In Zeiten des Kriegs erst recht

Von Igal Avidan · 27.08.2006
Das West-Eastern Divan Orchestra steht für ein einzigartiges musikalisches Friedensprojekt. Arabische und israelische Musiker spielen zusammen klassische Musik. Auch in den schwierigsten Tagen des Libanonkrieges setzten nahezu alle Musiker den musikalischen Dialog miteinander fort.
Sonntagmittag in der Berliner Philharmonie. 42 israelische und 27 arabische Musiker in Abendgarderobe proben für das Benefizkonzert Beethovens neunte Symphonie und seine "Leonore" Ouvertüre Nummer drei. Vergeblich versucht man herauszufinden, wer hier jüdisch und wer moslemisch ist. In der "unabhängigen Republik Divan" wollten die Initiatoren Edward Said und Daniel Barenboim einen Rahmen schaffen, in dem Israelis und Palästinenser gleich sind und miteinander im Dialog stehen. Und dies auch während des Libanonkriegs, zu dem Barenboim und Edward Saids Witwe Mariam eine gemeinsame Deklaration für Divan formulierten:

"Die Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur in Libanon und Gaza durch die israelische Regierung einerseits, die eine Million Menschen entwurzelt und unzählige zivile Opfer gefordert hat, sowie die willkürliche Bombardierung von Zivilisten im Norden Israels durch die Hisbollah andererseits, stehen unseren Vorstellungen diametral entgegen. Ebenso widersprechen die Ablehnung einer sofortigen Waffenruhe und die Verweigerung der Aufnahme von Verhandlungen zu einer umfassenden und endgültigen Lösung des Konfliktes dem Sinn unseres Projektes zutiefst."

Nach einer hitzigen Debatte wurde die Deklaration mit großer Mehrheit angenommen, aber viele Musiker enthielten sich der Stimme. Daniel Barenboim sah diesen Vorfall als ein positives Zeichen der Zusammenarbeit trotz aller politischen Spannungen:

"Wir haben eine Diskussion gehabt auch über diese Erklärung und dann haben wir abgestimmt, und von 97 Musikern waren sechs Stimmen dagegen. Ich muss sagen, ich nenne das nicht Spannungen … Natürlich, die Tatsache, dass es gibt Menschen, dass Schwierigkeiten sahen in Teilen von diesen Text. Aber die Tatsache, dass die Abstimmung so gelaufen ist und dass der negative Teil so gering war und - noch wichtiger – dass danach keiner gesagt hat: Dann kann ich nicht weitermachen."

Die "unabhängige Republik Divan" ist kein politisches Projekt, betont Daniel Barenboim. Durch ihre guten Beziehungen zu Spanien gelang es dem Orchester im vergangenen Jahr in der belagerten Stadt Ramallah ein Konzert zu spielen, indem alle Orchestermitglieder mit spanischen Diplomatenpässen ausgestattet wurden. Israel verbietet seinen Bürgern die Reise in die Palästinensergebiete.

Aber ganz unabhängig ist auch die Republik Divan nicht. 2005 blieben die libanesischen Musiker fern. Und bei der jüngsten Tournee, die mitten im Libanonkrieg begann, waren 13 Libanesen und Syrer abwesend. Zwei waren Minderjährige, andere fürchteten eine Reise mitten im Bombenhagel, andere hatten Angst vor feindseligen Reaktionen nach ihrer Rückkehr und wollten nicht mit Israelis kooperieren während andere Israelis in ihrem Land Krieg führen.

Die israelischen Musiker akzeptierten die Divan-Deklaration, nicht jedoch die jüdische Gemeinde in Istanbul, die das Konzert mitfördern sollte.

"Die jüdische Gemeinde war der Meinung, dass es vielleicht nicht der richtige Moment ist, dieses Konzert zu spielen. Das war in den schlimmsten Tagen von dem Krieg und die jüdische Gemeinde hat mit uns gesprochen und hat versucht zu sehen, ob wir das Konzert verschieben könnten. Das war erstens nicht möglich, zweitens ich sah nicht den Grund dafür."

Denn, so traurig und wütend Barenboim über den Krieg war, so entschlossen war er, erst recht in schwierigen Zeiten sein Divan-Projekt fortzusetzen, in dem israelische und arabische Musiker sich sowohl ausdrücken und gleichzeitig den anderen zuhören. Zum Beispiel die israelische Oboe-Spielerin Meirav Kadichewsky.

"Als ich in Israel war, als der Krieg angefangen hat, das war ungefähr eine Woche vor Beginn des Divan Projekts, hatte ich sehr stark das Gefühl, dass ich unbedingt zusammen sein will mit meinen arabischen Kollegen und unbedingt zusammen mit ihnen musizieren will, um zu spüren, dass es nicht nur Hass zwischen Israelis und Araber gibt auf dieser Welt, gegenseitiger Hass. Sondern, dass es auch … wie Liebe und Musik und Zusammenspielen und zusammen einander hören und Zusammenleben."

Auch mit dem Bratschisten Ramzi Abduredwan, der als Kind in einem Flüchtlingslager in Ramallah täglich Steine auf israelische Wagen geworfen hat. Damals dachte er, dass überall auf der Welt Krieg herrscht. Mit 17 kam er in einen Musikworkshop und seitdem geht seine Energie in die Bratsche. In diesem Jahr ist Abduredwan zum ersten Mal beim West-Ost-Divan:

"Ich hatte lange gezögert, bevor ich kam, weil ich niemals zuvor Kontakt mit Israelis hatte. Ich kannte nur Israelis als Soldaten. Auf dem Weg zum Musikunterricht in Bethlehem musste ich durch vier, fünf Checkpoints. Dort musste ich schweigen und durfte nicht einmal fragen warum wir so lange warten müssen. Plötzlich habe ich hier Israelis um mich herum, wir plaudern und musizieren zusammen. Es ist eine gute Erfahrung, weil sie meine Sicht der Israelis veränderte."

Die Divan-Musiker wollen nicht den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen, nur ihre kleine friedliche Republik so weit pflegen, dass im Dezember alle Musiker am Abschiedskonzert für UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York teilnehmen. Und sie wollen die Politiker von beiden Seiten zu einer vollständigen Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes ermuntern.


Service:

Am Montag, dem 28. August 2006, um 20:03 überträgt DeutschlandRadio Kultur das Konzert des "West-Eastern Divan Orchestras" aus Weimar. In einem Festakt zu Goethes Geburtstag werden die arabischen, israelischen und spanischen Musiker Giovanni Bottesinis "Fantasia für Violoncello und Kontrabass" und Johannes Brahms’ "Symphonie Nr. 1" spielen.