Zeit für Texte mit politischen Aussagen
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14 Autorinnen und Autoren konkurrierten um den 43. Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Gewinnerin Birgit Birnbacher erklärt, angesichts des Rechtsrucks in Europa und der Erosion der Mitte könne man nicht mehr so tun, als gäbe es keine politischen Themen.
Seit Mittwoch kämpften 14 Autorinnen und Autoren im Rahmen der "Tage der deutschsprachigen Literatur" im Klagenfurter ORF-Theater um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die 33-jährige Österreicherin Birgit Birnbacher hat ihn für ihre Erzählung "Der Schrank" bekommen.
Dabei handelt es sich um ein Generationenporträt, einen Text über die Mittdreißiger, über prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen und über Vereinsamung. Eine Ich-Erzählung, bei der die Hauptfigur an einer soziologischen Studie teilnimmt - und plötzlich erscheint ein Schrank.
Besondere Vorliebe für Alltagssprache
Birgit Birnbacher erklärt im Deutschlandfunk Kultur, ihre von der Jury für ihre Authentizität gelobten literarischen Charaktere entsprängen ihrer besonderen Vorliebe für Alltagssprache. Schon in ihrem Soziologiestudium habe es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört, gesprochene Sprache zu transkribieren:
"Die hat einen besonderen - für mich - literarischen Begleit-Sound. Es ist unschlagbar, wie Menschen auf natürliche Weise aus ihrem Leben erzählen." Diesen großen sprachlichen Wert habe sie in ihre Texte einzubauen versucht.
Erosion der sozialen Mitte und Rechtsruck
Das große Thema des Textes sei die Erosion der sozialen Mitte, das noch größere der Rechtsruck in Europa, so Birnbacher weiter. Wenn man sich die Zusammensetzung der Rechtswähler genauer anschaue, dann rückten zwangsläufig die prekären Lebensverhältnisse in den Fokus.
Das Prekariat setze sich aber mittlerweile aus verschiedensten Milieus zusammen, künstlerischen wie akademischen. Sie alle vereine, dass sie beispielsweise im selben Viertel wohnten, weswegen Birnbacher sich in ihrem Text für ein Wohnhaus als Ort der Handlung entschieden habe.
Wandel der Arbeit und der Arbeiterschaft
Birgit Birnbacher sagt ferner, dass sie mit Hilfe dieses Schranks, der für eine Zeit des Handwerks stehe, also mit Hilfe dieses "aufdringlichen Mittels" - wie sie selbst sagt - die Produktionsverhältnisse im weiteren Sinne in ihrer Geschichte thematisieren und dabei zeigen wollte, wie sich die Formen der Arbeit und der Arbeiterschaft verändert hätten.
"Deswegen muss es nicht bedeuten, dass früher alles besser war, als alles selbst gemacht war. Es kann ein gleichzeitiges Gefangensein in diesen Bedingungen geben, aber auch einen großen und starken Willen - und deswegen auch dieser lebensbejahende Schluss."
Hoffnungsvoll in die Zukunft
Am Ende verschwindet die Protagonistin zwar im Schrank, aber der letzte Satz lautet: "Ich möchte singen."
"Ich habe den letzten Satz benutzt, um zu zeigen, dass es eben nicht so sein soll, dieses: Wir verschließen uns nun in diesem Schrank und machen die Tür zu und früher war alles schöner und besser. Sondern: Wir bedienen uns dieser Freiheit und benutzen sie auch und das wird dann auch schon zu etwas führen. Wir haben ja alles da, wir haben die Qualifikation und die Fähigkeiten und die Ausgangslange - und es ist irgendwann auch an der Zeit zu sagen: Es ist auch gut und schön und jetzt kann auch etwas Kraftvolles kommen, wie es weitergeht."
Derzeit sei es in Österreich nicht möglich, so zu tun, als ob es keine dringenden Themen gebe, über die man schreiben müsse, so die diesjährige Bachmann-Preisträgerin: "Für mich ist die Zeit einfach vorbei, wo man schreibt ohne politische Aussage. Ich spüre auch bei Kolleginnen und Kollegen diese Notwendigkeit und auch eine neue Dringlichkeit, wo mehr politische Themen Einzug halten in die aktuell entstehende Literatur."
(ckr)