Die Ausstellung "Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie" ist noch bis zum 26. September 2021 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen.
Vom Hochofen zum Rechenzentrum
05:37 Minuten
Das industrielle Zeitalter steht gleichermaßen für Fortschritt wie für Verelendung. Die Veränderung der Lebenswelt wurde auch von Künstlern eingefangen. Deren Blick auf die Industrialisierung zeigt die Ausstellung "Moderne Zeiten".
Riesige Fabrikanlagen in idyllischer Landschaft, rauchende Schlote, Blicke in gigantische Produktionshallen und glühend rote Stahlöfen – die frühesten Gemälde präsentieren das neue industrielle Zeitalter voll heroischem Optimismus, nach dem Motto: "Wow, wir können Eisenbahnen bauen, wir haben ein Riesenbergwerk!", so Kuratorin Kathrin Baumstark: "Und natürlich alles schön in goldenen Rahmen, weil das alles Auftragswerke sind. Das muss einem klar sein, dass die Industriedarstellung zu Beginn nur im Auftrag entstanden ist."
Bestellt von Unternehmern wie Krupp und Borsig, hängen diese um 1860 entstandenen Bilder in einem verwinkelten Raum auf pechschwarzen, nur kärglich beleuchteten Wänden. "Man kommt rein wie in eine Grube", erklärt Baumstark.
"Das ist ja auch ein sehr haptisches Schwarz. Es sieht ein bisschen aus wie Kohlenstaub. Und das war so die Assoziation, die wir hatten: Wie war denn das damals, in der Grube zu sein?"
Diesen empathischen Blick auf diejenigen, die den Reichtum der Industriellen erarbeiten, hält die erstaunliche Ausstellung bis zum brutalen Finale wie selbstverständlich bei.
Chronologisch gehängt und von Kapitel zu Kapitel heller werdend, zeigen rund 30 zum Teil gänzlich unbekannte, beeindruckende Gemälde und 170 Fotografien, wie sich vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung Themen, Motive und künstlerische Ausdrucksformen von Malerei und Fotografie immer wieder verändern.
Die ganze Wirklichkeit abbilden
Lange war die Fotografie fasziniert von der Technik und den ästhetischen Formen – in der Ausstellung reicht das von frühen Aufnahmen riesiger Eisenbahnbrücken über Wände voll Werbe- und Propagandabilder der Unternehmen bis hin zu Hilla und Bernd Bechers Serien über stillgelegte Industrieanlagen.
Dagegen stellten sich die Malerinnen und Maler bereits in den 1880er-Jahren der ganzen Wirklichkeit. "Dass die Künstler gesagt haben: Wir müssen auch das Dreckige darstellen und nicht nur das Heroische. Wir müssen die Arbeitsbedingungen, den Staub, den Schmutz zeigen und auch, was es mit den Menschen macht", so die Kuratorin.
Sie malen die körperliche Anstrengung an den Stahlöfen und in den Bergwerken. Sie verdichten die Erschöpfung und Entfremdung durch eintönige Fabrikarbeit in eindringlichen Porträts. Sie zeigen bereits Ende der 1870er-Jahre durch Bergbau zerstörte, apokalyptische Landschaften, wie sie am Ende der Ausstellung auf aktuellen Fotografien über Brandenburgs Tagebergbau wieder auftauchen.
Wo steht der Künstler? Wo stehe ich?
Solche erhellenden Querverweise bereiten besonderes Vergnügen. Ebenso die Neuentdeckungen, wie etwa der Maler Georg-Friedrich Zundel mit dem lebensgroßen Porträt eines selbstbewusst die Faust ballenden, streikenden Arbeiters. "Er war mit Clara Zetkin verheiratet", sagt Baumstark, "und hat Menschenporträts geschaffen, die schon im Stil der Neuen Sachlichkeit, aber von 1900 sind."
Sie malen die körperliche Anstrengung an den Stahlöfen und in den Bergwerken. Sie verdichten die Erschöpfung und Entfremdung durch eintönige Fabrikarbeit in eindringlichen Porträts. Sie zeigen bereits Ende der 1870er-Jahre durch Bergbau zerstörte, apokalyptische Landschaften, wie sie am Ende der Ausstellung auf aktuellen Fotografien über Brandenburgs Tagebergbau wieder auftauchen.
Wo steht der Künstler? Wo stehe ich?
Solche erhellenden Querverweise bereiten besonderes Vergnügen. Ebenso die Neuentdeckungen, wie etwa der Maler Georg-Friedrich Zundel mit dem lebensgroßen Porträt eines selbstbewusst die Faust ballenden, streikenden Arbeiters.
"Er war mit Clara Zetkin verheiratet", sagt Baumstark, "und hat Menschenporträts geschaffen, die schon im Stil der Neuen Sachlichkeit, aber von 1900 sind."
Im letzten, hellen und größten Saal dieser beeindruckenden Ausstellung konfrontiert die Leiterin des Bucerius Kunst Forums den Besucher mit unseren aktuellen Apokalypsen. Jetzt sind es vor allem Fotografinnen und Fotografen, die sich mit den weltweiten Folgen eines seit fast 200 Jahren andauernden Wirtschaftssystems beschäftigen, das für den maximalen Profit rücksichtslos Raubbau betreibt an Mensch und Natur.
Unversöhnliche Ausstellung
Da entpuppen sich faszinierend schöne, farbig-abstrakte Muster als Bilder einer Ölkatastrophe. Leerstehende Häuser verweisen auf Tschernobyl, menschenleere Logistikzentren auf Arbeit im Zeitalter von Industrie 4.0. Kathrin Baumstark sagt:
"Wir haben ein ganz großartiges Bild von Henrik Spohler, das einfach ein Rechenzentrum ist, ein cleanes Rechenzentrum. Da ist kein Arbeiter mehr, sondern das wird alles in diesen Räumen gemacht. Aber es ist genauso ein Bild der Industrie wie 170 Jahre vorher die Bergarbeiter in der Grube."
Und so wie schon Krupp 1865 die Fotografie nutzte, um für Kanonen und den nächsten Krieg zu werben, so steht man am Ende der Ausstellung vor Bildern einer aktuellen Waffenmesse und vor Aufnahmen der zusammengestürzten Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. Gegen einen unversöhnlichen Kapitalismus stellt sich hier eine ebenso unversöhnliche Ausstellung!