Fragezeichen in Klagenfurt
Vor der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt herrscht Verunsicherung unter Juroren und Autoren. Ein Text in gebrochenem Deutsch führt zu Ratlosigkeit. Da einigt man sich lieber auf eine eher nicht so streitbare Favoritin.
Es war sicher nicht die beste Lesung, aber die wichtigste. Tomer Gardi – das Hawaii-Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft – las einen Text in einem Deutsch, das man bei diesem Wettbewerb sonst nicht hört: "Am Ende diese Flug verlieren ich und meine Mutter unseren Koffern. Bei der rollenden Gummiband stehen wir, da mit den Anderen. Schlafentzugt, nikotinhungrig, erschöpft, als die Koffern uns vorbei langsam rollen."
Grammatik falsch, das Vokabular ein bisschen komisch: Die Geschichte von einer Mutter und einem Sohn, die aus Israel nach Deutschland reisen, um sich in einem Hotelzimmer mit vertauschten Gepäckstücken beschäftigen zu müssen, ist in einem Deutsch geschrieben, dass nicht nach Gruppe 47 und Ingeborg Bachmann riecht, sondern nach Kerosin, Zollstempeln und Flüchtlingsunterkünften, nach Asylantrag und Integrationszwang.
Haltung der Jury fehlt
Im Grunde ist das genau der richtige Text im richtigen Moment. Doch der Jury hier in Klagenfurt fiel nichts dazu ein – außer einer Diskussion darüber, ob nicht die "Beherrschung der Sprache" die Voraussetzung für die Teilnahme an einem Literaturwettbewerb sein müsse. Klar ist, dass die Pauschalurteile, mit denen Juroren und Jurorinnen hier in Klagenfurt eifrig arbeiten, an einem Text wie dem von Tomer Gardi scheitern müssen: "gut gearbeitet" oder "schlecht gearbeitet", "unterkomplex" oder "überdeterminiert", "Kafka" oder "Karl May", "riskant" oder "banal", diese Etiketten, die hier in Klagenfurt immer wieder neu verteilt wurden, funktionieren hier nicht. This is broken German. Für so einen Text braucht man keine Kriterien, sondern eine Haltung. Und die fehlt der Jury.
Verunsicherung auf allen Seiten: Nicht nur die Jury kam immer wieder aus dem Takt, auch die Literatur wackelte gelegentlich heftig, vor allem, wenn sie auf die sogenannte Wirklichkeit zielte. Eine Handvoll Texte zum Beispiel gruppierte sich mal mehr, mal weniger dicht um das eher hässliche Thema "Überfremdung". Jan Snela las eine Satire, in der Deutschland bzw. "das Abendland" von Beduinenvölkern überrannt wird und im Wüstensand versinkt. Isabelle Lehn präsentierte einen leicht futuristischen Romanauszug, in dem eine High-Tech-Armee in einem Dorf in der Fränkischen Schweiz Anti-Terror-Einsätze übt, mit Arbeitslosen, die sich als islamistische Attentäter kostümieren müssen.
Oder Astrid Sozio: Sie ließ die in einem wirklich unglaublich missglückten Stück Rollenprosa eine ältere Deutsche voller Ressentiments und irrationaler Ängste auf einen Flüchtling treffen – in einem furchtbar konstruierten Tonfall, der nichts zu tun hat mit dem aktuellen Alltagsrassismus zwischen Pegida und Sportsbar, FPÖ und Cicero.
Favoritin Julia Wolf
Die Jury suchte lieber Flucht auf sicheres Terrain. Als eine mögliche Kandidatin für den Bachmann-Preis gilt hier in Klagenfurt darum im Moment Julia Wolf, die mit "Walter Nowak bleibt liegen" eine kleine Novelle vorlegte. Ein älterer Mann geht wie jeden Morgen zum Schwimmen, zieht wie immer seine Bahnen, hat dann jedoch einen Badeunfall: Er stößt mit dem Kopf an den Beckenrand, und obwohl die Sache zunächst harmlos zu sein scheint, wirft ihn dieses Ereignis buchstäblich aus der Bahn. Seine selbstsichere Ausstrahlung bekommt einen Sprung, und nach und nach öffnet sich der Blick auf ein gescheitertes Leben.
Die Sprache ist nicht überladen, die Erinnerungsszenen sind stark erzählt und zugleich leicht melancholisch verschattet: Das funktioniert, aber – wie Juror Klaus Kastberger anmerkte – das hätte auch vor zehn Jahren funktioniert, und es würde auch noch in 25 noch funktionieren. Am Sonntagvormittag fällt die Jury ihre Entscheidung.