In Schalke gäbe es nur Arbeit und Fußball

Von Martin Hartwig |
"Schalke 05" lautet einer der berühmtesten Versprecher des Sportjournalismus und er brachte Carmen Thomas, der ersten Sportmoderatorin im Deutschen Fernsehen viel Häme ein. Bei genauerer Betrachtung kann man Schalke 05 aber durchaus gelten lassen, denn der Club wurde zwar 1904 gegründet, 1905 kam jedoch der Mann zur Welt, der wie kein anderer für der Verein stand und ihn berühmt machte: Ernst Kurzorra.
"Ich wünsche mir, dass wir noch mal Deutscher Meister werden würden."

Der Wunsch, den Ernst Kuzorra an seinem 80igsten Geburtstag äußerte, ging nicht mehr in Erfüllung. Bis heute ist Schalke 04 nicht mehr Deutscher Meister geworden, und als Kuzorra 1990 starb, spielte der Verein sogar in der zweiten Liga. Mit Kuzorras Tod riss die letzte direkte Verbindung zwischen dem modernen Fußballkonzern Schalke 04 und dem alten Arbeiterverein ab.

"Bei uns war das so. Wir kannten hier in Schalke nur Arbeit und Fußball. Ich hab morgens gearbeitet und nachmittags jeden Tag aufm Platz. Nur Fußball gespielt. Wir kannten kein Disco nichts, wir kannten nur wenn es abends dunkel wurde, ins Bett."

Ernst Kuzorra wurde am 16. Oktober 1905 im Gelsenkirchen Blumendelle geboren. Wie fast alle Männer hier arbeitete auch sein Vater unter Tage in der nahe gelegenen Zeche Consolidation. Wäre es nach den Eltern gegangen, hätte ihr viertes Kind Ernst eine Lehre im damals aufkommenden Kraftfahrzeughandwerk gemacht und wäre Chauffeur geworden. Doch der Sohn fing ebenfalls auf der Zeche an. Zudem zeigte er schon recht früh andere Interessen.

"Mein Laufbahn begann am Tage wie ich konfirmiert wurde, ich war erst kein Schalkeanhänger. Und dann wurde ich sonntags morgens konfirmiert und bin dann nachmittags aufm Schalker Platz gewesen noch an der Grenzstraße und da fehlte ein Mann in der zweiten Jugendmannschaft. Und dann kamen die Jungens. Der Betreuer fragt dann ob einer spielen konnte. Da brauchte ich gar nicht nachfragen. Da kamen die anderen zu mir: Herr Jugendleiter, den Kleinen da. Putten nannten sie mich, weil ich war der kleinste. Ja und dann habe ich gespielt, die Erler waren Meister und ham alles weggewichst und dann hab ich mit meinen Konfirmationsschuhe denen vier Stück reingehauen - dann kriegten die sechs Stück. Am anderen Sonntag, zog ich sofort in die erste Jugendmannschaft. Da war ich Schalker, 1919!"

15 Jahre später wurden er und seine Mannschaft das erste Mal deutscher Meister. Und dies auf mit einer in Deutschland bis dahin nicht bekannten Art, Fußball zu spielen.

"Wer auf den Namen gekommen ist, das wissen wir selbst nicht. Auf einmal hieß es in der Presse: Der Schalker Kreisel. Der Ball muss laufen. "

Die Schalker Brüder Bollman hatten den neuen Stil aus England mitgebracht. Anstatt die Bälle hoch und weit nach vorne zu schlagen, wie es damals in Deutschland üblich war, entwickelten die Schalker ein schnelles Kurzpassspiel, bei dem es vor allem darauf ankam, immer anspielbereit zu sein.

Die Erfolge, die auf diese Art herausgespielt wurden, machten Schalke 04 populär - und brachten Geld in die Kasse. Etwas davon reichte der Verein an seine Spieler weiter, die eigentlich alle Amateure sein mussten.

"Wir durften damals fünf Mark bekommen, aber weil wir doch immer diese gewaltigen Zuschauer hatten, dann kriegten wir zehn Mark und die fünf Mark waren zuviel und dann waren wir als Vollprofis erklärt worden. Das war die größte Schweinerei, die ich je gesehen hab."

Wegen Verstoßes gegen das Amateurstatut wurde Schalke vom Spielbetrieb ausgeschlossen. Nach einer Welle wütender Proteste und dem Selbstmord des Schalker Finanzobmannes wurde die Sperre jedoch ein Jahr später wieder aufgehoben. Die Zeit der Schalker Seriensiege begann. Kuzorra und sein Schwager Fritz Szepan bildeten das Herz der Mannschaft.

"Das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft nahm einen sensationellen Verlauf. Schalke 04 schlug Admira Wien 9:0."

Das war 1939. Die Nationalsozialisten suchten die Nähe zu den erfolgreichen Fußballern, deren meist polnische Herkunft jetzt als masurische galt, und damit als quasi-deutsche. Kuzorra und sein Schwager wurden Mitglieder der NSDAP, wobei sich vor allem Fritz Szepan mit öffentlichen Bekenntnissen hervortat. Wirklich Fuß fasste die Partei im Verein jedoch nie. Das chaotische Fußballspiel widersprach im Grunde den nationalsozialistischen Sportvorstellungen. Dazu kam, dass auch damals schon viele der sogenannten Länderkämpfe verloren wurden und Deutschland im internationalen Vergleich keine bedeutende Macht war. Ernst Kuzorra absolvierte relativ wenige Spiele für die Nationalmannschaft, weil er sich mit dem Nationaltrainer Nerz zerstritten hatte.

"Ich sach dann blasen sie mich an Kopp. Das hatt er nicht gemacht und dann war ich raus ausse Nationalmannschaft. Dann hat mich 1938 noch mal Sepp Herberger geholt nach Nürnberg. Da haben wir gegen Ungarn gespielt 2:2 und habe noch ein ganz ganz ausgezeichnetes Spiel gespielt."

Ab 1950 nahm Deutschland wieder am internationalen Spielbetrieb teil - allerdings ohne Ernst Kuzorra, der in diesem Jahr seine Karriere beendete. Noch 40 Jahre blieb er seinem Verein als lebendes Denkmal, Maskottchen und Orakel erhalten. Er sah, wie seine Mannschaft 1958 noch eine weitere Meisterschaft holte, und sah auch den Abstieg des Vereins in den 80er Jahren. Den Wiederaufstieg und die Erfolge der 90er Jahre erlebte er jedoch nicht mehr. Ernst Kuzorra starb am 1. Januar 1990 in Gelsenkirchen.