In Zeiten des Krieges
"Die Pest" von Nobelpreisträger Albert Camus ist einer der erfolgreichsten Romane der Nachkriegsliteratur, der nun als Hörbuch vorliegt. Das Werk ist dabei nicht als Weltuntergangsthriller inszeniert, sondern mit Camus Gedanken über den Menschen in Zeiten des Krieges im Vordergrund.
"Hustender, keuchender Rentner: ‚Alle sprechen davon: Sie kommen raus, Herr Doktor, aus jeder Mülltonne. Das ist der Hunger.’ Ratten quietschen, steht kurz frei, dann unter.""
Zu Tausenden kommen die Ratten zum Sterben auf die Straßen, Gassen und Plätze von Oran. Sie bringen die Pest über die gesichtslose Stadt an der Küste Algeriens. Und dann sterben auch die Menschen. Erst Dutzende, dann Hunderte, dann Tausende. Der Arzt Rieux ist machtlos. Und Oran wird von der Außenwelt abgeriegelt.
Telefongespräch, der Präfekt zu Rieux:
"Dr. Rieux? Das Generalgouvernement hat es in der Tat mit der Angst bekommen: Die Depesche ist eben eingetroffen. Sie hatten Recht: Der Befehl lautet: Pestzustand erklären, Stadt schließen."
Was nun folgt, ist einerseits der Bericht über das mörderische Wüten der mythischen Plage. Andererseits ist "Die Pest", 1947 erschienen, eine stark biografisch geprägte Allegorie des tuberkulosekranken Camus auf das Grauen des 20. Jahrhunderts: Faschismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg.
Wie das besetzte Frankreich von den nationalsozialistischen Truppen, so ist die Stadt durchdrungen vom Pest-Erreger. Wer sich infiziert, stirbt einen grausamen Tod. Die Angehörigen der Kranken werden zu Quarantäne Zwecken ins Sportstadium gesperrt. Düstere Assoziationen an das Fußballstadion von Santiago de Chile drängen sich auf, das die Junta als Gefangenlager nutze.
Tarrou: "Das hat System." "Ja, das hat System."
Die Szenen des großen Sterbens zeichnet das Hörspiel unter Regie von Frank-Erich Hübner ohne jede Effekthascherei. Die Geräuschkulisse bleibt diffus und spärlich, ein dissonantes Klavier und wimmernde Streicher künden von der tödlichen Bedrohung.
So wird der Schauplatz allgemein gültig und kann auch für Städte im heutigen Algerien, China oder Weißrussland stehen. Im Vordergrund: die nachdenkliche Stimme von Götz Schubert als Erzähler und als Doktor Rieux, der 20 Stunden am Tag auf verlorenem Posten kämpft. Ein Fels in der Brandung, mit stoischer Ruhe, abgesehen von seltenen Anfällen der Verzweiflung
"Ich wünsche mit aller Kraft, dass sie ihre Frau wieder sehen, dass alle, die sich lieben, wieder vereint werden. Aber es gibt Verfügungen und Gesetze, es gibt die Pest! Und meine Rolle ist, das Nötige zu tun."
Das Nötige tun in apokalyptischen Zeiten: Das Hörspiel will mehr, als eine konkrete Geschichte erzählen - es will auch Camus’ Philosophie erklären: Camus, der im Widerstand aktiv war, sieht nur einen Weg, um menschlich zu bleiben: Anstand, Freundschaft und Liebe.
Symbolisiert Doktor Rieux in diesem Charakterdrama die aufrechte Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf eigene Interessen, so steht Jürgen Tarrach als Tarrou für die Freundschaft und der von Felix Goeser gesprochene junge Journalist Rambert für die Liebe. Rambert will zunächst aus Oran zu seiner Geliebten fliehen, weil er die lange Trennung nicht erträgt. Doch schließlich bleibt er und pflegt die Kranken.
"Wenn ich weg ginge, würde ich mich schämen. Und es würde mich in meiner Liebe zu ihr stören." "Das ist Blödsinn Rambert: Man braucht sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorzieht." "Ja, aber man kann sich schämen, wenn man ganz allein glücklich ist."
Tarrou stemmt sich unter Lebensgefahr als Leiter des Sanitätsdienstes der Seuche entgegen. Dem freiwilligen Kampf für das Wohl der Stadt schließen sich auch andere an, wie der verhuschte kleine Büroangestellte Grand.
Erzähler: "Während Rieux’ Kollege, der alte Castell, seine ganze Energie daran setzte, an Ort und Stelle mit behelfsmäßigem Material Impfstoff herzustellen, anstatt auf das Serum aus Paris zu setzen, hatte sich auch Grand zur Mitarbeit entschlossen und sich jetzt bereit erklärt, eine Art Sekretariat der Sanitätstrupps zu übernehmen. "Ich danke Ihnen auf das Herzlichste, Grand." "Wir haben die Pest. Wir müssen uns wehren."
Die Seuche zieht sich schließlich zurück, das große Sterben hat ein vorläufiges Ende. Die Menschen feiern ein in diesem stimmigen Hörspiel grandios inszeniertes Freudenfest - und denken schon nicht mehr an die Opfer.
Doktor Rieux, Sinnbild für Camus’ skeptischen Humanismus, schaut am Abend der Befreiung dem Feuerwerk zu. Wissend, dass der Bazillus nicht endgültig besiegt ist, die Pest jederzeit wieder ausbrechen kann. Und so beschließt er, diesen Bericht zu schreiben, dem wir nun lauschen können.
Erzähler: "Um nicht zu denen zu gehören, die schweigen. Und um für diese Pestkranken Zeugnis abzulegen, damit wenigstens eine Erinnerung an die Ungerechtigkeit und Gewalt blieb, die ihnen angetan worden war. Und um einfach zu sagen, was man in Plagen lernet: Nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern, als zu verachten gibt."
Besprochen von Vanja Budde
Albert Camus: Die Pest
Audio Verlag, Berlin 2011, 2 CD, Laufzeit ca. 139 Minuten, 19,99 Euro
Zu Tausenden kommen die Ratten zum Sterben auf die Straßen, Gassen und Plätze von Oran. Sie bringen die Pest über die gesichtslose Stadt an der Küste Algeriens. Und dann sterben auch die Menschen. Erst Dutzende, dann Hunderte, dann Tausende. Der Arzt Rieux ist machtlos. Und Oran wird von der Außenwelt abgeriegelt.
Telefongespräch, der Präfekt zu Rieux:
"Dr. Rieux? Das Generalgouvernement hat es in der Tat mit der Angst bekommen: Die Depesche ist eben eingetroffen. Sie hatten Recht: Der Befehl lautet: Pestzustand erklären, Stadt schließen."
Was nun folgt, ist einerseits der Bericht über das mörderische Wüten der mythischen Plage. Andererseits ist "Die Pest", 1947 erschienen, eine stark biografisch geprägte Allegorie des tuberkulosekranken Camus auf das Grauen des 20. Jahrhunderts: Faschismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg.
Wie das besetzte Frankreich von den nationalsozialistischen Truppen, so ist die Stadt durchdrungen vom Pest-Erreger. Wer sich infiziert, stirbt einen grausamen Tod. Die Angehörigen der Kranken werden zu Quarantäne Zwecken ins Sportstadium gesperrt. Düstere Assoziationen an das Fußballstadion von Santiago de Chile drängen sich auf, das die Junta als Gefangenlager nutze.
Tarrou: "Das hat System." "Ja, das hat System."
Die Szenen des großen Sterbens zeichnet das Hörspiel unter Regie von Frank-Erich Hübner ohne jede Effekthascherei. Die Geräuschkulisse bleibt diffus und spärlich, ein dissonantes Klavier und wimmernde Streicher künden von der tödlichen Bedrohung.
So wird der Schauplatz allgemein gültig und kann auch für Städte im heutigen Algerien, China oder Weißrussland stehen. Im Vordergrund: die nachdenkliche Stimme von Götz Schubert als Erzähler und als Doktor Rieux, der 20 Stunden am Tag auf verlorenem Posten kämpft. Ein Fels in der Brandung, mit stoischer Ruhe, abgesehen von seltenen Anfällen der Verzweiflung
"Ich wünsche mit aller Kraft, dass sie ihre Frau wieder sehen, dass alle, die sich lieben, wieder vereint werden. Aber es gibt Verfügungen und Gesetze, es gibt die Pest! Und meine Rolle ist, das Nötige zu tun."
Das Nötige tun in apokalyptischen Zeiten: Das Hörspiel will mehr, als eine konkrete Geschichte erzählen - es will auch Camus’ Philosophie erklären: Camus, der im Widerstand aktiv war, sieht nur einen Weg, um menschlich zu bleiben: Anstand, Freundschaft und Liebe.
Symbolisiert Doktor Rieux in diesem Charakterdrama die aufrechte Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf eigene Interessen, so steht Jürgen Tarrach als Tarrou für die Freundschaft und der von Felix Goeser gesprochene junge Journalist Rambert für die Liebe. Rambert will zunächst aus Oran zu seiner Geliebten fliehen, weil er die lange Trennung nicht erträgt. Doch schließlich bleibt er und pflegt die Kranken.
"Wenn ich weg ginge, würde ich mich schämen. Und es würde mich in meiner Liebe zu ihr stören." "Das ist Blödsinn Rambert: Man braucht sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorzieht." "Ja, aber man kann sich schämen, wenn man ganz allein glücklich ist."
Tarrou stemmt sich unter Lebensgefahr als Leiter des Sanitätsdienstes der Seuche entgegen. Dem freiwilligen Kampf für das Wohl der Stadt schließen sich auch andere an, wie der verhuschte kleine Büroangestellte Grand.
Erzähler: "Während Rieux’ Kollege, der alte Castell, seine ganze Energie daran setzte, an Ort und Stelle mit behelfsmäßigem Material Impfstoff herzustellen, anstatt auf das Serum aus Paris zu setzen, hatte sich auch Grand zur Mitarbeit entschlossen und sich jetzt bereit erklärt, eine Art Sekretariat der Sanitätstrupps zu übernehmen. "Ich danke Ihnen auf das Herzlichste, Grand." "Wir haben die Pest. Wir müssen uns wehren."
Die Seuche zieht sich schließlich zurück, das große Sterben hat ein vorläufiges Ende. Die Menschen feiern ein in diesem stimmigen Hörspiel grandios inszeniertes Freudenfest - und denken schon nicht mehr an die Opfer.
Doktor Rieux, Sinnbild für Camus’ skeptischen Humanismus, schaut am Abend der Befreiung dem Feuerwerk zu. Wissend, dass der Bazillus nicht endgültig besiegt ist, die Pest jederzeit wieder ausbrechen kann. Und so beschließt er, diesen Bericht zu schreiben, dem wir nun lauschen können.
Erzähler: "Um nicht zu denen zu gehören, die schweigen. Und um für diese Pestkranken Zeugnis abzulegen, damit wenigstens eine Erinnerung an die Ungerechtigkeit und Gewalt blieb, die ihnen angetan worden war. Und um einfach zu sagen, was man in Plagen lernet: Nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern, als zu verachten gibt."
Besprochen von Vanja Budde
Albert Camus: Die Pest
Audio Verlag, Berlin 2011, 2 CD, Laufzeit ca. 139 Minuten, 19,99 Euro