Das Lichterfest "Diwali", das unserem Weihnachtsfest ähnelt und am 14. November gefeiert wird, sorgt in Indien für Diskussionen. Die Angst ist groß, dass das Fest zum Superspreader-Event wird. Hinzukommt die hohe Luftverschmutzung, die die Corona-Pandemie verschärft, wie unsere Korrespondentin Silke Diettrich im Weltzeit-Podcast erklärt.
Bedroht von Corona und Marktliberalisierung
21:49 Minuten
Die Coronakrise hat die katastrophale Lage der Kleinbauern in Indien weiter verschlechtert. Ein neues Gesetz soll nun den Agrarmarkt liberalisieren, Festpreise aufheben. Zum Wohl der Bauern, heißt es. Die befürchten aber weitere Verschlechterungen.
"Bewirtschaften wir ein Acre, kostet uns das 40.000 Rupien, etwa 465 Euro. Aber was wir am Ende herausbekommen, sind nur 25.000 Rupien, also rund 290 Euro. Was bleibt uns Bauern? Nichts! So viele der Bauern haben sich schon umgebracht", sagt Landwirt Sarjeet auf dem Marktplatz in der indischen Kleinstadt Sonipat.
"Im Dorf gibt es keine Arbeit, also bin ich nach Delhi gekommen. Mit der Landwirtschaft kann man nichts verdienen. Wir pflanzen nur für den eigenen Bedarf an", sagt Wanderarbeiter Santosh Kumar in Neu-Delhi.
"Mehrere Studien haben gezeigt, dass jedes Jahr neun Millionen Menschen vom Land abwandern, damit sie einen besseren Lebensunterhalt finden. Diese Landflüchtigen sind das Ergebnis einer Politik, die die Landwirtschaft bewusst arm hält. Wenn man den Bauern ihren rechtmäßigen Lohn verweigert, dann habe sie keine andere Wahl, als loszuziehen und sich einen besseren Job zu suchen", sagt der indische Analyst für Lebensmittel- und Handelspolitik Devinder Sharma. Ein Thema, drei Stimmen, das gleiche Fazit.
Keine Zukunft für Kleinbauern
Eine Baustelle in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Die Arbeiter bauen an einer Hochstraße, die später einmal über den Fluss Yamuna gehen soll. Einer der Bauarbeiter ist Upender Singh. Er stammt von einem Bauernhof im Bundesstaat Uttar Pradesh.
"Das, was man in der Landwirtschaft verdienen kann, ist sehr wenig. Manchmal können wir nicht einmal die Hälfte von dem einnehmen, was wir investiert haben. Für diejenigen, die große Ländereien haben, ist es okay, aber nicht für die kleinen Landbesitzer. Wir beispielsweise haben 18 oder 20 Acre, aber wir sind auch fünf Brüder. Also können wir davon nicht leben und müssen in die Städte gehen."
Der 28-Jährige zuckt mit den Achseln. "Momentan verkauft sich Korn für 800 bis 900 Rupien pro 100 Kilo – das sind neun oder zehn Euro. Bei mir zu Hause liegen die Kornpakete haufenweise herum. Aber zu welchem Preis sollen wir verkaufen? Wir haben die doppelte Summe in das Korn investiert! Wir hören immer wieder, dass sich Bauern deswegen umbringen."
Während Upender Singh in die Stadt abwanderte, gibt es noch Bauern, die von ihren Ernten leben können. So wie Jasbir – in der indischen Kleinstadt Sonipat, gute 50 Kilometer von Neu-Delhi entfernt. Auf dem sogenannten Mandi, dem Getreidemarkt, ist er gerade dabei, seinen Reis abzuladen. Ununterbrochen kommen Traktoren angefahren, mit dem, was die Bauern ernten und hier verkaufen wollen: Linsen, Getreide und Reis. Während Landwirt Jasbir auf seine Reis-Ernte aufpasst, kehrt eine Arbeiterin die losen Körner mit einem Reisigbesen zusammen. Seine Situation klingt nicht schlecht.
"Einige der Felder gehören mir, andere habe ich von meinem Bruder gepachtet. Heute habe ich rund 1000 Kilo Reis zum Markt gebracht." Doch als er auf die aktuelle Politik zu sprechen kommt, wird er wütend: "Ich möchte den Reis nicht außerhalb des Mandi verkaufen, wie es die neuen Gesetze vorsehen. Wir würden nicht davon profitieren."
Landwirtschaft soll liberalisiert werden
Jasbir meint die drei umstrittenen Gesetze, die völlig neu regeln, wie die Bauern ihre landwirtschaftlichen Produkte künftig verkaufen sollen. Die Gesetze lockern alle bisherigen Vorschriften rund um Verkauf, Preisbildung und Lagerhaltung. Als das indische Parlament im September zwei der Gesetze durchwinkte, kam es unter den Abgeordneten zu Tumulten. Und die Bauern gingen wütend auf die Straße, weil sie um ihre Existenz fürchten.
Während Jasbir auf dem Mandi in Sonipat dabei zusieht, wie sein Reis abgefüllt wird, haben andere Bauern sich zu ihm gesellt. Ein großer, dünner Bauer mit einem weißen Turban fürchtet das Schlimmste:
"Wird dieses Gesetz nicht zurückgenommen, macht es uns mit der Zeit zu Sklaven. Wir Kleinen werden zerstört. Premierminister Modi hat uns versprochen, das Einkommen der Bauern zu verdoppeln. Aber nichts ist passiert. Der Mindestpreis für Hirse liegt bei 2150 Rupien pro 100 Kilo. Doch wir bekommen nur 1200 Rupien dafür."
Bislang haben die Bauern ihre Produkte auf Märkten verkauft, auf denen die Regierung die Preise kontrolliert. Die neuen Gesetze sehen nun vor, dass die Bauern ihre Ernten auch an private Unternehmen verkaufen dürfen: etwa an Agrar-Handelsbetriebe, an Supermarktketten und Lebensmittelhändler, die Online verkaufen. Vorgesehen ist eine vertraglich ausgehandelte Landwirtschaft, in der die Bauern entsprechend der Nachfrage anpflanzen.
Neue Gesetze sollen die Lage der Bauern verbessern
Im Büro des Marktkomitees hängen Tafeln, die die Qualitätsmerkmale von Reis, Hirse und Kartoffeln erklären. Das Marktkomitee der Stadt Sonipat ist eine Regierungseinrichtung. Der Verwaltungsbeamte Jitender Sain sitzt hinter einem großen Schreibtisch mit schwarzer Glasauflage.
Aus seiner Sicht verbessern die neuen Gesetze die Lage der Bauern: "Die Bauern bekommen eine Alternative. Bislang konnten sie ihre Ernte nur im Mandi verkaufen. Aber jetzt bekommen sie von der Regierung die Möglichkeit, ihre Produkte auch anderswo anzubieten."
Sobald die Bauern erkennen, was hinter den neuen Regelungen steckt, erklärt der junge Mann, würden sie verstehen, dass die Neuerungen zu ihrem Vorteil sind: "Die Vorteile sind einfach. Wenn es Wettbewerb gibt, steigen die angebotenen Preise, weil die Bauern mehr Möglichkeiten bekommen. Früher gab es nur einen, der ihnen ihre Ernte abkaufte. Jetzt gibt es viele. Es ist doch klar, dass dadurch Wettbewerb entsteht und die Bauern bessere Preise bekommen."
Wie die Gesetze wirken, wird erst sichtbar, so der Regierungsbeamte, wenn sie eingeführt sind. In jedem Fall seien sie aber mit Blick auf das Wohl der Bauern gemacht.
Mittelsmänner verlieren durch neue Gesetze ihre Arbeit
Auch Sanjay Verma sitzt hinter einem Schreibtisch. Er ist der Präsident der "Sonipat Getreidemarkt Vereinigung", in Zusammenschluss der sogenannten "Mittelsmänner". Die leben davon, dass sie zwischen den Landwirten und den Kunden vermitteln und dafür eine Gebühr verlangen.
Der Präsident als ihr Vertreter erklärt: "Ist es wirklich möglich, dass die Bauern, nachdem sie den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet haben, am nächsten Tag losgehen und ihre Ernte verkaufen? Der Bauer macht seinen Job. Er kann seine Produkte ab und an verkaufen, aber er hat keine Routine darin. Wir haben ein System aufgebaut, in dem jeder seine Rolle einnimmt."
Was er damit meint, wird auf einer Markt-Auktion klar. Mehrere Männer stehen zusammen – direkt neben einem Reishaufen. Der Mittelsmann hat die Käufer hierher gebracht, er bietet die Erzeugnisse der Bauern an, er leitet die Verkaufsgespräche und er nimmt das Geld der Käufer entgegen. Es ist der Mittelsmann, der alle Strippen zieht. Dafür zahlen die Bauern ihm 2,5 Prozent von ihrem Einkommen.
Doch die Regierung möchte, dass die Mittelsmänner abgeschafft werden. Zu viel Geld bleibe in deren Taschen hängen. Allerdings stellt sich die Frage, ob ihre starke Rolle nicht auch mit der Einführung der neuen Gesetze bestehen bleiben würde. Denn wie sollten die Bauern plötzlich die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Mittelsmannes erlernen?
Der Mittelsmann Sanjay Verma jedenfalls ist davon überzeugt, dass die neuen Gesetze vor allem Arbeitslosigkeit bringen: "Ich möchte gerne erwähnen, dass der Landwirtschaftssektor zehn Millionen Menschen Arbeit bietet. Bauern, Landarbeiter, Arbeiter, die auf den Marktplätzen angestellt sind, Fahrer und Fabrikarbeiter. Sie werden alle ihren Job verlieren."
Die Mittelsmänner gewähren den Bauern auch Darlehen. Und die Bauern befürchten, dass mit der Abschaffung der Mittelsmänner auch diese Möglichkeit abgeschafft wird.
Bauer Jasbir aus der Kleinstadt Sonipat etwa erklärt: "Wenn wir kein Geld für Investitionen haben, leihen wir es vom Mittelsmann. Jetzt zum Beispiel habe ich Reis zum Markt gebracht, und der Mittelsmann zieht mir das Geld ab, das ich vorher bei ihm geliehen habe, und gibt mir den Differenzbetrag. So arbeiten fast alle Farmer. Das System läuft reibungslos."
Bauern fürchten eine ungewisse Zukunft
Die Regierung hingegen argumentiert, dass die von den Mittelsmännern verlangten Zinsen viel zu hoch sind. Aber das ist nicht das Problem der Bauern. Ihr Problem ist, dass sie nicht wissen, von wem sie sich in Zukunft Geld leihen können. Sie haben Angst vor einer ungewissen Zukunft.
In Indien hängen 600 Millionen Menschen von der Landwirtschaft ab. Die Landwirte kämpfen seit Jahrzehnten gegen Missernten und für faire Preise. Die Nationalbank für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, eine Finanzinstitution der indischen Regierung, hat errechnet, dass fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Haushalte verschuldet sind. Und das National Sample Survey Office, eine Art Statistisches Bundesamt, gibt an, dass ein bäuerlicher Haushalt monatlich weniger als 75 Euro einnimmt. Viele Bauern geben auf.
Der Analyst für Lebensmittel und Handelspolitik Devinder Sharma ist davon überzeugt, dass das kein Zufall ist. In den letzten Jahrzehnten hätten alle aufeinander folgenden Regierungen Gesetze gegen die Bauern erlassen, die zu Millionen von Landflüchtlingen geführt haben: "Wir haben in der Landwirtschaft Bedingungen geschaffen, die die Menschen dazu zwingt, die Landwirtschaft aufzugeben und aus den ländlichen Gebieten in die Städte abzuwandern."
Natürlich hofften alle diese Menschen aus den verarmten Dörfern, dass sich ihre Lebensumstände in den Städten verbessern: "Das, was als Wirtschaftswachstum bezeichnet wird, vertrieb die Menschen aus ihren Dörfern, weil in den Städten billige Arbeitskräfte gebraucht werden. Lohndumping wurde als Beschäftigung gelobt. Aber wir müssen uns die Arbeitsverhältnisse einmal genauer ansehen. Die Hungerlöhne der Wanderarbeiter sind keine Jobs, auf die wir stolz sein können."
Wie prekär die Lage der Wanderarbeiter in den indischen Metropolen ist, hat die Coronakrise ans Licht gebracht. Als mit dem Lockdown Ende März plötzlich Millionen von Wanderarbeitern ohne Job, Geld und Bleibe dastanden. Und sie verzweifelt die Heimreise zu ihren Familien auf das Land antraten. Ein Teufelskreis. Schließlich sind sie einst genau aus diesen verarmten Dörfern geflüchtet.
Suizid unter den Landwirten nimmt zu
Angesichts der düsteren Situation greifen nicht wenige Bauern zu radikalen Schritten. Ein Video zeigt Kinder, die im Schneidersitz in sechs langen Reihen auf dem Boden sitzen. Jedes von ihnen hat einen Teller mit Reis, Linsen, Gemüse und Brot vor sich stehen. Bevor sie mit dem Essen beginnen, singen sie ein Lied, das vom Coronavirus handelt.
Tryambakroo Gaikwad hat das Video geschickt. Er ist der Leiter des Adhartirth Aashrams, eines Waisenhauses. Der Aashram liegt in Nashik, einer Millionenstadt nordöstlich von Mumbai, im Bundesstaat Maharashtra. 168 Jungen und 142 Mädchen im Alter zwischen drei und 16 Jahren leben hier.
Die Kinder haben alle eins gemeinsam: Ihre Eltern waren Bauern und sie haben sich das Leben genommen. Tryambakroo Gaikwad erklärt: "Die Mütter und Väter der Kinder haben sich umgebracht. Wegen der Schulden, die sie bei den Geldverleihern hatten. Seitdem die Coronakrise begann, brachten sich in Maharashtra täglich fünf bis sieben Bauern um."
Seit Jahren geraten die indischen Bauern wegen steigender Selbstmordraten immer wieder in die Schlagzeilen. 2019 sollen sich 10.281 Bauern und Landarbeiter umgebracht haben. Sie trinken Pestizide oder legen sich auf Bahngleise. Die Dunkelziffern gelten als hoch, da Selbstmord in Indien als Straftat gilt. Die betroffenen Familien fürchten das Stigma, und so bleiben Selbstmorde oft unerkannt. Auch in den Medien tauchen sie nur selten auf.
Die verschärfte Lage der Bauern aufgrund der Coronakrise wird nicht durch die neuen Gesetze entschärft. Ihre Probleme liegen woanders. Beispielsweise standen ihnen während des Lockdowns viele Landarbeiter nicht zur Verfügung. Also konnte nicht ausreichend gepflanzt und gesät werden.
Mit der Lockerung des Lockdowns verlangten die Arbeiter plötzlich den doppelten oder gar dreifachen Lohn. Schließlich hätten sie während des Lockdowns keinerlei Verdienst gehabt. Doch viele Bauern hatten dafür kein Geld: Sie konnten ihre Ernten nur teilweise verkaufen - oft zu Schleuderpreisen. Ein guter Teil ihrer Produkte vergammelte. Im Sommer stiegen die Benzinpreise.
Die Lösung, so der Wirtschaftswissenschaftler Devinder Sharma, liegt in einem grundsätzlichen ökonomischen Umdenken. Er fordert, dass sich die indische Politik von Konzepten verabschiedet, die ihnen von den Industrieländern aufgedrängt wurden.
Anstatt die ländliche Bevölkerung in die Städte zu zwingen, plädiert er für eine lebensfähige Landwirtschaft, die die Grundlage der nationalen Ökonomie sein sollte. "Warum versuchen wir nicht, eine Landwirtschaft zu schaffen, die ein Kraftwerk für ökonomisches Wachstum ist? Wir haben ein Stadium erreicht, in dem wir unsere ökonomischen Richtlinien überdenken sollten. Warum müssen wir die Landwirtschaft knechten, damit die Industrie überlebt? Warum müssen wir die Landwirtschaft verarmen lassen, damit andere Wirtschaftsreformen existenzfähig werden?"
Eine berechtigte Frage, finden auch viele Bauern. Bislang jedenfalls sind viele von ihnen von der geplanten Privatisierung ihrer Branche nicht überzeugt.