Infrastruktur

Krischer: Bürgerbeteiligung ist sinnvoll

Bauarbeiter errichten am 25.04.2014 ein Gerüst an einer Autobahnbrücke über die A9 bei Zschepkau (Sachsen-Anhalt).
Zahlreiche Brücken müssen in Deutschland dringend saniert werden. © dpa / Jan Woitas
Grünen-Politiker Oliver Krischer begrüßt die Forderung des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) nach mehr Bürgerbeteiligung bei Bauprojekten. Bislang gebe es in Deutschland jedoch noch "gar keine Kultur, uns damit auseinanderzusetzen".
Korbinian Frenzel: Sagen wir, 100 Kilometer Autobahn kosten 1,5 Milliarden Euro, wenn man sie baut. Aber das war's ja dann noch nicht, 100 Kilometer wollen schließlich auch erhalten und repariert werden. Da kommen schnell noch mal 1,5 Milliarden oben rauf in 20, 30 Jahren. 100 Kilometer Autobahn kosten also, wenn man ehrlich ist auch mit Blick auf folgende Verkehrsetats, drei Milliarden. Diese Rechnung aufgemacht hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. Und diesen meinen kleinen Nebensatz - "wenn man ehrlich ist" -, den möchte der SPD-Mann gerne zum Prinzip machen: Ehrlichkeit auch über Folgekosten von großen Verkehrsprojekten. Und damit sich die Bürger auch verantwortlich fühlen, will er sie abstimmen lassen, wenn große Dinge geplant werden.
Gute Idee? Schlechte Idee? Frage an den Mann, der bei den Grünen im Bundestag für die Verkehrspolitik zuständig ist, Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionschef. Guten Morgen!
Oliver Krischer: Guten Morgen, grüße Sie!
Frenzel: Macht das Sinn, sollen die Bürger befragt werden, wenn eine neue Autobahn oder, sagen wir, eine neue ICE-Trasse gebaut wird?
Volksabstimmungen sind eine prinzipiell sinnvolle Sache
Krischer: Volksabstimmungen auf Bundesebene sind eine prinzipiell sinnvolle Sache. Wir haben ja im Kommunalbereich auch in manchen Ländern durchaus gute Erfahrungen damit, dass man die Bürger fragt, das erhöht die Akzeptanz von Projekten, das führt zu mehr Bürgerbeteiligung, auch dazu, dass die Menschen sich intensiv damit auseinandersetzen. Man muss natürlich sich über die Modalitäten unterhalten, das ist nicht ganz trivial, man muss gucken, über welche Projekte kann man wirklich abstimmen lassen, was ist eher auf Länderebene zu machen, was ist auf kommunaler Ebene zu machen.
Aber der Gedanke grundsätzlich ist richtig. Und ich glaube, dass so manches Projekt, über das wir heute nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil die Kosten explodiert sind, weil die Akzeptanz weg ist, gar nicht gebaut oder gar nicht angepackt worden wäre, wenn man tatsächlich vorher die Bürger gefragt hätte.
Frenzel: Worüber hätten Sie denn gerne abgestimmt, über den Berliner Flughafen zum Beispiel?
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecher für Energieeffizienz der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer.© Wolf von Dewitz/picture alliance/dpa
Krischer: Ja, Stuttgart 21, der Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie, das sind Projekte, die da jetzt im Raum stehen, aber ich glaube, das wären gerade keine Projekte gewesen, die bundesweit eine Rolle gespielt hätten. Aber wir haben so Fragen, große Autobahnprojekte in Deutschland, die durch mehrere Länder gehen, ICE-Trassen und so weiter, da gibt es durchaus große Investitionen, die auch länderübergreifend sind, wo man tatsächlich auch drüber nachdenken könnte, macht da nicht eine Abstimmung Sinn.
Das muss man natürlich in jedem Einzelfall sehen, wie gesagt, es hängt auch von den Rahmenbedingungen ab. Wir haben in Deutschland einfach noch gar keine Kultur, uns damit auseinanderzusetzen, da steht die Debatte auch noch am Anfang. Insofern geht es jetzt hier auch erst mal darum zu überlegen, wie sieht das aus. Aber es ist natürlich richtig, der Hinweis von Herrn Albig, gerade solche Verkehrsprojekte ziehen enorme Folgekosten nach sich. Und das wird beim Bau dann oft vergessen und das holt uns im Moment jetzt ein.
Frenzel: Und Torsten Albig geht ja sogar so weit, der Schleswig-Holsteinsche Ministerpräsident, dass er sagt, wir sollten vielleicht erst mal ganz auf den Bau neuer Straßen verzichten. Das muss Sie als Grünen richtig freuen, oder?
"Ist das überhaupt noch finanzierbar?"
Krischer: Ja, das ist ein richtiger Ansatz, Erhalt muss vor Neubau gehen. Das ist ein Glaubenssatz, der sich inzwischen überall in der Politik findet. Wir erleben nun - und da wird es bei Herrn Albig ein bisschen unglaubwürdig - gerade, dass eine Große Koalition trotz dieser Maxime anders handelt, wenn man sieht im Bundesverkehrswegeetat, wofür wird das Geld ausgegeben: Es steht nach wie vor mit deutlichem Vorsprung der Neubau im Vordergrund, Erhalt ist nach wie vor zweitrangig, wir fahren nach wie vor die Verkehrsinfrastruktur sowohl im Eisenbahnbereich als auch im Automobilbereich auf Verschleiß.
Da ist so eine Forderung von Albig natürlich richtig, allein nehme ich wahr, dass die praktischen Auswirkungen dann andere sind, gerade auch, wenn man nach Schleswig-Holstein guckt, Stichwort Fehmarnbeltquerung. Das ist sicherlich auch so ein Projekt, wo man sehr stark hinterfragen kann, ist das notwendig, ist das überhaupt noch finanzierbar, wäre es da nicht sinnvoll, tatsächlich auch das Geld in den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur zu stecken?
Frenzel: Nun kann man natürlich auch sagen, Herr Krischer: Wenn wir uns die Verkehrsprognose anschauen, die diese Woche vorgestellt wurde von der Bundesregierung, die davon ausgeht, dass auf allen Wegen, auf allen Straßen der Verkehr zunehmen wird, brauchen wir da nicht andererseits neue Straßen, mehr Straßen? Ist dieser Weg dann nicht genau richtig zu sagen, wir investieren auch in den Ausbau?
Krischer: Die Frage ist, können wir uns den Ausbau, den Neubau überhaupt noch leisten? Das ist ja die entscheidende Frage.
Frenzel: Aber wenn wir uns den nicht leisten können, dann heißt das ja in der Konsequenz bei wachsendem Verkehr, dann haben wir nur noch Stau!
Allererste Priorität: Erhalt
Krischer: Ja, ob diese Zahlen, die da diese Woche veröffentlicht worden sind, nicht auch hier andere Formen des Wirtschaftens, auch des Gütertransportierens, auch des Konsumierens diskutiert werden müssen, ob überhaupt das alles so am Ende noch verantwortbar und umsetzbar ist, das möchte ich mal stark hinterfragt lassen. Aber wenn wir es schon nicht schaffen - und das ist ja im Moment die Situation -, unsere vorhandene Verkehrsinfrastruktur zu erhalten, dass in Nordrhein-Westfalen die Leverkusener Rheinbrücke mit der A1 gesperrt werden muss, ein absolutes Nadelöhr, eine ganz wichtige Brücke, weil die Finanzmittel fehlen, und wir Tausende von Brücken sowohl bei den Eisenbahnen als auch bei den Straßen haben, die nicht saniert werden können, wo demnächst Streckensperrungen anstehen, dann muss man einfach sagen: Die allererste Priorität muss heißen Erhalt.
Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 demonstrieren am Freitag (01.10.10) in Berlin.
Stuttgart 21 passt nicht mehr in die Zeit, so Krischer.© AP
Und wenn man dann noch etwas übrig hat, wenn dann noch Mittel zur Verfügung stehen, kann man überlegen, wo sind möglicherweise im bestehenden System noch Optimierungen möglich und notwendig. Das wird aber in der Regel gar nicht das große Projekt sein, nicht das große milliardenteure Projekt, sondern es sind viele kleinere Einzelmaßnahmen, die dann eine große Verkehrswirkung haben. Da macht es dann vielleicht Sinn. Aber ich sage mal, so Dinge wie Stuttgart 21 oder eine Fehmarnbeltquerung, das sind alles Sachen, eigentlich Verkehrsprojekte, die nicht mehr in die Zeit passen, die einfach nicht mehr finanzierbar sind.
Frenzel: Man könnte natürlich alternativ auch sagen, wir greifen noch mal ein bisschen zu bei den Bürgern! Torsten Albig hat über Ostern 100 Euro für jeden Autofahrer vorgeschlagen, so eine Art Instandhaltungsprämie, die jeder zahlen muss, jetzt hat er das noch mal erneuert in Form von Brückenmaut, Straßenmaut, immer wenn etwas neu gebaut wird. Ist das ein Weg?
Krischer: Nein, ich halte es für keinen Weg, jetzt die Pkw-Fahrer zur Kasse zu bitten, weil, ich vertrete da ganz klar das Prinzip der Verursachergerechtigkeit. Und wenn man sich anguckt, aus welchen Gründen verfällt unsere Infrastruktur, wer ist für den Verschleiß verantwortlich, dann ist das ganz klar der Güterverkehr, die Lkws, die weit über 90 Prozent des Verschleißes verursachen. Und das würde dann auch bei den Kosten vielleicht den einen oder anderen unsinnigen Transport, der die steigenden Verkehrszahlen auf den Straßen bei den Lkws verursacht, dann am Ende auch verhindern, wenn hier die Kosten tatsächlich höher sind und verursachergerecht auch umgelegt werden.
Frenzel: Das sagt und fordert Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Krischer: Ich danke Ihnen
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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