"In Tokio sehe ich jetzt keine Massenpanik"
Ehe es in Japan zu einer grundsätzlichen Debatte über die Kernenergie komme, müsse der GAU tatsächlich passieren. Das sagt Wilhelm Vosse, Professor für Politikwissenschaft an der International Christian University in Tokio. Das Land habe bei der Stromerzeugung einfach keine Alternativen.
Jan-Christoph Kitzler: Gar nicht mal so einfach ist das, sich ein Bild von der katastrophalen Lage in Japan zu machen. Denn zum einen sind ganze Landstriche nach dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami verwüstet, es gab neue schwere Beben, und zum anderen droht natürlich eine atomare Katastrophe. In drei Atomkraftwerken gibt es weiterhin Probleme mit der Kühlung von Brennstäben, und an Reaktor 3 des AKW Fukushima 1 hat es, wie auch schon an Reaktor 1, heute Morgen eine Explosion gegeben. Noch gibt es nicht konkrete Informationen, was das für Folgen hat, aber es stellt sich natürlich die Frage, wie gehen die Japaner damit um und welche Wirkung zeigt die Katastrophe in der japanischen Gesellschaft? Das will ich nun besprechen mit Wilhelm Vosse, Professor für Politikwissenschaften an der International Christian University in Tokio. Dort ist es jetzt kurz nach 14 Uhr, also guten Tag!
Wilhelm Vosse: Ja guten Tag nach Deutschland!
Kitzler: Wie erleben Sie denn persönlich die Situation aktuell, ist die Angst groß in Tokio?
Vosse: Ja, zum Teil schon. Also heute war ja eigentlich angekündigt, dass uns der Strom in Tokio abgeschaltet wird. Das wäre sozusagen die erste Reaktion oder die erste Maßnahme gewesen, die also auch Leute in Tokio jetzt direkt spüren. Dass sie direkt die negativen Auswirkungen dieser Katastrophe an sich spüren. Das ist jetzt zunächst mal zurückgefahren worden, also der Strom ist weiter da, deswegen können wir uns auch unterhalten. Aber ich bin vorhin einfach mal so ein bisschen rumgefahren, und die Leute haben sich also eingedeckt mit Essen und mit Batterien, weil der Strom halt ausfallen sollte. Und es sieht fast so aus, dass die lebensnotwendigen Sachen in den Geschäften praktisch nicht mehr vorhanden sind und die Leute die Geschäfte leergekauft haben.
Kitzler: Die Gefahr ist ja noch nicht vorbei, es drohen ja weitere Erdbeben, heute morgen hat es bei Ihnen eins gegeben, was gar nicht mal … ziemlich schwer war …
Vosse: … ja …
Kitzler: … Tsunamis sind die mögliche Folge natürlich. Und es droht immer noch die nukleare Katastrophe. Was besorgt denn die Menschen von diesen drei Dingen am meisten?
Vosse: Das ist natürlich schwer zu sagen. Also da müsste man jetzt Umfragen machen zum Beispiel oder … Aber ich glaube, den Eindruck, den ich habe, dass … Es ist eine Mischung zwischen beidem. Also das ist, wenn man die Berichterstattung sich im Fernsehen hier anguckt, dann ist es schon auch sehr viel der Tsunami, es sind diese ersten Aufräumarbeiten, und zwischendurch dann immer wieder diese Pressekonferenzen der japanischen Regierung, wo dann versucht wird zu erklären, warum es zum Beispiel heute diese zweite Explosion gegeben hat.
In Tokio sehe ich jetzt keine Massenpanik. Also es ist schon, es ist eigentlich relativ ruhig hier, die Leute haben, gehen wie gesagt einkaufen und versuchen sich einzudecken, versuchen sich vorzubereiten, aber ich sehe jetzt keine Panik und auch keine größeren Ströme von Leuten, die das Land verlassen. Aber die Schulen sind zum großen Teil geschlossen, viele Firmen haben auch geschlossen, und da zumindest angekündigt war, dass der Strom ausgeschaltet werden soll, sind auch viele Geschäfte geschlossen, jetzt heute Nachmittag zumindest.
Kitzler: Wie beurteilen Sie eigentlich die japanische Informationspolitik? Bei uns kommt das so an, alles andere als souverän. Weiß man es einfach nicht besser, weil die Lage so, so verworren ist, oder ist das vielleicht auch Taktik, um Paniken zu verhindern? Oder ist das vielleicht auch ein Teil der japanischen Mentalität? Wie sehen Sie das?
Vosse: Ja das ist eine Mischung von allem. Also ob der Regierungssprecher tatsächlich wesentlich mehr weiß als das, was er sagt, da bin ich nicht sicher, weil natürlich auch die Regierung davon überrascht ist, die Regierung selber gerade in einer ganz, ganz großen Krise war und die Regierungsmitglieder natürlich mit diesen konkreten Problemen bisher soweit auch nicht beschäftigt waren.
Es ist allerdings sonst bisher auch übliche Taktik gewesen, in ähnlichen oder natürlich in wesentlich kleineren, aber in Unfällen in Kernkraftwerken, selbst in schweren Unfällen – 1999 gab es ein Leck in Tokai-mura, das ist ein Kernkraftwerk, in dessen Folge dann sozusagen zwei Mitarbeiter gestorben sind und auch Radioaktivität nach außen gedrungen ist. Aber auch danach hat es eigentlich keine nationale Diskussion über die Kernenergie an sich gegeben, sondern die allgemeine Einschätzung ist, dass man das technisch bewerkstelligen kann, technisch damit umgehen kann. Und das ist ja sozusagen auch die Informationspolitik im Moment der Regierung, dass man durch diese Flutung des ersten Reaktors zum Beispiel zeigt, dass man was macht, dass man was tut und dass man an der Sache dran ist und dass die Gefahr zunächst mal nicht so groß ist.
Sicherlich hängt es auch damit zusammen, dass die Regierung keine Panik auslösen will, vor allen Dingen nicht im Großraumgebiet hier in Tokio und Yokohama. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass die Regierung beziehungsweise dass die Stromgesellschaft von Tokio hier, Tepko, sicherlich wesentlich mehr weiß und wesentlich mehr Information hat als die Regierung selber.
Kitzler: Nur noch ganz kurz zum Schluss: Also klar ist doch wohl, dass Japan nach dieser Katastrophe nicht mehr das ist, was es vorher mal war. Können Sie schon, wagen Sie schon einen Ausblick, wie sehr das Land und die Gesellschaft sich dadurch verändern wird?
Vosse: Das ist natürlich im Moment schwer zu sagen, das hängt natürlich jetzt ein bisschen davon ab, ob es wirklich zu einem GAU kommt, ob größere Mengen radioaktiven Materials austreten und da infolgedessen dann eventuell Hunderte oder Tausende oder eventuell noch mehr Leute gesundheitliche Schäden davontragen beziehungsweise dann auch sterben. Das würde sicherlich in Japan auch eine grundsätzliche Debatte zur Kernenergie auslösen.
Aber es muss in Japan schon sehr, sehr viel, also das müsste schon passieren, damit eine grundsätzliche Debatte stattfindet. Denn die Frage ist hier in Japan natürlich, welche Alternativen man hat. Und was die Stromerzeugung anbetrifft, die ja jetzt ungefähr zu einem Drittel aus Kernenergie erzeugt wird, hier hat Japan eigentlich kaum Alternativen. Und Japan macht sich auch ungern von äußeren Mächten abhängig, was es aber natürlich in der Energiefrage tun muss. Also Gas und Öl werden praktisch zu 99 Prozent importiert und die Atomenergie ist da so ein gewisser Buffer, mit der man sozusagen dann einige Zeit auch überleben kann, ohne dass man von ausländischen Regierungen sozusagen direkt abhängig ist.
Kitzler: Wilhelm Vosse war das, Professor für Politikwissenschaft an der International Christian University in Tokio. Vielen Dank und alles Gute Ihnen für die kommenden Tage!
Vosse: Danke schön, wünsche ich Ihnen auch!
Wilhelm Vosse: Ja guten Tag nach Deutschland!
Kitzler: Wie erleben Sie denn persönlich die Situation aktuell, ist die Angst groß in Tokio?
Vosse: Ja, zum Teil schon. Also heute war ja eigentlich angekündigt, dass uns der Strom in Tokio abgeschaltet wird. Das wäre sozusagen die erste Reaktion oder die erste Maßnahme gewesen, die also auch Leute in Tokio jetzt direkt spüren. Dass sie direkt die negativen Auswirkungen dieser Katastrophe an sich spüren. Das ist jetzt zunächst mal zurückgefahren worden, also der Strom ist weiter da, deswegen können wir uns auch unterhalten. Aber ich bin vorhin einfach mal so ein bisschen rumgefahren, und die Leute haben sich also eingedeckt mit Essen und mit Batterien, weil der Strom halt ausfallen sollte. Und es sieht fast so aus, dass die lebensnotwendigen Sachen in den Geschäften praktisch nicht mehr vorhanden sind und die Leute die Geschäfte leergekauft haben.
Kitzler: Die Gefahr ist ja noch nicht vorbei, es drohen ja weitere Erdbeben, heute morgen hat es bei Ihnen eins gegeben, was gar nicht mal … ziemlich schwer war …
Vosse: … ja …
Kitzler: … Tsunamis sind die mögliche Folge natürlich. Und es droht immer noch die nukleare Katastrophe. Was besorgt denn die Menschen von diesen drei Dingen am meisten?
Vosse: Das ist natürlich schwer zu sagen. Also da müsste man jetzt Umfragen machen zum Beispiel oder … Aber ich glaube, den Eindruck, den ich habe, dass … Es ist eine Mischung zwischen beidem. Also das ist, wenn man die Berichterstattung sich im Fernsehen hier anguckt, dann ist es schon auch sehr viel der Tsunami, es sind diese ersten Aufräumarbeiten, und zwischendurch dann immer wieder diese Pressekonferenzen der japanischen Regierung, wo dann versucht wird zu erklären, warum es zum Beispiel heute diese zweite Explosion gegeben hat.
In Tokio sehe ich jetzt keine Massenpanik. Also es ist schon, es ist eigentlich relativ ruhig hier, die Leute haben, gehen wie gesagt einkaufen und versuchen sich einzudecken, versuchen sich vorzubereiten, aber ich sehe jetzt keine Panik und auch keine größeren Ströme von Leuten, die das Land verlassen. Aber die Schulen sind zum großen Teil geschlossen, viele Firmen haben auch geschlossen, und da zumindest angekündigt war, dass der Strom ausgeschaltet werden soll, sind auch viele Geschäfte geschlossen, jetzt heute Nachmittag zumindest.
Kitzler: Wie beurteilen Sie eigentlich die japanische Informationspolitik? Bei uns kommt das so an, alles andere als souverän. Weiß man es einfach nicht besser, weil die Lage so, so verworren ist, oder ist das vielleicht auch Taktik, um Paniken zu verhindern? Oder ist das vielleicht auch ein Teil der japanischen Mentalität? Wie sehen Sie das?
Vosse: Ja das ist eine Mischung von allem. Also ob der Regierungssprecher tatsächlich wesentlich mehr weiß als das, was er sagt, da bin ich nicht sicher, weil natürlich auch die Regierung davon überrascht ist, die Regierung selber gerade in einer ganz, ganz großen Krise war und die Regierungsmitglieder natürlich mit diesen konkreten Problemen bisher soweit auch nicht beschäftigt waren.
Es ist allerdings sonst bisher auch übliche Taktik gewesen, in ähnlichen oder natürlich in wesentlich kleineren, aber in Unfällen in Kernkraftwerken, selbst in schweren Unfällen – 1999 gab es ein Leck in Tokai-mura, das ist ein Kernkraftwerk, in dessen Folge dann sozusagen zwei Mitarbeiter gestorben sind und auch Radioaktivität nach außen gedrungen ist. Aber auch danach hat es eigentlich keine nationale Diskussion über die Kernenergie an sich gegeben, sondern die allgemeine Einschätzung ist, dass man das technisch bewerkstelligen kann, technisch damit umgehen kann. Und das ist ja sozusagen auch die Informationspolitik im Moment der Regierung, dass man durch diese Flutung des ersten Reaktors zum Beispiel zeigt, dass man was macht, dass man was tut und dass man an der Sache dran ist und dass die Gefahr zunächst mal nicht so groß ist.
Sicherlich hängt es auch damit zusammen, dass die Regierung keine Panik auslösen will, vor allen Dingen nicht im Großraumgebiet hier in Tokio und Yokohama. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass die Regierung beziehungsweise dass die Stromgesellschaft von Tokio hier, Tepko, sicherlich wesentlich mehr weiß und wesentlich mehr Information hat als die Regierung selber.
Kitzler: Nur noch ganz kurz zum Schluss: Also klar ist doch wohl, dass Japan nach dieser Katastrophe nicht mehr das ist, was es vorher mal war. Können Sie schon, wagen Sie schon einen Ausblick, wie sehr das Land und die Gesellschaft sich dadurch verändern wird?
Vosse: Das ist natürlich im Moment schwer zu sagen, das hängt natürlich jetzt ein bisschen davon ab, ob es wirklich zu einem GAU kommt, ob größere Mengen radioaktiven Materials austreten und da infolgedessen dann eventuell Hunderte oder Tausende oder eventuell noch mehr Leute gesundheitliche Schäden davontragen beziehungsweise dann auch sterben. Das würde sicherlich in Japan auch eine grundsätzliche Debatte zur Kernenergie auslösen.
Aber es muss in Japan schon sehr, sehr viel, also das müsste schon passieren, damit eine grundsätzliche Debatte stattfindet. Denn die Frage ist hier in Japan natürlich, welche Alternativen man hat. Und was die Stromerzeugung anbetrifft, die ja jetzt ungefähr zu einem Drittel aus Kernenergie erzeugt wird, hier hat Japan eigentlich kaum Alternativen. Und Japan macht sich auch ungern von äußeren Mächten abhängig, was es aber natürlich in der Energiefrage tun muss. Also Gas und Öl werden praktisch zu 99 Prozent importiert und die Atomenergie ist da so ein gewisser Buffer, mit der man sozusagen dann einige Zeit auch überleben kann, ohne dass man von ausländischen Regierungen sozusagen direkt abhängig ist.
Kitzler: Wilhelm Vosse war das, Professor für Politikwissenschaft an der International Christian University in Tokio. Vielen Dank und alles Gute Ihnen für die kommenden Tage!
Vosse: Danke schön, wünsche ich Ihnen auch!