Inflation durch immer höhere Schulden
Griechenland ist nicht das einzige Land, das Schulden hat. Auch die USA sind hochverschuldet, pumpen aber immer mehr Dollar in den internationalen Kapitalmarkt. Wenn Schulden und Geldmenge auf diese Weise immer weiter wachsen, droht irgendwann die Inflation, sagt Wieslaw Jurczenko.
Susanne Führer: Griechenland sitzt auf einem riesigen Schuldengebirge. Nur etwas kleiner sind die Schuldenberge Portugals, Spaniens oder Irlands zum Beispiel, wobei das Bild vom Berg ja eigentlich falsch ist, denn Schulden bezeichnen ja etwas, was man nicht hat: Geld eben. Dieses Geld muss ja aber mal jemand verliehen haben, und die Griechen und all die anderen – auch Deutschland ist ja bekanntlich nicht schuldenfrei –, haben es dann ausgegeben und können es jetzt nicht zurückzahlen. Stellt sich doch die Frage: Wer hat denn jetzt das ganze Geld, das fehlt? Unser Fachmann in Gelddingen ist Wieslaw Jurczenko, Anwalt für Wertpapierrecht in Frankfurt am Main. Tag, Herr Jurczenko!
Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Frau Führer!
Führer: Ja, wo ist denn jetzt das ganze schöne Geld? Ist es noch irgendwo?
Jurczenko: So, es gibt zwei Nachrichten dazu: Die gute ist, es ist noch da – die schlechte, es ist nicht dort, wo es gebraucht wird.
Führer: Es ist zum Beispiel nicht in Griechenland.
Jurczenko: Zum Beispiel!
Führer: Es gibt ja diese schöne Anekdote, die so diesen Geldkreislauf ganz schön erzählt. Ich habe das vorhin schon kurz erzählt. Ich versuche, mich mal kurz zu fassen: Der deutsche Tourist kommt in eine griechische Pension – im letzten Jahr hat man noch von der Irischen Pension erzählt, jetzt ist es eben Griechenland, und reserviert dort ein Zimmer, legt 100 Euro hin als Pfand, und der Wirt rennt los und bezahlt mit diesen 100 Euro seine Schulden beim Fleischer, der nimmt die 100 Euro – der Fleischer – und zahlt seine 100 Euro Schulden beim Bauern, der ihm da die Schweine geliefert hat, der wiederum zahlt dann mit den 100 Euro seine Schulden bei der Prostituierten, und die geht damit zum Wirt und zahlt ihre 100 Euro Schulden ab für das Zimmer, das sie dort mietet, und der deutsche Tourist kommt zurück und sagt: Ach, ich will doch lieber woanders ein Zimmer nehmen, und der Wirt gibt ihm die 100 Euro zurück. Der Deutsche hat kein Geld verloren und das Dorf ist schuldenfrei. Das klingt doch bestrickend! Funktioniert so der Geldkreislauf? Das ist doch super!
Jurczenko: Das ist eigentlich die idealtypische Darstellung des Geldkreislaufes, so wie er eigentlich sein sollte. Und der Unterschied dieser Anekdote zur Realität ist im Grunde zum einen, dass dort der Zins nicht enthalten ist – der ist in diesem Kreislauf natürlich nicht dargestellt –, der zweite Punkt, der dort fehlt, ist – oder der, sagen wir mal, die Abweichung zur Realität wiedergibt, ist –, dass in dieser Kette niemand mehr Schulden hat, als Geld da ist in dem Moment, wo es gebraucht wird. Und das ist in Griechenland eben gerade nicht der Fall. Dort gibt es einfach ein riesiges Loch, das gefüllt werden muss. Dieses Geld ist woanders, das ist eben nicht dort, und jetzt versucht man es dahin zu schaffen. Wenn Sie sogar fragen, wo das Geld ist, …
Führer: … genau!
Jurczenko: … könnte ich Ihnen sagen, es kommt jeden Tag mehr davon! Die Menge wächst jede Sekunde – es gibt böse Zungen, die sagen: Wer die Hand ruhig auf seinen Wohnzimmertisch legt, spürt sie vibrieren, die amerikanische Notenpresse, die rund um die Uhr läuft.
Führer: Aber Sie haben doch nun gesagt, das Geld ist noch da, nur nicht da, wo es hingehört. Aber wo ist es denn dann, wo es nicht hingehört? Wer hat es denn?
Jurczenko: Es haben die, die es eben haben. Das liegt teilweise eben auf Bankkonten …
Führer: … es haben die, die es eben haben, ja?
Jurczenko: … ja, das ist wirklich … das würde den Rahmen der Sendung sprengen, sicher, das im Einzelnen zu analysieren. Aber es haben diejenigen, die zum Beispiel zu viel Sparen, das sind angehäufte Vermögen, die mitunter auf Bankkonten liegen, wo auch immer auf dieser Welt, es haben Banken Versicherungen, es haben Sektoren, die jedenfalls dieses Geld in der Zirkulation nicht mehr halten, und das generiert natürlich Probleme, wie sie beispielsweise in Griechenland auftauchen, die aber nicht allein dadurch verursacht sind.
Führer: Also, es kann ja jetzt nicht sein, dass die deutschen Sparer schuld sind, dass die Griechen solche Schulden haben!
Jurczenko: Ja, nun, Deutschland hat sich dem Vorwurf aussetzen müssen, unter anderem durch Frankreich, dass der deutsche Export eben sehr viel Wertschöpfung generiert, das heißt, sehr viel Geld kommt ins Land, geht aber wieder nicht raus; letzten Endes, andere bezahlen schlussendlich den deutschen Handelsüberschuss. Wir haben es ja heute mit einer Kreislaufwirtschaft auf globaler Basis zu tun. In früheren Zeiten hatte man ja sehr viel mehr Währungsbeschränkungen, Handelsbeschränkungen, heute zirkuliert das Geld ja um die Welt. Und dadurch entstehen auch zum Beispiel Löcher auf dieser großen Basis. Wenn Sie zum Beispiel an das deutsche Wirtschaftswunder denken, in den 50er-Jahren: Die D-Mark war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht konvertierbar, also nicht global handelbar. Das heißt, wenn wir Ungleichgewichte im Land irgendwo hatten oder außerhalb, dann wurden die entsprechend erst mal früher erkannt, schneller oder einfacher gesteuert und gegen außen eben sogar mit Eingriffsinstrumenten durch Verrechnungsstellen und Verrechnungsmechanismen wurden die eingefangen. Das ist heute global nicht mehr ohne weiteres möglich, denn das Geld hat Reisefreiheit, wenn Sie so wollen.
Führer: Ja, aber kommen wir doch mal zurück zu dem Punkt: Griechenland hat ja diese enorm hohe – wir reden ja eigentlich sowieso nur von der Staatsverschuldung. Und meines Wissens haben ja so gut wie alle Länder relativ hohe Staatsschulden, auch Deutschland zum Beispiel. Gibt es denn überhaupt Staaten, die mehr Geld als Schulden haben?
Jurczenko: Ich glaube, das dürfte die Schweiz sein, es dürften die Chinesen sein, die zum Beispiel auch Exportweltmeister sind, jetzt, und im Grunde amerikanische Schulden kaufen, um den Amerikanern das Leben zu ermöglichen, das sie führen auf Kosten im Grunde ihrer Handelsbilanz. In den USA gilt ja dieses Prinzip, das Sie wahrscheinlich auch kennen: Ich kaufe mir Dinge, die ich nicht brauche, von Geld, das ich nicht habe, um Leute zu beeindrucken, die ich nicht mag. Und das ist ungefähr das amerikanische Prinzip, das hier gilt. Die Chinesen wiederum halten ihr Geld zusammen, sie haben Währungsreserven von irgendwo zwischen ein und zwei Billionen Dollar!
Führer: Und das heißt, China ist jetzt für uns die sichere Geldbank geworden?
Jurczenko: China ist sicherer geworden, als, sicher, Griechenland. Sie können aber auch sagen, dass diese Verschuldung auch so keine wirklich absoluten Grenzen kennt. Es hat auch mit Vertrauen zu tun. Das ist ein sehr emotionales Thema. Wenn sie sich wirklich absolute Zahlen angucken müssten, eigentlich … Amerikaner und Japaner sofort irgendwo von den Ratingagenturen auf D gestellt werden, also Default, Zahlungsausfall, weil sie im Grunde überhaupt nicht genug Geld hätten, um ihre Schulden zu bezahlen, aber das Vertrauen ist wesentlich größer in diese Länder, weil die natürlich auch mehr produzieren. Das heißt, sie haben die Möglichkeit, Geld zu verdienen, während die Griechen diese Möglichkeit nicht so umfangreich haben.
Führer: Wer hat das Geld, das uns allen fehlt? Das versuche ich, mit Wieslaw Jurczenko zu ergründen, dem Anwalt für Wertpapierrecht. Herr Jurczenko, Sie haben vorhin gesagt, wenn man die Hand auf den Tisch legt, dann merkt man, wie er vibriert, weil die amerikanische Notenpresse die ganze Zeit arbeitet. Daraus schließe ich, dass Geld möglicherweise heute nicht mehr wirklich einen realen Gegenwert hat. Wenn ich einfach so viel drucken kann, wie ich will, dann steht ja kein Wert mehr dem gegenüber.
Jurczenko: Das ist durchaus so. Geld ist schon immer ein Zahlungsversprechen gewesen, man hat es in früheren Zeiten mal zum Beispiel durch den Goldstandard abgesichert, indem man gesagt hat, man gibt nur so viel Geld aus, wie man wieder annehmen kann im Grunde, und das in Goldgegenwert auszahlen. Das ist ja heute nicht mehr der Fall, das ist aufgehoben. Heute ist jeder frei, soviel Geld zu drucken, wie er möchte, und das Problem, das dahinter steht, wird uns natürlich irgendwann erwischen, das ist die Inflation.
Führer: Aber wenn das Geld nicht mehr an reale Werte gebunden ist, dann ist es doch sozusagen nur so ein virtueller Wert?
Jurczenko: Das ist ein virtueller Wert, das ist klar. Geld besteht letzten Endes – es ist nur ein Zahlungsmittel, es ist ein Zahlungsversprechen, nichts anderes. Es ist Papier, auf dem draufsteht, dass man dafür irgendwas bekommt, und wenn irgendwann der Glaube verloren geht, dass das so funktioniert, und das ist gerade zum Beispiel in Griechenland der Fall, dann gibt es eben solche Zusammenbrüche oder Zahlungsausfälle oder Leute gehen einfach pleite.
Führer: Aber wenn es nur virtuell ist, könnte man theoretisch auch sagen: Wir streichen die virtuellen Schulden!
Jurczenko: Ja, dann werden auch virtuelle Guthaben im Prinzip geringer. Sie sind aber nicht ganz so virtuell, weil in dem Moment, in dem man sie bewegen möchte und irgendwas damit bezahlen, wird man merken, dass man weniger bezahlen kann. Insoweit … Das ist mit Aktien genau so: Solange Sie ein Depot haben, das täglich mehr wert wird, haben Sie auf dem Papier unheimlich viel Geld. Aber in dem Moment, wo sie zum Beispiel alles verkaufen, und der Markt fällt, dann haben Sie es eben doch weniger in der Tasche. Also, irgendwo, wo es dann eben diesen virtuellen Kreislauf verlässt und in die Realwirtschaft geht, merken sie schon, dass der Wert geringer ist.
Führer: Wenn wir noch mal auf dieses Eingangsbeispiel, diese Anekdote da zurückkommen, mit den 100 Euro, die da kursieren in dem Dorf, und das gesamte Dorf ist schuldenfrei, weil gerade mal ein Tourist eine Stunde da 100 Euro hinterlegt hat. Dann fehlen ja die Zinsen, wie Sie gesagt haben, und das heißt also, in diesem Modell, in diesem Idealmodell und eben auch der Kredit, das heißt: Könnte man nicht auch andersrum sagen, dass im Grunde genommen Kredite und Zinsen auch etwas Gutes haben, weil dadurch nämlich mehr wird? So sind ja die 100 Euro immer nur 100 Euro geblieben!
Jurczenko: Absolut. Kredite sind auch Teil der Wertschöpfung in dem Moment, wo sie investiv verwendet werden. Das heißt, wo man es in reale Werte investiert, die vielleicht selber wiederum Wohlstand produzieren. Aber das Übermaß an Kredit, das ist eben die Überschuldung, die man eben betreibt, wo man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, das Ganze zu bezahlen, wird dann letzten Endes zum Gift. Es ist wie mit allem, es ist eine Frage der Dosis.
Führer: Können Sie das noch ein bisschen erläutern, jetzt anhand dieses Beispiels mit den 100 Euro? Kann man das mal plastisch machen?
Jurczenko: Wenn einer in dieser Kette beispielsweise 30.000 Euro Schulden hätte, dann würden diese 100 Euro einfach nichts mehr ausrichten. Dann würde dieser Kreislauf ohnehin zusammenbrechen, weil diese 100 Euro das nicht mehr darstellen können. Dort zeigt sich die Balance. Es sind die 100 Euro Schulden, die so überall sind, und die auch noch bezahlbar bleiben für jeden, und der Kreislauf des Geldes schafft das, das abzuwickeln. Und in dem Moment, wo das eben solche Riesenblasen gibt, ist es einfach nicht mehr möglich, das mit normalen Mitten noch aufzufangen.
Führer: Ich hätte gedacht, das Problem liegt auch daran, dass heute vielleicht ja nicht so sehr Personen, sondern eher Institutionen eben Geld verleihen – bleiben wir mal bei den 100 Euro –, die ihnen gar nicht gehören, und sie sozusagen dann auch noch mehrfach verleihen.
Jurczenko: Das kommt dazu. Es ist ein vielschichtiges Problem, aber das würde jetzt die Länge des Gespräches sprengen. Aber das ist mit Sicherheit auch ein Faktor, ja.
Führer: Und wenn wir jetzt auf Griechenland zurückkommen: Ihre Prognose, Herr Jurczenko?
Jurczenko: Ich gehe davon aus, dass Griechenland auf jeden Fall einen Teil seiner Schulden nicht wird bezahlen können. Das ist nicht realistisch, dass die das jemals – es gibt nicht die Produktivität dahinter, die das irgendwo leisten kann.
Führer: Wieslaw Jurczenko war das, der Anwalt für Wertpapierrecht aus Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Jurczenko!
Jurczenko: Ich danke auch!
Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Frau Führer!
Führer: Ja, wo ist denn jetzt das ganze schöne Geld? Ist es noch irgendwo?
Jurczenko: So, es gibt zwei Nachrichten dazu: Die gute ist, es ist noch da – die schlechte, es ist nicht dort, wo es gebraucht wird.
Führer: Es ist zum Beispiel nicht in Griechenland.
Jurczenko: Zum Beispiel!
Führer: Es gibt ja diese schöne Anekdote, die so diesen Geldkreislauf ganz schön erzählt. Ich habe das vorhin schon kurz erzählt. Ich versuche, mich mal kurz zu fassen: Der deutsche Tourist kommt in eine griechische Pension – im letzten Jahr hat man noch von der Irischen Pension erzählt, jetzt ist es eben Griechenland, und reserviert dort ein Zimmer, legt 100 Euro hin als Pfand, und der Wirt rennt los und bezahlt mit diesen 100 Euro seine Schulden beim Fleischer, der nimmt die 100 Euro – der Fleischer – und zahlt seine 100 Euro Schulden beim Bauern, der ihm da die Schweine geliefert hat, der wiederum zahlt dann mit den 100 Euro seine Schulden bei der Prostituierten, und die geht damit zum Wirt und zahlt ihre 100 Euro Schulden ab für das Zimmer, das sie dort mietet, und der deutsche Tourist kommt zurück und sagt: Ach, ich will doch lieber woanders ein Zimmer nehmen, und der Wirt gibt ihm die 100 Euro zurück. Der Deutsche hat kein Geld verloren und das Dorf ist schuldenfrei. Das klingt doch bestrickend! Funktioniert so der Geldkreislauf? Das ist doch super!
Jurczenko: Das ist eigentlich die idealtypische Darstellung des Geldkreislaufes, so wie er eigentlich sein sollte. Und der Unterschied dieser Anekdote zur Realität ist im Grunde zum einen, dass dort der Zins nicht enthalten ist – der ist in diesem Kreislauf natürlich nicht dargestellt –, der zweite Punkt, der dort fehlt, ist – oder der, sagen wir mal, die Abweichung zur Realität wiedergibt, ist –, dass in dieser Kette niemand mehr Schulden hat, als Geld da ist in dem Moment, wo es gebraucht wird. Und das ist in Griechenland eben gerade nicht der Fall. Dort gibt es einfach ein riesiges Loch, das gefüllt werden muss. Dieses Geld ist woanders, das ist eben nicht dort, und jetzt versucht man es dahin zu schaffen. Wenn Sie sogar fragen, wo das Geld ist, …
Führer: … genau!
Jurczenko: … könnte ich Ihnen sagen, es kommt jeden Tag mehr davon! Die Menge wächst jede Sekunde – es gibt böse Zungen, die sagen: Wer die Hand ruhig auf seinen Wohnzimmertisch legt, spürt sie vibrieren, die amerikanische Notenpresse, die rund um die Uhr läuft.
Führer: Aber Sie haben doch nun gesagt, das Geld ist noch da, nur nicht da, wo es hingehört. Aber wo ist es denn dann, wo es nicht hingehört? Wer hat es denn?
Jurczenko: Es haben die, die es eben haben. Das liegt teilweise eben auf Bankkonten …
Führer: … es haben die, die es eben haben, ja?
Jurczenko: … ja, das ist wirklich … das würde den Rahmen der Sendung sprengen, sicher, das im Einzelnen zu analysieren. Aber es haben diejenigen, die zum Beispiel zu viel Sparen, das sind angehäufte Vermögen, die mitunter auf Bankkonten liegen, wo auch immer auf dieser Welt, es haben Banken Versicherungen, es haben Sektoren, die jedenfalls dieses Geld in der Zirkulation nicht mehr halten, und das generiert natürlich Probleme, wie sie beispielsweise in Griechenland auftauchen, die aber nicht allein dadurch verursacht sind.
Führer: Also, es kann ja jetzt nicht sein, dass die deutschen Sparer schuld sind, dass die Griechen solche Schulden haben!
Jurczenko: Ja, nun, Deutschland hat sich dem Vorwurf aussetzen müssen, unter anderem durch Frankreich, dass der deutsche Export eben sehr viel Wertschöpfung generiert, das heißt, sehr viel Geld kommt ins Land, geht aber wieder nicht raus; letzten Endes, andere bezahlen schlussendlich den deutschen Handelsüberschuss. Wir haben es ja heute mit einer Kreislaufwirtschaft auf globaler Basis zu tun. In früheren Zeiten hatte man ja sehr viel mehr Währungsbeschränkungen, Handelsbeschränkungen, heute zirkuliert das Geld ja um die Welt. Und dadurch entstehen auch zum Beispiel Löcher auf dieser großen Basis. Wenn Sie zum Beispiel an das deutsche Wirtschaftswunder denken, in den 50er-Jahren: Die D-Mark war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht konvertierbar, also nicht global handelbar. Das heißt, wenn wir Ungleichgewichte im Land irgendwo hatten oder außerhalb, dann wurden die entsprechend erst mal früher erkannt, schneller oder einfacher gesteuert und gegen außen eben sogar mit Eingriffsinstrumenten durch Verrechnungsstellen und Verrechnungsmechanismen wurden die eingefangen. Das ist heute global nicht mehr ohne weiteres möglich, denn das Geld hat Reisefreiheit, wenn Sie so wollen.
Führer: Ja, aber kommen wir doch mal zurück zu dem Punkt: Griechenland hat ja diese enorm hohe – wir reden ja eigentlich sowieso nur von der Staatsverschuldung. Und meines Wissens haben ja so gut wie alle Länder relativ hohe Staatsschulden, auch Deutschland zum Beispiel. Gibt es denn überhaupt Staaten, die mehr Geld als Schulden haben?
Jurczenko: Ich glaube, das dürfte die Schweiz sein, es dürften die Chinesen sein, die zum Beispiel auch Exportweltmeister sind, jetzt, und im Grunde amerikanische Schulden kaufen, um den Amerikanern das Leben zu ermöglichen, das sie führen auf Kosten im Grunde ihrer Handelsbilanz. In den USA gilt ja dieses Prinzip, das Sie wahrscheinlich auch kennen: Ich kaufe mir Dinge, die ich nicht brauche, von Geld, das ich nicht habe, um Leute zu beeindrucken, die ich nicht mag. Und das ist ungefähr das amerikanische Prinzip, das hier gilt. Die Chinesen wiederum halten ihr Geld zusammen, sie haben Währungsreserven von irgendwo zwischen ein und zwei Billionen Dollar!
Führer: Und das heißt, China ist jetzt für uns die sichere Geldbank geworden?
Jurczenko: China ist sicherer geworden, als, sicher, Griechenland. Sie können aber auch sagen, dass diese Verschuldung auch so keine wirklich absoluten Grenzen kennt. Es hat auch mit Vertrauen zu tun. Das ist ein sehr emotionales Thema. Wenn sie sich wirklich absolute Zahlen angucken müssten, eigentlich … Amerikaner und Japaner sofort irgendwo von den Ratingagenturen auf D gestellt werden, also Default, Zahlungsausfall, weil sie im Grunde überhaupt nicht genug Geld hätten, um ihre Schulden zu bezahlen, aber das Vertrauen ist wesentlich größer in diese Länder, weil die natürlich auch mehr produzieren. Das heißt, sie haben die Möglichkeit, Geld zu verdienen, während die Griechen diese Möglichkeit nicht so umfangreich haben.
Führer: Wer hat das Geld, das uns allen fehlt? Das versuche ich, mit Wieslaw Jurczenko zu ergründen, dem Anwalt für Wertpapierrecht. Herr Jurczenko, Sie haben vorhin gesagt, wenn man die Hand auf den Tisch legt, dann merkt man, wie er vibriert, weil die amerikanische Notenpresse die ganze Zeit arbeitet. Daraus schließe ich, dass Geld möglicherweise heute nicht mehr wirklich einen realen Gegenwert hat. Wenn ich einfach so viel drucken kann, wie ich will, dann steht ja kein Wert mehr dem gegenüber.
Jurczenko: Das ist durchaus so. Geld ist schon immer ein Zahlungsversprechen gewesen, man hat es in früheren Zeiten mal zum Beispiel durch den Goldstandard abgesichert, indem man gesagt hat, man gibt nur so viel Geld aus, wie man wieder annehmen kann im Grunde, und das in Goldgegenwert auszahlen. Das ist ja heute nicht mehr der Fall, das ist aufgehoben. Heute ist jeder frei, soviel Geld zu drucken, wie er möchte, und das Problem, das dahinter steht, wird uns natürlich irgendwann erwischen, das ist die Inflation.
Führer: Aber wenn das Geld nicht mehr an reale Werte gebunden ist, dann ist es doch sozusagen nur so ein virtueller Wert?
Jurczenko: Das ist ein virtueller Wert, das ist klar. Geld besteht letzten Endes – es ist nur ein Zahlungsmittel, es ist ein Zahlungsversprechen, nichts anderes. Es ist Papier, auf dem draufsteht, dass man dafür irgendwas bekommt, und wenn irgendwann der Glaube verloren geht, dass das so funktioniert, und das ist gerade zum Beispiel in Griechenland der Fall, dann gibt es eben solche Zusammenbrüche oder Zahlungsausfälle oder Leute gehen einfach pleite.
Führer: Aber wenn es nur virtuell ist, könnte man theoretisch auch sagen: Wir streichen die virtuellen Schulden!
Jurczenko: Ja, dann werden auch virtuelle Guthaben im Prinzip geringer. Sie sind aber nicht ganz so virtuell, weil in dem Moment, in dem man sie bewegen möchte und irgendwas damit bezahlen, wird man merken, dass man weniger bezahlen kann. Insoweit … Das ist mit Aktien genau so: Solange Sie ein Depot haben, das täglich mehr wert wird, haben Sie auf dem Papier unheimlich viel Geld. Aber in dem Moment, wo sie zum Beispiel alles verkaufen, und der Markt fällt, dann haben Sie es eben doch weniger in der Tasche. Also, irgendwo, wo es dann eben diesen virtuellen Kreislauf verlässt und in die Realwirtschaft geht, merken sie schon, dass der Wert geringer ist.
Führer: Wenn wir noch mal auf dieses Eingangsbeispiel, diese Anekdote da zurückkommen, mit den 100 Euro, die da kursieren in dem Dorf, und das gesamte Dorf ist schuldenfrei, weil gerade mal ein Tourist eine Stunde da 100 Euro hinterlegt hat. Dann fehlen ja die Zinsen, wie Sie gesagt haben, und das heißt also, in diesem Modell, in diesem Idealmodell und eben auch der Kredit, das heißt: Könnte man nicht auch andersrum sagen, dass im Grunde genommen Kredite und Zinsen auch etwas Gutes haben, weil dadurch nämlich mehr wird? So sind ja die 100 Euro immer nur 100 Euro geblieben!
Jurczenko: Absolut. Kredite sind auch Teil der Wertschöpfung in dem Moment, wo sie investiv verwendet werden. Das heißt, wo man es in reale Werte investiert, die vielleicht selber wiederum Wohlstand produzieren. Aber das Übermaß an Kredit, das ist eben die Überschuldung, die man eben betreibt, wo man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, das Ganze zu bezahlen, wird dann letzten Endes zum Gift. Es ist wie mit allem, es ist eine Frage der Dosis.
Führer: Können Sie das noch ein bisschen erläutern, jetzt anhand dieses Beispiels mit den 100 Euro? Kann man das mal plastisch machen?
Jurczenko: Wenn einer in dieser Kette beispielsweise 30.000 Euro Schulden hätte, dann würden diese 100 Euro einfach nichts mehr ausrichten. Dann würde dieser Kreislauf ohnehin zusammenbrechen, weil diese 100 Euro das nicht mehr darstellen können. Dort zeigt sich die Balance. Es sind die 100 Euro Schulden, die so überall sind, und die auch noch bezahlbar bleiben für jeden, und der Kreislauf des Geldes schafft das, das abzuwickeln. Und in dem Moment, wo das eben solche Riesenblasen gibt, ist es einfach nicht mehr möglich, das mit normalen Mitten noch aufzufangen.
Führer: Ich hätte gedacht, das Problem liegt auch daran, dass heute vielleicht ja nicht so sehr Personen, sondern eher Institutionen eben Geld verleihen – bleiben wir mal bei den 100 Euro –, die ihnen gar nicht gehören, und sie sozusagen dann auch noch mehrfach verleihen.
Jurczenko: Das kommt dazu. Es ist ein vielschichtiges Problem, aber das würde jetzt die Länge des Gespräches sprengen. Aber das ist mit Sicherheit auch ein Faktor, ja.
Führer: Und wenn wir jetzt auf Griechenland zurückkommen: Ihre Prognose, Herr Jurczenko?
Jurczenko: Ich gehe davon aus, dass Griechenland auf jeden Fall einen Teil seiner Schulden nicht wird bezahlen können. Das ist nicht realistisch, dass die das jemals – es gibt nicht die Produktivität dahinter, die das irgendwo leisten kann.
Führer: Wieslaw Jurczenko war das, der Anwalt für Wertpapierrecht aus Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Jurczenko!
Jurczenko: Ich danke auch!