In Syrien entsteht auf Facebook Literatur
Es ist einer der Wege in Syrien, sich mit dem Regime, mit den Problemen und gegenseitigen Positionen auseinanderzusetzen: das Netz und dort besonders die Blogs. Einer der prominentesten Blogger des Landes ist Aboud Saeed. Für die Netzaktivistin Sandra Hetzl schaffen Saeed und andere syrische Blogger eine Art neue Literatur im Netz.
Katrin Heise: Der permanente Ausnahmezustand in Syrien ist längst zum Alltag geworden. Für uns kaum nachvollziehbar, bloggen in sozialen Netzwerken wie Facebook aber auch nicht nur über Angriffe und Tote. Sie interessieren sich auch für Zigaretten, für Frauen, für Spaß. Wir sprechen mit Sandra Hetzl über die syrische Bloggerszene und einen ihrer prominentesten Vertreter, Aboud Saeed, dessen Texte die Publizistin kürzlich auf Deutsch übersetzt hat und als E-Book veröffentlicht hat. Sie studierte an der Universität der Künste und arbeitet als Netzaktivistin, als Dokumentarfilmerin und Übersetzerin aus dem Arabischen. Jetzt ist sie mein Gast. Sandra Hetzl hat auch in Syrien gelebt und verfolgt die syrische Blogosphäre seit gut zwei Jahren, seit Beginn des Aufstandes. Schönen guten Tag, Frau Hetzl!
Sandra Hetzl: Hallo!
Heise: Wie nehmen Sie hier die Nachrichten über Syrien und demgegenüber die Bloggereinträge aus Syrien direkt eigentlich wahr, unterscheiden die sich?
Hetzl: Ja, sehr stark. Wobei, in dieser Bloggerszene gibt es natürlich auch alles an Formaten. Nachrichten werden halt irgendwie in verschiedenster Form wiedergekäut, auf literarische Weise oder in Form von Meinungsstücken, Kommentaren, dann gibt es eben die ganze Facebook-Bloggerszene. Aber es ist halt viel differenzierter natürlich als hier, also, ich schaffe es kaum, also, ich kriege es kaum übers Herz, deutsche Nachrichten zu lesen, weil es viel differenzierter ist, was man über die verschiedenen Blogger auf Facebook bekommt.
Heise: Gibt es Themen oder kann man sagen, die und die Themen sind bestimmend?
Hetzl: Also, ich muss natürlich sagen, die Bloggerszene ist so breit, und dass ich vielleicht mich in einem Teil der Bloggerszene bewege. Es gibt natürlich auch islamistische Bloggerszene, es gibt eine Pro-Regime-Bloggerszene und so weiter. Ich denke, dass ich mich eher in so einer linken, Pro-Demokratieszene so bewege, auf natürlichem Wege einfach, weil gerade Facebook, man vernetzt sich über Freunde und so ergibt sich dann halt ein Riesennetzwerk, was halt aber aus ähnlich gesinnten Leuten besteht.
Heise: In eine bestimmte Richtung geht, genau.
Hetzl: Ja. Eigentlich alle Leute, die irgendwie einen Hintergrund in Literatur oder Kultur haben, schreiben zurzeit, alle schreiben. Also, alle meine Freunde schreiben eigentlich gerade. Und da gibt es welche, die ziemlich bekannt geworden sind auf Facebook zum Beispiel und wirklich eine große Leserschaft haben, und welche, die weniger, also die das auch nicht anstreben und vielleicht einfach nur einen kleinen Freundeskreis haben.
Heise: Sie sagen: "Alle schreiben." Ist das ein Zeichen dessen, dass man sich dort doch immer noch äußern kann und das Leben, das eigentliche Leben, was man führen möchte, inzwischen nur noch so im Internet stattfinden kann?
Hetzl: Ja, also, teilweise. Zum Beispiel was die Leute betrifft, die in Syrien, die noch in Syrien leben – wobei immer mehr Leute das Land natürlich verlassen –, so was, wie: Dass man sich im Café trifft und miteinander redet oder sich besucht gegenseitig, wird gerade auch immer seltener, einfach wegen Sicherheitsproblemen, wegen Straßensperren, auch wegen finanziellen Problemen. Und so ist tatsächlich auch aus so einem Grund Facebook die Möglichkeit, miteinander sich auszutauschen im Land. Dann ist ein großer Teil der Bloggerszene, die auch vor der Revolution schon gebloggt hat, also wirklich bekannte syrische Blogger wie Razan Ghazzawi sind im Ausland, weil: 2011, zu Beginn der Revolution, als die Bewegung halt stark zivilgesellschaftlich und pazifistisch war, hat eben auch das Regime genau diese Bewegung angegriffen. Und da ist man halt für Bloggen getötet oder ins Gefängnis gesteckt worden. Und so sind einige tot und andere sind im Ausland, während jetzt, also jetzt sind die nicht mehr den Leuten hinterher, die irgendetwas schreiben, jetzt weiß auch jeder, ich kann schreiben, was ich will, das ist …
Heise: Das wollte ich gerade fragen: Ist das tatsächlich so? Also dass so Ängste auch, wie die am Anfang ja wahrscheinlich bestanden haben, weil man verfolgt wurde, dass so was abgebaut ist, dass man tatsächlich da ehrlich sein kann?
Hetzl: Weitgehend ja, weil das Regime einfach gerade andere Sachen zu tun hat. Jemand, der auf Facebook schreibt, wird dafür inzwischen nicht mehr verfolgt. Aber was sich auch mit Beginn der Revolution geändert hat: Zuvor gab es halt viel so Blogs, also richtige Blogs, syrische Bloggerszene, die auch wie eine geheime Bewegung war, es war eine große Anonymität, also keiner hat mit seinem Namen gebloggt oder wenige, und man hat sich untereinander auch koordiniert, also diese anonymen Blogger. Das heißt, zum Beispiel haben sie dann eine Kampagne gegen oder für eine bestimmte Sache gemacht, die dann auf allen Blogs gleichzeitig erschienen ist. Das Schreiben auf Facebook, was jetzt viel mehr Raum einnimmt, hat weniger Anonymität.
Heise: Ist es dadurch eine viel persönlichere Sprache, Ansprache geworden?
Hetzl: Ja, beziehungsweise eine Sache, die ich im syrischen Facebook sehr stark beobachte, ist Literatur, die auf Facebook geschrieben wird. Also, ich persönlich glaube – ich kann es nicht überprüfen –, dass es in vielleicht keiner anderen Sprache oder in keinem anderen Land so viel Literatur gibt, die auf Facebook geschrieben wird.
Heise: Was für Themen werden da zum Beispiel literarisch dann bearbeitet?
Hetzl: Alles Mögliche. Also, es gibt Leute, die Gedichte schreiben, es gibt Leute, die auf literarische Weise über die Situation in Syrien schreiben, es gibt Leute, die ganz wenig über Syrien schreiben, die einfach den Fokus ganz weit wegrichten. Aber was, denke ich, gemeinsam ist bei dieser Facebook-Literatur, ist, dass der Autor das Publikum, seine Leserschaft … ein sehr starkes Bewusstsein für seine Leserschaft hat. Weil er bekommt direkte Reaktionen unter seinen Post eventuell.
Heise: Weil man im Austausch ist, genau.
Hetzl: Oder er bekommt Likes. Und das hat Vor- und Nachteile. Weil natürlich auch ein gewisses Posen dabei ist dann, also was sich einfach einstellt. Wenn man als Autor normalerweise ein Buch schreibt, dann hat man diese anonyme Leserschaft …
Heise: … die man sich irgendwie vorstellt, die man anspricht.
Hetzl: Genau.
Heise: Irgendwann bekommt man vielleicht dann auch bei veröffentlichten Büchern mit, wie die eigentliche Leserschaft, bei Lesereisen beispielsweise, denn nun eigentlich aussieht, das ist natürlich viel unmittelbarer. Und der Internetschriftsteller richtet sich direkt auf sein Publikum ein, schreibt ihnen vielleicht auch nach dem Mund.
Hetzl: Genau, oder vielleicht gibt es diese Gefahr, vielleicht kann so was schnell passieren dadurch, dass man direkt sieht, oh, dafür habe ich jetzt Likes bekommen, dafür nicht.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" ist die Publizistin Sandra Hetzl zu Gast, es geht um syrische Blogger im Allgemeinen und aber auch im Besonderen. Denn Sie, Frau Hetzl, haben den Blogger Aboud Saeed, sind auf diesen Blogger aufmerksam geworden, Sie lesen seine Blogs, kommunizieren auch mit ihm via Netz. Seine Blogeinträge heben sich ja ab, obwohl Sie die Vielfalt ja jetzt die ganze Zeit schon der Bloggerszene betont haben, heben sich trotzdem aber noch mal ab von anderen syrischen Einträgen. Vielleicht durch das doch sehr starke provozierende Moment, das er hat. Wir hören mal einige Einträge!
Sprecher: Außerdem, dem Bürgerkrieg zum Trotz, während ich und meine Mutter zusammen rauchen, sage ich ihr: Mama, zieh mal richtig lange, zieh, dass dir der Rauch richtig im Herzen spielt! Da zieht meine Mutter und lächelt zufrieden. Mama, sag mal, du willst doch ins Paradies, oder? Sprich mir nach: Scheiß auf die Sunniten und die Schiiten und die Christen und die Drusen und die Juden und die Ungläubigen und die Muslime, allesamt! Meine Mutter zögert, schaut mich an, ihre Augen ganz rot vom Rauch und sie fragt mich: Darf man so etwas denn sagen? Klar, Mama, darf man das! Was spricht denn dagegen? – Ich bin Aboud Saeed, das Arschloch. Immer wenn ich einen Wasserhahn sehe, drehe ich ihn auf, immer wenn ich eine Schraubenmutter entdecke, löse ich sie, immer wenn ich den Gebetsruf höre, mache ich die Musik lauter, immer wenn meine Schuhsohlen voller Schlamm sind, suche ich nach sauberem Marmor, immer wenn ich Shakiras Hintern sehe, beanstande ich die Nase meiner Freundin, immer wenn mich ein Mädchen auf Facebook löscht, lösche ich im Gegenzug fünf Männer.
Heise: Was fasziniert Sie besonders an Aboud Saeed?
Hetzl: Also, eine Sache, die ihn ausmacht, ist, dass er vom Rand der Gesellschaft, aus einer sehr marginalisierten Schicht auch in Syrien, aus einem Ort stammt, den niemand kannte außer den Bewohnern dieses Orts, nämlich Manbij ..
Heise: Das ist ein kleiner Ort in der Nähe der türkischen Grenze.
Hetzl: Genau, in der Provinz von Aleppo. Er arbeitet einen einfachen Beruf, er ist Schmied, er hat die Schule abgebrochen, lebt jetzt nicht in herausragenden wirtschaftlichen Verhältnissen mit vielen Geschwistern. Und dass er von dieser Position aus sich selbst zu einem Autor gemacht hat und dann noch dazu zu so einem, der auf so eine provokante Weise schreibt, das finde ich sehr bemerkenswert und ich denke, das finden viele sehr bemerkenswert an ihm, viele seiner Leser auch, unter denen auch viele sehr wichtige Intellektuelle der arabischen Welt sind oder viele Schriftsteller, die schon ganz viel veröffentlicht haben. Und das ist halt faszinierend, dieses Element, der Schmied aus der Provinzstadt. Zum Beispiel gibt es einen Post, die Minze in meinem Tee ist wichtiger als das Pokemon auf deiner Unterhose! Ich glaube, viele seiner Posts sind tatsächlich Kommentare zu diesem Schichtenunterschied zwischen vielleicht ihm und seiner Leserschaft, und dann bläst der das natürlich auch noch auf und sagt, ja, ich muss meine Liebesbriefe immer im Hühnerstall verstecken, letztens hat mir ein Huhn aufs PS gekackt, und solche Sachen!
Heise: Hat Aboud Saeed jetzt in dieser Situation, in dieser Situation auch des totalen Chaos Freiheiten im Netz? Sie haben vorhin auch die immer freier und immer privater werdenden Ansprachen erwähnt, gibt es im Moment Freiheiten im Netz, die sehr wahrscheinlich nach einer Machtübernahme, Wiedermachtübernahme von Assad oder aber Machtübernahme von Islamisten – man kann sich ja gar nicht vorstellen, wo es hinläuft – so nicht mehr existent sein werden?
Hetzl: Also erst mal: Ich glaube nicht, dass es nur diese zwei Optionen gibt. Also, ich glaube, dass es die erste schon mal gar nicht gibt, die Machtübernahme von Assad, meine persönliche Meinung. Und mit den Islamisten, das wird man noch sehen. Aber ja, tatsächlich, jetzt gerade ist das Regime einfach wirklich zu beschäftigt als, wie vorher oder wie zu Beginn der Revolution, als eben noch ein rein zivilgesellschaftlicher Aufstand war, sich darum zu kümmern, Blogger zu töten oder ins Gefängnis zu stecken. Also jetzt gerade gibt es ein starkes Bewusstsein bei allen: "Ich kann schreiben, was ich will, ich werde deswegen nicht verfolgt werden."
Heise: Wie schreibt Aboud Saeed oder wie schreibt auch insgesamt die Bloggerszene, wie nehmen Sie das wahr, über die Zukunft? Was für Vorstellungen existieren da?
Hetzl: Also, konkret über die Zukunft Syriens steht bei ihm wenig. Aber ich glaube, es spiegelt sich schon sehr, wie man sich fühlt, wie man sich im Moment fühlt, wenn man wie er in Manbij lebt und die Hauptstadt der Provinz Aleppo gerade in Staub zerfällt und ab und zu Bomben auf Manbij landen. Also, die Zukunft ist einfach in absoluter Dunkelheit. Und diese Dunkelheit kommt sehr stark in seinen Texten rüber!
Heise: Sandra Hetzl war hier, im Studio bei uns im "Radiofeuilleton". Über Blogger aus Syrien, ihren Alltag, ihre Gedanken haben wir gesprochen. Frau Hetzl, vielen Dank für Ihren Besuch hier!
Hetzl: Bitte, gern geschehen!
Heise: Ihr E-Book mit Texten von Aboud Saeed ist unter mikrotext.de zu finden und heißt "Aboud Saeed. Der klügste Mensch in Facebook".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Briten wollen diplomatischen Druck auf Assad erhöhen - Nach dem Ende des EU-Waffenembargos für Syrien
Radio für Syrien
Sandra Hetzl: Hallo!
Heise: Wie nehmen Sie hier die Nachrichten über Syrien und demgegenüber die Bloggereinträge aus Syrien direkt eigentlich wahr, unterscheiden die sich?
Hetzl: Ja, sehr stark. Wobei, in dieser Bloggerszene gibt es natürlich auch alles an Formaten. Nachrichten werden halt irgendwie in verschiedenster Form wiedergekäut, auf literarische Weise oder in Form von Meinungsstücken, Kommentaren, dann gibt es eben die ganze Facebook-Bloggerszene. Aber es ist halt viel differenzierter natürlich als hier, also, ich schaffe es kaum, also, ich kriege es kaum übers Herz, deutsche Nachrichten zu lesen, weil es viel differenzierter ist, was man über die verschiedenen Blogger auf Facebook bekommt.
Heise: Gibt es Themen oder kann man sagen, die und die Themen sind bestimmend?
Hetzl: Also, ich muss natürlich sagen, die Bloggerszene ist so breit, und dass ich vielleicht mich in einem Teil der Bloggerszene bewege. Es gibt natürlich auch islamistische Bloggerszene, es gibt eine Pro-Regime-Bloggerszene und so weiter. Ich denke, dass ich mich eher in so einer linken, Pro-Demokratieszene so bewege, auf natürlichem Wege einfach, weil gerade Facebook, man vernetzt sich über Freunde und so ergibt sich dann halt ein Riesennetzwerk, was halt aber aus ähnlich gesinnten Leuten besteht.
Heise: In eine bestimmte Richtung geht, genau.
Hetzl: Ja. Eigentlich alle Leute, die irgendwie einen Hintergrund in Literatur oder Kultur haben, schreiben zurzeit, alle schreiben. Also, alle meine Freunde schreiben eigentlich gerade. Und da gibt es welche, die ziemlich bekannt geworden sind auf Facebook zum Beispiel und wirklich eine große Leserschaft haben, und welche, die weniger, also die das auch nicht anstreben und vielleicht einfach nur einen kleinen Freundeskreis haben.
Heise: Sie sagen: "Alle schreiben." Ist das ein Zeichen dessen, dass man sich dort doch immer noch äußern kann und das Leben, das eigentliche Leben, was man führen möchte, inzwischen nur noch so im Internet stattfinden kann?
Hetzl: Ja, also, teilweise. Zum Beispiel was die Leute betrifft, die in Syrien, die noch in Syrien leben – wobei immer mehr Leute das Land natürlich verlassen –, so was, wie: Dass man sich im Café trifft und miteinander redet oder sich besucht gegenseitig, wird gerade auch immer seltener, einfach wegen Sicherheitsproblemen, wegen Straßensperren, auch wegen finanziellen Problemen. Und so ist tatsächlich auch aus so einem Grund Facebook die Möglichkeit, miteinander sich auszutauschen im Land. Dann ist ein großer Teil der Bloggerszene, die auch vor der Revolution schon gebloggt hat, also wirklich bekannte syrische Blogger wie Razan Ghazzawi sind im Ausland, weil: 2011, zu Beginn der Revolution, als die Bewegung halt stark zivilgesellschaftlich und pazifistisch war, hat eben auch das Regime genau diese Bewegung angegriffen. Und da ist man halt für Bloggen getötet oder ins Gefängnis gesteckt worden. Und so sind einige tot und andere sind im Ausland, während jetzt, also jetzt sind die nicht mehr den Leuten hinterher, die irgendetwas schreiben, jetzt weiß auch jeder, ich kann schreiben, was ich will, das ist …
Heise: Das wollte ich gerade fragen: Ist das tatsächlich so? Also dass so Ängste auch, wie die am Anfang ja wahrscheinlich bestanden haben, weil man verfolgt wurde, dass so was abgebaut ist, dass man tatsächlich da ehrlich sein kann?
Hetzl: Weitgehend ja, weil das Regime einfach gerade andere Sachen zu tun hat. Jemand, der auf Facebook schreibt, wird dafür inzwischen nicht mehr verfolgt. Aber was sich auch mit Beginn der Revolution geändert hat: Zuvor gab es halt viel so Blogs, also richtige Blogs, syrische Bloggerszene, die auch wie eine geheime Bewegung war, es war eine große Anonymität, also keiner hat mit seinem Namen gebloggt oder wenige, und man hat sich untereinander auch koordiniert, also diese anonymen Blogger. Das heißt, zum Beispiel haben sie dann eine Kampagne gegen oder für eine bestimmte Sache gemacht, die dann auf allen Blogs gleichzeitig erschienen ist. Das Schreiben auf Facebook, was jetzt viel mehr Raum einnimmt, hat weniger Anonymität.
Heise: Ist es dadurch eine viel persönlichere Sprache, Ansprache geworden?
Hetzl: Ja, beziehungsweise eine Sache, die ich im syrischen Facebook sehr stark beobachte, ist Literatur, die auf Facebook geschrieben wird. Also, ich persönlich glaube – ich kann es nicht überprüfen –, dass es in vielleicht keiner anderen Sprache oder in keinem anderen Land so viel Literatur gibt, die auf Facebook geschrieben wird.
Heise: Was für Themen werden da zum Beispiel literarisch dann bearbeitet?
Hetzl: Alles Mögliche. Also, es gibt Leute, die Gedichte schreiben, es gibt Leute, die auf literarische Weise über die Situation in Syrien schreiben, es gibt Leute, die ganz wenig über Syrien schreiben, die einfach den Fokus ganz weit wegrichten. Aber was, denke ich, gemeinsam ist bei dieser Facebook-Literatur, ist, dass der Autor das Publikum, seine Leserschaft … ein sehr starkes Bewusstsein für seine Leserschaft hat. Weil er bekommt direkte Reaktionen unter seinen Post eventuell.
Heise: Weil man im Austausch ist, genau.
Hetzl: Oder er bekommt Likes. Und das hat Vor- und Nachteile. Weil natürlich auch ein gewisses Posen dabei ist dann, also was sich einfach einstellt. Wenn man als Autor normalerweise ein Buch schreibt, dann hat man diese anonyme Leserschaft …
Heise: … die man sich irgendwie vorstellt, die man anspricht.
Hetzl: Genau.
Heise: Irgendwann bekommt man vielleicht dann auch bei veröffentlichten Büchern mit, wie die eigentliche Leserschaft, bei Lesereisen beispielsweise, denn nun eigentlich aussieht, das ist natürlich viel unmittelbarer. Und der Internetschriftsteller richtet sich direkt auf sein Publikum ein, schreibt ihnen vielleicht auch nach dem Mund.
Hetzl: Genau, oder vielleicht gibt es diese Gefahr, vielleicht kann so was schnell passieren dadurch, dass man direkt sieht, oh, dafür habe ich jetzt Likes bekommen, dafür nicht.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" ist die Publizistin Sandra Hetzl zu Gast, es geht um syrische Blogger im Allgemeinen und aber auch im Besonderen. Denn Sie, Frau Hetzl, haben den Blogger Aboud Saeed, sind auf diesen Blogger aufmerksam geworden, Sie lesen seine Blogs, kommunizieren auch mit ihm via Netz. Seine Blogeinträge heben sich ja ab, obwohl Sie die Vielfalt ja jetzt die ganze Zeit schon der Bloggerszene betont haben, heben sich trotzdem aber noch mal ab von anderen syrischen Einträgen. Vielleicht durch das doch sehr starke provozierende Moment, das er hat. Wir hören mal einige Einträge!
Sprecher: Außerdem, dem Bürgerkrieg zum Trotz, während ich und meine Mutter zusammen rauchen, sage ich ihr: Mama, zieh mal richtig lange, zieh, dass dir der Rauch richtig im Herzen spielt! Da zieht meine Mutter und lächelt zufrieden. Mama, sag mal, du willst doch ins Paradies, oder? Sprich mir nach: Scheiß auf die Sunniten und die Schiiten und die Christen und die Drusen und die Juden und die Ungläubigen und die Muslime, allesamt! Meine Mutter zögert, schaut mich an, ihre Augen ganz rot vom Rauch und sie fragt mich: Darf man so etwas denn sagen? Klar, Mama, darf man das! Was spricht denn dagegen? – Ich bin Aboud Saeed, das Arschloch. Immer wenn ich einen Wasserhahn sehe, drehe ich ihn auf, immer wenn ich eine Schraubenmutter entdecke, löse ich sie, immer wenn ich den Gebetsruf höre, mache ich die Musik lauter, immer wenn meine Schuhsohlen voller Schlamm sind, suche ich nach sauberem Marmor, immer wenn ich Shakiras Hintern sehe, beanstande ich die Nase meiner Freundin, immer wenn mich ein Mädchen auf Facebook löscht, lösche ich im Gegenzug fünf Männer.
Heise: Was fasziniert Sie besonders an Aboud Saeed?
Hetzl: Also, eine Sache, die ihn ausmacht, ist, dass er vom Rand der Gesellschaft, aus einer sehr marginalisierten Schicht auch in Syrien, aus einem Ort stammt, den niemand kannte außer den Bewohnern dieses Orts, nämlich Manbij ..
Heise: Das ist ein kleiner Ort in der Nähe der türkischen Grenze.
Hetzl: Genau, in der Provinz von Aleppo. Er arbeitet einen einfachen Beruf, er ist Schmied, er hat die Schule abgebrochen, lebt jetzt nicht in herausragenden wirtschaftlichen Verhältnissen mit vielen Geschwistern. Und dass er von dieser Position aus sich selbst zu einem Autor gemacht hat und dann noch dazu zu so einem, der auf so eine provokante Weise schreibt, das finde ich sehr bemerkenswert und ich denke, das finden viele sehr bemerkenswert an ihm, viele seiner Leser auch, unter denen auch viele sehr wichtige Intellektuelle der arabischen Welt sind oder viele Schriftsteller, die schon ganz viel veröffentlicht haben. Und das ist halt faszinierend, dieses Element, der Schmied aus der Provinzstadt. Zum Beispiel gibt es einen Post, die Minze in meinem Tee ist wichtiger als das Pokemon auf deiner Unterhose! Ich glaube, viele seiner Posts sind tatsächlich Kommentare zu diesem Schichtenunterschied zwischen vielleicht ihm und seiner Leserschaft, und dann bläst der das natürlich auch noch auf und sagt, ja, ich muss meine Liebesbriefe immer im Hühnerstall verstecken, letztens hat mir ein Huhn aufs PS gekackt, und solche Sachen!
Heise: Hat Aboud Saeed jetzt in dieser Situation, in dieser Situation auch des totalen Chaos Freiheiten im Netz? Sie haben vorhin auch die immer freier und immer privater werdenden Ansprachen erwähnt, gibt es im Moment Freiheiten im Netz, die sehr wahrscheinlich nach einer Machtübernahme, Wiedermachtübernahme von Assad oder aber Machtübernahme von Islamisten – man kann sich ja gar nicht vorstellen, wo es hinläuft – so nicht mehr existent sein werden?
Hetzl: Also erst mal: Ich glaube nicht, dass es nur diese zwei Optionen gibt. Also, ich glaube, dass es die erste schon mal gar nicht gibt, die Machtübernahme von Assad, meine persönliche Meinung. Und mit den Islamisten, das wird man noch sehen. Aber ja, tatsächlich, jetzt gerade ist das Regime einfach wirklich zu beschäftigt als, wie vorher oder wie zu Beginn der Revolution, als eben noch ein rein zivilgesellschaftlicher Aufstand war, sich darum zu kümmern, Blogger zu töten oder ins Gefängnis zu stecken. Also jetzt gerade gibt es ein starkes Bewusstsein bei allen: "Ich kann schreiben, was ich will, ich werde deswegen nicht verfolgt werden."
Heise: Wie schreibt Aboud Saeed oder wie schreibt auch insgesamt die Bloggerszene, wie nehmen Sie das wahr, über die Zukunft? Was für Vorstellungen existieren da?
Hetzl: Also, konkret über die Zukunft Syriens steht bei ihm wenig. Aber ich glaube, es spiegelt sich schon sehr, wie man sich fühlt, wie man sich im Moment fühlt, wenn man wie er in Manbij lebt und die Hauptstadt der Provinz Aleppo gerade in Staub zerfällt und ab und zu Bomben auf Manbij landen. Also, die Zukunft ist einfach in absoluter Dunkelheit. Und diese Dunkelheit kommt sehr stark in seinen Texten rüber!
Heise: Sandra Hetzl war hier, im Studio bei uns im "Radiofeuilleton". Über Blogger aus Syrien, ihren Alltag, ihre Gedanken haben wir gesprochen. Frau Hetzl, vielen Dank für Ihren Besuch hier!
Hetzl: Bitte, gern geschehen!
Heise: Ihr E-Book mit Texten von Aboud Saeed ist unter mikrotext.de zu finden und heißt "Aboud Saeed. Der klügste Mensch in Facebook".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Briten wollen diplomatischen Druck auf Assad erhöhen - Nach dem Ende des EU-Waffenembargos für Syrien
Radio für Syrien