In stiller Sorge

Von Rebecca Roth |
In Berlin gibt es eine kleine Kirchengemeinde japanischer Christen. Unter ihren Mitgliedern herrscht angesichts der Katastrophe in der Heimat Sorge um die Angehörigen.
Es ist ein kleines Grüppchen. Gerade einmal zehn oder elf Gottesdienstbesucher haben sich in der kleinen Kapelle der Altschöneberger evangelischen Kirche versammelt. Die meisten sind Japaner, einige Deutsche sind dabei. Auch der Pastor, der heute die Predigt hält, ist ein Deutscher. Acht Jahre lang hatte Ingo Feld mit seiner japanisch-deutschen Familie in Tokio gelebt und in Yokohama als Pastor gearbeitet. Nun ist er im Ruhestand in Deutschland – aber er springt gerne ein, wenn die japanische Pastorin gerade nicht kann.

Die Tsunami-Katastrophe und der Reaktorunfall in Fukushima – sie sind auch in diesem Gottesdienst Thema:

"Der Bibeltext war die Versuchung Jesu, und deswegen war dann im Text gesagt worden, dass auch wir Versuchungen ausgesetzt sind. Und die Atomenergie auch uns versucht in Bezug auf die Nutzung der Energie, aber auch mit der Gefahr, die wir jetzt alle vor Augen haben."

Die Gefahr ist noch immer nicht gebannt. Und viele Gemeindemitglieder machen sich große Sorgen um ihre Angehörigen in Japan, auch wenn sie an diesem Sonntag nicht laut darüber reden.

"Die Japanerinnen und Japaner der Gemeinde haben kaum etwas geäußert in Bezug auf ihre Furcht. Und das ist auch so üblich, dass man seine Gefühle nicht nach außen trägt und man sich gegenseitig versichert: Es geht. Wir schaffen das."

Die Pastorin und Leiterin der japanischen Gemeinde in Berlin, Mutsuko Akiba-Krämer, kann die Zurückhaltung ihrer Gemeindeglieder gut verstehen:

"Momentan ist diese Katastrophe für uns Japaner sehr, sehr schmerzhaft. Manche Gemeindemitglieder haben das Gefühl, lasst uns ein kleines bisschen in Ruhe."

Gerade erst ist Mutsuko Akiba-Krämer vorzeitig von ihrer Dienstreise nach Japan zurückgekehrt. Ihr deutscher Ehemann hatte darauf bestanden, aus Sorge um ihren kleinen Sohn, der nicht einmal ein Jahr alt ist. Zu dritt hatten sie das Erdbeben in Tokio miterlebt. Kurz darauf wurden sie von besorgten Freunden aus Deutschland angefleht, die Gefahrenzone so schnell wie möglich zu verlassen. Doch selbst in Sicherheit zu sein, während andere in Japan ausharren, ist für die junge Mutter nicht einfach auszuhalten:

"Mein Vater ist auch evangelischer Pfarrer in Tokio. Und mein Vater hat auch Verantwortung für seine Gemeinde. Und einfach abhauen, das machen wir Japaner nicht."

Seitdem Mutsuko Akiba-Krämer zurück in Berlin ist, ist ihr Laptop quasi ständig an. Über Internet hält sie Kontakt. Als Japanerin möchte sie eigentlich solidarisch sein mit den Menschen, die gerade leiden.

"Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, habe ich die ganze Zeit schlechtes Gewissen, dass ich irgendwie ein Feigling bin. Das ist immer noch ein kompliziertes Gefühl. Dass ich gar nichts für die Leute machen kann, ist für mich sehr, sehr schmerzhaft."

Aber etwas kann sie als Pastorin hier in Berlin doch tun: Gemeinsam mit ihren Gemeindemitgliedern betet sie für die Opfer der Katastrophe und für die Arbeiter, die derzeit im Kernkraftwerk von Fukushima versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Beistand erlebt Pastorin Akiba-Krämer auch von Seiten der evangelischen Kirche in Berlin, wo ihre japanische Gemeinde zu Gast ist. Unmittelbar nach dem Erdbeben bekam sie einen Brief, den auch sehr viele deutsche Gemeindemitglieder unterschrieben hatten.

"'Wir sind als Christen zusammen. Wir schicken Ihnen sehr viel Energie,' solche Sachen haben sie geschrieben und geschickt. Und dieser Brief macht mir richtig Mut und ich war sprachlos begeistert. Mitgefühl habe ich sehr viel gespürt. Das ist auch schon ein großer Trost für mich."

Das Glaubensbekenntnis verbindet die Berliner japanische Gemeinde mit Christen hierzulande – und mit Christen in Japan. Dort wurden fast 40 Kirchen durch das Erdbeben und den Tsunami beschädigt, sagt Pastor Ingo Feld. Er telefoniert regelmäßig mit der Partnerkirche in Japan und organisiert Spenden. Ein Waisenhaus soll damit finanziert werden und Seelsorge-Kurse für die Pastoren in Japan, die selbst traumatisiert sind:

"Denen muss geholfen werden, dass sie stabil sind, um ihren Dienst zu tun, der darin besteht, mit den Menschen - ihren Gemeindegliedern - zu reden und ihnen Mut zu machen, nicht die Katastrophe nur als negative Erscheinung, als Bestrafung zu sehen, wie das manche deuten, sondern als Herausforderung zum Neuanfang."

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