In Pjöngjang "ist ein unglaublicher Wechsel da"
Das Münchner Kammerorchester hat mit einheimischen Studenten klassische Musik in Nordkorea gespielt. Für Dirigent Alexander Liebreich war es nicht die erste Reise. Er hat einen gesellschaftlichen Wandel festgestellt - zumindest in der Hauptstadt.
Joachim Scholl: Es ist wohl das letzte Land dieser Erde mit einem richtigen Eisernen Vorhang: Nordkorea. Raus kommt so gut wie niemand, rein geht schon eher, aber wer will schon in ein bitterarmes Land reisen, das seine kommunistische Diktatur und seinen Führerkult so radikal und menschenverachtend konserviert wie Nordkorea? Einer, der seit fast zehn Jahren immer wieder eingeladen wurde und nach Nordkorea gereist ist, als Musiker und Lehrer, ist der Dirigent Alexander Liebreich - jetzt ist er gerade aus Nordkorea zurückgekommen, wo er mit dem Münchener Kammerorchester ein Konzert gegeben hat, zusammen mit nordkoreanischen Musikstudenten - Alexander Liebreich ist uns jetzt aus einem Studio in München zugeschaltet - guten Tag!
Alexander Liebreich: Guten Tag!
Scholl: Wie war das Konzert, Herr Liebreich? Ein Erfolg?
Liebreich: Es ist bewegend für uns Musiker des Münchner Kammerorchesters, dort gemeinsam zu musizieren, weil die Kraft, die Emotion und die Qualität der nordkoreanischen Musiker sehr besonders ist.
Scholl: Was haben Sie gespielt?
Liebreich: Lutoslawski, "Musique funèbre", und Haydn, Symphonie Nummer 44, die "Trauersinfonie". Und "Doratschi", ein koreanisches, und zwar gesamtkoreanisches Volkslied über eine Blume.
Scholl: Seit 2006 leiten Sie das Münchner Kammerorchester, Herr Liebreich. Ich vermute, dass etliche Ihrer Musiker das erste Mal in Nordkorea waren und die Spannung entsprechend groß. Wie haben Sie denn Ihre Kollegen auf diese Reise vorbereitet?
Liebreich: Das ist schwierig. Man erzählt einfach viel über das Land und man kann es sich aber trotzdem nicht vorstellen, weil einfach die Gegebenheiten ganz anders sind. Insofern ist alle Vorbereitung dann erst mal hinfällig, weil man in dem Moment, wo man einreist, einem ganz normalen - ich sag mal, so einer biologischen Kurve unterworfen ist, der jeder, der das Land betrifft, irgendwie folgt. Dass man erst mal fasziniert ist, dann irgendwann emotional sehr, sehr berührt, und dann versucht man, das Ganze einzuordnen, und irgendwann, aber ich glaube, das ist dann erst nach mehreren Tagen, schafft man, so eine gewisse Haltung dazu zu schaffen. Wenn Sie mir erlauben, ganz kurz die Haltung auch meinerseits oder auch der Musiker dazu zu geben: Es ist in der Tat wichtig, wir arbeiten für das Auswärtige Amt und ich persönlich für das Goethe-Institut, und da gibt es eine ganz klare Zielsetzung. In jedem Land, egal, welche politische Führung es hat, einen kulturellen Dialog zwischen den Menschen zu halten. Das gilt für China genauso wie für Nordkorea. Das gilt für Kuba genauso wie für Italien. Für jegliches Land, wo man einfach sagt, ja, wir brauchen den Dialog einfach zwischen den Völkern, ganz unabhängig von dem Regime oder von der Struktur. Und das gilt natürlich für Nordkorea ganz im Besonderen, weil auch der nord- und der südkoreanische Diskurs dem deutschen sehr ähnlich ist durch die Teilung.
Scholl: Sie haben schon gesagt, dass die nordkoreanischen Musikstudenten so herausragend seien. Wie verlief denn diese Arbeit mit den Studenten in Pjöngjang? Kannten Sie die schon vorher?
Liebreich: Ich hatte die Dirigierstudenten im Rahmen einer Gastprofessur beim DAAD in den Jahren 2003 bis 2006 immer wieder getroffen. Ich konnte, da war ich sehr gespannt drauf, weil das eigentlich für mich unerwartet war, dass ich die Dirigierstudenten tatsächlich wiedersehen konnte. Meine Studenten, wenn ich das mal so sagen darf, von damals, die waren natürlich nicht mehr im Studium, sondern jetzt in verschiedenen Jobs und Berufen, aber wir konnten uns einfach wieder sehen und eigentlich anknüpfen. Und die Lehrer konnte ich wieder treffen und im Rahmen des Hochschulorchesters habe ich viele Leute wieder getroffen, die ich damals gesehen habe. Das hatte ich eigentlich so nicht vermutet, weil das in den ersten zwei, drei Jahren für uns der Eindruck war, dass man die Leute, die man einmal trifft, nicht zwangsweise wieder trifft oder treffen sollte. Das war jetzt ohne Weiteres möglich.
Scholl: Dass also keine nähere Bekanntschaft entsteht mit den Menschen.
Liebreich: Das könnte man vermuten, ganz genau.
Scholl: In der Regel achten die nordkoreanischen Behörden ja mit Argusaugen, dass sozusagen kein freier Kontakt mit Ausländern zustande kommt. Wie offen war denn jetzt dieser Austausch, also wie frei konnten Sie mit den Studenten reden? Gab es überhaupt Gespräche über das Musikalische hinaus?
Liebreich: Es gibt, wenn man über die Musik spricht, immer Gespräche über das Musikalische hinaus, denn die Hintergründe der Musik sind soziale, sind vielleicht sogar religiöse, sind auch politische. Wenn Sie über Lutoslawskis "Trauermusik" sprechen, genauso wie bei Haydn, müssen Sie im Hintergrund über ein System, über Verschiedenes reden. Und das ist einfach wichtig, dass man das tut. Und es war hoch erstaunlich, dass alle unsere Leute frei unterrichten konnten. Ohne, dass man das kontrolliert, sondern einfach eins zu eins mit den Studenten in Zimmern oder mit Gruppen umgehen konnten und das machen. Das ist aber eine vollkommene Ausnahmestellung, und das ist auch das Resultat der Arbeit, die wir dort mit dem Goethe-Institut über viele Jahre gemacht haben, dass man einfach ein gewisses Vertrauen aufbaut und dann da ist. Das hat nichts damit zu tun, wenn man als Tourist oder als außenstehende Delegation das Land bereist, dann ist das unmöglich. Hier war es uns möglich, und das ist unglaublich, dass das funktioniert.
Scholl: Das Münchner Kammerorchester in Nordkorea. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Leiter und Dirigenten Alexander Liebreich. Was für einen Stellenwert hat denn klassische europäische Musik in Nordkorea?
Liebreich: Das ist vergleichbar mit Südkorea. Es ist - die klassische europäische Musik vielleicht sogar in Nordkorea noch mehr als in Südkorea hat Einzug gehalten in das ganz normale Konzertleben. Und es für mich nach wie vor erstaunlich - wir waren ja vorher auch in China, es ist dort einfach als neue Kultur integriert, und im Norden ganz besonders. Es gibt nebenher die traditionelle Musik, die wird auch an der Hochschule unterrichtet. Wir hatten ungefähr mal gesehen, wie viele Studenten das moderne und praktisch europäische Instrumentarium oder das traditionelle machen. Das ist in der Tat - zwei Drittel spielen die traditionellen Instrumente wie Kayagûm, eine Art von Zither, oder Piri, eine Art von antiker Oboe, oder Tsutae, eine Art von Flöte. Und andere studieren das Moderne. Also es gibt beides, aber die moderne Musik ist deutlich im Konzertleben vorhanden.
Scholl: In welchem Rahmen verlief das Abschlusskonzert eigentlich? Also sicherlich vor ausgewähltem Publikum, nicht?
Liebreich: Ja. Es wird nicht zwangsweise ein freier Kartenverkauf sein. Man muss davon ausgehen, dass ein Publikum in gewisser Weise ausgewählt ist oder dort kommen kann oder auch darf. Ich denke, dass die Leute, die kommen, auch sehr gerne kommen und sich freuen. Es sind Studenten vor allem der Musikhochschule gewesen. Das war auch unser Anliegen. Ich wollte nicht als hybride Organisation hingehen und ein Konzert machen. In der Arbeit mit den Studenten, dadurch, dass die Nordkoreaner bei uns ja am Pult saßen oder die Kammermusik mit uns gespielt haben, war es einfach wichtig, dass die ganze Hochschule beteiligt ist. Und das war das Wesentliche, dort eine Akademie dort zu machen, wo wir wirklich den musikalischen und persönlichen Dialog pflegen, und das gilt eben auch für das Konzert. Es war die Lehrerschaft da, es waren viele Diplomaten da, die diplomatischen Dienste oder die Botschaften, die freuen sich, wenn einfach spannende Kulturprogramme sind. Es ist nicht - so ein Lutoslawski, "Trauermusik", wurde sicherlich zum ersten Mal dort aufgeführt, weil die Musik des 20. Jahrhunderts oder 21. Jahrhunderts fast gänzlich unbekannt ist.
Scholl: Sie reisen nun als sozusagen kultureller Botschafter schon seit Jahren nach Nordkorea, Herr Liebreich. Wir hören im Grunde ja immer nur schlechte Nachrichten aus dem Land. Wie ist Ihr Eindruck? Hat sich die Situation eigentlich irgendwie verändert, vielleicht auch verbessert? Merkt man auch den Führungswechsel zum jungen neuen Führer, Kim Jong Un? Sie erwähnten schon vorhin, also Sie konnten jetzt schon doch Studenten wieder treffen, was vorher nicht möglich gewesen wäre. Ist das schon so ein, ja, ein Klimawechsel, oder was meinen Sie?
Liebreich: Die Leute, die Sie befragen werden, können immer kein ganzes Statement abgeben, denn Sie werden nicht das ganze Land bereisen und für das ganze Land sprechen können. Was Pjöngjang, die Hauptstadt, angeht, ist ein unglaublicher Wechsel da, auch in der Offenheit, dass man sich frei durch Pjöngjang bewegt, dass wir frei mit Leuten reden können, dass wir in Restaurants gehen, dass wir unterwegs sind. Dass die Straßen voll sind, dass es viele Autos gibt, dass es neue Fassaden gibt, dass es neue Theater gibt. Das kann allerdings nicht stellvertretend für das ganze Land gesagt werden. Aus den Gesprächen mit zum Beispiel den NGOs, den Non-governmental organisations, konnte man entnehmen, dass es natürlich außerhalb der Stadt weitaus ärmer ist, aber dass es nicht mehr diese Radikalität gibt, die es vielleicht in den 90er-Jahren gab. Das hat sich wohl als solches verbessert. Es scheint sich zu öffnen. Es gibt viel chinesischen Tourismus. Dass chinesische Reisebusse da sind, was auch dafür spricht. Unser Hotel war voll mit Chinesen. Es scheint einfach mehr Farbe und Belebung reinzukommen. Also für mich deutlich spürbar im Gegensatz zu vor sechs Jahren, wo ich zum letzten Mal dort war.
Scholl: Wie fanden Ihre Musiker die Reise? Da wurde doch bestimmt viel diskutiert auf dem Rückflug?
Liebreich: Na ja, es wurde auf dem Hinflug viel diskutiert. In der Vorbereitung der Reise ist eben tatsächlich die Frage, wie stellt man sich dazu? Und ich möchte aber gerade deshalb noch einmal erinnern, weil Sie es ja ansprechen, es wird hier von einem Land gesprochen, was wir systemisch nicht unterstützen können, aber die Leute haben keine Lobby und keine Werbung. Das heißt, die Musiker oder die Leute, die hier unter den schwierigsten Voraussetzungen leben - es gibt kein Bild, es gibt bei uns für Länder wie Kuba ein Bild, dass man denkt, na wunderbar, die musizieren alle und rauchen große Zigarren; es gibt für China ein Bild, sowieso dort keine Ressentiments, weil es ja ein großer Wirtschaftspartner ist. Nordkorea wird anders behandelt, und man muss sich über die humanitären Probleme gar nicht als solche verheimlichen, aber die Leute in dem Land haben keine Möglichkeit, ihr Bild zu zeigen.
Scholl: In Nordkorea hat das Münchner Kammerorchester gastiert und ein Konzert mit Musikstudenten aus Pjöngjang gegeben. Alexander Liebreich ist Leiter und Dirigent des Ensembles. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Liebreich: Dankeschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Alexander Liebreich: Guten Tag!
Scholl: Wie war das Konzert, Herr Liebreich? Ein Erfolg?
Liebreich: Es ist bewegend für uns Musiker des Münchner Kammerorchesters, dort gemeinsam zu musizieren, weil die Kraft, die Emotion und die Qualität der nordkoreanischen Musiker sehr besonders ist.
Scholl: Was haben Sie gespielt?
Liebreich: Lutoslawski, "Musique funèbre", und Haydn, Symphonie Nummer 44, die "Trauersinfonie". Und "Doratschi", ein koreanisches, und zwar gesamtkoreanisches Volkslied über eine Blume.
Scholl: Seit 2006 leiten Sie das Münchner Kammerorchester, Herr Liebreich. Ich vermute, dass etliche Ihrer Musiker das erste Mal in Nordkorea waren und die Spannung entsprechend groß. Wie haben Sie denn Ihre Kollegen auf diese Reise vorbereitet?
Liebreich: Das ist schwierig. Man erzählt einfach viel über das Land und man kann es sich aber trotzdem nicht vorstellen, weil einfach die Gegebenheiten ganz anders sind. Insofern ist alle Vorbereitung dann erst mal hinfällig, weil man in dem Moment, wo man einreist, einem ganz normalen - ich sag mal, so einer biologischen Kurve unterworfen ist, der jeder, der das Land betrifft, irgendwie folgt. Dass man erst mal fasziniert ist, dann irgendwann emotional sehr, sehr berührt, und dann versucht man, das Ganze einzuordnen, und irgendwann, aber ich glaube, das ist dann erst nach mehreren Tagen, schafft man, so eine gewisse Haltung dazu zu schaffen. Wenn Sie mir erlauben, ganz kurz die Haltung auch meinerseits oder auch der Musiker dazu zu geben: Es ist in der Tat wichtig, wir arbeiten für das Auswärtige Amt und ich persönlich für das Goethe-Institut, und da gibt es eine ganz klare Zielsetzung. In jedem Land, egal, welche politische Führung es hat, einen kulturellen Dialog zwischen den Menschen zu halten. Das gilt für China genauso wie für Nordkorea. Das gilt für Kuba genauso wie für Italien. Für jegliches Land, wo man einfach sagt, ja, wir brauchen den Dialog einfach zwischen den Völkern, ganz unabhängig von dem Regime oder von der Struktur. Und das gilt natürlich für Nordkorea ganz im Besonderen, weil auch der nord- und der südkoreanische Diskurs dem deutschen sehr ähnlich ist durch die Teilung.
Scholl: Sie haben schon gesagt, dass die nordkoreanischen Musikstudenten so herausragend seien. Wie verlief denn diese Arbeit mit den Studenten in Pjöngjang? Kannten Sie die schon vorher?
Liebreich: Ich hatte die Dirigierstudenten im Rahmen einer Gastprofessur beim DAAD in den Jahren 2003 bis 2006 immer wieder getroffen. Ich konnte, da war ich sehr gespannt drauf, weil das eigentlich für mich unerwartet war, dass ich die Dirigierstudenten tatsächlich wiedersehen konnte. Meine Studenten, wenn ich das mal so sagen darf, von damals, die waren natürlich nicht mehr im Studium, sondern jetzt in verschiedenen Jobs und Berufen, aber wir konnten uns einfach wieder sehen und eigentlich anknüpfen. Und die Lehrer konnte ich wieder treffen und im Rahmen des Hochschulorchesters habe ich viele Leute wieder getroffen, die ich damals gesehen habe. Das hatte ich eigentlich so nicht vermutet, weil das in den ersten zwei, drei Jahren für uns der Eindruck war, dass man die Leute, die man einmal trifft, nicht zwangsweise wieder trifft oder treffen sollte. Das war jetzt ohne Weiteres möglich.
Scholl: Dass also keine nähere Bekanntschaft entsteht mit den Menschen.
Liebreich: Das könnte man vermuten, ganz genau.
Scholl: In der Regel achten die nordkoreanischen Behörden ja mit Argusaugen, dass sozusagen kein freier Kontakt mit Ausländern zustande kommt. Wie offen war denn jetzt dieser Austausch, also wie frei konnten Sie mit den Studenten reden? Gab es überhaupt Gespräche über das Musikalische hinaus?
Liebreich: Es gibt, wenn man über die Musik spricht, immer Gespräche über das Musikalische hinaus, denn die Hintergründe der Musik sind soziale, sind vielleicht sogar religiöse, sind auch politische. Wenn Sie über Lutoslawskis "Trauermusik" sprechen, genauso wie bei Haydn, müssen Sie im Hintergrund über ein System, über Verschiedenes reden. Und das ist einfach wichtig, dass man das tut. Und es war hoch erstaunlich, dass alle unsere Leute frei unterrichten konnten. Ohne, dass man das kontrolliert, sondern einfach eins zu eins mit den Studenten in Zimmern oder mit Gruppen umgehen konnten und das machen. Das ist aber eine vollkommene Ausnahmestellung, und das ist auch das Resultat der Arbeit, die wir dort mit dem Goethe-Institut über viele Jahre gemacht haben, dass man einfach ein gewisses Vertrauen aufbaut und dann da ist. Das hat nichts damit zu tun, wenn man als Tourist oder als außenstehende Delegation das Land bereist, dann ist das unmöglich. Hier war es uns möglich, und das ist unglaublich, dass das funktioniert.
Scholl: Das Münchner Kammerorchester in Nordkorea. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Leiter und Dirigenten Alexander Liebreich. Was für einen Stellenwert hat denn klassische europäische Musik in Nordkorea?
Liebreich: Das ist vergleichbar mit Südkorea. Es ist - die klassische europäische Musik vielleicht sogar in Nordkorea noch mehr als in Südkorea hat Einzug gehalten in das ganz normale Konzertleben. Und es für mich nach wie vor erstaunlich - wir waren ja vorher auch in China, es ist dort einfach als neue Kultur integriert, und im Norden ganz besonders. Es gibt nebenher die traditionelle Musik, die wird auch an der Hochschule unterrichtet. Wir hatten ungefähr mal gesehen, wie viele Studenten das moderne und praktisch europäische Instrumentarium oder das traditionelle machen. Das ist in der Tat - zwei Drittel spielen die traditionellen Instrumente wie Kayagûm, eine Art von Zither, oder Piri, eine Art von antiker Oboe, oder Tsutae, eine Art von Flöte. Und andere studieren das Moderne. Also es gibt beides, aber die moderne Musik ist deutlich im Konzertleben vorhanden.
Scholl: In welchem Rahmen verlief das Abschlusskonzert eigentlich? Also sicherlich vor ausgewähltem Publikum, nicht?
Liebreich: Ja. Es wird nicht zwangsweise ein freier Kartenverkauf sein. Man muss davon ausgehen, dass ein Publikum in gewisser Weise ausgewählt ist oder dort kommen kann oder auch darf. Ich denke, dass die Leute, die kommen, auch sehr gerne kommen und sich freuen. Es sind Studenten vor allem der Musikhochschule gewesen. Das war auch unser Anliegen. Ich wollte nicht als hybride Organisation hingehen und ein Konzert machen. In der Arbeit mit den Studenten, dadurch, dass die Nordkoreaner bei uns ja am Pult saßen oder die Kammermusik mit uns gespielt haben, war es einfach wichtig, dass die ganze Hochschule beteiligt ist. Und das war das Wesentliche, dort eine Akademie dort zu machen, wo wir wirklich den musikalischen und persönlichen Dialog pflegen, und das gilt eben auch für das Konzert. Es war die Lehrerschaft da, es waren viele Diplomaten da, die diplomatischen Dienste oder die Botschaften, die freuen sich, wenn einfach spannende Kulturprogramme sind. Es ist nicht - so ein Lutoslawski, "Trauermusik", wurde sicherlich zum ersten Mal dort aufgeführt, weil die Musik des 20. Jahrhunderts oder 21. Jahrhunderts fast gänzlich unbekannt ist.
Scholl: Sie reisen nun als sozusagen kultureller Botschafter schon seit Jahren nach Nordkorea, Herr Liebreich. Wir hören im Grunde ja immer nur schlechte Nachrichten aus dem Land. Wie ist Ihr Eindruck? Hat sich die Situation eigentlich irgendwie verändert, vielleicht auch verbessert? Merkt man auch den Führungswechsel zum jungen neuen Führer, Kim Jong Un? Sie erwähnten schon vorhin, also Sie konnten jetzt schon doch Studenten wieder treffen, was vorher nicht möglich gewesen wäre. Ist das schon so ein, ja, ein Klimawechsel, oder was meinen Sie?
Liebreich: Die Leute, die Sie befragen werden, können immer kein ganzes Statement abgeben, denn Sie werden nicht das ganze Land bereisen und für das ganze Land sprechen können. Was Pjöngjang, die Hauptstadt, angeht, ist ein unglaublicher Wechsel da, auch in der Offenheit, dass man sich frei durch Pjöngjang bewegt, dass wir frei mit Leuten reden können, dass wir in Restaurants gehen, dass wir unterwegs sind. Dass die Straßen voll sind, dass es viele Autos gibt, dass es neue Fassaden gibt, dass es neue Theater gibt. Das kann allerdings nicht stellvertretend für das ganze Land gesagt werden. Aus den Gesprächen mit zum Beispiel den NGOs, den Non-governmental organisations, konnte man entnehmen, dass es natürlich außerhalb der Stadt weitaus ärmer ist, aber dass es nicht mehr diese Radikalität gibt, die es vielleicht in den 90er-Jahren gab. Das hat sich wohl als solches verbessert. Es scheint sich zu öffnen. Es gibt viel chinesischen Tourismus. Dass chinesische Reisebusse da sind, was auch dafür spricht. Unser Hotel war voll mit Chinesen. Es scheint einfach mehr Farbe und Belebung reinzukommen. Also für mich deutlich spürbar im Gegensatz zu vor sechs Jahren, wo ich zum letzten Mal dort war.
Scholl: Wie fanden Ihre Musiker die Reise? Da wurde doch bestimmt viel diskutiert auf dem Rückflug?
Liebreich: Na ja, es wurde auf dem Hinflug viel diskutiert. In der Vorbereitung der Reise ist eben tatsächlich die Frage, wie stellt man sich dazu? Und ich möchte aber gerade deshalb noch einmal erinnern, weil Sie es ja ansprechen, es wird hier von einem Land gesprochen, was wir systemisch nicht unterstützen können, aber die Leute haben keine Lobby und keine Werbung. Das heißt, die Musiker oder die Leute, die hier unter den schwierigsten Voraussetzungen leben - es gibt kein Bild, es gibt bei uns für Länder wie Kuba ein Bild, dass man denkt, na wunderbar, die musizieren alle und rauchen große Zigarren; es gibt für China ein Bild, sowieso dort keine Ressentiments, weil es ja ein großer Wirtschaftspartner ist. Nordkorea wird anders behandelt, und man muss sich über die humanitären Probleme gar nicht als solche verheimlichen, aber die Leute in dem Land haben keine Möglichkeit, ihr Bild zu zeigen.
Scholl: In Nordkorea hat das Münchner Kammerorchester gastiert und ein Konzert mit Musikstudenten aus Pjöngjang gegeben. Alexander Liebreich ist Leiter und Dirigent des Ensembles. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Liebreich: Dankeschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.