Ina Schmidt: "Über die Vergänglichkeit. Eine Philosophie des Abschieds"
Edition Körber, Hamburg 2019
280 Seiten, 20 Euro
Dem Leben die Endlichkeit verzeihen
05:36 Minuten
Vom Tod möchten wir meist lieber nicht so viel wissen – aber Wegschauen geht nicht, macht die Philosophin und Publizistin Ina Schmidt deutlich. In ihrer "Philosophie des Abschieds" zeigt sie, wie ein kluger Umgang mit Vergänglichkeit aussehen könnte.
Plötzlich vom Tod erwischt werden, keine sich hinziehende Krankheit, kein langsames Ausdimmen, sondern einfach umfallen – diese Vorstellung von Sterben scheint heute vielen als erstrebenswert. Für die Menschen des Mittelalters, schreibt Ina Schmidt, wäre genau das der reine Horror gewesen: unvorbereitet ins Jenseits zu gehen.
Das Mittelalter kannte eine Ars Moriendi, eine Kunst des Sterbens, während uns gegenwärtig Rituale des Abschieds fehlen, wir den Tod möglichst aus dem Leben verdrängen, was zu einer "Verwilderung des Todes" führe, wie das der Historiker Philippe Aries genannt hat.
Eine aktive Haltung einnehmen
Schmidts Buch ist schmerzlich und tröstlich zugleich. In vier großen Kapiteln über "Abschied", "Vergänglichkeit", "Verletzlichkeit" und "Alter" fragt die Autorin jeweils nach einer guten Weise des Umgangs mit dem Unverfügbaren. Immer betont sie dabei eine gewisse Doppelstruktur des scheinbar Bedrohlichen, denn die Begrenzung ist ja zugleich auch die Bedingung des Lebens, ohne Ende existiert kein Anfang, erst die Zeitlichkeit gibt dem Leben Form.
Im Angesicht des Unabänderlichen sei es ratsam, eine trotzdem aktive Haltung einzunehmen. Im "Abschied nehmen" etwa steckt kein Erleiden, sondern ein Tun, das mit dem Abschied eben auch einen Anfang setzt. Wir sollten unser Leben auch nicht als einen Faden sehen, der irgendwo abreißt, sondern wie ein Gewebe, in dem die einzelnen Fäden, die beginnen und enden, durch das Geflecht gehalten sind.
Ethik der Verletzlichkeit
Wir können uns mit Vergänglichkeit nur wirklich auseinandersetzen, wenn wir die Perspektive wechseln, meint Schmidt. Sie verlangt daher, dem mechanistisch-kausalen, an Effizienz ausgerichteten technisch-naturwissenschaftlichen Denken ein philosophisches Nachdenken gleichberechtigt an die Seite zu stellen. Die "schwebenden Architekturen" der Philosophie seien nicht lösungsorientiert, aber genau darin dem Nachdenken über existenzielle Fragen angemessen.
Warum erleben wir Endlichkeit und Krankheit überhaupt als Begrenzung? Ein Weltbild, das gelingendes Leben allein am Wachsen, Siegen, Sich-Ausbreiten misst, muss den Tod verleugnen. Schmidt plädiert dagegen für eine "Ethik der Verletzlichkeit", die nicht Unversehrtheit und Gesundheit als Normalzustand annimmt und auch zu einem differenzierten Verständnis von Sterbehilfe führen würde.
Auf kluge Weise verzeihen
"Über die Vergänglichkeit" ist harter Stoff in weicher Schale. Der verständlich geschriebene Text mag mit seinem nachdenklichen Ton und den vielen Hinweisen auf Autorinnen und Autoren der Tradition für manchen Geschmack etwas zu betulich erscheinen. Aber Schmidt zeigt konsequent, wie es wäre, hinzuschauen, dem Gedanken an die Sterblichkeit nicht auszuweichen und genau darin Trost zu finden.
Erstaunlich ist auch ihr Vorschlag, am Ende des Lebens zu einer gelassenen, klugen Haltung des Verzeihens zu finden: dem Leben verzeihen, dass es endlich ist. Keine leichte Übung, aber wir kommen wohl nicht darum herum.