In-vitro-Fleisch: Da wird der Hund in der Retorte verrückt

Von Udo Pollmer |
Nicht alle Tierschützer sind auch Vegetarier – aber viele haben beim Weihnachtsbraten ein komisches Gefühl. Deshalb wird weltweit am Fleisch aus der Retorte gearbeitet.
Die Forschung macht's möglich – ja den Traum vom Braten aus dem Bioreaktor. Man nehme die Stammzellen eines Tieres, rege sie zur Teilung an und schon reift in einer Nährlösung ganz von selbst ein Steak heran. Keine Tierquälerei, keine Gülle, keine Arzneimittel und keine kritische Berichterstattung. Denn was da im chromblitzenden Fermenter wirklich brodelt, das sieht die Kamera ja nicht. Viele Tierschützer würden bekanntlich erst dann Fleisch mit gutem Gewissen essen, wenn es gerade nicht von einem Tier stammt. 1) Denn unsere Nutztiere sind offenbar dann am besten geschützt, wenn es sie gar nicht mehr gibt, weil sie keinen Nutzen mehr haben.

Deshalb gibt es jetzt eine "Invitromeatfoundation", also eine Stiftung für Fleisch aus dem Reagensglas, die sich bereits global für ihr Anliegen engagiert. 2) Theoretisch ließe sich mit einer einzigen Stammzelle der gesamte Fleischbedarf der Menschheit decken. Auch die Vereinten Nationen stoßen in das gleiche Horn und warnen vor den Folgen der Tierhaltung, auch sie empfehlen der Menschheit das Retortenfleisch. Wie weit man aber noch vom Ziel entfernt ist, lässt die Pharmaindustrie erkennen. Sie investiert Unsummen, um aus Stammzellen menschliche Organe zu gewinnen. Aber um einen Muskel oder ein Herz zu erzeugen, braucht man ein komplexes Versorgungssystem, man braucht Blutgefäße, man braucht Nervenfasern usw.. Des ist noch ein langer Weg für die Forscher. 3)

Ein wenig anders sieht es beim Hackbraten aus dem Reagensglas aus. Für Hamburger-Patties oder Geflügel-Nuggets braucht es keinen intakten Muskel. Es langt, die Zellen aus dem Fermenter zu fischen, sie mit einem Bindemittel, vielleicht künstlichen Brötchen, zu verleimen, zu aromatisieren und dann ab in die Pfanne. Allerdings kostet hier derzeit ein Liter Nährmedium für die Zellen fast soviel ein ganzer Bulle.

Die Befürworter betonen, bei ihrer Methode blieben am Schluss keine Füße, keine Innereien, keine Federn und keine Köpfe zum Wegwerfen übrig, doch Spötter behaupten, dass womöglich ein kleiner Fehler bei der Kombination der vielen Steuersubstanzen, damit aus einer Stammzelle auch ein Stück Hähnchenbrust wird, ja auch dazu führen könnte, dass aus Versehen Schnäbel oder Darmausgänge heranwachsen. Die Hormone, die man braucht, um die Zellen zu steuern, werden logischerweise auch in der geernteten Masse drin sein. Was passiert, wenn solche Zell-Regulatoren in unsere Körperzellen gelangen, weiß niemand. Das ist wie Arzneimittelrückstände.

Es ist schon erstaunlich: Alle regen sich über die Gentechnik auf, wenn man Maispflanzen mit einem Mittel gegen Schädlinge schützt, ein Mittel das auch von Biobauern genutzt wird, aber bei derartigen tiefgreifenden und folgenreichen Manipulationen, da gibt’s öffentlichen Beifall.

Ich halte der Idee aber zugute, dass eine zuverlässige Fleischversorgung dazu beiträgt, den Frieden zu sichern. Die Einsicht stammt von dem Kulturanthropologen Marvin Harris. 4) Er verweist auf die Aufstände der polnischer Werftarbeiter, die sich ja gerade nicht an den politischen Missständen in den Staaten des Warschauer Paktes entzündeten, sondern an der simplen Tatsache, dass Schinken in den Westen geliefert wurde und die Subventionen für den Fleischsektor gesenkt werden sollten. Oder nehmen Sie Indien. Dort mussten die Hindus mit ansehen, wie die britischen Kolonialherren ihren heiligen Kühen in Form von Steaks die Ehre erwiesen. Das brachte die Menschen auf die Barrikaden und nicht die Kolonialherrschaft. Nicht nur die Liebe geht durch den Magen – auch der Frieden. Frohes Fest!


Literatur:
Hopkins PD et al: Vegetarian meat: could technology save animals and satisfy meat eaters? Journal of Agriculture and Environmental Ethics 2008; 21: 579-596
InVitroMeatFoundation: Collaboration worldwide. www.invitromeatfoundation.eu/uk/collaboration.php
Koning M et al: Current opportunities and challenges in skeletal muscle engineering. Journal of Tissue Engineering and Regenerative Medicine 2009; 3: 407-415
Harris M: Good to eat. Riddles of Food and Culture. Simon & Schuster, New York 1985