In Rumänien gibt es "keine Tragödie, sondern einen Machtkampf"
Lucian Varsandan, Intendant des "Deutschen Staatstheaters Temesvar" in Rumänien, hat Verständnis für die Besorgnis der EU Union über die politischen Vorgänge in seinem Land geäußert. Er wünscht sich eine Kultur des Dialogs für Rumänien.
André Hattig: Auch die Bundesregierung hat einige Fragen an das EU-Mitglied Rumänien – die hat Kanzlerin Merkel dem Botschafter persönlich gestellt, der musste nämlich im Kanzleramt Bericht erstatten. Wie die Rumänen selbst den politischen Machtkampf zwischen sozialdemokratischer Regierung und konservativem Präsidenten erleben, darüber möchte ich jetzt mit Lucian Varsandan sprechen, er ist seit 2007 Intendant des Deutschen Staatstheater Temesvar. Das gibt es seit 1875 und hat damit zu tun, dass in der zweitgrößten rumänischen Stadt bis zum Zweiten Weltkrieg überwiegend eine deutschsprachige Bevölkerung lebte. Guten Morgen, Herr Varsandan!
Lucian Varsandan: Guten Morgen!
Hatting: Ist das, was gerade in Ihrem Land passiert, eine Tragödie?
Varsandan: Ich würde das nicht als Tragödie bezeichnen, das ist ein Machtkampf. Eine Tragödie ist etwas, was bereits tragische Auswirkungen hat. Es ist eine sehr lebhafte, politische Diskussion, aber eine Tragödie ist es nicht.
Hatting: Finden Sie es richtig, dass sich der Regierungschef Victor Ponta vor den Chefs der EU rechtfertigen musste?
Varsandan: Was heißt rechtfertigen – es gab Diskussionen. Ich finde, dass die Reaktion und Besorgnis der EU nachvollzogen werden kann, gerade im Hinblick auf die Schnelligkeit, mit der die rumänische Regierung und die neu gebildete Mehrheit seit einiger Zeit vorgegangen sind. Ich empfinde das jetzt nicht als Rechtfertigung, auf der anderen Seite ist es auch normal, dass ein Dialog zu diesem Thema stattfindet, wenn solche Änderungen in einem EU-Staat vorkommen.
Hatting: Sie sprechen jetzt sehr vorsichtig von Dialog und von Änderungen. Die EU-Kommission hat ja ganz klar davon gesprochen, dass möglicherweise die Demokratie in Rumänien nicht so richtig funktioniert und mit Sanktionen gedroht.
Varsandan: Ja, das wurde tatsächlich gesagt.
Hatting: Sie sehen das anders?
Varsandan: Die Demokratie in Rumänien ist wahrscheinlich und zu Recht im Mittelpunkt dieser Gespräche. Es stellt sich, finde ich, prinzipiell die Frage: Wie steht man dazu, wenn die Mehrheit im Parlament, die sich kürzlich gebildet hat, jetzt diese Entscheidungen in dieser Form trifft. Aber ich finde, dass das Hauptproblem oder eines der Hauptprobleme darin liegt, dass sich solche Mehrheitsverhältnisse zum Beispiel in einem Land wie Rumänien nicht nur durch die Wahl des Volkes sich bilden, sondern gerade wie in der letzten Zeit durch Überläufe von Politikern von einer Partei zur anderen – ist das demokratisch? –, durch die Tatsache, dass die jüngsten Novellierungen des Gesetzes über die Volksabstimmung nur die jüngsten sind – es gab mehrmalige Novellierungen dieses Gesetzes in den letzten Jahren, auch unter der alten Regierung. Das Demokratieverständnis, finde ich, ist geprägt oder sollte geprägt sein auch durch eine Kultur des Dialogs in Rumänien, und die ist, muss ich leider sagen, immer prekärer. Das geht nicht mehr um die Konfrontation von Argumenten, egal für oder welche Partei man spricht, sondern es gibt tatsächlich einen Machtkampf, und da haben Sie das ganz treffend formuliert.
Hatting: Wer ist denn für die Mehrheit der Rumänen der Böse, in Anführungszeichen, Regierungschef Ponta oder der suspendierte Präsident Basescu?
Varsandan: Das variiert, habe ich den Eindruck, zurzeit, gemäß Umfragen zumindest, zurzeit der Böse: der Staatspräsident Basescu. Man soll ja auch schließlich nicht vergessen, dass es der gleiche Staatspräsident war, der im Mittelpunkt von langwährenden Straßendemonstrationen im vergangenen Winter war. Er hat von seiner ursprünglichen Popularität verloren infolge von drastischen Wirtschaftsmaßnahmen, gerade für den öffentlichen Dienst, und nicht zuletzt auch durch einen Führungsstil mit ... ebenfalls mit leichten autoritären Tönen. Das ist Basescu überhaupt zuzuordnen: Er hat nicht als Moderator gewirkt als Staatspräsident. In Rumänien ist oder hat der Staatspräsident parteilos zu sein, sofort nach seinem Amtsantritt, oder parteilos zu werden genauer gesagt und ab da nur noch als Moderator zu wirken, zu schlichten und den Dialog zu vermitteln. Das hat Basescu lange Zeit nicht getan. Er hat sich bekannt zu den politischen Werten und Formationen, die ihn unterstützt hatten und die er unterstützen wollte. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass es äußerst fraglich ist, dass jetzt solche Hinderungen gibt, die man auch an der Grenze der Gesetzmäßigkeit betrachten kann, ...
Hatting: ... und auch im Ausland sehr kritisch sieht.
Varsandan: ... und auch im Ausland wie gesagt nachvollziehbarerweise sehr kritisch aufgenommen wurden.
Hatting: Was erwarten Sie von der Volksabstimmung am 29. Juli?
Varsandan: Dass sie Klarheit schafft, dass sie Klarheit schafft, denn dann weiß man sozusagen, wie man steht. Entweder bekennt sich das Volk nach den nächsten zwei, zweieinhalb Wochen wieder zu Basescu – zurzeit steht er nicht so gut in den Umfragen –, oder bekennt sich das Volk zu den Maßnahmen der Regierung Ponta. Aber ob so oder so finde ich, dass unabhängig davon, welches die Konsequenz dieser Volksabstimmung sein wird, dass diese Volksabstimmung eben gesetz- und verfassungsmäßig laufen muss.
Ich habe auch die Diskussion verfolgt über die Besorgnis, was die Veröffentlichung von Urteilen des Verfassungsgerichts betrifft. Ich muss mir auch ganz ehrlich die Frage stellen, wieso einige dieser Urteile, deren Veröffentlichung nie beklagt wird, auch auf der Seite des Verfassungsgerichts selbst nicht zu lesen sind. Auf der anderen Seite steht es wiederum in der gleichen rumänischen Verfassung, dass das Verfassungsgericht die Aufsicht über die Regelmäßigkeit der Volksabstimmung hat.
Hatting: Wir werden es im Ausland sicherlich mit Spannung verfolgen, wie diese Volksabstimmung ausgeht. Das war der ...
Varsandan: Und das Ergebnis der Volksabstimmung hat vom Verfassungsgericht bestätigt zu sein.
Hattig: Das werden wir erleben. Lucian Varsandan war das, Intendant des Deutschen Staatstheaters in Temesvar. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Varsandan!
Varsandan: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das vollständige Gespräch mit Lucian Varsandan können Sie bis zum 13.8.2012 als
[url=http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2012/07/13/drk_20120713_0750_fd2474c0.mp3
title="MP3-Audio" target="_blank"]MP3-Audio[/url] in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
Lucian Varsandan: Guten Morgen!
Hatting: Ist das, was gerade in Ihrem Land passiert, eine Tragödie?
Varsandan: Ich würde das nicht als Tragödie bezeichnen, das ist ein Machtkampf. Eine Tragödie ist etwas, was bereits tragische Auswirkungen hat. Es ist eine sehr lebhafte, politische Diskussion, aber eine Tragödie ist es nicht.
Hatting: Finden Sie es richtig, dass sich der Regierungschef Victor Ponta vor den Chefs der EU rechtfertigen musste?
Varsandan: Was heißt rechtfertigen – es gab Diskussionen. Ich finde, dass die Reaktion und Besorgnis der EU nachvollzogen werden kann, gerade im Hinblick auf die Schnelligkeit, mit der die rumänische Regierung und die neu gebildete Mehrheit seit einiger Zeit vorgegangen sind. Ich empfinde das jetzt nicht als Rechtfertigung, auf der anderen Seite ist es auch normal, dass ein Dialog zu diesem Thema stattfindet, wenn solche Änderungen in einem EU-Staat vorkommen.
Hatting: Sie sprechen jetzt sehr vorsichtig von Dialog und von Änderungen. Die EU-Kommission hat ja ganz klar davon gesprochen, dass möglicherweise die Demokratie in Rumänien nicht so richtig funktioniert und mit Sanktionen gedroht.
Varsandan: Ja, das wurde tatsächlich gesagt.
Hatting: Sie sehen das anders?
Varsandan: Die Demokratie in Rumänien ist wahrscheinlich und zu Recht im Mittelpunkt dieser Gespräche. Es stellt sich, finde ich, prinzipiell die Frage: Wie steht man dazu, wenn die Mehrheit im Parlament, die sich kürzlich gebildet hat, jetzt diese Entscheidungen in dieser Form trifft. Aber ich finde, dass das Hauptproblem oder eines der Hauptprobleme darin liegt, dass sich solche Mehrheitsverhältnisse zum Beispiel in einem Land wie Rumänien nicht nur durch die Wahl des Volkes sich bilden, sondern gerade wie in der letzten Zeit durch Überläufe von Politikern von einer Partei zur anderen – ist das demokratisch? –, durch die Tatsache, dass die jüngsten Novellierungen des Gesetzes über die Volksabstimmung nur die jüngsten sind – es gab mehrmalige Novellierungen dieses Gesetzes in den letzten Jahren, auch unter der alten Regierung. Das Demokratieverständnis, finde ich, ist geprägt oder sollte geprägt sein auch durch eine Kultur des Dialogs in Rumänien, und die ist, muss ich leider sagen, immer prekärer. Das geht nicht mehr um die Konfrontation von Argumenten, egal für oder welche Partei man spricht, sondern es gibt tatsächlich einen Machtkampf, und da haben Sie das ganz treffend formuliert.
Hatting: Wer ist denn für die Mehrheit der Rumänen der Böse, in Anführungszeichen, Regierungschef Ponta oder der suspendierte Präsident Basescu?
Varsandan: Das variiert, habe ich den Eindruck, zurzeit, gemäß Umfragen zumindest, zurzeit der Böse: der Staatspräsident Basescu. Man soll ja auch schließlich nicht vergessen, dass es der gleiche Staatspräsident war, der im Mittelpunkt von langwährenden Straßendemonstrationen im vergangenen Winter war. Er hat von seiner ursprünglichen Popularität verloren infolge von drastischen Wirtschaftsmaßnahmen, gerade für den öffentlichen Dienst, und nicht zuletzt auch durch einen Führungsstil mit ... ebenfalls mit leichten autoritären Tönen. Das ist Basescu überhaupt zuzuordnen: Er hat nicht als Moderator gewirkt als Staatspräsident. In Rumänien ist oder hat der Staatspräsident parteilos zu sein, sofort nach seinem Amtsantritt, oder parteilos zu werden genauer gesagt und ab da nur noch als Moderator zu wirken, zu schlichten und den Dialog zu vermitteln. Das hat Basescu lange Zeit nicht getan. Er hat sich bekannt zu den politischen Werten und Formationen, die ihn unterstützt hatten und die er unterstützen wollte. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass es äußerst fraglich ist, dass jetzt solche Hinderungen gibt, die man auch an der Grenze der Gesetzmäßigkeit betrachten kann, ...
Hatting: ... und auch im Ausland sehr kritisch sieht.
Varsandan: ... und auch im Ausland wie gesagt nachvollziehbarerweise sehr kritisch aufgenommen wurden.
Hatting: Was erwarten Sie von der Volksabstimmung am 29. Juli?
Varsandan: Dass sie Klarheit schafft, dass sie Klarheit schafft, denn dann weiß man sozusagen, wie man steht. Entweder bekennt sich das Volk nach den nächsten zwei, zweieinhalb Wochen wieder zu Basescu – zurzeit steht er nicht so gut in den Umfragen –, oder bekennt sich das Volk zu den Maßnahmen der Regierung Ponta. Aber ob so oder so finde ich, dass unabhängig davon, welches die Konsequenz dieser Volksabstimmung sein wird, dass diese Volksabstimmung eben gesetz- und verfassungsmäßig laufen muss.
Ich habe auch die Diskussion verfolgt über die Besorgnis, was die Veröffentlichung von Urteilen des Verfassungsgerichts betrifft. Ich muss mir auch ganz ehrlich die Frage stellen, wieso einige dieser Urteile, deren Veröffentlichung nie beklagt wird, auch auf der Seite des Verfassungsgerichts selbst nicht zu lesen sind. Auf der anderen Seite steht es wiederum in der gleichen rumänischen Verfassung, dass das Verfassungsgericht die Aufsicht über die Regelmäßigkeit der Volksabstimmung hat.
Hatting: Wir werden es im Ausland sicherlich mit Spannung verfolgen, wie diese Volksabstimmung ausgeht. Das war der ...
Varsandan: Und das Ergebnis der Volksabstimmung hat vom Verfassungsgericht bestätigt zu sein.
Hattig: Das werden wir erleben. Lucian Varsandan war das, Intendant des Deutschen Staatstheaters in Temesvar. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Varsandan!
Varsandan: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das vollständige Gespräch mit Lucian Varsandan können Sie bis zum 13.8.2012 als
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