Infektionsgefahr durch Coronaviren

Geflüchtete klagen gegen Sammelunterbringung

06:55 Minuten
Der Zaun eines Flüchtlingslagers in Kassel, 5. April 2020.
In vielen Sammelunterkünften für Geflüchtete ist es kaum möglich, die nötigen Abstandsregeln einzuhalten, um einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu entgehen. © imago/Peter Hartenfelser
Von Bastian Brandau |
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Sanitäre Anlagen und Essräume werden hier von vielen geteilt: Die Abstandsregeln sind in Sammelunterkünften für Geflüchtete kaum einzuhalten. Deshalb habe einige nun gegen ihre Unterbringung dort geklagt - und Recht bekommen. Doch was folgt daraus?
Ein Video, gefilmt vor einer Erstaufnahmeeinrichtung bei Leipzig. Bis zu sechs Personen leben hier in einem Raum – die Möglichkeit, Distanzregelungen zum Schutz vor dem Coronavirus einzuhalten, seien nicht gegeben, beschwert sich dieser Mann.
"Wir sind eingesperrt wie Hühner in einem Käfig."
"Haben Sie Angst vor Corona?"
"Wir haben Angst. Nicht nur vor Corona. Wir haben keine guten Lebensbedingungen hier!"
Die Fragen im Video stellte Juliane Nagel, sie ist Landtagsabgeordnete der Linken. Vor gut einer Woche hatte sie von der Demonstration einiger Bewohner gehört und war daraufhin zur Erstaufnahmeeinrichtung gefahren.
"Und ich habe dort eine sehr aufgebrachte Stimmung erlebt. Die Bewohner haben mir erzählt, dass sie sehr leiden unter der Lebenssituation in Dölzig. Einerseits natürlich wegen Corona. Sie fühlen sich nicht ausreichend geschützt in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Aber es wurde auch prinzipiell Kritik geübt an den Bedingungen in der Erstaufnahmeeinrichtung."

"Ich hatte große Angst mich anzustecken"

Bis vor einigen Wochen lebte auch Francois in dieser Asylunterkunft im Süden von Leipzig. Am Telefon berichtet er von den Erfahrungen dort.
"Die Bedingungen waren sehr schlecht. Es gab keine guten hygienischen Bedingungen, alles war sehr eng mit den anderen Leuten. Ich hatte große Angst mich anzustecken. Deshalb habe ich viele Nächte gar nicht geschlafen."
Gemeinsam mit dem sächsischen Flüchtlingsrat hat Francois vor dem Verwaltungsgericht gegen seine Unterbringung in einer Massenunterkunft geklagt. Und hatte Erfolg. Das Gericht entschied, dass es unmöglich sei, in den sächsischen Massenunterkünften den nötigen Abstand zu anderen Personen einzuhalten. Francois durfte ausziehen, in eine Wohnung.
"Ich fühle mich jetzt viel viel besser als im Lager. Die Umgebung hier ist in Ordnung. Ich fühle mich sicher vor dem Coronavirus."

Abstandsregelung kann nicht eingehalten werden

Angela Müller vom sächsischen Flüchtlingsrat hat die Klage von Francois und anderen Geflüchteten begleitet.
"Die Antragsteller aus Dölzig und aus Schneeberg haben insbesondere bemängelt, dass sie sich eben mit sehr vielen Menschen sanitäre Einrichtungen teilen müssen. Die Kantinen beziehungsweise Räume, wo das Essen eingenommen wird, werden mit vielen verschiedenen Menschen geteilt, die eben nicht zum selben Hausstand gehören, sondern mit denen man weder verwandt noch verschwägert ist. Und dadurch kann natürlich kein umfassender Infektionsschutz gewährt werden, weil diese Abstandsregelung, die derzeit weiterhin besteht, von 1,50 Meter, kann nicht eingehalten werden."
Die Bescheide der Verwaltungsgerichte sind nicht anfechtbar. Die verantwortliche Behörde, die sächsische Landesdirektion will dennoch dagegen vorgehen und hat in einem Fall jetzt beim Verwaltungsgericht Leipzig den Übergang in das Hauptsacheverfahren beantragt, teilte die Behörde auf Anfrage schriftlich mit.
"Im Fall des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes Leipzig hat der Betroffene in wesentlichen Punkten falsche Angaben gemacht. So gab der Betroffene u.a. an, mit einer weiteren Person in einem circa 2 mal 2 Meter großen Zimmer zu wohnen – tatsächlich ist das Zimmer aber 13,57 Quadratmeter groß."

Weitere Klagen Geflüchteter in Sachsen anhängig

In der Diskussion um die Zimmergröße sieht Angela Müller vom sächsischen Flüchtlingsrat eine Ablenkungs- und Verzögerungstaktik.
"Nichtsdestotrotz gilt die getroffene Entscheidung, dass nämlich der Infektionsschutz in den Gemeinschaftsräumen nicht eingehalten werden kann und die Personen ihr Recht auf Gesundheit nicht genießen können, daran sollte sich eigentlich nichts ändern."
Alle drei sächsischen Verwaltungsgerichte haben entschieden, dass größere Gruppen, die in Sammelunterkünften gemeinsam sanitäre Einrichtungen benutzen müssen, nicht als "Lebensgemeinschaft" definiert werden können. Weitere Klagen Geflüchteter sind in Sachsen anhängig. Vergangene Woche entschied auch das Verwaltungsgericht Münster im Sinne zweier Geflüchteter, die ihre Unterkunft verlassen durften. Ein Signal also auch über Sachsen hinaus, so sieht es Günther Burkhard von Pro Asyl.
"Es gibt ja leider kein Verbandsklagerecht, wo man generell gegen diese Form der Unterbringung klagen könnte. Wenn es deutlich ist, dass das Infektionsrisiko steigt und wenn Gerichte entscheiden zugunsten des Einzelfalls, dann muss politisch gehandelt werden. Und das ist nochmal gerichtlich bestätigt worden. Die Forderung, dass diese Massenunterkünfte gesundheitsgefährdend sind, die Menschen psychisch kaputt machen, wenn sie an die Wand starren, sie nichts tun dürfen, nicht raus dürfen, die erheben wir schon lange. Es verschärft sich nur auf Grund der Coronabedingungen."

Umzug in kleinere Apartments gefordert

Den Umzug in kleinere Apartments fordern die Geflüchteten in Leipzig auch beim Besuch der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel. Genau wie Pro Asyl unterstützt die Linke diese Forderung. Und auch die mitregierenden Grünen setzen sich für eine dezentrale Unterbringung ein.
Das sächsische Innenministerium aber hat zuletzt immer wieder klar gemacht, dass es trotz Corona-Infektionen und Gerichtsentscheidungen Flüchtlinge auch in Zukunft bis zu zwei Jahre in Sammelunterkünften unterbringen will. Weitere politische Konsequenzen will Innenminister Roland Wöller von der CDU nicht ziehen.
"Die Konsequenzen sind bereits erfolgt. Das heißt, dass diejenigen, die Klagen angestrengt haben, da wird das umgesetzt, was beschlossen worden ist. Bei den anderen Fällen ist es nicht so. Wir strengen dort nochmal Änderungsbeschlüsse an."
Das Innenministerium und die Landesdirektion, so sieht es Asylberaterin Angela Müller vom Flüchtlingsrat, spielten auf Zeit.
"Das heißt also die Landesdirektion versucht, sich einen Weg offen zu halten für den Fall, dass eben die Infektionsschutz-Gesetze nicht mehr so stark greifen, wie aktuell der Fall ist."
Und das könnte dann auch für Francois aus Kamerun bedeuten, dass er zurück müsste in eine Sammelunterkunft. Für ihn eine Horrorvorstellung.
"Wenn ich dahin zurück müsste… vielleicht warten sie auf meinen Tod. Dieser Ort ist kein angemessener Ort zum Leben."
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