Info-Happen aus der Hirnforschung

Unterschiede zwischen den Geschlechtern, intelligente Leistungen von Tieren: Dieser Band aus der Reihe "Im Fokus" fasst viele interessante Einzelinformationen aus den Neurowissenschaften zusammen. Der rote Faden geht dabei aber leider verloren.
Die Neurowissenschaft gilt als Leitwissenschaft unserer Zeit. Das wachsende Wissen über das menschliche Nervensystem beeinflusst immer stärker gesellschaftliche und kulturelle Debatten. Neurowissen nimmt Einfluss auf das Bildungssystem, das weltweite Wirtschaftssystem, das alltägliche Miteinander und Gegeneinander der Menschen, und hält angeblich sogar Antworten bereit auf die großen Fragen um Krieg und Frieden.

Die Erwartungen an ein Buch mit den Titel "Neurowissen" sind deshalb groß, die Menge des vorhandenen Wissens gewaltig. Wie andere Bücher aus der Springer-Spektrum-Reihe "Im Fokus" fasst "Neurowissen" viele interessante Einzelinformationen zusammen. Manches davon mag wissenschaftsinteressierten Lesern bekannt vorkommen, aus dem Internet oder aus Wissenschaftsmeldungen in Zeitungen, im Fernsehen oder im Radio. Dabei sparen die beiden Autoren auch die Nachbarbereiche der Neurowissenschaft nicht aus, wie Verhaltensforschung, Psychologie, Evolutionsbiologie und Genetik. Dann jedoch lassen die Autoren ihre Leser in diesem Wust aus Einzelinformationen allein.

Ein interessantes Beispiel sind die sogenannten Savants. Das sind Menschen, die oft an einer kognitiven Entwicklungsstörung wie Autismus leiden und gleichzeitig durch Inselbegabungen auffallen. Mit besonderen Fähigkeiten übertreffen sie ihre nicht verhaltensauffälligen Mitmenschen oft erheblich. So gibt es Savants, die ganze Sinfonien nach einmaligem Hören Ton für Ton nachspielen können. Andere merken sich über 20.000 Ziffern von Pi, modellieren Skulpturen besonders nah an der Natur oder zeichnen ganze Stadtpanoramen aus der Erinnerung.

"Neurowissen" nennt zahlreiche Beispiele für die besonderen Leistungen der Savants und beschreibt auch Forschungsprojekte, die nach der Ursache dieser Inselbegabungen suchen. Die gesammelten Informationen werfen viele Fragen auf: Was hat das Zusammenspiel von rechter und linker Hirnhälfte damit zu tun? Könnte ein nicht verhaltensauffälliger Mensch die gleichen Fähigkeiten erwerben? Fragen über Fragen. Aber bevor das Nachdenken beim Leser einsetzt, wartet der nächste Wissenshappen. Es geht um bildgebende Verfahren, Unterschiede zwischen den Geschlechtern, intelligente Leistungen von Tieren und so weiter.

Was die beiden Internetredakteure zusammengetragen haben, sind unzählige Einzelinformationen. Sobald Gehirne der Leser beginnen, sich Gedanken über das Gelesene zu machen, sind die Autoren schon beim nächsten Thema. Im Wissensdurcheinander fehlt der rote Faden. Unser Gehirn ist nun einmal kein biologischer Computer, der möglichst viele Informationen abspeichert, sondern es sucht Zusammenhänge im Chaos der Fakten. Hirn will nicht nur Arbeit, Hirn will verstehen. Doch dabei hilft "Neurowissen" allein nicht weiter.

Besprochen von Michael Lange

Nadja Podbregar und Dieter Lohmann: Neurowissen – Träumen, Denken, Fühlen – Rätsel Gehirn
Springer Spektrum
243 Seiten, 19,95 Euro

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