Inflation – der falsche Weg aus der Schuldenkrise
Die Europäische Zentralbank wäre bereit, wieder Staatsanleihen hochverschuldeter Euroländer zu kaufen. Kritiker befürchten, dass dies zu einer Aufweichung des Euro und zu höherer Inflation führen würde. Und es würde - kurzfristig - nur den Schuldnern helfen, meint der Wirtschaftspublizist Philip Plickert.
Die Euro-Krise weckt Ur-Ängste vom Zusammenbruch der Währung. Die Deutschen haben da ja ein Trauma – ein Inflationstrauma. Es ist schon fast neunzig Jahre alt, doch wirkt es noch heute nach. Vieles mag überzogen sein, doch die historische Erfahrung hat sich tief eingebrannt.
Ein Rückblick auf die Hyperinflation 1923. Die Situation spitzte sich katastrophal zu, da die Reichsbank die Notenpresse angeworfen hatte, um den beinahe bankrotten Staat zu finanzieren. Im November erreichte die Inflation eine Monatsrate von fast 30.000 Prozent.
Die Hyperinflation hat die Weimarer Republik nachhaltig destabilisiert. Für die Bundesrepublik lautete daher die Lehre: Es muss eine harte Währung geben. Eine unabhängige Zentralbank ist der Garant dafür. Nicht ohne Grund genießt die Bundesbank seitdem in der Bevölkerung höchstes Ansehen und Vertrauen.
Im Ausland wird das zuweilen ironisch kommentiert. Jacques Delors, der französische Staatsmann und EU-Politiker, hat einmal gesagt: "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank." In Europa wurde sie bewundert, gefürchtet und gehasst. Denn die harte deutsche Währung legte erst die Schwächen anderer Staaten offen, wo die Notenpresse nicht unabhängig war, wo sie für Konjunkturpolitik oder Staatsfinanzierung eingesetzt wurde. Immer wieder musste der Franc abwerten, die Lira war im Dauersinkflug.
Erst die Schaffung der Europäischen Zentralbank hat dem ein Ende gesetzt. Seit 1999 gibt es erstmals in Europas Geschichte eine unabhängige Zentralbank für alle.
Doch wird das so bleiben? In der Schuldenkrise hat sich ein wahnsinniger Druck aufgebaut. Die klammen Staaten Südeuropas stöhnen unter hohen Zinslasten. Sie sind in einem Teufelskreis gefangen. Seit zwei Jahren kauft nun die EZB Anleihen. Mehr als 211 Milliarden Euro hat sie in diese fragwürdigen Papiere gesteckt. Gegen den jüngsten Beschluss der EZB zu weiteren bedingten Anleihekäufen hat allein die Bundesbank gestimmt. Sie scheint nun isoliert im Kreis des Euro-Systems.
Mario Draghi, der Italiener an der Spitze der EZB, hat zwar Bewunderung für ihre Traditionen und die Leistungen der Bundesbank geäußert – aber nun lässt er sie links liegen. In Italien war es über Jahrzehnte üblich, dass ein Teil der Staatsschulden von der Notenbank gekauft wurde. Die Folge war chronische Inflation. Draghi riskiert jetzt, dass der Ruf der EZB nachhaltig Schaden nimmt.
Niemand soll fürchten, dass kurzfristig Inflation oder gar Hyperinflation droht. Die Zentralbank hat zwar die Geldschleusen für die Banken weit geöffnet, wegen der Rezession vergeben die aber wenig Kredite. Das Geld kommt also nicht in der Realwirtschaft an.
Solange das so bleibt, ist die Inflationsgefahr eher gedämpft. Doch je tiefer die EZB sich in das sumpfige Gebiet der Staatsfinanzierung hineinziehen lässt, desto schwerer wird der Rückzug. Darin liegt die eigentliche Gefahr.
Weltweit haben die Staaten in der Finanz- und Wirtschaftskrise enorme Schuldenberge aufgehäuft. Im Durchschnitt liegt die Verschuldung der OECD-Ländern über 100 Prozent des BIP. Es gibt grundsätzlich vier denkbare Wege. Erstens: Mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen. Zweitens: Ausgabenkürzungen, doch die sind schmerzhaft. Die dritte Möglichkeit: ein Schuldenschnitt. Der vierte Ausweg wird unter Ökonomen intensiv diskutiert: Inflation. Das bedeutet nichts anderes als eine lautlose Enteignung aller Sparer.
Noch ist nicht ausgemacht, welchen Weg Europa gehen wird. Hochverschuldete Staaten liebäugeln natürlich mit etwas mehr Inflation, die Deutschen hätten viel zu verlieren. Deshalb ist es richtig, dass jeder Schritt der EZB mit Argusaugen verfolgt wird. Eine Weichwährung brächte den Schuldnern kurzfristig Erleichterung, langfristig wären aber alle, nicht nur die Deutschen, Verlierer.
Philip Plickert, geboren 1979 in München, dort sowie an der London School of Economics Studium der Wirtschaftswissenschaften. 2007 Promotion an der Universität Tübingen mit einer Arbeit über die ideengeschichtliche Entwicklung des Neoliberalismus. Bereits während des Studiums Mitarbeit bei Presse und Rundfunk. Seit 2007 Mitglied der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion mit dem Schwerpunkt volkswirtschaftliche Themen. 2009 Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, 2010 Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.
Ein Rückblick auf die Hyperinflation 1923. Die Situation spitzte sich katastrophal zu, da die Reichsbank die Notenpresse angeworfen hatte, um den beinahe bankrotten Staat zu finanzieren. Im November erreichte die Inflation eine Monatsrate von fast 30.000 Prozent.
Die Hyperinflation hat die Weimarer Republik nachhaltig destabilisiert. Für die Bundesrepublik lautete daher die Lehre: Es muss eine harte Währung geben. Eine unabhängige Zentralbank ist der Garant dafür. Nicht ohne Grund genießt die Bundesbank seitdem in der Bevölkerung höchstes Ansehen und Vertrauen.
Im Ausland wird das zuweilen ironisch kommentiert. Jacques Delors, der französische Staatsmann und EU-Politiker, hat einmal gesagt: "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank." In Europa wurde sie bewundert, gefürchtet und gehasst. Denn die harte deutsche Währung legte erst die Schwächen anderer Staaten offen, wo die Notenpresse nicht unabhängig war, wo sie für Konjunkturpolitik oder Staatsfinanzierung eingesetzt wurde. Immer wieder musste der Franc abwerten, die Lira war im Dauersinkflug.
Erst die Schaffung der Europäischen Zentralbank hat dem ein Ende gesetzt. Seit 1999 gibt es erstmals in Europas Geschichte eine unabhängige Zentralbank für alle.
Doch wird das so bleiben? In der Schuldenkrise hat sich ein wahnsinniger Druck aufgebaut. Die klammen Staaten Südeuropas stöhnen unter hohen Zinslasten. Sie sind in einem Teufelskreis gefangen. Seit zwei Jahren kauft nun die EZB Anleihen. Mehr als 211 Milliarden Euro hat sie in diese fragwürdigen Papiere gesteckt. Gegen den jüngsten Beschluss der EZB zu weiteren bedingten Anleihekäufen hat allein die Bundesbank gestimmt. Sie scheint nun isoliert im Kreis des Euro-Systems.
Mario Draghi, der Italiener an der Spitze der EZB, hat zwar Bewunderung für ihre Traditionen und die Leistungen der Bundesbank geäußert – aber nun lässt er sie links liegen. In Italien war es über Jahrzehnte üblich, dass ein Teil der Staatsschulden von der Notenbank gekauft wurde. Die Folge war chronische Inflation. Draghi riskiert jetzt, dass der Ruf der EZB nachhaltig Schaden nimmt.
Niemand soll fürchten, dass kurzfristig Inflation oder gar Hyperinflation droht. Die Zentralbank hat zwar die Geldschleusen für die Banken weit geöffnet, wegen der Rezession vergeben die aber wenig Kredite. Das Geld kommt also nicht in der Realwirtschaft an.
Solange das so bleibt, ist die Inflationsgefahr eher gedämpft. Doch je tiefer die EZB sich in das sumpfige Gebiet der Staatsfinanzierung hineinziehen lässt, desto schwerer wird der Rückzug. Darin liegt die eigentliche Gefahr.
Weltweit haben die Staaten in der Finanz- und Wirtschaftskrise enorme Schuldenberge aufgehäuft. Im Durchschnitt liegt die Verschuldung der OECD-Ländern über 100 Prozent des BIP. Es gibt grundsätzlich vier denkbare Wege. Erstens: Mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen. Zweitens: Ausgabenkürzungen, doch die sind schmerzhaft. Die dritte Möglichkeit: ein Schuldenschnitt. Der vierte Ausweg wird unter Ökonomen intensiv diskutiert: Inflation. Das bedeutet nichts anderes als eine lautlose Enteignung aller Sparer.
Noch ist nicht ausgemacht, welchen Weg Europa gehen wird. Hochverschuldete Staaten liebäugeln natürlich mit etwas mehr Inflation, die Deutschen hätten viel zu verlieren. Deshalb ist es richtig, dass jeder Schritt der EZB mit Argusaugen verfolgt wird. Eine Weichwährung brächte den Schuldnern kurzfristig Erleichterung, langfristig wären aber alle, nicht nur die Deutschen, Verlierer.
Philip Plickert, geboren 1979 in München, dort sowie an der London School of Economics Studium der Wirtschaftswissenschaften. 2007 Promotion an der Universität Tübingen mit einer Arbeit über die ideengeschichtliche Entwicklung des Neoliberalismus. Bereits während des Studiums Mitarbeit bei Presse und Rundfunk. Seit 2007 Mitglied der F.A.Z.-Wirtschaftsredaktion mit dem Schwerpunkt volkswirtschaftliche Themen. 2009 Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik, 2010 Bruckhaus-Förderpreis der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.