Indianer werden US-Amerikaner

Von Nicolas Hansen · 02.06.2009
Das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Ureinwohnern ist seit jeher zwiespältig. Einerseits wirken Armut, Alkoholprobleme und Arbeitslosigkeit abschreckend, andererseits ist da die Faszination der mystischen Kultur. Präsident Calvin Coolidge beendete zumindest aus rechtlicher Sicht ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft, als er vor fünfundachtzig Jahren die Indianer zu Staatsbürgern der Vereinigten Staaten machte.
Calvin Coolidge war zwar kein begnadeter Redner, aber er war ein beliebter Präsident. In seiner Bilanz als 30. Präsident der Vereinigten Staaten wird ihm besonders eines hoch angerechnet: Am 2. Juni 1924 unterzeichnete er ein Gesetz, das die sogenannten Indianer in Amerika zu Bürgern der Vereinigten Staaten machte. Damit klärte er ein für alle Mal ihren Status in der amerikanischen Gesellschaft und beendete die oft widersprüchliche Politik vorhergehender Präsidenten.

Lange Zeit gab es keine einheitliche Linie der amerikanischen Regierung im Umgang mit ihren Ureinwohnern. Erst seit Ende des Bürgerkriegs 1865 wurde die Staatsbürgerschaft für Indianer diskutiert. Unter den meisten weißen Amerikanern galten Indianer als "unzivilisiert". Die einen schlossen eine Staatsbürgerschaft daher kategorisch aus, andere forderten ihre Zwangsassimilation. Merrill E. Gates, Mitglied der philanthropischen "Indian Rights Association" in Philadelphia schrieb im Jahre 1884:

"Wir müssen ihnen nicht nur Gesetze geben. Wir müssen sie zur Gesetzestreue zwingen. Wir dürfen ihnen nicht nur Bildung anbieten. Wir müssen sie zur Bildung zwingen. Das Resultat werden intelligente indianische Bürger sein."

Auch auf indianischer Seite war die Staatsbürgerschaft umstritten. Gegen ein erstes entsprechendes Gesetz wehrten sich 1877 verschiedene Indianerstämme. Sie befürchteten den Verlust ihrer Verhandlungsrechte mit der amerikanischen Regierung und die Spaltung ihres Volkes in Amerikaner und Nicht-Amerikaner. Doch es gab auch Indianer wie John Elk, die gerne amerikanische Staatsbürger geworden wären. Er berief sich 1880 auf den 14. Verfassungszusatz:

"Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren wurden, und daher ihrer Gesetzgebung unterliegen, sind Bürger der Vereinigten Staaten und des Bundesstaats, in dem sie leben."

Er klagte bis hinauf zum Obersten Bundesgericht. Das Problem war, dass Indianerstämme als souveräne Völker innerhalb der USA galten mit einem eigenen Stammesrecht. 1884 urteilte das Gericht sehr spitzfindig, dass Elk zwar innerhalb der Vereinigten Staaten geboren, aber aufgrund des besonderen Status der Indianer dem Stammesrecht, nicht dem Rechtssystem der USA unterworfen sei. Die Möglichkeiten, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, waren beschränkt: Nur wer eine Mischehe einging, eine Landparzelle unter dem Landzuweisungsgesetz erwarb oder in der Armee diente, konnte Amerikaner werden. Aufgrund dieser Regelung erhielten nach dem Ersten Weltkrieg 9000 ehemalige indianische Soldaten die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Die Vertreibung der Indianer aus ihren angestammten Jagdgebieten und die Umsiedlung in Reservate führten nicht nur zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, sondern auch zur Unterdrückung ihrer kulturellen Identität. Im Laufe des 20. Jahrhunderts begann sich ihre Lebensweise immer mehr der Realität der Weißen anzugleichen.

Sie lebten zwar in Reservaten, doch aus Armut verpachteten sie Teile ihres Landes an weiße Farmer. Als 1924 ein Reporter der "New York Times" in eines der Reservate der Iroquois im Bundesstaat New York reiste, schrieb er:

"Auf den ersten Blick sehen die Siedlungen der Indianer nicht anders aus, als jede andere Siedlung auch. Die Indianer leben in Häusern, essen und kleiden sich wie Weiße. Die Häuser sind unterschiedlicher Qualität, genau wie bei den Weißen, und Ordnung und Sauberkeit ist auch unterschiedlich - ebenfalls genau wie bei den Weißen."

Als Präsident Calvin Coolidge 1924 das Staatsbürgerschaftsgesetz unterschrieb, änderte dies nichts an der materiellen und kulturellen Lage der Indianer. Das Gesetz beendete von amerikanischer Seite zwar die Frage über ihren rechtlichen Status, doch de facto wurden sie genau wie Schwarze weiterhin daran gehindert, beispielsweise ihr Wahlrecht auszuüben. Erst das Wahlgesetz von 1965 hob diese Einschränkung für Minderheiten endgültig auf.