Bis zum Beginn der Frankfurter Buchmesse sendet Deutschlandradio Kultur täglich kleine Impressionen der Schriftstellerin Ulla Lenze über Indonesien. Denn Indonesien ist dieses Jahr Ehrengast auf der Buchmesse. Lenze hat das Land 2015 auf Einladung des Goethe-Instituts als Gast des Residenzprogramms für deutsche Autoren vier Wochen bereist.
Wie Hörgewohnheiten ausgetrickst werden
Im Gamelan-Konzert in Indonesien wird es Ulla Lenze schwindelig bei der Musik, die etwas Schiefes hat und alles Forsche hinter sich lässt. Die Schriftstellerin hat das Land bereist und spricht über ihre Eindrücke.
Man weiß bei dieser Musik gar nichts mehr. Sie taumelt, sie kommt nicht an, und ich, im Publikum sitzend, denke an Geister, an den Gespensterglauben der Indonesier, ich sage zu meinem deutschen Bekannten neben mir: "Seltsam, dass die hier alle an Geister glauben, selbst die mit Uniabschlüssen."
"Hm", sagt er, "im Goethe-Institut haben wir auch einen Geist."
"Wo denn?"
"Im Schuppen."
"Kann ich mir den mal anschauen?"
Er lacht. "Na, der ist natürlich nie da, wenn man gucken kommt!"
"Wo denn?"
"Im Schuppen."
"Kann ich mir den mal anschauen?"
Er lacht. "Na, der ist natürlich nie da, wenn man gucken kommt!"
Die Musik ist eigentlich auch nie da, oder besser: Ich falle in den ersten Minuten noch auf Signale rein, die meine westeuropäischen Ohren aufzuschnappen meinen - eine angetäuschte Kadenz, ein Crescendo - die dann im Nirgendwo enden, statt Auflösung verläppert sich die vermeintlich aufgebaute Spannung diskret, und immer wieder scheint alles neu anzufangen und das mit größter Ruhe und Selbstverständlichkeit. Eigentlich ziemlich cool.
Es gefällt mir immer besser, auch, dass ich hier so ausgetrickst werde, ohne dass das jemand will - nur meine Hörgewohnheit trickst mich aus, und nach und nach kapituliere ich und kann einfach hören. Und sehen. Zierliche Frauen in leuchtenden Schmetterlingskostümen tanzen wie die Musik spielt: verloren taumelnd, plötzlich losstürmend, gepackt von einer Kraft, die unsichtbar bleibt. Vielleicht muss man auch hier gar nichts durchschauen, nur sehen.
Es wird einem schwindelig bei dieser Musik, die etwas schön Schiefes hat und alles Forsche hinter sich lässt. Sie weiß etwas vom Dazwischen, sie hält etwas in der Schwebe, und fast könnte ich jetzt auch an Geister glauben, zumindest vorübergehend.