Informativ und investigativ
Der Journalist Marc Thörner zeigt in seinem Buch "Afghanistan-Code", wie vielschichtig die Situation am Hindukusch ist. Der Autor hat vor Ort recherchiert und auch mit Militärs, Richtern und Politikern gesprochen.
Ein Code ist ein System von Regeln und Zeichen. Ihn zu knacken, heißt, etwas zu verstehen, was zuvor rätselhaft und wirr erschien. Der mit dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus ausgezeichnete deutsche Journalist Marc Thörner unternimmt es, den "Afghanistan-Code" - so der Titel seines neuen Buchs - zu entschlüsseln. Er hat eine Reportage "über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie" geschrieben. Informativ, investigativ, mit Hintergrundwissen.
Mehrmals ist Thörner an den Hindukusch gereist, hat vor Ort recherchiert, mit westlichen Militärs, Offizieren und einfachen Soldaten, mit afghanischen Mullahs, Richtern, Politikern und Warlords gesprochen. Auch mit Augenzeugen in den Dörfern - die ihm von militärischen Übergriffen und widersprüchlichem Verhalten ausländischer Schutztruppen berichten, vom Machtstreben und der Klientelpolitik lokaler Potentaten.
Schnell wird beim Lesen deutlich: Es wäre naiv zu glauben, dass in Afghanistan westliche Militärs hilfreich einem geschundenen Volk gegen böse Talibankrieger beistünden und dass sich Kampfmandat und Aufbaumission sauber voneinander trennen ließen. Thörner vermittelt glaubhaft Einblicke in eine weitaus vielschichtigere afghanische Wirklichkeit. Er besucht auch die isolierte, künstliche Welt der Militärcamps oder den Hof eines Provinzgouverneurs, ausgestattet mit Lapislazuli-Weltkugel und Louis XVI. Möbeln.
Thörner hat festgestellt, dass nach wie vor US-Streitkräfte Flugplätze der Bundeswehr für ihre militärischen Einsätze nutzen. Was diese dementiert. Auch erfolgen militärische Operationen der Amerikaner mitunter ohne Absprache auf dem Gebiet, das sich im Zuständigkeitsbereich deutscher ISAF-Truppen befindet. Erschwert wird der Aufbau demokratischer Strukturen durch das Agieren einheimischer Gouverneure. Sie sind Verbündete der Besatzungstruppen, unterhalten jedoch eigene Milizen und kämpfen mit Gewalt um Macht im Land – auch unter ethnischen Aspekten.
Diese Konstellation habe zu dem verheerenden Luftschlag bei Kundus geführt, so Thörner. Der Großteil der dabei getöteten und verletzten Zivilisten seien Paschtunen. Dass es sich bei ihnen um Talibankämpfer gehandelt haben soll - der Grund, für den deutschen Oberst Klein, Befehl zur Bombardierung zu geben – geht vermutlich zurück auf tadschikische Informanten.
Nach Aussage von Thörners Zeugen hätten diese bewusst falsche Informationen geliefert, um ihren Gegnern zu schaden. Jemandem El-Kaida-Verbindungen nachzusagen, ist in Afghanistan mittlerweile ein gutes Mittel, um sich einen politischen oder geschäftlichen Rivalen vom Hals zu schaffen.
In theoretischen Ausführungen erläutert Marc Thörner Konzepte kolonialer Aufstandsbekämpfung und wie sie vor Ort wieder belebt werden. Auch befasst er sich mit den Vordenkern des regionalen Fundamentalismus vor der Talibanherrschaft. Über weite Strecken aber nimmt Reporter Thörner seine Leser mit auf seiner Reise durch Afghanistan, hinterfragt offizielle Darstellungen und verstört im besten Sinne.
Besprochen von Carsten Hueck
Marc Thörner: Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie
Edition Nautilus, Hamburg 2010,
155 Seiten, 16 Euro
Mehrmals ist Thörner an den Hindukusch gereist, hat vor Ort recherchiert, mit westlichen Militärs, Offizieren und einfachen Soldaten, mit afghanischen Mullahs, Richtern, Politikern und Warlords gesprochen. Auch mit Augenzeugen in den Dörfern - die ihm von militärischen Übergriffen und widersprüchlichem Verhalten ausländischer Schutztruppen berichten, vom Machtstreben und der Klientelpolitik lokaler Potentaten.
Schnell wird beim Lesen deutlich: Es wäre naiv zu glauben, dass in Afghanistan westliche Militärs hilfreich einem geschundenen Volk gegen böse Talibankrieger beistünden und dass sich Kampfmandat und Aufbaumission sauber voneinander trennen ließen. Thörner vermittelt glaubhaft Einblicke in eine weitaus vielschichtigere afghanische Wirklichkeit. Er besucht auch die isolierte, künstliche Welt der Militärcamps oder den Hof eines Provinzgouverneurs, ausgestattet mit Lapislazuli-Weltkugel und Louis XVI. Möbeln.
Thörner hat festgestellt, dass nach wie vor US-Streitkräfte Flugplätze der Bundeswehr für ihre militärischen Einsätze nutzen. Was diese dementiert. Auch erfolgen militärische Operationen der Amerikaner mitunter ohne Absprache auf dem Gebiet, das sich im Zuständigkeitsbereich deutscher ISAF-Truppen befindet. Erschwert wird der Aufbau demokratischer Strukturen durch das Agieren einheimischer Gouverneure. Sie sind Verbündete der Besatzungstruppen, unterhalten jedoch eigene Milizen und kämpfen mit Gewalt um Macht im Land – auch unter ethnischen Aspekten.
Diese Konstellation habe zu dem verheerenden Luftschlag bei Kundus geführt, so Thörner. Der Großteil der dabei getöteten und verletzten Zivilisten seien Paschtunen. Dass es sich bei ihnen um Talibankämpfer gehandelt haben soll - der Grund, für den deutschen Oberst Klein, Befehl zur Bombardierung zu geben – geht vermutlich zurück auf tadschikische Informanten.
Nach Aussage von Thörners Zeugen hätten diese bewusst falsche Informationen geliefert, um ihren Gegnern zu schaden. Jemandem El-Kaida-Verbindungen nachzusagen, ist in Afghanistan mittlerweile ein gutes Mittel, um sich einen politischen oder geschäftlichen Rivalen vom Hals zu schaffen.
In theoretischen Ausführungen erläutert Marc Thörner Konzepte kolonialer Aufstandsbekämpfung und wie sie vor Ort wieder belebt werden. Auch befasst er sich mit den Vordenkern des regionalen Fundamentalismus vor der Talibanherrschaft. Über weite Strecken aber nimmt Reporter Thörner seine Leser mit auf seiner Reise durch Afghanistan, hinterfragt offizielle Darstellungen und verstört im besten Sinne.
Besprochen von Carsten Hueck
Marc Thörner: Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie
Edition Nautilus, Hamburg 2010,
155 Seiten, 16 Euro