Informatiker warnt vor Smartphone-Manie

Technik mit "weniger Gier" benutzen

Eine Frauenhand nutzt ein Smartphone.
Schlag's nach im Smartphone: Schneller Check statt kultureller Bildung? Informatiker David Gelernter kritisiert, dass diese nicht mehr vermittelt würde. © dpa/picture alliance/Carmen Jaspersen
David Gelernter im Gespräch mit Dieter Kassel |
Sind wir ein Heer von Smartphone-Abhängigen geworden? Der US-Informatiker David Gelernter warnt vor zuviel Gier auf immer neue Technik, die Mensch und Maschine verschmelzen lasse. Was dabei zu kurz komme, sei die kulturelle Bildung - und die Entwicklung wirklich sinnvoller Apps.
Für den US-Informatiker David Gelernter ist die zunehmende Abhängigkeit vom Smartphone ein Katastrophe. Vor allem für die junge Generation.
"Ich bin manchmal schockiert, wie ignorant meine Studierenden in Yale sind." Diese seien eigentlich brillante und hochintelligente junge Menschen. "Aber irgendwie haben sie etwas wohl nicht richtig mitbekommen – sie sind nicht wirklich gebildet." Die Lehrer hätten versagt. Und Gelernter malt ein düsteres Bild von künftigen ignoranten Lehrern, die ebenso ignorante Studenten unterrichten "und ihnen sagen: ‚Ihr müsst nicht mehr wissen, wer Wittgenstein oder Napoleon ist oder Beethoven – schaut doch einfach mal auf euer Handy‘."

Lehrer und Eltern haben versagt

Schon heute mache sich ein Versagen der Lehrer bemerkbar – und der Eltern, die ihre Kinder aufforderten, sich mit ihrem Smartphone zu beschäftigen, wenn sie selbst gerade keine Zeit für ihren Nachwuchs hätten.
Gelernter, der zu technischen Entwicklungen, insbesondere der Künstlichen Intelligenz forscht, kommt in seinem aktuellen Buch "Gezeiten des Geistes" zu dem Ergebnis, dass wir uns keine Gedanken machen müssen - der menschliche Geist sei so frei und groß, dass keine technischen Entwicklungen an diesen heranreiche. Folglich fordert Gelernter, mit "weniger Gier" an Smartphone und Co. heran zu gehen.
Kritisch sieht der Informatiker Technik-Jünger, die glauben, das Smartphone habe uneingeschränkten Fortschritt gebracht und es werde früher oder später früher oder später "eine Verschmelzung des menschlichen Körpers mit der Technik geben: Die sollte man stoppen".

Niemand wird sich einen Chip einpflanzen lassen

Er sei überzeugt, dass der größte Teil der Menschheit es ablehnen werde, sich einen Chip einpflanzen zu lassen – es sei denn, aus triftigen medizinischen Gründen.
Stattdessen solle lieber mehr in die Entwicklung wirklich sinnvoller Apps und Nutzungsmöglichkeiten investiert werden. Er finde es besorgniserregend, dass Apps kaum oder gar nicht dafür genutzt würden, um etwas für die kulturelle Bildung zu tun.
"Ob ich nun in New York bin oder in einer Weltstadt wie Florenz oder in einer Kulturstadt wie Heidelberg – ich verstehe nicht, wieso ich da nicht einfach auf einen Knopf, auf eine App drücken kann, die mir sagt, wo ich mich befinde, was da kulturell und historisch alles geschehen ist in dieser Stadt, in diesem Ort, an dem ich mich gerade befinde. Wie die Architektur entstanden ist. All das scheint unmöglich zu sein."
Gelernter beklagt, dass die Fortentwicklung wirklich nützlichen Apps, die einem das Alltagsleben im Haushalt erleichtern könnten, vernachlässigt würde.

David Gelernter, "Gezeiten des Geistes. Die Vermessung unseres Bewusstseins"
Ullstein, 2016, 400 Seiten, 22 Euro (Hardcover), 12 Euro (Taschenbuch)


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: David Gelernter ist Informatiker, Professor für Computer Science an der Universität Yale, er ist Künstler, Philosoph und Autor, beschäftigt sich technisch und sozialwissenschaftlich mit den Einflüssen von Internet und eben Smartphones auf unser Leben und forscht unter anderem zur Künstlichen Intelligenz. Er wurde 1955 geboren, kennt also auch noch ein Leben ohne Smartphone, und deshalb habe ich natürlich auch ihn gefragt, wie eigentlich sein ganz persönliches Verhältnis zu seinem Smartphone ist.
David Gelernter: Nun ja, ich benutze es jeden Tag, aber eigentlich sehr selten, um damit zu telefonieren, was, glaube ich, nicht wirklich ungewöhnlich ist, aber einige Apps sind mir schon unglaublich wichtig, vor allem Spotify, weil ich sehr gerne Musik höre, und das macht mir einfach Spaß, und ich kann bis zu 15 verschiedene Versionen von einer Schubertsonate beispielsweise hören und habe da eine ganz neue Macht, über die Musik, von der ich vorher nur hätte träumen können.
Und ja, auch wenn ich mein Smartphone eigentlich täglich benutze, bin ich doch auch oft einfach nur enttäuscht, weil sehr viele Dinge, die ich gerne machen möchte, sehr viele Angebote, die funktionieren noch nicht einfach so, wie sie funktionieren sollten. Man investiert eigentlich so viel Geld da hinein und bekommt einfach nur Anweisungen, die dann auch nicht so recht funktionieren. Also ich glaube, da müsste man noch ein bisschen die Richtung ändern, damit wir nicht so viel Zeit mit diesem Gerät verschwenden.

Kultureinrichtungen fürchten um ihre Existenz

Kassel: Wenn ich Sie da gerade richtig verstanden habe, dann sagen Sie, ein Smartphone könnte sehr, sehr nützlich sein, ist es aber häufig nicht. Warum denn nicht, was müsste sich da in Zukunft noch konkret verändern?
Gelernter: Nun ja, also es gibt natürlich sehr viele Beschwerden von Lehrern, dass die Kultur auf dem absteigenden Ast ist, dass Symphonieorchester es immer schwerer haben zu existieren, dass Museen Geldprobleme haben, und ich kann nur eins sagen, in Yale – eine der besten amerikanischen Universitäten, an der ich unterrichte –, da bin ich manchmal schockiert, wie ignorant die Studenten sind, wie wenig sie wissen. Das sind eigentlich brillante junge Damen und Herren aus der ganzen Welt, hochintelligent, aber irgendwas haben sie nicht richtig mitbekommen. Sie sind nicht wirklich gebildet, und da hat irgendwo die Bildung und haben ihre Lehrer wohl versagt.
Ich kann mich immer nur wieder ärgern, wie absurd das eigentlich ist, dass es so wenig Apps gibt, die einem wirklich kulturell weiterhelfen. Also beispielsweise, ich kann ganz oft Musik einfach nicht herunterladen, ich kann sie einfach nur hören, was ich vorhin mit den Schubertsonaten erwähnt habe. Ob ich nun in New York bin oder in einer Weltstadt wie Florenz oder in einer Kulturstadt wie Heidelberg, ich verstehe einfach nicht, warum ich da nicht einfach auf einen Knopf drücke, auf eine App drücke, die mir sagt, wo ich mich befinde, was da kulturell, historisch alles geschehen ist in dieser Stadt, an diesem Ort, an dem ich mich gerade befinde, wie die Architektur entstanden ist, all das scheint unmöglich zu sein.

Wo sind die Kultur-Apps?

Es gibt Apps für Businessleute, es gibt den Kalender, die scheinen ganz gut Geld zu verdienen, das ist alles da, aber wenn es um Bildung geht, dann, finde ich, haben wir doch komplett versagt, und das ist eine richtige Tragödie, dass es da zum Beispiel die richtigen Apps und das richtige Handwerkszeug für einen kulturinteressierten Menschen auf dem Smartphone einfach nicht gibt.
Kassel: Sie sagen, Herr Gelernter, dass wir vieles mit dem Smartphone eben leider nicht tun, weil wir es nicht tun können, so wie Sie das auch beschrieben haben, manche sagen aber auch, wir tun schon viel zu viel mit dem Smartphone und verlassen uns zu sehr darauf, und das ist gefährlich. Wenn man es zum Beispiel nutzt wie Sie, dann weiß das Smartphone viel über unseren Musikgeschmack. Mag noch nicht so schlimm sein, aber meistens weiß es auch, wie viel Geld wir auf dem Bankkonto haben, es weiß, wen wir kennen und wo wir sind und wo wir hingehen. Ist das nicht auch gefährlich?

"Ach, geh und spiel' ein bisschen mit dem Handy"

Gelernter: Es ist ja nicht das Smartphone als solches. Das Smartphone ist ja nichts anderes als ein kleiner Minicomputer, den man sich in die Tasche stecken kann, sondern es geht ja um die Struktur des Internets, um diese ganze Software, und da macht das Handy ja nur einen ganz kleinen Teil von aus. Was ich wirklich viel beunruhigender finde als das, was Sie angesprochen haben, nämlich Fragen der Privatsphäre und ob das gefährlich sei und so weiter, ist, wie Kinder mit Smartphones heutzutage aufwachsen, weil sich ihre Eltern einfach nicht mehr um sie kümmern wollen.
Sie sagen dann zu den Kindern, ach, geh und spiel ein bisschen mit deinem Handy oder spiel mit deinem Smartphone, und Kinder leiden sowieso, wie junge Menschen generell, darunter, dass ihnen zu wenig Aufmerksamkeit von Älteren geschenkt wird, von Eltern geschenkt wird, von Lehrern geschenkt wird, und dieses neue Spielzeug, was es da gibt, ist noch viel mächtiger als es vorher der Computer war oder davor eben der Fernseher. Deswegen würde ich, ehrlich gesagt, an alle Jugendlichen unter 13 Smartphones auch verbieten lassen, wenn ich das könnte, aber insgesamt ist das nur ein kleiner Teil eines sehr viel größeren Problems: Es gibt keinerlei Einschränkungen für das Internet, es gibt auch keinerlei Verbote. Man hat, als man 1982, 1983, als das Internet auftauchte, überhaupt nie ein Konzept dafür entworfen – damals nicht, heute nicht.
Man kann sich das Leben heutzutage ohne Internet gar nicht mehr vorstellen. Dabei gibt es ja genug Erwachsene unter uns, die das Leben ohne Internet noch sehr wohl kennen, und dieses Leben hat ja auch funktioniert, aber natürlich ist es erschreckend, dass solche Diskussionen gar nicht stattfinden, weil wir dürfen natürlich nicht vergessen, es ist ein Milliardengeschäft, das Internet, und das führt natürlich auch dazu, dass man darüber nicht besonders gerne nachdenkt. Wir müssen uns wirklich fragen, haben uns diese Smartphones, diese Minicomputer wirklich immer nur den Fortschritt gebracht? Ich bin mir da nicht so sicher. Sind wir heute wirklich besser ausgebildet als wir es damals waren, sind wir kulturell besser bewandert. Ich kann nur für die USA sprechen und sagen, da hat sich vieles verschlimmert. Kulturelle Bildung heute in den USA ist sehr viel schlimmer als sie noch vor ein, zwei Generationen war.

Technik-Jünger sollte man stoppen

Kassel: Sie haben jetzt ziemlich drastisch beschrieben, wie das Smartphone schon jetzt unsere Gesellschaft, die Menschen verändert hat. Lassen Sie uns zum Schluss dann aber noch in die Zukunft gucken, wenn Smartphones vielleicht bald schon gar nicht mehr so aussehen werden wie jetzt, gar keine Geräte mehr sind, die wir aus der Hosentasche nehmen, wo wir mit dem Finger eine App öffnen, um irgendetwas zu tun, wenn sie vielleicht integriert sind in unsere Kleidung, vielleicht sogar in unsere Körper, und wir mit ihnen wirklich so kommunizieren wie mit anderen Menschen, wird dann diese Entwicklung nicht noch viel weiter gehen?
Gelernter: Also ich glaube sehr viele Technikjünger, die uns weis machen wollen, dass es eine Verschmelzung von der Technik mit dem menschlichen Körper geben wird, die müsste man einfach mal stoppen. Ich bin eigentlich eher der Meinung, die Menschheit wird das ablehnen, sich irgendeinen Chip einpflanzen zu lassen, es sei denn vielleicht aus medizinischen Gründen.
Etwas, was mich auch wirklich ärgert, ist, dass so viele Designmöglichkeiten verschenkt werden, wenn es allein um das Aussehen von Handys geht. Wo ist denn das Bauhaus, wenn man es braucht. Also da kann ich mir schon vorstellen, dass es da neue Entwicklungen gibt, dass man, wenn man zu Hause ist, auch gerade den Bildschirm irgendwie integrieren kann wie in einer Wand, da sind wir jetzt ein bisschen sehr bei George Orwell, aber dass man sich einfach die Informationen zu Hause holen kann, die einfach wichtig sind. Das heißt, bevor ich das Haus verlasse, möchte ich wissen, was für ein Wetter draußen ist, und wenn ich wieder nach Hause komme, möchte ich auch wissen, wie warm es bei mir zu Hause ist, ich möchte wissen, wie viel in meinem Kühlschrank ist, was ich eventuell noch brauche.

Müssen Schüler nicht mehr wissen, wer Napoleon oder Beethoven war?

Also all diese Möglichkeiten, die gibt es ja, aber die werden einfach noch nicht genutzt. Was mich wirklich beschäftigt, ist, wie sieht es mit der Bildung unserer Kinder aus. Was wird in zehn, 15 Jahren geschehen, wenn es so weiter geht. Dann könnte es wirklich passieren, dass ignorante Lehrer ignorante Studenten unterrichten und ihnen sagen, ihr müsst nicht mehr wissen, wer Wittgenstein, Napoleon ist, schaut doch einfach mal auf euer Handy, oder Beethoven, und ich plädiere dafür, einfach mit weniger Gier an die technischen Möglichkeiten ranzugehen und wirklich das zu tun, was unseren Kindern gut tut, aber das ist eine Frage, die man in den USA in den letzten 20 bis 30 Jahren vergessen hat, überhaupt zu stellen. Bald ist es dafür zu spät.
Kassel: Der amerikanische Informatiker und Autor von eben nicht nur Fachbüchern, David Gelernter, über das, was das Smartphone alles eben noch nicht kann und was es in seinen Augen gerade deshalb schon angerichtet hat. Das war ein Gespräch innerhalb unserer Reihe "Die Welt in der Hosentasche: Wie das Smartphone uns verändert hat". Die Reihe ist damit noch nicht abgeschlossen, aber vieles war ja nun schon zu hören morgens, aber auch an anderen Stellen hier in unserem Programm. Das finden Sie alles im Internet unter deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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