Indische Gesellschaft legt Sexualdelikte "dem Opfer zur Last"
Vor knapp zwei Wochen wurde in Neu Delhi eine junge Frau von mehreren Männern vergewaltigt, was zu massiven Protesten führte. Der Journalistin Sabina Matthay reicht das nicht. Sie prangert die indischen Medien an, die es auch nach dieser Tat versäumt hätten, der frauenfeindlichen indischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.
Kaum zwei Wochen nach der Gruppenvergewaltigung der jungen Inderin in Neu Delhi haben Zeitungen und Fernsehsender die Tat und ihre Folgen längst zu einer der schmierigen Schauergeschichten umgeschrieben, mit denen Bollywood Abermillionen in die Kinos lockt.
Ein Wunder, dass der Name der 23-jährigen noch nicht öffentlich ist. Das Krankenhaus in Singapur, wo eine Organtransplantation ihr Leben retten soll, hat eine indische Journalistin bereits per Twitter publik gemacht.
Indiens Medien sind schnell in die sensationslüsternen Reflexe zurückgefallen, die dort als Qualitätsjournalismus durchgehen, und haben wieder einmal eine Chance vertan, der indischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sie aufzurütteln und zur Aufwertung und Wertschätzung von Frauen zu bewegen.
Dabei ist die grausame Tat von Neu Delhi kein Einzelfall. Gewalt oder mindestens die sehr reale Furcht vor Gewalt gehört zu einem indischen Frauenleben, ob es sich um Schläge, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung handelt, ob die Tat von Arbeitgebern, Verwandten, Bekannten begangen wird oder – seltener - von Fremden wie im aktuellen Fall
Auch die Proteste, die vor allem Neu Delhi nach Bekanntwerden der besonders ekelerregenden Umstände dieser Tat erlebte, gingen am Kern des Problems vorbei. Gesetze, die Gewalt gegen Mädchen und Frauen unter Strafe stellen, gibt es in Indien reichlich.
Sie sind jedoch Makulatur.
Zum einen weigern Polizeibeamte sich oft, überhaupt Anzeigen in solchen Fällen anzunehmen. Tun sie es doch, sind die Ermittlungen meist lasch, kommt es zur Anklage, werden die Verfahren häufig verschleppt.
Zum anderen traut sich selten eine Inderin, eine Gewalttat überhaupt anzuzeigen. Die indische Gesellschaft legt ein Sexualdelikt immer noch dem Opfer zur Last, der Ruf der gesamten Familie nimmt irreparablen Schaden, in den vormodernen Dorfgemeinschaften auf dem Lande ebenso wie in den Megacities des Subkontinents. Die gesellschaftliche Stigmatisierung des Clans wiegt schwerer als das Trauma der Vergewaltigung einer Einzelnen.
Doch genau damit müsste die indische Gesellschaft sich auseinandersetzen:
damit, dass Frauen ganz selbstverständlich gering geschätzt, Männer grotesk überbewertet werden.
Nicht von ungefähr kommen in Indien – anders als überall sonst auf der Welt – beispielsweise deutlich weniger Mädchen als Jungen zur Welt – trotz des Verbots selektiver Abtreibung. Immer noch kann ein Bräutigam Geschenke verlangen, die seine künftigen Schwiegereltern oft an den Rand des Ruins treiben – trotz Mitgiftverbots. Und immer wieder werden Bräute mit Nachforderungen der Schwiegerfamilien konfrontiert – und können froh sein, dass die sie nur zu ihren Familien zurückschicken statt ihnen nach dem Leben zu trachten, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden.
Das ist die ganz reale Gegenwart indischer Frauen. Ändern kann sie nur die indische Gesellschaft. Mit Medien aber, die dem Voyeurismus Vorschub leisten statt Bewusstsein zu schaffen, wird es diese Veränderungen nicht geben.
Ein Wunder, dass der Name der 23-jährigen noch nicht öffentlich ist. Das Krankenhaus in Singapur, wo eine Organtransplantation ihr Leben retten soll, hat eine indische Journalistin bereits per Twitter publik gemacht.
Indiens Medien sind schnell in die sensationslüsternen Reflexe zurückgefallen, die dort als Qualitätsjournalismus durchgehen, und haben wieder einmal eine Chance vertan, der indischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sie aufzurütteln und zur Aufwertung und Wertschätzung von Frauen zu bewegen.
Dabei ist die grausame Tat von Neu Delhi kein Einzelfall. Gewalt oder mindestens die sehr reale Furcht vor Gewalt gehört zu einem indischen Frauenleben, ob es sich um Schläge, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung handelt, ob die Tat von Arbeitgebern, Verwandten, Bekannten begangen wird oder – seltener - von Fremden wie im aktuellen Fall
Auch die Proteste, die vor allem Neu Delhi nach Bekanntwerden der besonders ekelerregenden Umstände dieser Tat erlebte, gingen am Kern des Problems vorbei. Gesetze, die Gewalt gegen Mädchen und Frauen unter Strafe stellen, gibt es in Indien reichlich.
Sie sind jedoch Makulatur.
Zum einen weigern Polizeibeamte sich oft, überhaupt Anzeigen in solchen Fällen anzunehmen. Tun sie es doch, sind die Ermittlungen meist lasch, kommt es zur Anklage, werden die Verfahren häufig verschleppt.
Zum anderen traut sich selten eine Inderin, eine Gewalttat überhaupt anzuzeigen. Die indische Gesellschaft legt ein Sexualdelikt immer noch dem Opfer zur Last, der Ruf der gesamten Familie nimmt irreparablen Schaden, in den vormodernen Dorfgemeinschaften auf dem Lande ebenso wie in den Megacities des Subkontinents. Die gesellschaftliche Stigmatisierung des Clans wiegt schwerer als das Trauma der Vergewaltigung einer Einzelnen.
Doch genau damit müsste die indische Gesellschaft sich auseinandersetzen:
damit, dass Frauen ganz selbstverständlich gering geschätzt, Männer grotesk überbewertet werden.
Nicht von ungefähr kommen in Indien – anders als überall sonst auf der Welt – beispielsweise deutlich weniger Mädchen als Jungen zur Welt – trotz des Verbots selektiver Abtreibung. Immer noch kann ein Bräutigam Geschenke verlangen, die seine künftigen Schwiegereltern oft an den Rand des Ruins treiben – trotz Mitgiftverbots. Und immer wieder werden Bräute mit Nachforderungen der Schwiegerfamilien konfrontiert – und können froh sein, dass die sie nur zu ihren Familien zurückschicken statt ihnen nach dem Leben zu trachten, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden.
Das ist die ganz reale Gegenwart indischer Frauen. Ändern kann sie nur die indische Gesellschaft. Mit Medien aber, die dem Voyeurismus Vorschub leisten statt Bewusstsein zu schaffen, wird es diese Veränderungen nicht geben.