hat uns den Abschluss dieses Kreditkartenvertrages gemeldet."
"Konditionenanfrage des Vertragspartners zu einer Kreditanfrage"
"Anfrage anlässlich einer Versandhandelsbestellung (von KFZ Teilen)"
"Anfrage zur Altersprüfung (durch einen Pay TV Anbieter)"
"Abschluss eines Telekommunikationsvertrages"
"Anfrage im Rahmen der Inkassobearbeitung."
Da kommt noch einiges auf mich zu. Wenn dieses Feature längst fertig und gesendet ist werde ich immer noch viel Arbeit damit haben: Unternehmen kontaktieren, Widerspruch einlegen, der Schufa hinterherlaufen, um falsche Einträge löschen zu lassen. Ob ich jemals erfahre wer wie an meine Daten gekommen ist – und ob man der Person das auch nachweisen kann – bleibt unsicher. Genau wie das Gefühl, jedes Mal, wenn ich den Briefkasten öffne.
Teil 7: Bei Rumba vor der Tür
Eines will ich noch versuchen. Ich habe eine Lieferadresse, ich habe einen Nachnamen – und mache mich auf den Weg in den alten Berliner Westen. In die Nähe des Stuttgarter Platzes, dorthin, wo der schicke Teil langsam ausfranst und rauer wird. Eine vielbefahrene vierspurige Straße, eine große Kreuzung. Telecafés, Nagelstudios, Sportwetten. Goldankauf und Geldtransfer. Eine Menge kruder Gestalten – aber vielleicht sehe ich das gerade nur so. Hierhin wurde Rumba geliefert.
Über eine Ecke der Kreuzung zieht sich ein großer, schmutzigweißer Häuserblock. Nachkriegsbausünde. Große, stumpfe Fenster – einige leer, der Rest mit Vorhängen oder Jalousien verhangen. Ich stehe vor einem Klingelschild. Suche fünf Reihen á sechs Wohnungen ab. In der dritten Reihe entdecke ich den Namen, den ich suche.
Hinter einer Frau husche ich ins Haus. Suche in dunklen Fluren, die jedes Krimiklischee erfüllen nach der Wohnung. Finde sie im dritten Stock. Endlich. Klingele. Warte. Klingele nochmal. Klopfe
"Wer ist denn da?"
"Stucke ist mein Name – ich komme wegen eines Paketes."
"Stucke?"
"Stucke? Soll der hier wohnen?"
Die alte Dame öffnet die Tür einen Spalt breit, schaut mich verwundert an. Nein. In diesem Moment bin ich sicher – sie ist es nicht, die hinter all dem steckt – sie ist wohl auch ein Teil des Spiels mit den Identitäten.
"Ick habe öfter sowat gehabt!"
"Sie haben das schon öfter gehabt?"
"Ick hab das schon öfter jehabt."
"Das Sie was entgegennehmen und dann holt es irgendwer ab?"
"Nee! Wenn ick's nicht bestelle, nehm ick's och nicht an."
"Ok. Danke Ihnen!"
"Bitte!"