Islam, Intoleranz und Wahlen
27:01 Minuten
Indonesien, das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt, hat religiöse Toleranz immer hochgehalten. Im April wird ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt. Dabei steht auch der Glaubensfrieden auf dem Spiel.
Es begann mit einer Modenschau: Um die Schönheit und traditionelle Eleganz der indonesischen Mode zu feiern, trug Sukmawati Soekarnoputri bei der Indonesian Fashion Week im vergangenen Frühling ein Gedicht vor: "Ibu Indonesia", Mutter Indonesien. Das Werk hat die Tochter des Staatsgründers Sukarno schon 2009 verfasst, aber erst jetzt sorgten seine Zeilen für Aufruhr.
Sukmawati Soekarnoputri: "Ihr geschlungener Haarknoten ist schön, schöner als dein bedeckender Gesichtsschleier. Ich kenne die Scharia nicht, aber ich weiß, dass der Klang von Mutter Indonesiens Hymne wunderschön ist, viel schöner und bezaubernder als euer Ruf zum Gebet."
Ein Sturm der Empörung brach über die Dichterin herein, in den sozialen Medien und auch in der realen Welt: Es gab Demonstrationen, muslimische Organisationen erstatteten Anzeige gegen sie, Indonesien hatte den nächsten großen Blasphemie-Fall – und ein weiteres Beispiel dafür, wie sich das gesellschaftliche Klima in dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt verändert. Hat die einst gerühmte religiöse Toleranz Indonesiens ein Ende?
Jessica: "Ich würde sagen, ja, der Trend besteht."
Die junge Indonesierin Jessica hat in der Entwicklungshilfe gearbeitet, ihre politische Analyse zeichnet kein gutes Bild von der indonesischen Gesellschaft
Der Hass nimmt zu
"Allein in den sozialen Medien gibt es so viele Gerüchte, Lügen und Hassnachrichten; es gab immer schon religiöse Toleranz sowie Intoleranz, aber durch die sozialen Medien ist es für die Hassprediger so leicht geworden, Gehör zu finden, über Twitter oder Whatsapp ihre Lügen zu verbreiten."
Sie wollte auf keinen Fall den Islam beleidigen, sagt Sukmawati Soekarnoputri, sondern das indonesische Selbstbewusstsein stärken: landestypische Traditionen loben und verteidigen gegen importierte Bräuche der arabischen Welt, wie eben den Gesichtsschleier. So erklärt sich die Gedichtzeile:
Sukmawati Soekarnoputri: "Wenn du neue Dinge siehst, bewahre deine eigene natürliche Schönheit."
Ismutia Rickard, vielgereiste Geschäftsfrau und stolze Indonesierin, ist genau dieser Ansicht. Den traditionellen indonesischen Kleidungsstil, die Kebaya, eine oft reichverzierte, körpernahe lange Bluse, dazu die Haare im Nacken verschlungen, das habe ihre Mutter früher getragen. Unverschleiert, elegant. Heute trage sie Kopftuch – und wünsche sich, dass ihre Tochter das auch tut.
Ismutia Rickard, vielgereiste Geschäftsfrau und stolze Indonesierin, ist genau dieser Ansicht. Den traditionellen indonesischen Kleidungsstil, die Kebaya, eine oft reichverzierte, körpernahe lange Bluse, dazu die Haare im Nacken verschlungen, das habe ihre Mutter früher getragen. Unverschleiert, elegant. Heute trage sie Kopftuch – und wünsche sich, dass ihre Tochter das auch tut.
"In den vergangenen zehn Jahren habe ich immer mehr Frauen mit Hijab gesehen. Vor zehn Jahren haben sie das Kopftuch noch still getragen und sich gemäßigt verhalten, aber jetzt kommen sie zu mir und fragen mich: Wann fängst du denn damit an, wann beginnst du es zu tragen? Der Druck wächst!"
Importierte Traditionen verändern den Alltag
Diese Tradition sei arabisch. Die Verehrung des Arabischen, der arabischen Kleidung oder auch der arabischen Schrift, zeigt die Veränderung im indonesischen Islam und bei seinen Anhängern.
Dabei gehen sie richtig aggressiv vor, erzählt Manohara Odelia Pinot. Die Tierschützerin und Jungpolitikerin ist nach einigen Jahren im Ausland nach Indonesien zurückgekehrt. Früher hat die 26-Jährige gemodelt, sie ist es gewohnt, dass ihr Äußeres beurteilt wird – aber nicht, dass es verurteilt wird:
Manohara Odelia Pinot: "Wenn man sich nicht auf eine bestimmte Art kleidet, attackieren sie dich. Zum Beispiel gerade vor zwei Wochen, da habe ich ein Bild von mir gepostet, wo ich eine Art Badeanzug trage. Und die Leute haben geschrieben, dass ich es verdiene, vergewaltigt zu werden! Wenn es nur ums Beschimpfen geht, von mir aus, aber die meisten Kommentare enthalten Passagen aus dem Koran – und damit rechtfertigen sie auf religiöse Weise, warum es okay ist, mir diese Dinge an den Kopf zu werfen."
Auch für Touristen ist Kleidung ein Thema. An vielen Stränden gerät sehr schnell zum Außenseiter, wer sich in Badeanzug oder gar Bikini zeigt. Die meisten muslimischen Indonesier gehen voll angezogen ins Wasser, kleine Mädchen springen im Hijab durch die Wellen. Darum ist das hinduistische Bali ein beliebtes Ziel für Ausländer, denn hier erregt nackte Haut keinen Anstoß. Genau deshalb hassen muslimische Extremisten die Trauminsel; am schrecklichsten kam das bei den Anschlägen von 2002 zum Ausdruck, als 202 Menschen ums Leben kamen.
Auch für Touristen ist Kleidung ein Thema. An vielen Stränden gerät sehr schnell zum Außenseiter, wer sich in Badeanzug oder gar Bikini zeigt. Die meisten muslimischen Indonesier gehen voll angezogen ins Wasser, kleine Mädchen springen im Hijab durch die Wellen. Darum ist das hinduistische Bali ein beliebtes Ziel für Ausländer, denn hier erregt nackte Haut keinen Anstoß. Genau deshalb hassen muslimische Extremisten die Trauminsel; am schrecklichsten kam das bei den Anschlägen von 2002 zum Ausdruck, als 202 Menschen ums Leben kamen.
"Der Druck wächst"
Aber nicht nur Kleidung, auch islamische Bräuche sind ein heftig umstrittenes Thema. Der Fastenmonat Ramadan zum Beispiel. Auch hier wird es immer schwerer einen Konsens im Alltag zu finden, meint die Geschäftsfrau Ismutia Rickard:
"Ich bin Muslima, ich halte jedes Jahr den Fastenmonat ein. Normalerweise ist es in Ordnung für Nicht-Muslime, nicht zu fasten – klar, sie sind ja keine Muslime. Aber jetzt versuchen die streng religiösen Gruppen dafür zu sorgen, dass alle Restaurants geschlossen bleiben, aus Respekt gegenüber den Fastenden. Früher war es kein Problem, aber jetzt wächst der Druck, Restaurants zu schließen und so zu tun, als ob man fastet, selbst wenn man es nicht tut."
Kleine Warungs, also Straßenküchen sind schon von wütenden islamischen Eiferern belagert worden, weil sie während des Ramadans geöffnet hatten. Für die Betreiber dieser kleinen Garküchen wird es immer schwerer, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gegenseitiger Respekt sei gefragt, findet die junge Politikerin Manohara.
"Wenn du fastest, faste halt – geh einfach nicht aus, so einfach ist es doch."
Wachsende Intoleranz gegenüber anderen Religionen, gegenüber anderen Lebensweisen – das ist eine neue Entwicklung. Bisher stellte das kein Problem dar, erklärt Professor Ikrar Nusa Bhakti.
"Bei uns zählt nicht die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, sondern die Gründer Indonesiens, allen voran Sukarno, haben festgelegt, dass die Nationalität zählt, das Indonesische, das ist in den fünf Prinzipien, der Pancasila, festgeschrieben."
Die "Einheit in Verschiedenheit" hatte im riesigen Staat Indonesien bisher einen Religionsfrieden garantiert. Von den 255 Millionen Einwohnern sind mehr als 200 Millionen Muslime. Der Islam ist aber keinesfalls Staatsreligion. Mit Islam, Christentum, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus, gibt es fünf offiziell anerkannte Religionen. Und zu einer muss sich sogar jeder Indonesier offiziell bekennen. Inoffiziell folgen viele aber auch noch ihren alten animistischen Traditionen. Sie verehren ihre Ahnen, sie glauben an Geister, an die belebte Natur – für viele Volksgruppen, die auf den zigtausend Inseln des Archipels leben, ist das Teil der Tradition.
"Bei uns zählt nicht die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, sondern die Gründer Indonesiens, allen voran Sukarno, haben festgelegt, dass die Nationalität zählt, das Indonesische, das ist in den fünf Prinzipien, der Pancasila, festgeschrieben."
Die "Einheit in Verschiedenheit" hatte im riesigen Staat Indonesien bisher einen Religionsfrieden garantiert. Von den 255 Millionen Einwohnern sind mehr als 200 Millionen Muslime. Der Islam ist aber keinesfalls Staatsreligion. Mit Islam, Christentum, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus, gibt es fünf offiziell anerkannte Religionen. Und zu einer muss sich sogar jeder Indonesier offiziell bekennen. Inoffiziell folgen viele aber auch noch ihren alten animistischen Traditionen. Sie verehren ihre Ahnen, sie glauben an Geister, an die belebte Natur – für viele Volksgruppen, die auf den zigtausend Inseln des Archipels leben, ist das Teil der Tradition.
Islamisierung nach dem Ende der Diktatur
Für die Jungpolitikerin Manohara ist es diese Vielfalt, die Indonesien ausmacht:
"Es ist doch so: Indonesien war immer das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt und ich war immer stolz auf die Tatsache, dass wir trotzdem so extrem tolerant waren und jetzt läuft es in die falsche Richtung – rückwärts, im Grunde."
Und laut Sidney Jones, Leiterin des Instituts für politische Analyse von Konflikten in Indonesiens Hauptstadt Jakarta, lässt sich der Beginn dieser Entwicklung auch ziemlich gut datieren:
"Ich glaube, die Intoleranz hat zugenommen, seit die demokratischen Reformen begannen, nach dem Fall von Suharto 1998."
Drei Jahrzehnte lang währte seine Diktatur. Nachdem Studenten 1998 Monate lang auf die Straße gegangen waren, trat Suharto schließlich zurück.
"Dadurch wurde eine ganze Anzahl von Organisationen und Ansichten in die Öffentlichkeit entlassen, die bisher von der autoritären Regierung unterdrückt worden waren. Jetzt, mit all der Meinungsfreiheit und mit politischem Raum, war es möglich für sie, sich zu mobilisieren und zumindest in einigen Regionen Unterstützer zu gewinnen. Vor allem in West-Java und Süd-Sulawesi, dort gibt es Bereiche, in denen die Beispiele für Intoleranz dramatisch zunehmen. Außerdem haben Politiker begonnen, die religiöse Karte zu spielen, um Wähler zu gewinnen, und islamistische Hardliner-Organisationen haben das Potential gesehen, die Wahlen zu beeinflussen."
Entstanden sind Tendenzen schon in den 1980er-Jahren
Das solle auf keinen Fall heißen, dass Demokratie zu Intoleranz führt, betont Sidney Jones. Durch den demokratischen Reformprozess wurden aber Kräfte freigesetzt - und niemand weiß, wie man damit umgehen soll. Entstanden sind diese Tendenzen schon in den 1980er-Jahren: Damals begannen einige Saudis, jungen Indonesiern ein Studium im Nahen Osten zu finanzieren. Von dort brachten viele dann die dortige, sehr strenge Auslegung des Korans mit.
Und die verbreitet sich. Sie zeigt sich zum Beispiel darin, dass viele muslimische Indonesier keine Kirche in ihrer Nachbarschaft haben wollen oder aber auch Christen keine Moschee nebenan. Viele wollen nicht, dass die Lehrer ihrer Kinder einer anderen Religion angehören als sie selbst. Einige islamistische Gruppen nehmen den Unterricht selbst in die Hand, erzählt Sidney Jones:
Und die verbreitet sich. Sie zeigt sich zum Beispiel darin, dass viele muslimische Indonesier keine Kirche in ihrer Nachbarschaft haben wollen oder aber auch Christen keine Moschee nebenan. Viele wollen nicht, dass die Lehrer ihrer Kinder einer anderen Religion angehören als sie selbst. Einige islamistische Gruppen nehmen den Unterricht selbst in die Hand, erzählt Sidney Jones:
"Das Problem ist, dass sie Kindergärten betreiben, sodass die Menschen schon im Alter von fünf Jahren in ideologische Strömungen aufgeteilt werden."
Wie das aussehen kann, erfährt Manohara in der eigenen Familie; die ist muslimisch, sie selbst ist vor einigen Jahren zum Christentum konvertiert:
"Meine kleine Schwester ist sechs Jahre alt, sie besucht mich oft und hat mit mir auch schon ein paar Mal Weihnachten gefeiert. Und sie haben ihr gesagt, wenn sie das noch einmal tut, kommt sie in die Hölle."
Wenn schon Kinder zur religiösen Intoleranz erzogen werden, wird die Zahl der Extremisten steigen? Wird der islamistische Terror in Indonesien zunehmen? Das ist eine Sorge vieler Außenstehender.
Intolerant heißt nicht gewaltbereit
Sidney Jones: "Es ist interessant, dass gewalttätiger Extremismus und nicht-gewalttätiger zwei ganz verschiedene Phänomene darstellen."
Beruhigt Konfliktforscherin Sidney Jones.
"Es ist nicht so, dass man sich auf linearem Wege von Intoleranz zur Gewaltbereitschaft bewegt. Ich glaube nicht, dass der Extremismus im Sinne von Terrorismus zunimmt. Intoleranz wächst, und das ist im Endeffekt ein größeres Problem für Indonesien als gewalttätiger Extremismus. Aber wir haben beides."
Von den 255 Millionen Indonesiern seien nur wenige hundert gewaltbereit. Aber das genügt oft, leider. Es war an einem Sonntagmorgen im Mai vergangenen Jahres. In Surabaya, Indonesiens zweitgrößter Stadt im Osten von Java, machte sich eine Familie mit zwei kleinen Töchtern, zwei Söhnen und den Eltern auf den Weg, Christen zu töten. Der Vater sprengte sich in einem Auto vor einer Kirche in die Luft, die beiden Söhne fuhren mit Sprengstoffrucksäcken auf einem Moped kurz vor Gottesdienstbeginn in den Vorhof einer Kirche.
Die Mutter ging mit den Mädchen in ein drittes christliches Gotteshaus und mischte sich unter die Menge der Gottesdienstbesucher. Unter ihren Niqabs trugen alle drei Bombenwesten und zündeten sie. Insgesamt 13 Menschen starben. Bei den Vorbereitungen für ein Attentat starb am selben Tag eine vierköpfige Familie in ihrer Wohnung, ihre Bomben waren explodiert.
Am nächsten Tag folgte ein weiterer Anschlag in Surabaya auf eine Polizeistation mit vier Toten; auch hier war es eine Familie, die sich in die Luft sprengte. Die Taten gehen aufs Konto der Jemaat Ansharud Daulah, kurz JAD. Die Terrororganisation wird schon für andere Anschläge in Indonesien verantwortlich gemacht, auch in der Hauptstadt Jakarta.
"Aber die Attentate scheinen nicht von JAD zentral dirigiert worden zu sein. Es scheint so gewesen zu sein, dass die verschiedenen Zellen seit dem Vorjahr als unabhängige Einheiten arbeiten, seit der Chef von JAD verhaftet worden ist. Das heißt: Wer auch immer einen Aktionsplan aufgestellt und das Geld dafür organisiert hat, konnte loslegen. Die Anschläge von Surabaya scheinen eben auch nur von diesen Familien geplant worden zu sein und nicht von einer breiteren JAD-Basis. Ich glaube also nicht, dass es einen Trend zu Familien-Selbstmordattentaten geben wird."
Die Radikalisierung der Frauen
Was es allerdings gibt: Frauen, die radikalisiert werden.
Ein weiterer Sonntag, diesmal in Singapur, in der indonesischen Botschaft. Im Foyer sitzen hunderte von jungen Frauen, sie tragen pinkfarbene Jilbabs mit Glitzer, geblümte Kopftücher in Blau und Rot, oder sie tragen ihr Haar offen. Die meisten von ihnen arbeiten als Haushaltshilfen in Singapur. An ihrem freien Tag haben sie sich hier versammelt, um unter Gelächter, Erröten und gespannter Aufmerksamkeit einen Film zu sehen. Es geht um Selbstmordattentate und Liebe.
Noor Huda Ismail: "Bei fast allen Frauen, die eine Radikalisierung durchlaufen, und sich zum sogenannten Islamischen Staat bekennen, geht es um soziale Akzeptanz, um Liebe."
Noor Huda Ismail zeigt seinen Dokumentarfilm "Die Braut – eine Reise durch Liebe und Hoffnung". Der Indonesier hat bereits den Dokumentarfilm Dschihad Selfie gedreht über einen indonesischen Teenager, der über das Internet zum Islamischen Staat nach Syrien gelockt werden soll.
"Es gab so viele Ähnlichkeiten – es ist eine Frage, wo man hingehört, wo man sich angenommen fühlt – und dann geht es um Prozesse: Niemand ist als Terrorist geboren, und wenn wir sie verhaften, dann lassen sie nicht sofort ihre Ideologie fallen – es braucht auch wieder einen Prozess, dort herauszukommen."
Terroristen wieder in die Gesellschaft eingliedern
Darum hat Noor Huda das Institute for International Peace Building in Jakarta gegründet, eine Nichtregierungsorganisation, die Menschen deradikalisieren will. Es geht um den Prozess, ehemalige Terroristen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu muss Noor Huda eben auch verstehen, wie sie dort hingeraten sind, wo sie sind. Er forschte in Nordirland, im Baskenland, sprach mit Terroristen jeglicher Richtung, Linksextremen oder Neonazis.
"Es hat einen sehr persönlichen Hintergrund: ich bin auf ein islamisches Internat gegangen, und später, als ich für die Washington Post arbeitete und über die Bombenattentate von Bali berichtete – da habe ich festgestellt, dass einer der Attentäter mein Mitbewohner aus dem Internat war! Und da wollte ich wissen: Wie wird man so?"
Heutzutage passiert das oft über das Internet. Gerade Teenager, die leicht beeinflussbar sind, reagieren darauf, oder aber junge Menschen, die im Ausland arbeiten, die einsam sind, die Anschluss suchen. So wie die Frauen, die heute hier versammelt sind. Einige von ihnen erzählen, wie sie über das Internet Kontakte geknüpft haben. So wie in dem Film "Die Braut".
Die Protagonistinnen suchten auch zunächst nur Liebe, bevor sie sich online radikalisierten. Sie waren weit weg von zuhause, lernten junge Männer im Internet kennen, übernahmen ihre Ideologie, heirateten sie – und ließen sich zu Attentäterinnen ausbilden. Sie wurden aber vor ihren geplanten Selbstmordanschlägen erwischt. In Indonesien selbst werden die meisten potentiellen Terroristen noch persönlich rekrutiert, in Gebetsgruppen oder Koranschulen, aber die Radikalisierung findet auch dort im Internet statt.
Hassprediger haben im Netz leichtes Spiel
Die Rolle der sozialen Medien ist groß in Indonesien. Das Land bewegt sich unter den Top 5 der am schnellsten wachsenden Internet-, Facebook-, oder Instagram-Usergruppe. Whatsapp bestimmt den Alltag. Und so haben Hassprediger leichtes Spiel, ihre Botschaften zu verbreiten; Falschmeldungen, Lügen über Gegner, wie zum Beispiel gemäßigte Politiker sind in Sekundenschnelle in der Welt:
"Die Regierung versucht, dessen Herr zu werden, zusammen mit Firmen wie Google und Facebook. Und sie arbeiten zusammen mit ein paar gesellschaftlich engagierten Gruppen, die Fake-News untersuchen und versuchen zu korrigieren."
Die Gusdurians zum Beispiel, eine Graswurzel-Bewegung, die die humanitären Werte des früheren Präsidenten Gus Dur lebt, oder auch die größte moderat-muslimische Organisation NU, sie alle versuchen, Fake News entgegenzuwirken und die Toleranz, für die Indonesien bekannt war, weiterleben zu lassen. Nicht immer erfolgreich, wie die Geschäftsfrau Ismutia Rickard erzählt:
Die Gusdurians zum Beispiel, eine Graswurzel-Bewegung, die die humanitären Werte des früheren Präsidenten Gus Dur lebt, oder auch die größte moderat-muslimische Organisation NU, sie alle versuchen, Fake News entgegenzuwirken und die Toleranz, für die Indonesien bekannt war, weiterleben zu lassen. Nicht immer erfolgreich, wie die Geschäftsfrau Ismutia Rickard erzählt:
"Es ist eine Schrecktaktik, wie sie Religion für politische Zwecke missbrauchen: Die Mutter einer Freundin schickt ihr jeden Tag SMS-Nachrichten, dass sie auf keinen Fall Jokowi wählen soll, denn das sei eine Sünde, und wenn sie das tut, kommt sie in die Hölle – und sie kann noch nicht mal erklären, wieso."
Im April will Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, wiedergewählt werden. Er steht für den moderaten Islam. Allerdings ist die Stimmung im Land schon jetzt aufgeladener als jemals zuvor in Wahlzeiten.
Der Fall Ahok
Das liegt auch am Fall Ahok. Basuki Tjahaja Purnama, kurz Ahok genannt, war als erster Christ Gouverneur von Jakarta. Ein Protegé von Jokowi – der das Amt vor ihm innehatte, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. Als sich Ahok aber für die Wiederwahl als Gouverneur bewarb, wurde ihm vorgeworfen, den Koran beleidigt zu haben.
Aufgebrachte Hardliner zeigten ihn an, seine Gegner versammelten sich zu Hunderttausenden zu so genannten Massengebeten in der Hauptstadt. Als es zum Prozess gegen Ahok kam, verlor er erst die Wahl, dann seine Freiheit – wegen Blasphemie wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Selten war die indonesische Gesellschaft so gespalten: in keifende Ahok-Gegner, die generell gegen alle Ungläubige wetterten
Und Unterstützer, die für Ahok singend auf die Straße gingen.
Sidney Jones: "Die Mobilisierung gegen den Gouverneur von Jakarta war ein Weckruf für viele in der moderaten Muslim-Gemeinschaft, die sich bis dahin nicht wirklich engagiert hatten. Seitdem bemühen sie sich in einer noch nicht dagewesenen Bewegung, sich zur Idee eines pluralistischen Islam zu bekennen."
Dass es noch einmal eine solche Massenbewegung unter den extremen Muslimen geben wird, glaubt Sidney Jones nicht: Die Koalition, die ihn damals gemeinsam zu Fall gebracht hat, ist in der Zwischenzeit selbst auseinandergebrochen. Ahok war das perfekte Ziel, weil er zum einen Christ war und zum anderen chinesischer Herkunft und die chinesische Minderheit eh einen schweren Stand in Indonesien hat.
Dass es noch einmal eine solche Massenbewegung unter den extremen Muslimen geben wird, glaubt Sidney Jones nicht: Die Koalition, die ihn damals gemeinsam zu Fall gebracht hat, ist in der Zwischenzeit selbst auseinandergebrochen. Ahok war das perfekte Ziel, weil er zum einen Christ war und zum anderen chinesischer Herkunft und die chinesische Minderheit eh einen schweren Stand in Indonesien hat.
So sagt es Manohara Odelia Pinot, die junge Politikerin. Andere nennen ihn Großmaul. Auf jeden Fall.
"Sein Fall war wie ein Wendepunkt für das ganze Land"
"Mochten das viele Leute nicht, denn viele Leute in der Regierung und im Geschäftsleben sind immer noch korrupt, und Ahok hat viele deswegen bloßgestellt und sie gefeuert, sogar live im Fernsehen, wenn sie sich nicht an die Regeln gehalten hatten. Sein Handeln und sein Fall waren wie ein Wendepunkt für das ganze Land, denn auch wenn er jetzt im Gefängnis und kein Gouverneur mehr ist, haben die Menschen ein positives Beispiel für einen Politiker gesehen, wie er sich benehmen und was er tun sollte."
So wie sie selbst – durch Ahoks Beispiel hat sie sich für Politik interessiert. Vorher hielt sie indonesische Politik für hoffnungslos und das Parlament für einen Ort, in den Menschen sich nur wählen lassen, damit sie geschmiert werden und gute Geschäfte machen können. Sie hofft ebenso sehr, dass Jokowi die Wahl im April gewinnt, wie Ismutia Rickard
"Sonst landen wir wieder in den dunklen Zeiten, in denen die Korruption blüht und die einzige Art, Geschäfte zu machen, die mit Bestechung ist."
Viele vermuten, dass die religiösen Hardliner sich zum Teil nur instrumentalisieren lassen - von der alten Garde eben jener korrupten Geschäftsleute, die ihre Felle davon schwimmen sehen und die zu ihrem früheren Erfolgsmodell zurückkehren wollen. Darum ist ihnen im Wahlkampf kein Mittel zu schlicht – Hetzkampagnen gegen den Präsidenten zum Beispiel: Seit langem muss Jokowi sich vorwerfen lassen, nicht muslimisch genug zu sein, weshalb habe er sonst einen christlichen Gouverneur unterstützt?
Der Präsident also tat, was viele seiner Unterstützer schon befürchtet hatten: Er wählte einen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft aus, der die Hardliner zufrieden und alle anderen ruhige stellen sollte, ein Beweis, dass er nicht anti-muslimisch eingestellt sei.
"Ich habe mich dazu entschlossen, mit der Zustimmung meiner Koalition als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft ab 2019 Professor Mar’uf Amin auszuwählen."
Mar’uf ist eine der wichtigsten Figuren im indonesischen Islam, unter anderem als Anführer der größten moderat-muslimischen Organisation des Landes. Für Manohara ist das ganz klar ein politischer Schachzug, ein Werkzeug, dass Jokowi jetzt einsetze:
Manohara Odelia Pinot: "Ist es notwendig, das zu tun? Leider ja. Denn wir haben nur die Wahl zwischen zwei Kandidaten, und ich kann mir nicht vorstellen, wie Indonesien aussehen wird, wenn Jokowi nicht gewinnen sollte – zurück in die Vergangenheit."
Kandidat ist der Schwiegersohn des früheren Diktators
Der Gegenkandidat, Prabowo Subianto, ist der Schwiegersohn des früheren Diktators Suharto; der General gehörte einer Eliteeinheit an, auf deren Konto viele Menschenrechtsverletzungen gingen. Aufgestellt haben ihn strenggläubig-muslimische Parteien, die sich von ihm einen strikten Kurs erhoffen, einen Anti-Jokowi mit islamischer Gesetzgebung.
Manohara Odelia Pinot: "Viele Leute sagen, das wäre irgendwie cool, trendy – aber sie verstehen nicht, dass eine Diktatur nicht das richtige ist, sie verstehen nicht, dass ihnen alle ihre Freiheiten genommen werden, sie verstehen nicht, dass sie nur demonstrieren können, weil sie in einer Demokratie leben."
Die politische Analystin Sidney Jones sieht Jokowis Schachzug, sich auf die Hardliner zuzubewegen ebenfalls ganz pragmatisch. Er sei eben ein macchiavellistischer Politiker, der einfach nur gewinnen möchte – und er sei überzeugt, dass er jeden werde in Zaum halten können, den er ins Boot geholt hat für seine politischen Ziele.
Vor mehr als 40 Jahren, 1977, kam Sidney Jones zum ersten Mal nach Indonesien. Sie hat es zu ihrem Beruf gemacht, dieses Land zu verstehen.
Sidney Jones: "Ich glaube, wir sehen ein Land, das sehr anders ist als das Land, in das ich 1977 gekommen bin. Es ist ein viel konservativeres Land, eines, in dem Islamisten eine immer stärkere Stimme bekommen. Aber eines, in dem die Verpflichtung zum Pluralismus immer noch sehr lebendig ist."