Indien

Vertane Chancen des Subkontinents

Ein älterer Rikscha-Fahrer zieht seine Rikscha mit einem Fahrgast durch eine Straße Kalkuttas, dahinter steht ein gelbes Taxi.
Wohin steuert das moderne Indien? © epa / Piyal Adhikary
Von Sabina Matthay |
In seinem Buch "Implosion" geht John Elliot den Gründen für die indische Misere nach. Der Subkontinent verkaufe sich unter Wert und könnte viel erfolgreicher sein, lautet die Grundthese des britischen Journalisten.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schien Indiens Stern am internationalen Horizont mit Macht aufzugehen. Hatte das südasiatische Land lange im Schatten Chinas gestanden, wurde man nun überall auf der Welt auf die neue Mittelschicht Indiens, die vorpreschende IT-Industrie, das Wirtschaftswachstum dort aufmerksam. Indien haftete zwar immer noch der Ruch des Exotischen an, aber gleichzeitig schien das Land sich mit Riesenschritten zur Wirtschaftsgroßmacht zu wandeln.
Inzwischen hat Indien wieder mächtig an Glanz eingebüßt, Korruptionsskandale, Vergewaltigungsserien, rückläufige Konjunktur, ein untätiger, inkompetenter Staat haben "India Shining" den Optimismus genommen. Ob Bildungs- oder Gesundheitswesen, ob Beschäftigung, Umweltschutz oder Wirtschaftspolitik – Indien hat viele Chancen vertan. Zur Frustration seiner Freunde in aller Welt, die auf das demokratische Indien als Gegenentwurf zur chinesischen Diktatur setzen. "Demokratie ist ein unanfechtbares Feigenblatt geworden, das verhüllt, was nicht erreicht worden ist", schreibt John Elliott.
Dynastien statt Demokratie
Buchcover: "Implosion - Indias Tryst with Reality" von John Elliott 
Buchcover: "Implosion - Indias Tryst with Reality" von John Elliott © HarperCollins India
Der britische Journalist geht in seinem Buch "Implosion" den Gründen für die indische Misere nach. "Indien verkauft sich unter Wert, das Land hat nicht den Erfolg, den es habe könnte." Es ist ein Land, "in dem Politiker und Beamte sich mit Geschäftsleuten zusammentun, um das Land zu plündern, die Armen ihres Lebensunterhalts zu berauben, Bodenschätze zu stehlen, von Boden und Kohle bis zu Pflanzen und Tieren, und sich künftige Reichtümer durch die Errichtung politischer Dynastien sichern."
Das Grundübel, so Elliott, sei die eingefleischte Laissez-Faire-Haltung der Inder, der er ein ganzes Kapitel widmet. Dann zeigt er, wie Wirtschaftswachstum in Indien mit ökologischem Raubbau einhergeht und wie Gesetze und Regeln kurzerhand außer Kraft gesetzt werden, um Einzelne zu bedienen statt der Allgemeinheit zu nützen. Anhand des Bundesstaats Andhra Pradesh illustriert Elliott eindrücklich die verfilzten Verbindungen zwischen Unternehmen und Staat, die inzwischen gang und gäbe sind, zum Schaden des gesamten Landes.
Andere Kapitel von "Implosion" widmen sich Indiens unterkühlten Beziehungen zu den Nachbarn in der Region und zu den USA sowie der wirtschaftlichen Liberalisierung von 1991, die nun dringend fortgesetzt werden muss, soll es nicht zur "Implosion" kommen. Und nicht zuletzt stellt Elliott die Bedeutung politischer Dynastien Indiens dar, die trotz der Wahlniederlage der Kongresspartei (und damit der Nehru-Gandhi-Dynastie) nicht mehr wegzudenken sind aus der politischen Landschaft, ebenfalls zum Schaden des Landes, wie der Autor schreibt:
Bestandsaufnahme indischer Defizite
John Elliott kennt Indien seit fast einem Vierteljahrhundert und hat das riesige Land so ausgiebig bereist wie nur wenige ausländische Journalisten. Das macht sein Buch zu einer wahren Schatzgrube für die Leser. Mit "Implosion" hat er eine gründlich recherchierte, elegant erzählte Bestandsaufnahme indischer Defizite vorgelegt, die hoffentlich auch Indiens neue Regierung zur Kenntnis nimmt. Bisher liegt das Buch nur auf Englisch vor und kann nur in Indien oder als E-Book bei Amazon India erworben werden. Das ist schade, denn "Implosion" sollte auf der ganzen Welt Pflichtlektüre für jeden sein, der sich für Indien interessiert.

John Elliott: Implosion - Indias Tryst with Reality
HarperCollins India 2014
400 Seiten, ca. 20 Euro
ISBN: 978-9350297353

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