Ingeborg-Bachmann-Preis

Von Mörderinnen, Steuersündern und Flüchtlingen

Eröffnet wurden die Literaturtage in Klagenfurt von Maja Haderlap mit ihrer Rede "Im Licht der Sprache", der Preisträgerin des Jahres 2011. Hier ist sie von der Seite am Rednerpult vor Publikum zu sehen.
Eröffnet wurden die Literaturtage in Klagenfurt von Maja Haderlap mit ihrer Rede "Im Licht der Sprache", der Preisträgerin des Jahres 2011. © picture alliance / dpa / Gert Eggenberger
Von Ernst Rommeney · 05.07.2014
"Beschädigtes Leben" machte Redakteurin Barbara Wahlster als gemeinsamen Nenner der Autorentexte aus. Der Literaturwettbewerb steuert auf seinen Höhepunkt zu: Am Sonntag ist Preisverleihung.
Zäh habe sich der diesjährige Autoren-Wettbewerb in Klagenfurt. drei Tage lang hingezogen. Keiner der bisher unveröffentlichten Texte, die 13 Literaten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz selbst vortrugen, habe bei ihr den Kick ausgelöst, auf diese Prosa gewartet zu haben.
So bilanziert Barbara Wahlster, Redakteurin von Deutschlandradio Kultur, die 38. Tage der deutschsprachigen Literatur 2014, an deren Ende der "Ingeborg-Bachmann-Preis" verliehen wird. Auch hätte die Jury aus sieben Literaturkritikern diesmal keinen gemeinsamen Ton gefunden, von Text zu Text die Kriterien ihrer Kommentare recht unterschiedlich angewandt und ihre Vergleiche mit prominenten Schriftstellern überdehnt.
Man müsse sich klar machen, was es für die ausgewählten Autoren bedeute, nach einer Lesung von 25 Minuten eine halbe Stunde schweigend dazusitzen und eine manchmal ungerecht, unfair und unbegründet erscheinende Kritik über sich ergehen zu lassen – in einer literarischen Casting-Show mit sehr steifem Setting.
Die Auswahl, hebt Olaf Petersen, Lektor im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch, hervor, sei jedes Jahr die eigentliche Aufgabe der Juroren, allein schon durch die Vorarbeit, eine enorme Menge an Arbeiten zu sichten, die für den Bachmann-Preis eingereicht werden, meist aber eher gut gemeint, denn für eine breitere Öffentlichkeit geeignet seien.
Eine Facebook-Anfrage von der ersten Freundin
"Beschädigtes Leben", so Barbara Wahlster, sei der gemeinsame Nenner der Texte gewesen – Episoden aus dem Leben einer alten Frau, die ihren krebskranken Gatten tötet; einer jungen Frau, die einen Muttertag über sich ergehen lässt und den Wunsch nach einem zweiten Kind prüft; einer Tochter, die sich mit ihrem NS-belasteten Vater auseinandersetzt;
eines Steuersünders, der sich verunsichert bei einem Prüfer im Finanzamt eingefunden hat; einer verheirateten Wissenschaftlerin, die auf einer Konferenz einer früheren leidenschaftlichen Liebe wiederbegegnet; eines Großstadtmenschen, der sein Ich durch ein Milieu von Drogen und Kriminalität bewegt;
eines Paares, das während einer Urlaubsfahrt über den Tod der kleinen Tochter trauert, die der Mann überfahren hat; einer Studentin, die sich im Chat mit einem ihr unbekannten Partner an ihre Mutter und die Kindheit in einer Flüchtlingsfamilie erinnert;
eines "anständigen" Gemeindeverwalters, der von finsteren Paramilitärs in den Schweizer Bergen entwaffnet wird; einer Frau, die in der Einöde eine Panne mit ihrem Auto erlebt, das ihr die Mutter aufgedrängt hatte; einer Einsamen, die verzweifelt ihrer Wohnung entflieht, um im Trubel des Stadtlebens anderen Menschen zu begegnen;
eines Mannes, der eine Facebook-Anfrage von seiner ersten "echten" Freundin erhält, die ihn vor 30 Jahren verlassen hatte; zweier junger Männer und einer Frau, die gemeinsam von Paris aus einen Ausflug in die Normandie unternehmen und auf Spuren der Weltkriege treffen.
Mit 25.000 Euro dotiert
Eröffnet wurden die Literaturtage von Maja Haderlap mit ihrer Rede "Im Licht der Sprache". Die Preisträgerin des Jahres 2011 schreibt sowohl auf Deutsch als auch auf Slowenisch und wohnt in Klagenfurt, wo sie Chefdramaturgin am Stadttheater (1992-2007) war.
Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann wurde 1926 in Klagenfurt geboren und 1973 auch begraben. Sie lebte und arbeitete in Wien, München, Zürich, Frankfurt am Main, Berlin und Rom, wo sie bei einem Wohnungsbrand ums Leben kam. Zu einer ersten Lesung war sie als junge Literatin 1952 von der "Gruppe 47" eingeladen worden.
Morgen, am Sonntag, den 6. Juli 2014, wird der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen – ab 11.00 Uhr live übertragen vom ORF auf "3Sat". Gestiftet wurde er von Klagenfurt am Wörthersee, der Landeshauptstadt des österreichischen Bundeslandes Kärnten, in einer Höhe von 25.000 Euro.
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