Der Kampf der kleinen Musikclubs
An sieben Tagen gibt es in England zweihundert Konzerte in einschlägigen Clubs: Die „Independent Venue Week“ ist das ideale Festival für alle, die es etwas kleiner mögen. Die in vielen Jahren gewachsene Clubkultur ist aber zunehmend in Gefahr.
Mathias Mauersberger: Was genau ist die "Independent Venue Week": Eher ein Branchentreff? Ein Newcomer-Festival? Oder eine Art c/o Pop, nur überregional?
Oliver Schwesig: Ein Branchentreff ist es auf keinen Fall. Es geht vor allem darum, Bands in entlegene Winkel des Landes zu bekommen und so die ganze Musikszene quasi "von unten" zu stärken. Das Publikum soll mitbekommen: Okay, es gibt den kleinen Club um die Ecke noch, da kann ich immer noch Bands entdecken und es lohnt sich, diese Sache zu unterstützen. Gerade in England haben die unabhängigen Clubs zu kämpfen. In großen Städten wie London geistern die Gespenster der Gentrifizierung und der steigenden Mieten um.
Dennoch sind die Indie Clubs notwendig, weil sie nach wie vor der wichtigste Probenraum für aufsteigende Bands sind. Unbekannte Bands wie This Is The Kit oder Beans On Toast haben gespielt, aber auch große Namen wie Tim Burgess, der Rapper Novelist und auch The Specials haben ein Konzert auf der Independent Venue Week gegeben.
Mathias Mauersberger: Die Independent Venue Week in diesem Jahr war keine Premiere, sondern fand zum siebten Mal statt. Aus anfangs 17 teilnehmenden kleinen Clubs sind 200 geworden. Also eine Erfolgsgeschichte?
Oliver Schwesig: Das kann man so sagen. Die kleinen Clubs sollen in den Fokus gerückt werden. Es soll überhaupt eine stärkere Wahrnehmung für diesen Bereich des Musikgeschäfts geschaffen werden. Die Zahl der Venues und Konzerte ist enorm gestiegen, und es hat sich ein großes Netzwerk darum gebildet: Clubbetreiber, Promoter, Bands – wie die The Specials. Die BBC ist als Partner dabei, und es gibt Geld von der britischen Kulturstiftung (Arts Council) dafür.
Das betrifft aber nicht nur die großen Städte und die bekannten Kult-Clubs, die man hierzulande ja auch vielleicht kennt. Gerade auch in entfernte Gegenden strahlt die Independent Venue Week aus, wie mir Chloe Ward, eine der Organisatorinnen, gesagt hat:
"Das ist genau das, was wir mit der Independent Venue Week erreichen wollen: Diesen Clubs etwas mehr Umsatz verschaffen, damit sie in der Woche und übers Jahr ein größeres finanzielles Polster haben. Jedes Jahr holen wir Feedback ein und mehr als 70 Prozent der Clubs sagen, dass sie in dieser Woche neue Gesichter sehen, die später dann immer wieder kommen. Und das ist für uns ein positives Signal."
"Die Oxford Street hat ihren einstigen Charme verloren"
Mathias Mauersberger: Das klingt alles ganz rosig. Vor allem, weil hierzulande ja viele kleine Clubs ums Überleben kämpfen müssen oder schließen. Geht es den Indie-Clubs in England also besser?
Oliver Schwesig: Ganz so rosig ist die Situation doch nicht. Die englischen Clubs in den großen Städten plagt auch, was Clubs hierzulande plagt: Die steigenden Mieten und dort auch vor allem die business rate – eine Steuer, die auf alle Gebäude erhoben wird, die nicht bewohnt werden, also Büros, Pubs und eben auch Musikklubs, die in den vergangenen Jahren enorm gestiegen ist, weil sie sich nach dem Wert der Immobilien und dem Mietspiegel richtet.
Paradebeispiel ist der "100 Club" auf der Oxford Street in London, eine absolute Kult-Adresse. Seit 1942 erklingt dort Musik, alles von Blues über Jazz bis Punk. Beat in den 60ern, Punk in den 70ern – alle relevanten Bands der Zeit haben im "100 Club" gespielt – bis heute. Die Oxford Street hat inzwischen ihren einstigen Charme als Ausgehmeile komplett verloren.
Abends ist sie wie leergefegt, weil nur noch große Modeketten sich die Mieten dort leisten können – Glitzerfassaden, Videowände etc. Der "100 Club" ist in vierter Generation ein Familienbetrieb und Jeff Horton, der Betreiber des 100 Club, hat mir gesagt, es war noch nie so schwierig wie heute. Er spricht auch öfter im Parlament über den Independent-Sektor und er hat die Erfahrung gemacht, die Politik kann man nur zum Zuhören bewegen, wenn man die Geldkarte ausspielt:
Abends ist sie wie leergefegt, weil nur noch große Modeketten sich die Mieten dort leisten können – Glitzerfassaden, Videowände etc. Der "100 Club" ist in vierter Generation ein Familienbetrieb und Jeff Horton, der Betreiber des 100 Club, hat mir gesagt, es war noch nie so schwierig wie heute. Er spricht auch öfter im Parlament über den Independent-Sektor und er hat die Erfahrung gemacht, die Politik kann man nur zum Zuhören bewegen, wenn man die Geldkarte ausspielt:
"Mein Argument ihnen gegenüber war nun folgendes: Euch mag es egal sein, ob der 100 Club dichtmacht. Aber was wollt ihr machen, wenn es niemanden mehr gibt, der auf der großen Bühne beim Glastonbury Festival 2025 zum Beispiel spielen soll? Denn der Live-Betrieb setzt sieben Milliarden Pfund um – jedes Jahr! Alle werden nach Europa gehen.
Vor ein paar Jahren spielte hier die amerikanische Band Bardo Pond. Ihre Sängerin sagte: Jeff, wir spielen bei Dir, weil wir hier spielen wollen. Aber wir sind den Rest der Tour nicht in England, sondern nur noch in Europa, weil wir dort mehr verdienen und bessere Hotels bekommen usw.
Wenn man also denkt, es ist okay, den 100 Club dichtzumachen, wird das vielleicht zunächst keinen Effekt haben. Aber auf lange Sicht schon. Warum sollten die Leute nach England kommen, wenn es keine kleineren Clubs mehr gibt? Wir haben hier einfach etwas sehr Kostbares geschaffen, das aber zu lange für selbstverständlich genommen wurde. Und nun könnte Europa von unserem reichen Musikbetrieb profitieren, weil wir hier nicht mehr richtig arbeiten können."
"Ohne die kleinen Clubs gibt es keine Sommer-Festivals"
Mathias Mauersberger: Nun ist ja eine gesteigerte Wahrnehmung beim Publikum für den kleinen Club um die Ecke das eine. Was bedeutet die Independent Venue Week denn für die Musiker, die dort spielen?
Oliver Schwesig: Für die sind die kleinen Clubs nach wie vor essentiell. Sie bekommen hier die Möglichkeit, ihre Sporen vor Publikum zu verdienen. Wenn nicht dort, wo sonst? Und: Ohne die kleinen Clubs gibt es keine Sommer-Festivals. Die sind darauf angewiesen, live-erprobte Bands mit Fanbasis zu buchen. Das geht nur, wenn die Vorarbeit von den kleinen Clubs geleistet wird.
Und es geht bei der Independent Venue Week auch um noch etwas anderes ganz Wichtiges: Community. Das ist ähnlich wie beim Record Store Day – eine Bewegung von unten. Da trifft der Fan den Musiker, man kauft Vinylplatten von der Band direkt nach dem Konzert usw. Ich hab Tim Burgess, Sänger der 90er-Jahre Britpop Band The Charlatans, vor seinem Soundcheck befragt, und der hat genau von dieser Community geschwärmt:
"Nun, ich habe vor kurzem beim Record Store Day ein Album herausgebracht, das ich vor zehn Jahren aufgenommen habe und jetzt wieder entdeckt habe. Und dann hatte ich die Möglichkeit, mit dieser Platte zur Independent Venue Week auf Tour zu gehen. Und konnte so zwei tolle Sachen kombinieren, die mir am Herzen liegen, und mich schon als junger Musik-Fan inspirierten: Zum einen, kleine Läden zu erleben, wo man lokale Bands sehen kann und eben auch die eine oder andere Platte zu verkaufen."