Influencer

Die Astralleiber der Prominenz

Ein Selfie von Jeremy Fragrance von seinem Social Media Account, er hält eine Parfümflasche in die Kamera und hat einen trainierten Oberkörper.
"Ihr seid der, der ihr entscheidet zu sein", erklärt der Parfüm-Vlogger Jeremy Fragrance seinen Fans. © jeremyfragrance / Instagram
Ein Einwurf von Alexander Estis |
Anders als bei früheren Prominenten erwächst bei Influencern das Berühmtsein quasi aus sich selbst: Weil sie bekannt sind und in Dauerschleife ihr eigenes Leben inszenieren. Der Schriftsteller Alexander Estis findet diese Existenzform „floskelhaft“.

„Daniel Sredzinski, Daniel Schütz, Jeremy Fragrance. Ab wann entscheiden wir eigentlich, wer wir sind? Bin ich noch der Typ, der den Abschluss in der Schule gemacht hat? Bin ich noch der, der mit 14 den Namen meines deutschen Stiefvaters genommen hat? Nur mal so als Inspiration für euch. Ihr seid nicht der kleine Luschenficker, der als Kind gehänselt wurde. Ihr seid der, der ihr entscheidet zu sein. Wenn ich sage, ich bin Jeremy Fragrance, bin ich Jeremy Fragrance.“

Das sagt ein populärer Parfüm-Vlogger, der seinen Künstlernamen nun zu oft genannt hat, als dass ich ihn wiederholen müsste. Ja, wer sind sie, diese Influencer? Und was macht sie so erfolgreich?

Herrscher über Social Media

Es scheint, als stellten diese Aristokraten des Internets, diese Herrscher über Social Media eine vollkommen neue Art der Prominenz: Eine virtualisierte Weiterentwicklung der It-Girls, verfügen sie über keine klar profilierte Berufung oder Fähigkeit, die ihren Erfolg begründen würde.
Nicht dass die hyperprivilegierte Stellung der sonstigen Star-Elite, welcher beruflichen Provenienz auch immer, auch nur annähernd mit überdurchschnittlicher Leistung korrelierbar wäre, geschweige denn die Zugehörigkeit zum Bluts- oder Geldadel.
Anders als viele Influencer hat diese "alte" Prominenz jedoch in der Regel ein konkretes Profil, das über das bloße Berühmtsein hinausgeht – ob ihre Vertreter nun Schauspieler sind, sich qua Geburt als etwas Besonderes wähnen dürfen oder einfach nur steinreich sind.
Influencer dagegen erscheinen historisch höchstens mit Salonlöwen und Damen von Welt oder Halbwelt vergleichbar, insofern ihre Prominenz sozusagen aus sich selbst erwächst: Sie wirken als Astralleiber der Starexistenz.

Selbstdarstellung in Dauerschleife

Denn ihre Arbeit dreht sich um ihr eigenes Leben. In selbstreferentieller Dauerschleife, in einem immanenten Kreislauf der Luxurisierung exponieren sie ihren aufgepimpten Lifestyle, den sie durch die damit generierten Einnahmen weiter aufpimpen und wiederum exponieren können. Sie sind Hamster im Drehrad des konsumistischen Kaufkraftwerks.

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So ist denn auch das Narrativ, dass jeder den eigenen Traum leben könne, als Neuauflage des Mythos vom Selfmademan die wohl beliebteste trivialphilosophische Botschaft der Influencerwelt, flankiert von klassischen Aufrufen zur Selbstoptimierung („Ihr könnt jeden Tag geiler werden.“ – Jeremy Fragrance) und in ihrer credibility verbürgt durch inszenierte Authentizität.
Ich lebe meinen Traum, so wie ich bin, ich bin natürlich und ich habe den perfekten Körper (oder genauer: body), ich habe das perfekte Frühstück, den perfekten Urlaub, dazu die perfekte Sonnenbrille. Und jeder kann das schaffen, auch du!

Paradoxer Begriff von Echtheit

Dabei ist der Authentizitätsbegriff des Influencertums ein paradoxer oder zumindest hybrider: Influencer zeigen sich, wie sie sind, müssen aber dafür diejenigen werden, als die sie sich zu zeigen haben. Jeremy Fragrance berichtet, wie für einen Clip authentischer Appetit auf ein Produkt eben durch vorheriges Hungern vorbereitet werden müsse oder dass sich Sex vor den Aufnahmen negativ auf deren Erfolg auswirke – denn „das zieht zu viel energy“.
Das Influencerdasein ist, mit den Worten der Streamerin Amouranth „ein konstanter grind“, also eine einzige Plackerei. Damit stimmt Amouranth ein in die klassische Influencer-Klage über jene Belastung, die aus der Verschmelzung von Privatleben und unausgesetztem medialem Präsenzdruck erwächst.
Zwar sind die ästhetischen Prinzipien dieser Präsenz niedrigschwellig und unterreflektiert; doch funktionieren auch sie nicht anders als in anderen Kunstformen. Und so dringt denn gerade in diesen zerknirschten Bekenntnissen aus der floskelhaften Existenzform des Influencertums das eigentliche Drama der Kunst im Verhältnis zum Menschsein hervor: Dass die Kunst das Leben als Opfer verlangt.

Alexander Estis ist Schriftsteller und Kolumnist. 1986 in Moskau geboren, studierte er in Hamburg deutsche und lateinische Philologie, anschließend lehrte er an verschiedenen Universitäten in Deutschland sowie in der Schweiz, wo er seit 2016 als freier Autor lebt. Er schreibt für unter anderem die "FAZ", die "SZ", die "NZZ" und die "ZEIT". Zuletzt erschien von ihm das Buch „Fluchten“ bei der Edition Mosaik.

Portrait eines Mannes im Sakko, Hemd und Schlips
© privat
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