Theaterstück "In unserem Namen" von Sebastian Nübling im Rahmen des Herbstsalon im Maxim Gorki Theater (bis zum 29. November 2015)
Jetzt müssen wir zusammenrücken
Mit Ausstellungen, Performances und Filmen widmet sich das Maxim Gorki Theater in seinem Berliner Herbstsalon dem Thema Flucht. Zu Beginn gab es das Stück "In unserem Namen", in dem in unterschiedlichen Sprachen Fluchtgeschichten erzählt werden.
Sie sprechen Arabisch, Bosnisch, Farsi, Russisch, Serbokroatisch, Türkisch und Deutsch – die 15 Darstellerinnen und Darsteller, die an diesem Abend aus dem Publikum auftauchen und sich zeigen, von sich sprechen, von ihrer Herkunft, manche auch von ihrer Flucht.
Wenn es ein Theater gibt in Deutschland, das prädestiniert ist für eine Aufführung von Elfriede Jelineks hoch aktueller Textfläche "Die Schutzbefohlenen", dann ist es das Maxim Gorki Theater mit seinem postmigrantischen Ensemble. Regisseur Sebastian Nübling kombiniert ihn jedoch auch noch mit der eigentlichen Vorlage, mit dem Aischylos-Drama "Die Schutzflehenden", entstanden wohl um 463 vor Christus.
Vielversprechend ist das, und dann eben doch enttäuschend. Offensichtlich will man bei "In unserem Namen" nicht in die Fallen tappen, in die andere Aufführungen in letzter Zeit geraten sind. Man will nicht Flüchtlinge fremde Texte sprechen, überhaupt möglichst wenig "Theater" entstehen lassen – eher eine möglichst freie, möglichst selbstbewusste Versuchsanordnung schaffen, in der die eigenen Assoziationen, die eigne Selbstrepräsentation von Menschen mit ganz unterschiedlichen Herkunftsgeschichten im Mittelpunkt stehen.
Jelinek und Aischylos aber hätte es dafür nicht gebraucht, die kurzen Ausschnitte (technisch oft holprig im Chor vorgetragen) verpuffen, finden keinen Adressaten, sind nur Stichwortgeber.
Mehr Platz als genug vorhanden
Viel besser gelingen die symbolischen, theatralen Mittel. Das beginnt schon mit dem von allen Stühlen befreiten Publikumsraum: die Zuschauer sitzen auf der Treppe, lehnen an der Wand oder hocken sich auf den Boden, und die Darstellerinnen und Darsteller kommen ihnen nahe, fordern ihren Platz ein, quetschen sich dazwischen, zeigen, dass jetzt zusammengerückt werden muss, dass aber eben auch mehr Platz als genug vorhanden ist.
Auch die israelische Schauspielerin Orit Nahmias bekommt einige gescheite, stichhaltige Comedy-Momente zugestanden, in denen sie schnoddrig über unser Bedürfnis spricht, uns vom Leid der Geflohenen abzuwenden, uns lieber in fröhlicher Verdrängung an unserer privilegierten Situation zu erfreuen.
Doch insgesamt, auch in der halb parodistischen Nachspielerei einer Bundestagsdebatte um die Änderung des Bleiberechts, fehlt diesem Abend die nötige Schärfe, auch die nötige Differenziertheit, um den aktuellen Konflikten wirklich nahe zu kommen.
Aber bedenkt man, dass diese Premiere am Abend der Paris-Attentate über die Bühne geht, empfindet man nicht nur Sympathie, sondern regelrecht Dankbarkeit für die Gesten der Annäherung, der Selbstverständlichkeit, die Nüblings Inszenierung entstehen lässt – und mit dem gesamten Herbstsalon teilt, den das Maxim Gorki Theater noch bis zum 29. November ausrichtet.
Ankommen in der Einwandererstadt Berlin
Insgesamt 50 Künstler zeigen Ausstellungen, Performances, Gastspiele, Filme und beteiligen sich an Debatten rund ums Thema der Flucht und des Ankommens in der Einwandererstadt Berlin. Das geht schon am Eröffnungsabend gut los, unter anderem mit der Gruppe "Talking Straight", deren Chef-Performer Daniel Cremer die Gäste in einer skandinavisch angehauchten Fantasiesprache in Deutschland begrüßt und heiklen Einbürgerungstests unterzieht.
Aber auch Doku-Altmeister Hans-Werner Kroesinger bietet eine Arbeit über das Notaufnahmelager Marienfelde an, in dem in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Flüchtende aus dem Osten Deutschlands notdürftige Unterkunft fanden.
Alle Veranstaltungen (abgesehen von der jeden Abend gespielten Nübling-Fassung von "In unserem Namen") sind kostenlos, und es gibt gute Gründe, sie sich anzusehen und ins Gespräch zu kommen. Wohl selten war Annäherung und Verständnis für einander so wichtig wie in diesen Tagen.